Leitsatz (amtlich)

›1. Zum Umfang der Bindungswirkung eines Wechselvorbehaltsurteils im Nachverfahren.

2. Will das Berufungsgericht die protokollierte Aussage eines in erster Instanz vernommenen Zeugen anders verstehen oder ihr ein anderes Gewicht beimessen als das erstinstanzliche Gericht, so hat das Berufungsgericht den Zeugen erneut zu vernehmen.‹

 

Tatbestand

Der Kläger, ein spanischer Rechtsanwalt, nimmt den Beklagten als Akzeptanten aus fünf in Santa Cruz/Teneriffa ausgestellten, angenommenen und zahlbaren Wechseln über insgesamt 35 Millionen spanische Pesetas in Anspruch. Der Beklagte, ein deutscher Kaufmann, beabsichtigte den Erwerb einer Klinik für 100 Millionen DM ohne Einsatz eigener Mittel. Bei der Finanzierung sollte der für eine Gesellschaft in Gibraltar tätige, inzwischen verstorbene Geschäftsführer M. behilflich sein. Dieser verlangte für die Beschaffung eines Darlehens aus dem fernen Osten vorab 75.000 US-Dollar. Zur Bezahlung dieses Betrages erhielt der Beklagte vom Kläger in Santa Cruz im November 1987 Mandantengelder in Höhe von 10 Millionen Pesetas in bar gegen fünf im Februar 1988 fällige Wechselakzepte über insgesamt 35 Millionen Pesetas ausgehändigt. Der Beklagte brachte das Geld nach München und übergab es dort M. Im Februar 1988 akzeptierte der Beklagte die vom Kläger als Prolongationswechsel ausgestellten, im April 1988 zahlbaren Klagewechsel und unterzeichnete einen später notariell beurkundeten Vertrag, in dem er u.a. anerkannte, Mandanten des Klägers 35 Millionen Pesetas zu schulden.

Zur Auszahlung des vom Beklagten gewünschten Darlehens über 100 Millionen DM kam es nicht.

Da der Beklagte die Wechsel nicht bezahlte, hat der Kläger ein rechtskräftig gewordenes Wechselvorbehaltsurteil des Landgerichts Sa. über den streitigen Betrag zuzüglich Zinsen erwirkt. Im Nachverfahren macht der Beklagte vor allem geltend: Die Wechsel seien zur Sicherung eines nicht entstandenen Anspruchs auf Provision für die erfolgreiche Vermittlung eines Darlehens über 100 Millionen DM begeben worden. Neben der Vorausleistung der Kapitalbeschaffungskosten habe der Kläger die Beibringung von Garantien spanischer Banken zur Absicherung fernöstlicher Darlehensgeber übernommen, aber nicht beschafft.

Das Landgericht hat sein Vorbehaltsurteil nur in Höhe von 10 Millionen Pesetas zuzüglich Zinsen für vorbehaltlos erklärt und die Klage im übrigen abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht den Vorbehalt uneingeschränkt entfallen lassen. Mit der Revision verfolgt der Beklagte, dessen Berufung erfolglos geblieben ist, seinen Antrag auf Aufhebung des Vorbehaltsurteils und Abweisung der Klage weiter.

 

Entscheidungsgründe

I. Da der Kläger in der mündlichen Verhandlung trotz rechtzeitiger Ladung zum Termin nicht vertreten war, ist über die Revision antragsgemäß durch Versäumnisurteil zu entscheiden (§§ 313, 357 ZPO; vgl. BGHZ 37, 79, 81; Senatsurteil vom 29. September 1992 - XI ZR 9/92, Urteilsumdruck S. 5). Das Urteil beruht jedoch inhaltlich nicht auf einer Säumnisfolge, sondern auf einer Sachprüfung.

Die Revision des Beklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

II. Das Berufungsgericht hat Einwendungen gegen die Wechselforderung des Klägers nicht für gegeben erachtet und dazu im wesentlichen ausgeführt: Für einen Verstoß des im Zusammenhang mit den streitigen Wechseln abgeschlossenen Geschäfts gegen zwingende spanische Devisenbestimmungen fehle ausreichend substantiiertes Vorbringen des Beklagten. Mit dem Einwand, das Geschäft sei sittenwidrig, sei der Beklagte wegen der Bindungswirkung des Vorbehaltsurteils im Nachverfahren ausgeschlossen. Sein Haupteinwand, die Verpflichtung zur Zahlung des streitigen Betrages habe von dem Erhalt des Darlehens über 100 Millionen DM abhängen sollen, greife aus tatsächlichen Gründen nicht durch. Die erstinstanzliche Aussage des Zeugen Gr. sei insoweit unergiebig. Eine Vernehmung des Beklagten als Partei gemäß § 448 ZPO sei nicht in Betracht gekommen, da für die Richtigkeit seiner Darstellung keine höhere Wahrscheinlichkeit spreche als für die des Klägers.

III. Diese Beurteilung hält den Angriffen der Revision nicht in allen Punkten stand.

1. Ohne Erfolg bleibt allerdings die Rüge, das Berufungsgericht habe übersehen, daß es sich bei dem - behaupteten Verstoß gegen spanische Devisenbestimmungen nicht um einen vom Beklagten zu beweisenden Einwand, sondern um das Leugnen einer vom Kläger darzulegenden Prozeßvoraussetzung gemäß Art. VIII Abschn. 2 (b) Satz 1 des Abkommens über den Internationalen Währungsfonds vom 1./22. Juli 1944 (nachfolgend: IWF-Abkommen) handele. Der Angriff scheitert an der Bindungswirkung des rechtskräftigen Wechselvorbehaltsurteils (§ 318 ZPO).

Nach der in der Rechtsprechung üblicherweise verwendeten Formel entfaltet das Vorbehaltsurteil im Urkundenprozeß insoweit Bindungswirkung für das Nachverfahren, als es nicht auf den eigentümlichen Beschränkungen der Beweismittel im Urkundenprozeß beruht. Daraus hat der - Bundesgerichtshof gefolgert, daß diejenigen Teile des Streitverhältnisses, die im Vorbehaltsurteil beschieden werden mußten, damit es überhaupt ergehen konnte, im Nachverfahren als endgültig beschieden dem Streit entzogen sind (BGHZ 82, 115, 117 f.; BGH, Urteile vom 1. Oktober 1987 - III ZR 134/86, WM 1987, 1416, 1417 und vom 13. Februar 1989 - II ZR 110/88, WM 1989, 868, 870).

Zu diesen Teilen gehört die Frage, ob durch die Begebung der streitigen Wechsel oder durch das Kausalgeschäft gegen spanische Devisenbestimmungen sowie Art. VIII Abschn. 2 (b) Satz 1 IWF-Abkommen verstoßen worden ist. Die insoweit bedeutsamen Tatsachen, insbesondere auch die unstreitige Überlassung von 10 Millionen Pesetas in bar an den Beklagten in Spanien zur Verbringung nach München, waren bereits im Vorverfahren vorgetragen und dort von Amts wegen unter dem vorgenannten Gesichtspunkt zu prüfen. Wenn dies nicht geschehen ist, so ändert das an der Bindungswirkung des rechtskräftigen Vorbehaltsurteils nichts. Dieses beruht insoweit nicht auf den eigentümlichen Beschränkungen der Beweismittel im Urkundenprozeß, sondern, falls ein Verstoß gegen Art. VIII Abschn. 2 (b) Satz 1 IWF-Abkommen vorliegt, auf einem Fehler bei der Rechtsanwendung. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach Art. VIII Abschn. 2 (b) Satz 1 IWF-Abkommen eine allgemeine Prozeßvoraussetzung regelt (BGHZ 55, 334, 337 f.; BGH, Urteile vom 27. April 1970 - II ZR 12/69, WM 1970, 785; 8. März 1979 - VII ZR 48/78, WM 1979, 486 und 31. Januar 1991 - III ZR 150/88, WM 1991, 1009, 1011; offengelassen neuerdings in BGH, Urteil vom 14. November 1991 - IX ZR 250/90, WM 1992, 87, 90, zur Veröffentlichung vorgesehen in BGHZ 116, 77), hätte die Klage dann als unzulässig verworfen werden müssen. Nach in der Literatur vertretenen Ansichten, wonach abkommenswidrige Devisenkontrakte entweder unvollkommene Verbindlichkeiten darstellen (so Ebke, Internationales Devisenrecht S. 296 ff.; ders. JZ 1991, 335, 342) oder aber nichtig sind (so Mann JZ 1981, 327, 328; s. auch Ebenroth/Neiss RIW 1991, 617, 624), wäre sie als unbegründet abzuweisen gewesen.

2. Die Rüge, das Berufungsgericht habe den Beklagten mit dem Einwand der Sittenwidrigkeit im Nachverfahren nicht wegen der Bindungswirkung des Vorbehaltsurteils ausschließen dürfen, ist zwar teilweise berechtigt, vermag der Revision im Ergebnis aber nicht zum Erfolg zu verhelfen.

a) Das Berufungsgericht geht von einem zu weit bemessenen Umfang der Bindungswirkung aus. Diese reicht, was die Einwendungen des Beklagten angeht, nicht weiter als dessen Verteidigungsvorbringen im Vorverfahren. Nach § 599 Abs. 1 ZPO steht es dem Beklagten im Vorverfahren frei, ob er der Klageforderung ohne Begründung widerspricht, nur einzelne Einwendungen erhebt oder sich umfassend verteidigt. Soweit er sachliche Einwendungen unterläßt, sind diese nicht Gegenstand des Vorbehaltsurteils. Neuem Sachvortrag des Beklagten im Nachverfahren kann der Erfolg deshalb nicht mit Rücksicht auf die Bindungswirkung des Vorbehaltsurteils versagt werden (vgl. BGHZ 82, 115, 119 f.; BGH, Urteil vom 15. Dezember 1959 - VIII ZR 192/58, NJW 1960, 576, 577; BGH, Urteil vom 24. Oktober 1991 - IX ZR 18/91, WM 1992, 159, 161).

b) Dies hat das Berufungsgericht in bezug auf das Beklagtenvorbringen im Nachverfahren, der Kläger habe neben der Vorausleistung der Kapitalbeschaffungskosten die Beibringung von Bankgarantien geschuldet und für die erfolgreiche Vermittlung eines Darlehens über 100 Millionen DM außer der Erstattung der vorgenannten Kosten eine Provision erhalten sollen, nicht ausreichend berücksichtigt. Dieses Vorbringen war nämlich, wovon in anderem Zusammenhang auch das Berufungsgericht ausgegangen ist, in wesentlichen Punkten neu; im Vorverfahren hatte der Beklagte das Geschäft als Darlehen dargestellt.

Erfolg hat die Revision mit ihrer Rüge im Ergebnis gleichwohl nicht, da die behauptete Vereinbarung nicht gegen die guten Sitten verstößt. Wenn sich der Kläger für die erfolgreiche Vermittlung eines Kredits in der ungewöhnlichen Höhe von 100 Millionen DM unter Einsatz von 10 Millionen Pesetas auf eigenes Risiko oder das seiner Mandanten eine Provision von 25 Millionen Pesetas, umgerechnet etwa 400.000 DM, d.h. ca. 0,4% der Kreditsache, versprechen ließ, so ist dies weder unter dem Gesichtspunkt eines groben Mißverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung noch unter einem anderen Gesichtspunkt sittenwidrig.

3. Ebenfalls bereits an der Bindungswirkung des Vorbehaltsurteils scheitert die weitere Revisionsrüge, das Berufungsgericht habe sich unter Verstoß gegen § 286 ZPO nicht mit der Plausibilität des Klägervorbringens befaßt, nach der Lebenserfahrung sei ausgeschlossen, daß der geschäftlich erfahrene Beklagte ein Darlehen aufgenommen haben solle, das hochgerechnet mit etwa 1000% pro Jahr zu verzinsen gewesen sei. Das in Rede stehende Klägervorbringen war bereits Gegenstand des Vorverfahrens, in dem der Beklagte im übrigen selbst vorgetragen hat, für die Überlassung von 10 Millionen Pesetas in bar habe der Kläger nach Auszahlung des Darlehens über 100 Millionen DM 35 Millionen Pesetas zurückerhalten sollen.

4. Mit Recht rügt die Revision dagegen eine Verletzung des § 398 Abs. 1 ZPO, weil das Berufungsgericht den vom Landgericht gehörten Zeugen Gr. nicht erneut vernommen hat. Zwar steht es danach grundsätzlich im Ermessen eines Berufungsgerichts, ob es einen in erster Instanz vernommenen Zeugen ein zweites Mal vernehmen will. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist jedoch anerkannt, daß dieses (pflichtgebundene) Ermessen unter bestimmten Umständen Einschränkungen unterliegt. Eine erneute Vernehmung ist danach u.a. geboten, wenn das Berufungsgericht die protokollierte Aussage anders verstehen oder ihr ein anderes Gewicht beimessen will als der Richter der Vorinstanz (Senatsurteil vom 29. Januar 1991 - XI ZR 76/90, WM 1991, 963, 964; BGH, Urteil vom 11. November 1991 - VI ZR 369/90, NJW 1992, 741, 742 jeweils m.w.Nachw.). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.

Die Auslegung und die Würdigung der protokollierten Zeugenaussage durch das Berufungsgericht sind mit der vom Landgericht vorgenommenen unvereinbar. Während das Landgericht der Aussage des Zeugen Gr. gefolgt ist und ihr die teilweise Erfolgsabhängigkeit der Klageforderung entnommen hat, hat das Berufungsgericht ausgeführt: Die Bekundungen des Zeugen seien unergiebig. Sie hätten in erster Linie nicht das mit der Wechselbegebung zusammenhängende Geschäft, sondern ein nachträgliches Kompensationsgeschäft zum Gegenstand. Unmittelbar zum Thema der streitigen Wechsel habe der Zeuge ›lediglich bekundet‹, aus Gesprächen mit den Parteien habe er den Eindruck gewonnen, daß der Unterschiedsbetrag zwischen den 10 und den 35 Millionen Pesetas ›wohl dazu dienen könnte, etwa Banker zu beeinflussen, auf die Garantiebewilligung hinzuwirken‹. Soweit das Landgericht aus der Bekundung des Zeugen, die Erfolgsbezogenheit sei bei derartigen Geschäften üblich, die Teilabweisung der Klage hergeleitet habe, könne ihm nicht gefolgt werden.

5. Der Verstoß gegen § 398 ZPO führt dazu, daß auch die Ausführungen, mit denen das Berufungsgericht eine Vernehmung des Beklagten als Partei gemäß § 448 ZPO abgelehnt hat, keinen Bestand haben können. Wie die Revision mit Recht geltend macht, ist nicht auszuschließen, daß das Berufungsgericht die Voraussetzungen des § 448 ZPO bejaht hätte, wenn es pflichtgemäß den Zeugen Gr. erneut vernommen hätte.

IV. Auf die Revision des Beklagten war das angefochtene Urteil daher aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2993684

DB 1993, 1517

NJW 1993, 668

BGHR IWF-Abkommen Art. VIII Abschn. 2(b) Amtsprüfung 3

BGHR ZPO § 398 Abs. 1 Ermessen 17

BGHR ZPO § 600 Bindung 3

BGHR ZPO § 600 Bindung 4

DRsp IV(416)318Nr.11

WM 1993, 99

MDR 1993, 475

ZBB 1993, 0

IPRspr. 1992, 174

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