Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorschriftswidrige Besetzung des Gerichts

 

Leitsatz (NV)

1. Bei einem Richterwechsel nach Unterbrechung der mündlichen Verhandlung braucht eine vorher vorgenommene Zeugenvernehmung jedenfalls dann nicht wiederholt zu werden, wenn es auf die Glaubwürdigkeit des vernommenen Zeugen nicht entscheidend ankommt.

2. Eine Verletzung von §103 FGO kann nur gerügt werden, wenn auf die Einhaltung dieser Vorschrift nicht verzichtet worden ist.

 

Normenkette

FGO § 81 Abs. 1 S. 1, §§ 103, 116 Abs. 1 Nr. 1, § 120 Abs. 1

 

Verfahrensgang

FG Berlin

 

Tatbestand

Gegen den Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) wurden durch den Beklagten und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) u. a. die Steuerraten für die Streitjahre 1982 und 1983 festgesetzt. Die dagegen gerichtete Klage hatte Erfolg. Ihr wurde vom Finanzgericht (FG) durch das angefochtene Urteil vom 18. März 1997 aufgrund der mündlichen Verhandlungen vom 4., 11. und 18. März 1997 stattgegeben, weil die Steuerfestsetzungen verjährt seien. Eine Steuerhinterziehung, die die Verlängerung der Verjährungsfristen zur Folge habe, sei dem Kläger nicht vorzuwerfen.

Seine Revision, die das FG nicht zugelassen hat, stützt das FA auf Verletzung von §§81, 103 und 116 Abs. 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Senat des FG sei bei der Urteilsbeschließung am 18. März 1997 nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen. An ihr habe mit dem ehrenamtlichen Richter A ein Richter teilgenommen, der den beiden vorangegangenen mündlichen Verhandlungen am 4. und am 11. März 1997 nicht beigewohnt habe. An diesen Terminen habe vielmehr eine ehrenamtliche Richterin, die Richterin B, mitgewirkt, die an der Wahrnehmung des Termins am 18. März 1997 infolge einer Erkrankung gehindert gewesen sei. Bereits in den Verhandlungen am 4. sowie am 11. März 1997 sei jedoch -- ebenso wie auch in dem Termin am 18. März 1997 -- vom FG Beweis durch Vernehmung diverser Zeugen erhoben worden. Das FG habe den Antrag des FA, diese Beweisaufnahmen zu wiederholen, einerseits -- durch Beschluß vom 18. März 1997 -- abgelehnt, weil es lediglich auf den sachlichen Inhalt der Aussagen der Zeugen, nicht aber deren Glaubwürdigkeit ankomme. Die Zeugenaussagen seien andererseits aber auch nicht im Wege des Urkundsbeweises in das Verfahren eingeführt und nicht ausdrücklich zum Gegenstand der letzten mündlichen Verhandlung am 18. März 1997 gemacht, gleichwohl indes am selben Tage das angefochtene Urteil gefällt.

Das FA beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die auf §116 Abs. 1 Nr. 1 FGO gestützte Verfahrensrevision des FA ist unzulässig und deshalb nach §124, §126 Abs. 1 FGO durch Beschluß zu verwerfen.

Eine Revision ist nach §116 Abs. 1 Nr. 1 FGO nur statthaft, wenn mit ihr der Verfahrensmangel der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts schlüssig vorgetragen wird. Die zur Begründung vorgetragenen Tatsachen müssen -- ihre Richtigkeit unterstellt -- einen Mangel im Sinne dieser Vorschrift ergeben (§120 Abs. 2 FGO). Daran fehlt es im Streitfall.

1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs -- BFH -- (vgl. Urteil vom 10. Januar 1978 VII R 106/74, BFHE 124, 305, BStBl II 1978, 311; Beschlüsse vom 26. März 1991 VII R 72/90, BFH/NV 1992, 115, m. w. N.; vom 13. Juli 1995 VII R 41/95, BFH/NV 1996, 54; vom 23. April 1996 VIII R 70/93, BFH/NV 1997, 31; zu w. N. siehe Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., §103 FGO Rz. 14) bezieht sich das Tatbestandsmerkmal "dem Urteil zugrunde liegende Verhandlung", das nach §103 FGO den gesetzlichen Richter bestimmt, nur auf die letzte mündliche Verhandlung, in der das Urteil ergangen ist. Dem hat sich auch der erkennende Senat angeschlossen (Urteil vom 23. Januar 1985 I R 30/81, BFHE 143, 117, BStBl II 1985, 305, 306). Daraus folgt, daß bei einer Verhandlung an mehreren Sitzungstagen ein Richterwechsel grundsätzlich unschädlich ist, und zwar auch dann, wenn in dem früheren Verhandlungstermin eine Beweisaufnahme stattgefunden hat. So verhält es sich nach Aktenlage und nach dem Vorbringen des FA auch im Streitfall.

2. Allerdings hat der BFH in seinem Beschluß in BFH/NV 1992, 115, 117 unter 2. -- ohne sich abschließend zu äußern -- die im Schrifttum vertretene Gegenmeinung (z. B. Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., §103 Rz. 4f.; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., §103 FGO Tz. 2) aufgegriffen, wonach in derartigen Fällen die Richterbank aus Sicht des §103 FGO jedenfalls dann nicht richtig besetzt sein soll, wenn es bei der Zeugenvernehmung auf den unmittelbaren Eindruck (die Glaubwürdigkeit) des Zeugen ankomme (§81 Abs. 1 Satz 1 FGO).

Diese -- denkbare -- Einschränkung ist im Streitfall aber schon deshalb nicht einschlägig, weil das FA auf den Gesichtspunkt der Glaubwürdigkeit der vernommenen Zeugen in seinem Revisionsvorbringen zunächst nicht abgestellt hat. Es hat dies erst später -- außerhalb der maßgeblichen Revisionsbegründungsfrist des §120 Abs. 1 FGO -- vorgebracht. Abgesehen davon kann das FA mit seiner Rüge, das FG habe gegen die Vorschriften über die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme verstoßen, auch deshalb nicht mehr gehört werden, weil es auf die Rüge eines derartigen Verstoßes (möglicherweise) verzichtet hat (vgl. BFH-Beschluß in BFH/NV 1996, 54). Jedenfalls hat das FA mit seiner Verfahrensrüge nicht, wie dies erforderlich gewesen wäre, geltend gemacht, daß es in der letzten mündlichen Verhandlung vor dem FG am 18. März 1997, eine Verletzung der §§103 oder 81 Abs. 1 Satz 1 FGO gerügt hätte. Es hat zwar vor dem FG die Wiederholung der Beweisaufnahme beantragt und dies auch mit der Revision vorgetragen. Es hat ausweislich des Protokolls über die mündliche Verhandlung dann aber, nachdem das FG den Antrag durch Beschluß abgelehnt hat, zur Sache verhandelt und die weitere Mitwirkung des ehrenamtlichen Richters A nicht mehr gerügt. Damit muß davon ausgegangen werden, daß das FA mit der (bloßen) Verfahrenseinbeziehung der Protokolle über die mündlichen Verhandlungen am 4. und 11. März 1997 letztlich einverstanden gewesen ist und folglich sein Rügerecht -- falls ein solches bestanden haben sollte -- verloren hat.

3. Im übrigen braucht der Rüge des FA, das FG habe gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme verstoßen, nicht weiter nachgegangen zu werden, weil in einem solchen Verstoß kein Grund für eine zulassunsfreie Revision i. S. von §116 FGO zu sehen wäre. Eine im Hinblick hierauf gegebenenfalls gebotene Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision (§115 FGO) hat das FA nicht erhoben.

 

Fundstellen

BFH/NV 1998, 724

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