Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulassungsfreie Revision, vorschriftswidrige Besetzung des Gerichts wegen angeblichen Verstoßes gegen § 103 FGO

 

Leitsatz (NV)

Eine Verletzung des § 103 FGO kann nur gerügt werden, wenn auf die Einhaltung dieser Vorschrift nicht zuvor verzichtet worden ist.

 

Normenkette

FGO § 81 Abs. 1 S. 1, §§ 90, 103, 116 Abs. 1 Nr. 1

 

Gründe

...

Die auf § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO gestützte Verfahrensrevision der Klägerin ist unzulässig und deshalb nach § 124, § 126 Abs. 1 FGO durch Beschluß zu verwerfen.

Eine Revision ist nach § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO nur statthaft, wenn mit ihr der Verfahrensmangel der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts schlüssig vorgetragen wird (§ 120 Abs. 2 FGO). Daran fehlt es im Streitfall.

a) Zwar hat die Klägerin als wesentlichen Mangel des Verfahrens i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO gerügt, das erkennende Gericht sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen, weil es gegen die Vorschrift des § 103 FGO verstoßen habe. Verfahrensmängel i. S. des § 116 Abs. 1 FGO sind jedoch nur dann ordnungsgemäß gerügt, wenn die zur Begründung vorgetragenen Tatsachen -- ihre Richtigkeit unterstellt -- einen Mangel i. S. dieser Vorschrift ergeben würden (§ 120 Abs. 2 Satz 2 FGO, Bundesfinanzhof -- BFH --, Beschluß vom 26. März 1991 VII R 72/90, BFH/NV 1992, 115, 116). Wird ein Verstoß gegen Vorschriften des Prozeßrechts geltend gemacht, auf deren Beachtung die Beteiligten verzichten können, muß außerdem vorgetragen werden, daß der Verstoß in der Vorinstanz gerügt wurde. Eine in diesem Sinne schlüssige Verfahrensrüge hat die Klägerin im Streitfall nicht erhoben.

b) In einem Verstoß gegen die Vorschrift des § 103 FGO wäre zwar ein wesentlicher Verfahrensmangel i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO wegen der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts zu sehen. Ob ein solcher Verstoß darin zu sehen ist, daß an der mündlichen Verhandlung, nach der das angefochtene Urteil erging, andere ehrenamtliche Richter als an der Beweisaufnahme mitgewirkt haben, kann dahingestellt bleiben.

Die überwiegende Auffassung sieht hierin keinen Verstoß gegen § 103 FGO. Danach bezieht sich das in § 103 genannte Tatbestandsmerkmal "der dem Urteil zugrunde liegenden mündlichen Verhandlung", das nach § 103 FGO den "gesetzlichen Richter" bestimmt, nur auf die letzte mündliche Verhandlung vor dem Urteil. Daraus wird gefolgert, daß bei mündlicher Verhandlung an mehreren Sitzungstagen ein Richterwechsel nach Beweisaufnahme und Vertagung -- wie im Streitfall geschehen -- unschädlich ist (dazu BFH in BFH/NV 1992, 115, 116 m. w. N.). Auch der Senat ist dieser Meinung in seinem Urteil vom 10. Januar 1978 VII R 106/74 (BFHE 124, 305, BStBl II 1978, 311, 312) gefolgt, hat diese Frage allerdings in seinem bereits erwähnten Beschluß in BFH/NV 10992, 115, 117 nach Darstellung der Gegenmeinung (z. B. Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 103 Rz. 5) dahingestellt sein lassen. Auch im vorliegenden Fall besteht keine Veranlassung, darüber eine Entscheidung zu treffen, weil die Klägerin nicht vorgetragen hat, daß sie den Mangel in der Vorinstanz gerügt habe.

c) Die Vorschrift des § 103 FGO, nach der das Urteil nur von den Richtern und ehrenamtlichen Richtern gefällt werden kann, die an der dem Urteil zugrundeliegenden Verhandlung teilgenommen haben, könnte zwar als ein Ausfluß der Garantie des gesetzlichen Richters verstanden werden (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl., § 103 FGO a. E.). Sie entfaltet aber keinen Selbstzweck, sondern dient lediglich zur Wahrung der Verfahrensgrundsätze der Mündlichkeit (§ 90 Abs. 1 Satz 1 FGO) und der Unmittelbarkeit des Verfahrens (§ 81 Abs. 1 Satz 1 FGO), die dafür sorgen sollen, daß sich die urteilenden Richter ihre Meinung in freier Überzeugung aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens bilden (vgl. Gräber/von Groll, a. a. O., § 103 Rz. 1). Die Beteiligten können jedoch nicht nur auf den Grundsatz der Mündlichkeit des Verfahrens verzichten (§ 90 Abs. 2 FGO), sondern können dies auch in bezug auf den in § 81 Abs. 1 Satz 1 FGO zum Ausdruck kommenden Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme tun (vgl. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, § 81 Rz. 10; BFH/NV 1992, 115, 117 m. w. N.). Daraus folgt, daß auch eine Verletzung des § 103 FGO, wenn sie -- der Gegenmeinung folgend -- vorliegen sollte, nur gerügt werden könnte, wenn auf die Einhaltung dieser allein der Wahrung der genannten Grundsätze dienenden Vorschrift nicht verzichtet worden ist (vgl. Tipke/Kruse, a. a. O.). Bei verzichtbaren Verfahrensmängeln geht das Rügerecht aber nicht nur durch eine ausdrückliche oder konkludente Verzichtserklärung gegenüber dem FG verloren, sondern auch durch das bloße Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge; ein Verzichtswille ist nicht erforderlich. Der Verfahrensmangel muß in der nächsten mündlichen Verhandlung gerügt werden, in der der Rügeberechtigte erschienen ist. Verhandelt er in der Sache, ohne den Verfahrensmangel zu rügen, obwohl er den Mangel kannte oder kennen mußte, verliert er das Rügerecht (§ 155 FGO i. V. m. § 295 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung; vgl. Beschluß des BFH vom 31. Januar 1989 VII B 162/88, BFHE 155, 498, BStBl II 1989, 372).

Die Klägerin hat nicht vorgetragen, daß sie in der mündlichen Verhandlung, nach der das Urteil erging, eine Verletzung der Vorschrift des § 103 oder § 81 Abs. 1 Satz 1, § 90 Abs. 1 Satz 1 FGO gerügt habe. Im übrigen ergibt sich aus dem Protokoll der letzten mündlichen Verhandlung, daß die zu der mündlichen Verhandlung erschienene Prozeßbevollmächtigte der Klägerin, ohne den Wechsel auf der Richterbank oder einen anderen der in diesem Zusammenhang denkbaren Verfahrensfehler zu rügen, zur Sache verhandelt hat, nachdem die Berichterstatterin das Ergebnis der in der mündlichen Verhandlung vom 12. Dezember 1994 durchgeführten Beweisaufnahme vorgetragen hatte und den Beteiligten Gelegenheit gegeben worden war, sich zur Sach- und Rechtslage zu äußern. Die Klägerin hat danach ihr Rügerecht -- falls ein solches bestanden haben sollte -- verloren.

 

Fundstellen

Haufe-Index 420843

BFH/NV 1996, 54

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