Leitsatz (amtlich)

1. Die Vorschrift des § 13 Abs. 5 Satz 1 des Gesetzes über die Erhebung von Kirchensteuern im Land Nordrhein-Westfalen vom 30. April 1962 in der Fassung des AGFGO vom 1. Februar 1966 (GVBl 1966, 23) ist dahin zu verstehen, daß die für die Einspruchsentscheidung zuständige Stelle abweichend von § 63 Abs. 1 FGO die Stellung des Beklagten einnehmen soll.

2. Erteilt das FA dem aus einer evangelischen Kirche ausgetretenen Steuerpflichtigen, der sich in der Einkommensteuererklärung für das dem Austritt vorangegangene Jahr noch als "evangelisch" bezeichnet hatte, für dieses Jahr einen Bescheid über Einkommensteuer und Kirchensteuer, in dem an der Stelle eines Kirchensteuerbetrages ein Strich angebracht ist, so handelt es sich in bezug auf die Kirchensteuer um einen Freistellungsbescheid.

 

Normenkette

FGO § 63 Abs. 1; AO § 210 Abs. 3

 

Tatbestand

Der Kläger ist am 13. Juli 1964 aus der evangelischen Kirche ausgetreten. Seine Ehefrau gehört der römischkatholischen Kirche an.

Am 22. November 1965 richtete das FA einen "Steuerbescheid für 1963 über Einkommensteuer und Kirchensteuer" an den Kläger und an seine Ehefrau, in dem an der Stelle für die Eintragung einer evangelischen Kirchensteuer ein Strich angebracht war, während die Stelle für die Eintragung einer katholischen Kirchensteuer einen Betrag von 24 512,20 DM auswies. Der Betrag war dem Bescheid zufolge berechnet mit 5 v. H. der Einkommensteuerschuld von 490 244 DM. Unter dem 21. Juli 1966 richtete das FA einen weiteren Kirchensteuerbescheid gegen den Kläger und seine Ehefrau über 24 512,20 DM. In diesem Bescheid ist der Betrag unter "evangelische Kirchensteuer" eingetragen. In der Spalte "römischkatholische Kirchensteuer" steht der Vermerk "wie bisher". Den vom Kläger gegen diesen Bescheid eingelegten Einspruch wies der Gesamtverband der evangelischen Kirchengemeinden in ... (Nordrhein-Westfalen) als unbegründet zurück.

Die "gegen die Einspruchsentscheidung des Gesamtverbandes der evangelischen Kirchengemeinden ..." erhobene Klage richtete sich nach Auffassung des FG nicht gegen das FA, das den Kirchensteuerbescheid erlassen hatte, sondern gegen den erwähnten Gesamtverband. Dieser ließ sich auch als Beklagter behandeln. Das FG gab dem Antrag des Klägers, die Einspruchsentscheidung und den Kirchensteuerbescheid vom 21. Juli 1966 aufzuheben, durch Vorbescheid vom 26. Februar 1969 mit folgender Begründung statt:

Für Entscheidungen im Verfahren über die Erhebung von Kirchensteuer seien nach § 6 Abs. 1 des Gesetzes über die Erhebung von Kirchensteuern im Land Nordrhein-Westfalen vom 30. April 1962 (Gesetz- und Verordnungsblatt 1962 S. 223) - KiStG - die Bestimmungen der AO und ihrer Nebengesetze maßgebend. Das FA habe den Kläger und seine Ehefrau zur Einkommensteuer und zur Kirchensteuer zusammenveranlagt. Es habe ihnen am 22. November 1965 auch in bezug auf die Kirchensteuer einen einzigen, die katholische und die evangelische Kirchensteuer betreffenden Bescheid erteilt und darin den Kläger von der Kirchensteuer freigestellt. Da der Bescheid Kirchensteuern zum Gegenstand gehabt habe, die als Zuschlag zur Einkommensteuer in Betracht kämen, beruhe seine Schriftlichkeit auf der gesetzlichen Vorschrift des § 210b AO. Eine Änderung des Bescheids vom 22. November 1965 sei also nur unter den Voraussetzungen des § 222 AO zulässig gewesen, die jedoch nicht erfüllt seien. Der Erlaß des Änderungsbescheides vom 21. Juli 1966 werde insbesondere nicht durch neue Tatsachen im Sinne des § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO gerechtfertigt. Dem Veranlagungsbeamten sei nämlich bei der Einkommensteuer- und Kirchensteuerveranlagung im November 1965 bekannt gewesen, daß der Kläger erst 1964 aus der Kirche ausgetreten sei. Bei den Akten befinde sich ein Schreiben vom 30. Juli 1964 an den Kläger, in dem dieser ausdrücklich darauf hingewiesen werde, daß seine Austrittserklärung hinsichtlich seiner Kirchensteuerpflicht erst mit Ablauf des Jahres 1964 wirksam werde. Danach sei es aktenkundig gewesen, daß der Kläger nicht schon 1963 seinen Austritt erklärt habe. Außerdem habe sich der Kläger auch in seiner am 2. Dezember 1964 beim FA eingegangenen Einkommensteuererklärung für 1963 noch als evangelisch bezeichnet.

Die Freistellung des Klägers von der evangelischen Kirchensteuer im Bescheid vom 22. November 1965 sei keine offenbare Unrichtigkeit im Sinne des § 92 Abs. 2 AO. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH (Urteil I 270/60 U vom 17. Januar 1961, BFH 72, 392, BStBl III 1961, 144) scheide eine solche offenbare Unrichtigkeit aus, wenn auch nur die Möglichkeit bestehe, daß der Fehler auf unrichtiger Rechtsanwendung beruhe. Im vorliegenden Falle könne der zuständige Bearbeiter beim FA der Ansicht gewesen sein, daß sich der Austritt aus einer steuerberechtigten Religionsgesellschaft auf alle noch nicht festgesetzten Steuern auswirke.

Der Vorbescheid wurde dem Beklagten nach dessen Empfangsbekenntnis am 9. April 1969, nach seinem Vortrag in der Revision am 8. April 1969 zugestellt. Von der Möglichkeit, innerhalb eines Monats nach Zustellung mündliche Verhandlung zu beantragen (§ 90 Abs. 3 Satz 2 FGO), wurde kein Gebrauch gemacht.

Der Gesamtverband hat gegen den Vorbescheid durch Schriftsatz vom 29. Mai 1969, der am 2. Juni 1969 beim FG eingegangen ist, Revision eingelegt. Die Revisionsbegründungsschrift ist am 1. Juli 1969 eingegangen. Das Rechtsmittel ist wie folgt begründet:

Im Steuerbescheid vom 22. November 1965 sei lediglich die katholische Kirchensteuer festgesetzt worden. Der in der Spalte für die evangelische Kirchensteuer angebrachte Strich bedeute, daß für die evangelische Kirchensteuer eine Veranlagung überhaupt nicht stattgefunden habe. Im Falle einer Veranlagung würde nämlich an Stelle des Striches der Eintrag "0 DM" vorgenommen worden sein. Die unterbliebene Veranlagung zur evangelischen Kirchensteuer sei durch den Bescheid vom 21. Juli 1966 zulässigerweise nachgeholt worden.

Die Auffassung des FG, gegen die nach dem EStG zusammenveranlagten Eheleute habe nur ein einheitlicher Kirchensteuerbescheid ergehen können, finde im § 6 Abs. 1 KiStG keine Grundlage. Im Falle der konfessionsverschiedenen Ehe handele es sich hinsichtlich der Kirchensteuer um zwei verschiedene "Steuerträger", die jeweils nach der gegebenen Bemessungsgrundlage die für sie in Betracht kommende Kirchensteuer zu beanspruchen hätten. Zweifel an der Auffassung des FG ergäben sich insbesondere aus § 7 KiStG, demzufolge bei konfessionsverschiedenen Ehen getrennte Kirchensteuerbescheide ergingen. Das zeige sich besonders dann, wenn eine oder beide beteiligte Kirchen ihre Kirchensteuer selbst verwalteten. Es sei also durchaus möglich, über die katholische und die evangelische Kirchensteuer jeweils einen gesonderten Bescheid zu erlassen. Jeder der beiden Bescheide könne sich gegen die Eheleute richten, da diese nach § 7 Abs. 1 KiStG als Gesamtschuldner hafteten. Wenn das FA über die Einkommen- und Kirchensteuer einen einheitlichen Bescheid erlasse, so beruhe dies also nur auf dem Bedürfnis nach Verwaltungsvereinfachung.

Die Auffassung des FG, der § 92 AO sei nicht anwendbar, weil der zuständige Beamte beim FA möglicherweise rechtsirrig angenommen habe, der Austritt des Klägers wirke sich auf alle noch nicht festgesetzten Kirchensteuern aus, beruhe auf einer bloßen Vermutung. Es lägen keine Anhaltspunkte vor, die auch nur andeutungsweise auf die Möglichkeit eines Rechtsirrtums schließen ließen. Nach Mitteilung des FA sei den Veranlagungsbeamten die kirchensteuerliche Auswirkung des Kirchenaustritts allgemein bekannt. Außerdem habe das in den Steuerakten enthaltene Schreiben an den Kläger vom 30. Juli 1964 darauf hingewiesen, daß die Kirchensteuerpflicht bis zum Ende des Kalenderjahres 1964 fortbestanden habe. Der Kläger habe sogar selbst durch die Einkommensteuererklärung bekundet, daß er im Jahre 1963 noch kirchensteuerpflichtig gewesen sei. Für den Fall, daß der Veranlagungsbeamte die vom FG angenommene rechtsirrige Auffassung vertreten hätte, sei er verpflichtet gewesen, diese Auffassung in irgendeiner Weise aktenkundig zu machen. Da das nicht geschehen sei, lasse sich mit größter Wahrscheinlichkeit der Schluß ziehen, daß ein Versehen im Sinne des § 92 AO vorgelegen habe. Da der Kläger ohne Zweifel gewußt habe, daß er für das Jahr 1963 kirchensteuerpflichtig geblieben sei, habe er auch nach Zugang des Bescheides vom 22. November 1965 noch damit rechnen müssen, einen weiteren Steuerbescheid über die evangelische Kirchensteuer zu erhalten. Auch für ihn sei die Unrichtigkeit des ersten Bescheides nicht zu übersehen und somit offenbar gewesen.

Der Beklagte hat beantragt, das FG-Urteil aufzuheben. Der Kläger hat beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Beide Beteiligte haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision ist zulässig, jedoch nicht begründet.

I.

Für die vorliegende öffentlich-rechtliche Streitigkeit ist gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 4 FGO in Verbindung mit § 13 Abs. 4 KiStG in der Fassung des Gesetzes zur Ausführung der Finanzgerichtsordnung im Lande Nordrhein-Westfalen (AGFGO) vom 1. Februar 1966 (Gesetz- und Verordnungsblatt 1966 S. 23, BStBl II 1966, 69) der Finanzrechtsweg gegeben. Dem vom FG als Beklagter behandelten Gesamtverband steht gegen das FG-urteil die Revision gemäß § 115 Abs. 1 FGO zu. Diese ist form- und fristgerecht eingelegt. Der Vorbescheid vom 26. Februar 1969 wirkt gemäß § 90 Abs. 3 Satz 3 FGO seit dem 8. Mai 1969 als Urteil, weil der durch ihn allein beschwerte Beklagte es unterlassen hat, innerhalb eines Monats nach der seinem nunmehrigen Vorbringen zufolge bereits am 8. April 1969 bewirkten Zustellung mündliche Verhandlung zu beantragen. Die Frist zur Einlegung der Revision lief vom 8. Mai bis zum Montag, dem 9. Juni 1969, und war daher mit dem Eingang der Revisionsschrift am 2. Juni 1969 gewahrt; die Revisionsbegründungsfrist lief vom 9. Juni bis zum 9. Juli 1969 und wurde ebenfalls gewahrt durch den Eingang der Begründungsschrift am 1. Juli 1969 (vgl. § 120 Abs. 1 FGO).

Das FG hat zu Recht die "gegen die Einspruchsentscheidung des Gesamtverbandes der evangelischen Kirchengemeinden in ..." erhobene Klage dahin verstanden, daß gemäß § 65 Abs. 1 FGO der als Behörde auftretende Gesamtverband als Beklagter bezeichnet sein sollte. Denn das entsprach dem Willen des Klägers. Es hat ebenfalls zu Recht den Gesamtverband in seiner Behördeneigenschaft als Beklagten behandelt.

Die Eröffnung des Finanzrechtsweges durch § 13 Abs. 4 KiStG konnte der Landesgesetzgeber gemäß § 160 FGO zum Anlaß nehmen, die Beteiligung am Verfahren abweichend von den Vorschriften der FGO zu regeln. Das ist geschehen durch § 13 Abs. 5 Satz 1 KiStG, der lautet: "Beteiligte Behörde (§ 57 der Finanzgerichtsordnung) ist nur diejenige Stelle, die nach der Steuerordnung über den Einspruch (Abs. 2) zu entscheiden hat; § 122 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung bleibt unberührt...."

Der in dieser Vorschrift erwähnte § 57 FGO nennt als Beteiligte am Verfahren in den Nummern 1 bis 3 den Kläger, den Beklagten und den Beigeladenen, in der Nummer 4 sodann "die Behörde, die dem Verfahren beigetreten ist (§§ 61 und 122 Abs. 2)". Da allein in dieser Nummer ausdrücklich von einer am Verfahren beteiligten "Behörde" die Rede und der § 122 Nr. 2 FGO erwähnt ist, mag der Schluß naheliegen, daß der § 13 Abs. 5 Satz 1 KiStG die Beteiligung am Verfahren nur in bezug auf den § 57 Nr. 4 FGO abweichend geregelt hat, und zwar dahin, daß die nach der Steuerordnung zur Entscheidung über den Einspruch berufene Stelle von Gesetzes wegen, also ohne besondere Beitrittserklärung als Behörde am Verfahren beteiligt ist. Zudem kann es, da der Landesgesetzgeber eine von den Vorschriften der FGO abweichende Regelung nach § 160 FGO nur für die Beteiligung am Verfahren und für die Beiladung treffen durfte und im § 13 Abs. 5 Satz 1 KiStG lediglich auf den sich mit den Beteiligten am Verfahren befassenden § 57 FGO verwiesen hat, zweifelhaft erscheinen, ob eine abweichende Regelung gegenüber dem § 63 Abs. 1 FGO getroffen werden durfte und getroffen wurde, der vorschreibt, daß die Klage gegen die Behörde zu richten ist, die den ursprünglichen Verwaltungsakt erlassen hat. Der Senat bejaht diese Frage aber aus folgenden Gründen: Zur "Beteiligung am Verfahren" im Sinne des § 160 FGO kann auch die Regelung des § 63 Abs. 1 FGO gerechnet werden, weil aus ihr sich ergibt, wer als Beklagter und damit gemäß § 57 Nr. 2 FGO als "Beteiligter am Verfahren" in Betracht kommt. Der im § 13 Abs. 5 Satz 1 KiStG verwendete Begriff "beteiligte Behörde" kann dahin ausgelegt werden, daß der Beklagte gemeint ist, weil es sich bei ihm in Kirchensteuersachen immer um eine Behörde handelt. Da nach § 13 Abs. 5 Satz 1 KiStG beteiligte Behörde "nur" diejenige Stelle ist, die nach der Steuerordnung über den Einspruch zu entscheiden hat, ist es gerechtfertigt, die in der Vorschrift liegende Abweichung nicht auf die Beitrittsbestimmung des § 57 Nr. 4 FGO zu beziehen, sondern sie dahin zu verstehen, daß die für die Einspruchsentscheidung zuständige Stelle abweichend von § 63 Abs. 1 FGO die Stellung des Beklagten einnehmen soll. Dafür spricht auch die Erwägung, daß diese Stelle, nicht etwa das FA, den Kirchensteuergläubiger vertritt und das Kostenrisiko des Steuerprozesses tragen sollte.

II.

Dem FG ist auch darin zuzustimmen, daß das FA am 22. November 1965 dem Kläger und seiner Ehefrau einen Bescheid erteilt hat, der sowohl die römisch-katholische als auch die evangelische Kirchensteuer zum Gegenstand hatte. Da sich der Kläger in seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr noch als "evangelisch" bezeichnet hatte, mußte das FA sich mit der Frage befassen, ob und in welcher Höhe auch für den Kläger gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1a und § 5 KiStG 1962 eine als Zuschlag zur Einkommensteuer in Betracht kommende Kirchensteuer festzusetzen sei. Die Festsetzung einer solchen Kirchensteuer erforderte gemäß § 3 und § 6 Abs. 1 KiStG in Verbindung mit § 204 Abs. 1 AO die Ermittlung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, die für die Kirchensteuerpflicht wesentlich sind. Die Kirchensteuerpflicht des Klägers hat das FA ausdrücklich dadurch verneint, daß es in der Spalte "ev. Kirchensteuer" einen Strich anbrachte. Da der Bescheid durch diesen Strich zum Ausdruck bringt, daß der Kläger nicht kirchensteuerpflichtig ist und daher für ihn eine Steuerfestsetzung nicht in Betracht kommt, ist es unerheblich, ob das FA im Falle einer Veranlagung an Stelle des Striches den Eintrag "Null DM" vorgenommen hätte. Ein solcher Eintrag bedeutet im übrigen nur, daß eine Steuerpflicht besteht, jedoch ein Steuerbetrag nicht angefallen ist. Der V. Senat hat bereits in dem vom Kläger erwähnten Urteil V R 21/66 vom 17. April 1969 (BFH 95, 484, BStBl II 1969, 474) anerkannt, daß bei der Verwendung eines Formblattes zur Abgabe einer Erklärung auch ein im Formblatt mit Absicht angebrachter Strich den Erklärungsinhalt mitgestaltet. Daß im vorliegenden Falle der Strich nicht zufällig, sondern mit Absicht angebracht worden ist, wird vom Beklagten selbst nicht bezweifelt. Der Strich muß dahin verstanden werden, daß eine Kirchensteuerfestsetzung für den Kläger nicht in Betracht kommt. Erteilt also das FA dem aus einer evangelischen Kirche ausgetretenen Steuerpflichtigen, der sich in der Einkommensteuererklärung für das dem Austritt vorangegangene Jahr noch als "evangelisch" bezeichnet hatte, für dieses Jahr einen Bescheid über Einkommensteuer und Kirchensteuer, in dem an der Stelle eines Kirchensteuerbetrages ein Strich angebracht ist, so handelt es sich in bezug auf die Kirchensteuer um einen Freistellungsbescheid im Sinne des § 210 Abs. 3 AO. Die schriftliche Erteilung dieses Freistellungsbescheides entsprach dem § 210b AO, der verlangt, daß für Steuern vom Einkommen, zu denen auch die nach § 4 Abs. 1 Nr. 1a KiStG als Zuschlag zur Einkommensteuer zu erhebende Kirchensteuer gehört, der Steuerbescheid schriftlich erteilt wird. Denn der Freistellungsbescheid steht dem typischen Steuerbescheid gleich (vgl. BFH-Entscheidungen IV 173/52 U vom 30. Oktober 1952, BFH 57, 75, BStBl III 1953, 30; II 113/53 U vom 10. Juni 1953, BFH 57, 558, BStBl III 1953, 214).

Das FA war rechtlich nicht gehindert, die Freistellung des Klägers von der evangelischen Kirchensteuer und die Festsetzung der römisch-katholischen Kirchensteuerschuld der Ehefrau in einem einzigen Bescheid zusammenzufassen. Die Einkommensteuer, die gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1a KiStG als Grundlage für eine Kirchensteuererhebung in Betracht kam, war gemäß § 26 Abs. 1, § 26b, § 32a Abs. 2 EStG im Wege der Zusammenveranlagung des Klägers und seiner Ehefrau zu ermitteln und konnte gemäß § 210 Abs. 1 und 2 Satz 1 AO, § 7 Abs. 2 StAnpG in einem zusammengefaßten Bescheid festgesetzt werden. Da nach § 5 KiStG auf die in § 4 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 KiStG bezeichneten Kirchensteuern die Vorschriften über die Einkommensteuer entsprechende Anwendungen finden, konnte in bezug auf die Kirchensteuer der für den Kläger in Betracht kommende Freistellungsbescheid mit dem der Ehefrau zu erteilenden Steuerfestsetzungsbescheid zusammengefaßt werden. Dem stand nicht der Umstand entgegen, daß über Steueransprüche verschiedener steuerberechtigter Religionsgesellschaften zu entscheiden war. Der Beklagte irrt mit der Auffassung, nach § 7 KiStG ergingen bei konfessionsverschiedenen Ehen getrennte Kirchensteuerbescheide. Die Vorschrift befaßt sich nur mit der Bemessungsgrundlage der Kirchensteuer, nicht aber mit der Frage, ob getrennte oder zusammengefaßte Kirchensteuerbescheide ergehen können. Wenn die Religionsgesellschaften die Kirchensteuerverwaltung nicht den staatlichen Behörden übertragen haben, sondern sie selbst ausüben, können allerdings bei konfessionsverschiedenen Ehen nur getrennte Kirchensteuerbescheide ergehen, weil die Religionsgesellschaften nur gegenüber ihren eigenen Angehörigen steuerliche Hoheitsbefugnisse besitzen (vgl. Entscheidungen des BVerfG Bd. 19 S. 206, 216). Das FA hingegen ist als staatliche Behörde gegenüber allen Staatsbürgern zum Erlaß von Kirchensteuerbescheiden befugt. Der Erlaß zusammengefaßter Kirchensteuerbescheide durch das FA ist somit entgegen der Auffassung des Gesamtverbandes nicht nur Ausdruck des Bedürfnisses nach Verwaltungsvereinfachung.

Die nach § 4 Abs. 1 Nr. 1a KiStG als Zuschlag zur Einkommensteuer in Betracht kommende Kirchensteuer unterliegt gemäß § 6 Abs. 3 KiStG einer Verjährungsfrist von mehr als einem Jahr. Der vom FA nach Prüfung des Sachverhalts dem Kläger gemäß gesetzlicher Vorschrift schriftlich erteilte Freistellungsbescheid konnte daher nur unter den Voraussetzungen des § 222 AO geändert werden, die auch nach der Auffassung des Beklagten nicht erfüllt sind. Der Erlaß des vom Kläger angefochtenen Kirchensteuerbescheides vom 21. Juli 1966 wird nicht durch § 92 Abs. 2 AO gerechtfertigt. Das FG hat zutreffend ausgeführt, daß der in der Spalte "ev. Kirchensteuer" des Bescheides vom 22. November 1965 angebrachte Strich keine offenbare Unrichtigkeit im Sinne des § 92 Abs. 2 AO darstellt, weil er Ausdruck einer rechtsirrigen Auffassung des zuständigen Beamten des FA über den Zeitpunkt der Wirksamkeit des vom Kläger erklärten Austritts aus der steuerberechtigten Religionsgesellschaft sein kann. Diese Möglichkeit genügt für die Feststellung, daß der Bescheid vom 22. November 1965 in bezug auf den erwähnten Strich nicht offenbar unrichtig war (vgl. BFH-Urteile IV 111/63 vom 3. August 1967, BFH 90, 6, BStBl III 1967, 766, und IV R 84/67 vom 5. Oktober 1967, BFH 90, 106, BStBl III 1967, 793). Die Berichtigung offenbarer Unrichtigkeiten setzt nach der Rechtsprechung zwar nicht voraus, daß die Unrichtigkeit aus dem fehlerhaften Bescheid selbst hervorgeht (BFH-Urteil III 258/51 S vom 28. November 1952, BFH 57, 14, BStBl III 1953, 6), so daß auch berücksichtigt werden kann, ob das dem Beamten vorliegende Ergebnis des steuerlichen Ermittlungsverfahrens einen Rechtsirrtum über die Kirchensteuerpflicht des Klägers erzeugen konnte. Auch wenn man mit dem Beklagten davon ausgeht, daß die Steuerakten Schriftstücke enthielten, in denen die Kirchensteuerpflicht für das Streitjahr 1963 bejaht wurde, und daß die Veranlagungsbeamten die zeitliche Wirksamkeit von Kirchenaustritten allgemein kennen und ihre Meinung in Zweifelsfragen aktenkundig machen müssen, läßt sich im vorliegenden Falle die Möglichkeit eines Rechtsirrtums des Beamten nicht ausschließen. Es mag, wie der Beklagte meint, "mit größter Wahrscheinlichkeit" ein Versehen im Sinne des § 92 AO vorliegen. Das schließt jedoch nicht die Möglichkeit aus, daß der Beamte die einschlägigen Schriftstücke in den Steuerakten zwar beachtet, aber die Frage der zeitlichen Wirksamkeit des Kirchenaustritts anders beurteilt hat, als das bei den Veranlagungsbeamten allgemein üblich ist, und daß er sich auch nicht für verpflichtet hielt, seine Rechtsauffassung in einem Aktenvermerk niederzulegen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 412982

BStBl II 1972, 38

BFHE 1972, 295

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