Entscheidungsstichwort (Thema)

Anforderungen an die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme beim Zeugenbeweis

 

Leitsatz (NV)

1. Die Verletzung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme kann zugleich einen Verstoß gegen § 103 FGO und gegen das Erfordernis der vorschriftsmäßigen Besetzung des erkennenden Gerichts (§ 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO) begründen.

2. Im Falle eines Richterwechsels nach Unterbrechung der mündlichen Verhandlung brauchen vorher erhobene Beweise nicht nochmals erhoben zu werden, wenn sie aktenkundig gemacht und im Wege des Urkundenbeweises in den Prozeß eingeführt worden sind. Das gilt auch bei einem Zeugenbeweis jedenfalls dann, wenn es auf den persönlichen Eindruck des Zeugen (Glaubwürdigkeit) nicht entscheidend ankommt.

3. Auf die Einhaltung der Vorschriften über die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme kann verzichtet werden.

 

Normenkette

FGO § 81 Abs. 1 S. 1, §§ 103, 116 Abs. 1 Nr. 1, § 155; ZPO § 295

 

Tatbestand

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) nahm den Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) als ehemaligen Geschäftsführer einer GmbH wegen rückständiger Umsatzsteuer, die nicht fristgerecht vorangemeldet worden war, gemäß §§ 34, 69, 191 der Abgabenordnung (AO 1977) in Anspruch. Auf die Klage des Klägers hat das FG in der mündlichen Verhandlung durch Vernehmung von drei früheren Angestellten der GmbH als Zeugen Beweis erhoben über die Behauptung des FA, der Kläger habe die Anweisung gegeben, einen bestimmten größeren Umsatz bei der Voranmeldung außer Ansatz zu lassen. Die Verhandlung wurde sodann auf einen späteren Zeitpunkt ,,vertagt". Nach der Vertagung ging aufgrund einer Änderung des Geschäftsverteilungsplans, wonach die Berichterstatterin in einen anderen Senat des FG überwechselte, auch die Zuständigkeit für das Klageverfahren auf den anderen Senat des FG über. Dieser Senat des FG hob aufgrund mündlicher Verhandlung den gegen den Kläger ergangenen Haftungsbescheid und die Einspruchsentscheidung auf. In den Urteilsgründen führte das FG u. a. aus, daß die Aussage der vor dem zunächst zuständigen Senat vernommenen Zeugin widersprüchlich sei und deshalb Zweifel an der Richtigkeit der Aussage bestünden. Nach dem Sitzungsprotokoll der mündlichen Verhandlung hat die Berichterstatterin den wesentlichen Inhalt der Akten ,,einschließlich der durchgeführten Beweisaufnahmen" vorgetragen. Die Beteiligten haben Gelegenheit erhalten, zum Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme Stellung zu nehmen.

Mit der Revision rügt das FA, das FG habe den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme verletzt und damit einen Verstoß gegen die Vorschrift des § 103 der Finanzgerichtsordnung (FGO) begangen, der einen wesentlichen Verfahrensmangel i. S. des § 116 Abs. 1 FGO begründe, weshalb die Revision ohne Zulassung statthaft sei. Im Falle eines Richterwechsels nach Vertagung sei die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme nur dann gewährleistet, wenn die Beweisaufnahme vor dem erkennenden Senat wiederholt werde. Die Zeugenaussage in einem früheren Termin dürfe auch nicht über die darüber aufgenommenen Niederschriften als Urkundenbeweis gewürdigt werden, wie dies im Streitfall der Sache nach geschehen sei. Denn bei der Verwertung einer Zeugenaussage komme es - insbesondere, wenn die Glaubwürdigkeit des Zeugen in Zweifel gezogen werde - auf den persönlichen Eindruck an, den der Zeuge auf die Richter gemacht habe.

Der Kläger meint, ein Grund für eine zulassungsfreie Revision nach § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO sei nicht gegeben. Das erkennende Gericht, der später zuständig gewordene Senat des FG, sei dem geänderten Geschäftsverteilungsplan gemäß vorschriftsmäßig besetzt gewesen. Auch wenn man davon ausgehe, daß eine Verletzung des § 81 FGO (Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme) vorliege, rechtfertige dieser Verfahrensmangel keine analoge Anwendung des § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO. Eine zulassungsfreie Revision nach dieser Vorschrift könne allenfalls bei schweren, unerträglichen Verstößen gegen oberste Verfahrensprinzipien der FGO gegeben sein. Ein solcher Verfahrensmangel sei aber hier nicht gegeben, da das FA auf die Einhaltung der §§ 81 Abs. 1, 96 Abs. 1 FGO in der mündlichen Verhandlung vor dem FG habe verzichten können (§ 155 FGO, § 295 der Zivilprozeßordnung - ZPO -). Auf die im steuerrechtlichen Schrifttum vertretene Auffassung, wonach ein Verstoß gegen § 103 FGO einen Verfahrensmangel i. S. des § 116 Abs. 1 FGO begründe, komme es nicht an, da hier eine Verletzung des § 103 FGO weder vorgetragen noch ersichtlich sei.

Selbst wenn man unterstelle, die Revision sei zulässig, könne diese nicht zum Erfolg führen. Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme sei hier nicht gegeben, weil nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH - (Urteil vom 10. Januar 1978 VII R 106/74, BFHE 124, 305, BStBl II 1978, 311) bei einem Wechsel der Richterbank nach Unterbrechung der mündlichen Verhandlung vorher erhobene Beweise nicht nochmals erhoben zu werden brauchten. Aber auch wenn dieser Verfahrensfehler vorliegen sollte, könne er in der Revision nicht mehr gerügt werden, weil das FA gemäß dem Sitzungsprotokoll die bloß mittelbare Beweiserhebung im Wege des Urkundenbeweises in der zweiten mündlichen Verhandlung vom . . . weder ausdrücklich noch konkludent beanstandet und damit auf sein Rügerecht verzichtet habe.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist gemäß §§ 124, 126 Abs. 1 FGO durch Beschluß zu verwerfen, weil sie unzulässig ist.

Gegen das Urteil des FG steht den Beteiligten die Revision zu, wenn das FG oder der BFH sie zugelassen haben (§ 115 FGO i. V. m. Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs). Einer Zulassung der Revision bedarf es allerdings nicht, wenn einer der in § 116 Abs. 1 FGO genannten Verfahrensmängel gerügt wird. Im Streitfall ist keine dieser Voraussetzungen erfüllt. Die Revision ist weder vom FG noch vom BFH zugelassen worden; sie ist auch nicht ohne Zulassung nach § 116 Abs. 1 FGO statthaft.

1. Zwar hat das FA als wesentlichen Mangel des Verfahrens i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO gerügt, das erkennende Gericht sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen, weil das FG den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 81 Abs. 1 FGO) verletzt und damit zugleich gegen die Vorschrift des § 103 FGO verstoßen habe. Verfahrensmängel i. S. des § 116 Abs. 1 FGO sind jedoch nur dann ordnungsgemäß gerügt, wenn die zur Begründung vorgetragenen Tatsachen - ihre Richtigkeit unterstellt - einen Mangel i. S. dieser Vorschrift ergeben würden (§ 120 Abs. 2 Satz 2 FGO; vgl. BFH-Beschlüsse vom 21. April 1986 IV R 190/85, BFHE 146, 357, BStBl II 1986, 568, und vom 24. August 1990 X R 45-46/90, BFHE 161, 427, BStBl II 1990, 1032). Wird ein Verstoß gegen Vorschriften des Prozeßrechts geltend gemacht, auf deren Beachtung die Beteiligten verzichten können, muß außerdem vorgetragen werden, daß der Verstoß in der Vorinstanz gerügt wurde (BFHE 161, 427, BStBl II 1990, 1032, m. w. N.). Eine solch schlüssige Verfahrensrüge hat das FA im Streitfall nicht erhoben.

2. Das FA sieht den die zulassungsfreie Revision begründenden Verfahrensmangel (§ 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO) im Streitfall darin, daß die Richter des FG, vor denen die Beweisaufnahme (Zeugenvernehmung) durchgeführt worden ist - bis auf die Berichterstatterin -, nicht dieselben waren, die aufgrund der letzten mündlichen Verhandlung das Urteil gefällt haben. Die Revision geht mit Recht davon aus, daß zwischen dem Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 81 Abs. 1 FGO), der Vorschrift des § 103 FGO, nach der das Urteil nur von den Richtern und ehrenamtlichen Richtern gefällt werden kann, die an der dem Urteil zugrunde liegenden Verhandlung teilgenommen haben, und dem Erfordernis der vorschriftsmäßigen Besetzung des erkennenden Gerichts (vgl. § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO) ein enger Zusammenhang besteht. Die Regelung über die am Urteil beteiligten Personen (§ 103 FGO) soll zur Wahrung der Verfahrensgrundsätze der Mündlichkeit (§ 90 Abs. 1 Satz 1 FGO) und Umittelbarkeit (§ 81 Abs. 1 Satz 1 FGO) bewirken, daß die Richter, die an der mündlichen Verhandlung teilgenommen und aus deren Gesamtergebnis in freier Überzeugung die Grundlagen für ihre Meinungsbildung gewonnen haben (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO), mit denen identisch sind, die durch das Urteil über die Klage befinden (§§ 95, 96 Abs. 1 Satz 1 FGO; Gräber / von Groll, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 103 Rdnr. 1; ebenso: Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 8. November 1973 VII ZR 86/73, BGHZ 61, 369, 370 zu § 309 ZPO). Wird gegen § 103 FGO verstoßen, so liegt darin der wesentliche Verfahrensmangel der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts, der nach § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO die zulassungsfreie Revision begründet (Gräber / von Groll, a. a. O., § 103 Rdnr. 6; Tipke / Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 103 FGO letzter Absatz; List in Hübschmann / Hepp / Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 103 FGO Anm. 10).

Nach überwiegender Auffassung bezieht sich jedoch das Tatbestandsmerkmal ,,der zum Urteil zugrunde liegenden Verhandlung", das nach § 103 FGO den ,,gesetzlichen Richter" bestimmt, nur auf die letzte mündliche Verhandlung vor dem Urteil. Daraus wird gefolgert, daß bei mündlicher Verhandlung an mehreren Sitzungstagen ein Richterwechsel nach Beweisaufnahme und Vertagung unschädlich ist, d. h., die Beweise nicht nochmals erhoben zu werden brauchen (vgl. BFH-Urteile in BFHE 124, 305, BStBl II 1978, 311; vom 15. März 1977 VII R 122/73, BFHE 121, 392, BStBl II 1977, 431, 432; vom 23. Januar 1985 I R 30/81, BFHE 143, 117, BStBl II 1985, 305, 306; Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 2. April 1971 IV B 5/71, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1972, 131; BGH-Urteil vom 17. Februar 1970 III ZR 139/67, BGHZ 53, 245, 256, 257; weitere Nachweise bei Gräber / von Groll, a. a. O., § 103 FGO Rdnr. 4). Erforderlich ist lediglich, daß sich die andere Richterbank anhand der Akten über das Ergebnis der Beweisaufnahme unterrichten kann, diese also protokolliert worden ist (BGH-Urteil vom 8. Februar 1966 I 40 und 48/65, BFHE 85, 229, 231, BStBl III 1966, 293; BVerwG-Urteil vom 18. Januar 1964 III C 21.62, BVerwGE 18, 19, 20).

Gegen die vorstehend dargestellte herrschende Meinung werden im steuerrechtlichen Schrifttum aus der Sicht des § 103 FGO Bedenken erhoben. Es wird die Auffassung vertreten, die mündliche Verhandlung als Einheit - auch wenn sie sich über mehrere Verhandlungstage erstrecke - sei dem Urteil zugrunde zu legen. Deshalb müsse bei einem Richterwechsel die mündliche Verhandlung einschließlich der Beweisaufnahme grundsätzlich wiederholt werden, vor allem, wenn es sich um eine Zeugenvernehmung handele, bei der es auf den unmittelbaren Eindruck (Glaubwürdigkeit) des Zeugen ankomme (Tipke / Kruse, a. a. O., zu § 103 FGO, Gräber / von Groll, a. a. O., § 103 Rdnr. 4 und 5). Der Senat braucht über die insoweit streitige Auslegung des § 103 FGO nicht abschließend zu entscheiden, weil es im Streitfall bereits an einer schlüssigen Rüge der Verletzung der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme fehlt. Ein Verstoß gegen § 103 FGO und eine zulassungsfreie Revision nach § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO kommen deshalb nicht in Betracht.

3. a) Der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme, der sich aus § 81 Abs. 1 Satz 1 FGO ergibt - Beweiserhebung in der mündlichen Verhandlung -, soll sicherstellen, daß diejenigen Richter, die den Rechtsstreit entscheiden, die notwendigen Beweise auch selbst aufnehmen und würdigen (vgl. Tipke / Kruse, a. a. O., § 81 FGO Tz. 6). Das gilt insbesondere für den Zeugenbeweis, bei dem es oft auf den persönlichen Eindruck ankommt, den der Zeuge hinterläßt. Der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme wird aber durch gesetzlich zugelassene Ausnahmen durchbrochen. So kann das Gericht schon vor der mündlichen Verhandlung durch eines seiner Mitglieder als beauftragten Richter oder durch ein anderes (ersuchtes) Gericht Beweise erheben lassen (§ 81 Abs. 2 FGO; s. ferner § 82 FGO i. V. m. §§ 485 ff. ZPO: Beweissicherungsverfahren). Weitere Ausnahmen vom Unmittelbarkeitsgrundsatz sind von der gerichtlichen Praxis entwickelt worden. Nach der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes brauchen für den hier vorliegenden Fall des Richterwechsels nach Unterbrechung der mündlichen Verhandlung vorher erhobene Beweise nicht nochmals erhoben zu werden, wenn sie aktenkundig gemacht worden sind. Sie werden dann im Wege des Urkundenbeweises in den Prozeß eingeführt. Das gilt jedenfalls dann, wenn die Verfahrensbeteiligten mit dieser Form der Beweisverwertung einverstanden sind (vgl. BFHE 85, 229, BStBl III 1966, 293; BFHE 124, 305, BStBl II 1978, 311, 312; BFHE 143, 117, BStBl II 1985, 305, 306; BVerwGE 18, 19; BVerwG in HFR 1972, 131; BGHZ 32, 233, 237; BGHZ 53, 245, 256, 257; BGH-Urteil vom 2. Februar 1979 V ZR 146/77, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1979, 2518).

Da bei einem Richterwechsel nach der Beweisaufnahme für die Würdigung einer früheren Zeugenaussage nur das berücksichtigt werden kann, was im Protokoll steht, ist hier der Unterschied zwischen der persönlichen Glaubwürdigkeit des Zeugen (oder Sachverständigen) und der sachlichen Glaubhaftigkeit (Beweiskraft) des Beweismittels von Bedeutung. Der persönliche Eindruck von einem Zeugen darf deshalb bei einem Richterwechsel nur dann berücksichtigt werden, wenn er im Protokoll niedergelegt und in die Verhandlung eingeführt ist. Ist der persönliche Eindruck, den der bzw. die vernehmenden Richter von dem Zeugen gewonnen haben, für die Entscheidung maßgeblich, aber nicht protokolliert worden oder will das Gericht in der neuen Zusammensetzung in der Schlußverhandlung die vom vernehmenden Richter bejahte persönliche Glaubwürdigkeit eines Zeugen anzweifeln oder verneinen oder meint es, daß es für die Entscheidung maßgeblich auf den eigenen Eindruck ankomme, so ist eine Wiederholung der Beweisaufnahme vor dem Prozeßgericht in der neuen Besetzung unumgänglich (BGHZ 32, 233, 237; BGHZ 53, 245, 257, 258). Mit diesen vom BGH entwickelten Einschränkungen erscheint die Durchbrechung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme auch bei einer Zeugenvernehmung, die vor einem Wechsel in der Richterbank durchgeführt worden ist, vom Sinn und Zweck des Gesetzes her unbedenklich (im Ergebnis ebenso Tipke / Kruse, a. a. O., § 81 FGO Tz. 6; dagegen weiterhin zweifelnd: Gräber / Koch, a. a. O., § 81 Rdnr. 9).

b) Unter Berücksichtigung der vorstehenden Grundsätze liegt im Streitfall nach den von der Revision vorgetragenen Tatsachen eine Verletzung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme nicht vor. Das FA rügt die Verwertung der vor dem - zunächst zuständigen - Senat des FG durchgeführten Zeugenvernehmung durch die später für die Rechtssache zuständig gewordenen Richter des - anderen - Senats. Wie das FA selbst ausführt, ist das Protokoll über die Aussage der Zeugin in der letzten mündlichen Verhandlung von der Berichterstatterin verlesen worden. Die Aussagen der Zeugin sind also - wie sich auch aus der Niederschrift der letzten mündlichen Verhandlung ergibt - im Wege des Urkundenbeweises in den Prozeß eingeführt worden. Sie durften - wie oben ausgeführt - auf diesem Wege auch von dem nunmehr anders zusammengesetzten Gericht bei seiner Entscheidung gewürdigt und verwertet werden.

Das FA beruft sich zwar für seine Gegenauffassung, daß die Beweisaufnahme vor dem erkennenden Senat hätte wiederholt werden müssen, auf die Maßgeblichkeit des persönlichen Eindrucks, den die Zeugin bei ihrer Vernehmung gemacht habe, der aber von den vernehmenden Richtern nicht protokolliert worden und deshalb im Wege des Urkundenbeweises nicht verwertbar sei. Wie das FA aber selbst zutreffend ausführt, hat sich das erkennende Gericht bei der Begründung, weshalb es die Aussagen der Zeugin für widersprüchlich hielt, ausschließlich auf die Vernehmungsprotokolle bezogen. Der erkennende Senat des FG hat also seine Entscheidung nicht auf den persönlichen Eindruck über die Glaubwürdigkeit der Zeugin gestützt, sondern auf den sachlichen Inhalt ihrer Aussage. Diese konnte es nach der im Urteil in Bezug genommenen Niederschrift über die Zeugenvernehmung in der vorangegangenen Verhandlung vom . . . ihrem Inhalt nach als widersprüchlich werten und ihr deshalb keine Beweiskraft zubilligen, ohne dabei eine Würdigung über die persönliche Glaubwürdigkeit der Zeugin vorzunehmen. Da es - im Gegensatz zur Auffassung des FA - für die Entscheidung des FG auf den persönlichen Eindruck, den die Zeugin bei ihrer Vernehmung gemacht hatte, nicht ankam, war das neu zusammengesetzte Gericht nicht verpflichtet, sich im Wege der Wiederholung der Beweisaufnahme einen eigenen Eindruck von der Zeugin zu verschaffen.

c) Im übrigen könnte, selbst wenn eine Verletzung des § 81 Ab. 1 Satz 1 FGO gegeben wäre, dieser Verfahrensmangel mit der Revision nicht mehr gerügt werden. Die Verfahrensbeteiligten können auf die Einhaltung der Vorschriften über die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme verzichten (Gräber / Koch, a. a. O., § 81 Rdnr. 10; Tipke / Kruse, a. a. O., § 81 FGO Tz. 6 am Ende; BGH in NJW 1979, 2518; BVerwG-Urteil vom 17. November 1972 IV C 41.68, BVerwGE 41, 174). Bei verzichtbaren Verfahrensmängeln geht das Rügerecht nicht nur durch eine ausdrückliche oder konkludente Verzichtserklärung gegenüber dem FG verloren, sondern auch durch das bloße Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge; ein Verzichtswille ist nicht erforderlich. Der Verfahrensmangel muß in der nächsten mündlichen Verhandlung gerügt werden, in der der Rügeberechtigte erschienen ist. Verhandelt er zur Sache, ohne den Verfahrensmangel zu rügen, obwohl er den Mangel kannte oder kennen mußte, verliert er das Rügerecht (§ 155 FGO i. V. m. § 295 Abs. 1 ZPO; Beschluß des Senats vom 31. Januar 1989 VII B 162/88, BFHE 155, 498, BStBl II 1989, 372).

Das FA hat nicht - wie es für eine ordnungsmäßige Verfahrensrüge erforderlich wäre - vorgetragen, daß es die Verletzung der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme in der Vorinstanz gerügt habe, so daß die Rüge schon deshalb unzulässig ist. Auch aus dem Protokoll der letzten mündlichen Verhandlung ergibt sich keine derartige Verfahrensrüge des zur Verhandlung erschienenen Vertreters des FA. Vielmehr hat dieser, ohne die Beweisaufnahme durch die andere Richterbank zu rügen, zur Sache verhandelt, nachdem das Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme von der Berichterstatterin vorgetragen und den Beteiligten Gelegenheit gegeben worden war, hierzu Stellung zu nehmen. Das FA hat damit sein Rügerecht - falls ein solches bestanden hat - verloren.

 

Fundstellen

Haufe-Index 417713

BFH/NV 1992, 115

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