
Der drastische Anstieg der Inflationsrate in den vergangenen Monaten ließ die Zinsen nach oben schnellen. Die goldenen Zeiten an den Immobilienmärkten könnten zu Ende gehen. Investoren wägen Risiken von Neuinvestments sorgsamer ab. Wer Fremdkapital braucht, gerät ins Hintertreffen.
Die Notenbanken machen Ernst mit ihrem rigorosen Kampf gegen den wachsenden Inflationsdruck: Nachdem die Europäische Zentralbank (EZB) vor knapp zwei Wochen – erstmals seit elf Jahren – die Leitzinsen von null auf 0,5 Prozent angehoben hatte, erhöhte die US-Notenbank Federal Reserve (Fed.) in der vergangenen Woche erneut die Leitzinsen. Sie schraubte diese um 0,75 Prozentpunkte auf eine Spanne von 2,25 bis 2,5 Prozent nach oben.
"Die Zentralbanken senden deutliche Signale, dass sie nicht gewillt sind, die Inflation durchlaufen zu lassen", urteilt Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Dekabank. Seit Jahresbeginn stiegen die Verbraucherpreise in der Europäischen Union (EU) von 5,1 Prozent auf 8,6 Prozent im Juni (Deutschland: Januar 2022: 4,9 Prozent/Juni 2022: 7,6 Prozent). In den USA fiel der Teuerungsschub noch stärker aus. Dort könnte die Inflationsrate in Kürze zweistellig werden, denn im Juni war sie mit 9,1 Prozent so hoch wie zuletzt vor 40 Jahren.
Kater rechnet damit, dass die Notenbanken die Zinszügel weiter straffen. Seiner Prognose zufolge wird die EZB die Leitzinsen bis Mitte 2023 auf 1,5 Prozent anziehen. Das Ende der Niedrigzinspolitik zeichnete sich schon seit Monaten ab. Während die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen im Januar noch leicht negativ war, schoss sie im Juni auf knapp 1,8 Prozent hoch, also einen Monat bevor die die EZB anfing, an der Zinsschraube zu drehen.
"Anleihemärkte sind sehr volatil"
Inzwischen fiel sie wieder unter ein Prozent. "Die Anleihemärkte sind sehr volatil, da Investoren stark verunsichert sind", stellt Sebastian Schnejdar, Immobilienanalyst der Bayern LB, fest. Die heftigen Renditeausschläge könnten noch eine Zeit lang anhalten, meint er. Zumal die Folgen von Krisen – insbesondere des Ukrainekriegs und der Coronapandemie – die die Märkte in Atmen hielten, ja keineswegs ausgestanden seien.
Das Beben an den Anleihemärkten sorgte auch für Bewegung bei den Bauzinsen, die sich für zehnjährige Finanzierungen mehr als verdreifachten. Im fünfjährigen Bereich, den institutionelle Investoren in Deutschland bevorzugten, habe sich der Jahreszinssatz für Darlehen zur Ankaufsfinanzierung erstklassiger Objekte um rund zwei Prozentpunkte verteuert, weiß Timo Wagner, Finanzierungsexperte des Immobiliendienstleisters JLL.
Außerdem prüfen Immobilienbanken die Bewilligung neuer Darlehen noch penibler. "Die Kapitaldienstfähigkeit muss auch bei steigenden Zinsen gewährleistet sein", betont Peter Axmann, Leiter Immobilienkunden der Hamburg Commercial Bank (HCOB). Geriete sie bereits bei einem Zinssatz von 3,5 oder vier Prozent ins Wanken, hätten wir etwas falsch gemacht. Der Beleihungsauslauf (LTV) von Immobiliendarlehen bewegt sich Axmann zufolge bei der HCOB zwischen 60 und 70 Prozent, was in etwa dem Niveau bei den meisten großen Pfandbriefbanken entspricht. Er ist damit etwas niedriger als vor der Coronapandemie.
Immobilieninvestments haben wegen höherer Fremdkapitalzinsen an Attraktivität gegenüber Staatsanleihen verloren. "Ihr Vorteil ist aber, dass Investoren besser gegen Inflationsfolgen geschützt sind“, sagt Matthias Barthauer vom Research des Immobiliendienstleister JLL. Ferner sähen Mietverträge von Gewerbeimmobilien meist eine Inflationsindexierung vor.
Wohninvestoren: Lieferengpässe und Zinsanstieg sorgen für Zurückhaltung
Trotzdem stehen selbst Wohnungsengagements auf dem Prüfstand. Laut dem jüngsten Trendbarometer "Immobilienanlagen der Assekuranz 2022" der Beratungsgesellschaft EY Real Estate agieren Versicherungen, die zu den finanzkräftigsten Immobilieninvestoren am zählen, momentan überwiegend abwartend. Sie stellten ihre Investmentstrategie nicht gänzlich in Frage, wollten aber weniger Geld in Immobilienkäufe stecken. Im volatilen Umfeld – zwischen Inflation, Zinsanstieg und Ukrainekrieg – reagierten sie teilweise mit Zurückhaltung.
"Es sind derzeit so viele Variablen in Bewegung wie noch nie", sagt Oliver Schweizer, Leiter des Immobiliensektors EY Deutschland. Materialknappheit, Lieferschwierigkeiten, Fachkräftemangel sowie erheblich gestiegene Finanzierungskosten machten gerade Projektentwicklern und Bauträgern heftig zu schaffen. Die Folge: Viele Vorhaben werden verschoben oder sogar gestrichen. Der Immobilienberater Colliers schätzt, dass 2022 statt den von der Bundesregierung anvisierten 400.000 nicht mal 250.000 Wohnungen gebaut werden. Bereits 2021 wurde dieses Ziel mit knapp 300.000 Wohnungen klar verfehlt.
Auch private Immobilienkäufer müssen mit spitzerem Bleistift rechnen. "Historisch gesehen ist das Zinsniveau nach wie vor günstig, aber die Kaufpreise für Eigenheime, Eigentumswohnungen und Mehrfamilienhäuser haben sich in den letzten Jahren fast überall in Deutschland drastisch verteuert", sagt Axmann. Was jetzt passiere, sei, dass sich die Situation in heiß gelaufenen Marktsegmenten, etwa bei Wohnimmobilien, normalisiere, weil sich die Über-Nachfrage abbaue. "Das ist kein Einbruch, die Marktsituation normalisiert sich."
Eigenkapitalstarke Investoren im Vorteil
"Der Investmentmarkt spiegelt die Situation ganz anders wider, da er schneller auf Veränderungen des Angebots und der Nachfrage reagiert", erklärt Professor Steffen Sebastian, Inhaber des Lehrstuhls für Immobilienfinanzierung der Universität Regensburg. Deals kämen nur zu Stande, wenn sich Käufer und Verkäufer über den Preis einigen. Das war im zweiten Quartal 2022 offenkundig schwierig, denn das Transaktionsvolumen für Wohnimmobilien brach gegenüber dem gleichen Vorjahreszeitraum um über ein Drittel auf drei Milliarden Euro ein.
"Die Wohnungsmärkte befinden sich in einem schwierigen Spannungsfeld, das geprägt ist von steigenden Inflationsraten und Baukosten, der Zinswende und ambitionierten Klimaziele", erläutert Marktbeobachter Barthauer. Wegen der enormen Verunsicherung seien große Deals Mangelware. "Wer beim Eigenkapital aus dem Vollen schöpfen kann, ist als Kaufinteressent im Vorteil", sagt Immobilienanalyst Schnejdar.
Die Statistik bestätigt seine Einschätzung. Auf der Käuferseite dominieren nach Angaben von JLL eigenkapitalstarke Asset- und Fondsmanager, die in den ersten sechs Monaten 2022 über vier Milliarden Euro in Wohnimmobilien steckten. "Steigen die Renditen von Bundesanleihen, drückt das mit einem gewissen Automatismus auch auf die Bewertung von Immobilien", erklärt Banker Axmann. Am Markt wurden erste, leichte Preiskorrekturen registriert.
Brechen Wohnimmobilienpreise nach Boom-Dekade ein?
Schnejdar beschwichtigt: "Bei Wohnimmobilien sind die Preise weitgehend noch stabil." Die Zeit rasanter Preisanstiege wie in der letzten Dekade sei aber schon wegen der demografischen Entwicklung vorbei. Sollten sich die aktuellen Krisen verschärfen oder neue hinzukommen, und die Wirtschaft in eine schwere Rezession abgleiten, könnten die Immobilienpreise massiv einbrechen. Danach sieht es derzeit trotz der drohenden Probleme bei der Gasversorgung in Deutschland nicht aus.
Hinzu kommt, dass sich aufgrund des zu geringen Neubaus von Wohnungen, gerade in Ballungszentren, Eigentümer von Mehrfamilienhäusern keine Sorgen wegen der Vermietung zu machen brauchen. Der Zuzug in die Städte hält an, und die vielen Flüchtlinge aus der Ukraine benötigen ebenfalls Wohnraum. Wer mit dem Kauf eines sogenannten Zinshauses, also eines Mehrfamilienhauses liebäugelt, sollte auf demografisch sichere Standorte und wachstumsstarke Regionen setzen. Dazu zählen nach Ansicht von Marktkennern Großstädte wie Berlin und Hamburg, aber auch aufstrebende B-Städte wie Leipzig.
Die Perspektiven sehen also insbesondere für langfristig orientierte Immobilienkäufer durchaus vielversprechend aus: "Mit der Inflation steigen in der Regel auch die Mieten", sagt Katharina Heid, Geschäftsführerin von Heid Immobilien. Das sichere die Mieteinnahmen der Eigentümer, sofern diese mindestens genauso stark steigen wie die Inflation. Ferner rät die Marktexpertin Eigentümern von vermieteten Immobilien, höhere Mieteinnahmen zu nutzen, um durch Sondertilgungen Kredite schneller zu tilgen.
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