Leitsatz (amtlich)

1. Für eine Streitigkeit über die Rechtmäßigkeit einer Milch-Referenzmengenfestsetzung durch das HZA nach § 10 Abs.3 MGVO ist der Finanzrechtsweg gegeben. Begehrt ein Milcherzeuger, im Wege vorläufigen Rechtsschutzes eine höhere Referenzmenge festzusetzen, so ist dieser Rechtsschutz durch Aussetzung der Vollziehung und nicht durch einstweilige Anordnung zu gewähren.

2. Das HZA darf eine höhere Referenzmenge zur Berücksichtigung einer "besonderen Situation" --hier: als "Junglandwirt"-- nur festsetzen, wenn ihm eine entsprechende Bescheinigung der zuständigen Landesstelle nach § 9 Abs.2 MGVO vorgelegt wird.

3. Für Streitigkeiten über die Entscheidung der zuständigen Landesstelle im Bescheinigungsverfahren nach § 9 Abs.2 MGVO ist der Verwaltungsrechtsweg gegeben. In diesem Rechtsweg ist auch darüber zu entscheiden, ob die gemeinschaftsrechtliche und/oder die deutsche Regelung der Referenzmengenfestsetzung bei Vorliegen einer besonderen Situation (Leitsatz 2) höherrangiges Recht verletzt oder unter Verstoß dagegen unvollständig ist.

4. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel daran, daß

a) die MGVO keine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung entfaltet;

b) die Ermächtigung des § 8 Abs.1 Nr.1 MOG in Einklang mit Art.80 Abs.1 Satz 2 GG steht;

c) die MGVO durch die Ermächtigungen des MOG gedeckt ist.

 

Orientierungssatz

1. Die Milch-Referenzmengenfestsetzung stellt die Besteuerungsgrundlagen für die Milchabgabe fest. Sie ist daher ein Grundlagenbescheid i.S. der Definition des § 171 Abs. 10 AO 1977, der nach § 8 Abs. 2 MOG entsprechend gilt.

2. Liegen die Voraussetzungen des § 69 FGO für die Aussetzung einer Milch-Referenzmengenfestsetzung vor, so ist im Aussetzungsbeschluß neben der Anordnung der Aussetzung der angefochtenen Referenzmengenfestsetzung auszusprechen, von welcher höheren Referenzmenge bei der Festsetzung der Milchabgabe vorläufig auszugehen ist (Anwendung der Rechtsprechungsgrundsätze für den Fall einer begehrten höheren Verlustfeststellung, Abgrenzung zur Ablehnung einer Referenzmengenfestsetzung).

3. Wird die Bescheinigung nach § 9 Abs. 2 MGVO nicht vorgelegt, so ist die Nichtberücksichtigung der (angeblichen) besonderen Situation durch das HZA gerechtfertigt und es bestehen insoweit keine ernstlichen Zweifel i.S. des § 69 Abs. 2 FGO an der Rechtmäßigkeit der ohne Berücksichtigung der besonderen Situation erfolgten Referenzmengenfestsetzung (vgl. Literatur; entgegen FG-München vom 10.9.85 III 47/85 Aus ZeA; gleiche Rechtslage wie bei den in §§ 6b, 6d EStG genannten Bescheinigungen der obersten Wirtschaftsbehörden).

4. An die Zweifel hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sind, wenn verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine dem Bescheid zugrunde liegende Norm geltend gemacht werden, grundsätzlich keine strengeren Anforderungen zu stellen als im Falle der Geltendmachung fehlerhafter Rechtsanwendung. Dies gilt jedenfalls dann, wenn Gegenstand der Gültigkeitsprüfung nicht ein formelles Gesetz, sondern eine Rechtsverordnung ist (vgl. BFH-Beschluß vom 10.2.1984 III B 40/83).

5. Die MGVO entfaltet zwar eine sog. unechte Rückwirkung, d.h. sie wirkt auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft ein, die Rückwirkung ist jedoch zulässig, weil das öffentliche Interesse an der Neuregelung der Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse Vorrang vor dem Vertrauen in den Fortbestand der früheren Regelung auch dann verdient, wenn dieses sich schon in besonderen Dispositionen niedergeschlagen hat. Für Härtefälle wurden zudem Sonderregelungen getroffen (vgl. Literatur zur Zulässigkeit der Rückwirkung). 6. Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, daß in der Pflicht zur Zahlung der Milchabgabe kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz, die Verhältnismäßigkeit, die Freiheit der Berufswahl und die Eigentumsgarantie liegt. 7. Der Gesetzgeber darf zur näheren Bestimmung von Inhalt, Zweck und Ausmaß einer Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsverordnungen (hier: MGVO) auch auf Normen und Begriffe des Rechts der Europäischen Gemeinschaften (EG) verweisen (vgl. BVerfG-Beschluß vom 13.10.1970 2 BvR 618/68). 8. NV: Die Aussetzung der Vollziehung eines Bescheids über Milch-Referenzmengenfestsetzung wegen unbilliger Härte ist dann nicht geboten, wenn es unwahrscheinlich erscheint, daß der Antragsteller in der Hauptsache obsiegt. Die Härte ist vom Normgeber zudem im Interesse der Sanierung des Marktes für Milch und Milcherzeugnisse bewußt in Kauf genommen worden (vgl. BFH-Beschluß vom 19.4.1968 IV B 3/66).

 

Normenkette

GG Art. 80 Abs. 1 S. 2, Art. 20 Abs. 3; FGO § 33 Abs. 1 Nr. 4; GG Art. 3 Abs. 1; FGO § 69 Abs. 2 S. 4; GG Art. 12; FGO § 114 Abs. 5; GG Art. 14; MOG § 8 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2; MilchGarMV § 3; AO 1977 § 171 Abs. 10; MilchGarMV § 4; EStG §§ 6b, 6d; MilchGarMV § 6; EWGV 804/68 Art. 5c Abs. 1; MilchGarMV § 9 Abs. 2; EWGV 856/84; MilchGarMV § 10 Abs. 3 S. 2; EWGV 857/84; EWGV 1371/84

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 13.03.1986; Aktenzeichen 2 BvR 138/86)

BVerfG (Beschluss vom 17.12.1985; Aktenzeichen 2 BvR 138/86)

 

Tatbestand

Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) ist Milcherzeuger. Die für ihn zuständige Molkerei berechnete nach § 4 Abs.1 der Milch-Garantiemengen-Verordnung (MGVO) eine Anlieferungsreferenzmenge von 34 000 kg Milch. Nach § 10 Abs.3 MGVO beantragte der Antragsteller beim Antragsgegner und Beschwerdegegner (Hauptzollamt --HZA--) eine Neuberechnung der Referenzmenge. Mit Bescheid vom 16.Januar 1985 setzte das HZA daraufhin die Referenzmenge auf 37 100 kg neu fest. Über die nach erfolglosem Einspruch dagegen erhobene Klage hat das Finanzgericht (FG) noch nicht entschieden.

Nachdem das HZA einen Antrag des Antragstellers auf Aussetzung der Vollziehung abgelehnt hatte, stellte der Antragsteller beim FG den Antrag, die Vollziehung des Bescheides vom 16.Januar 1985 insoweit auszusetzen, als die in diesem festgesetzte Anlieferungs-Referenzmenge die beantragte Menge von 80 000 kg unterschreite. Diesen Antrag begründete der Antragsteller im wesentlichen wie folgt: Er habe mit der Milcherzeugung erst Mitte Oktober 1983 begonnen. Der Milchviehbestand habe im Jahre 1984 aufgestockt werden sollen. Dementsprechend habe er eine Reihe von Investitionen getroffen, die nicht unberücksichtigt bleiben könnten. Bei dem angestrebten Bestand an Kühen ergebe sich eine Zielmenge von rund 116 000 kg und abzüglich des Kürzungsfaktors eine solche von rund 112 000 kg. Hiervon mache er 80 000 kg geltend. Überdies sei die gesamte Abgabenregelung der MGVO sowie der einschlägigen Verordnungen der EWG verfassungswidrig. Die Abgabe habe echte Rückwirkung für die Monate April und Mai 1984, die unzulässig sei. Ferner lege sich die Verordnung unechte Rückwirkung betreffend der Abgabepflicht ab Monat Juni 1984 bei. Die der MGVO vorausgehenden Verordnungen der EWG stammten vom 31.März 1984; zu diesem Zeitpunkt habe er, der Antragsteller, längst sämtliche Dispositionen getroffen, die einen Vertrauenstatbestand begründeten. Überdies sei die MGVO auch deswegen verfassungswidrig, weil sie die Aufnahme des Berufs "Milchbauer" unmöglich mache. Er habe bei der Landwirtschaftskammer W. einen Härtefallantrag gestellt und eine Referenzmenge von 112 123 kg beantragt. Gegen den Ablehnungsbescheid habe er Widerspruch eingelegt und gegen den Widerspruchsbescheid Klage erhoben. Die Klage sei beim Verwaltungsgericht M. anhängig.

Das FG lehnte den Antrag mit folgender Begründung ab:

++/ Die Voraussetzungen des § 69 Abs.2 und 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) seien nicht gegeben. Es bestünden an der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Referenzmengenfestsetzung keine ernstlichen Zweifel. Der Antragsteller berufe sich auf eine besondere Situation i.S. der § 2 Abs.1 Satz 2, § 9 Abs.2 MGVO. Das Vorliegen einer besonderen Situation sei durch eine entsprechende Bescheinigung der zuständigen Landesstelle nachzuweisen (§ 9 Abs.2 MGVO). Im Streitfall habe die Landwirtschaftskammer W den Antrag des Antragstellers auf Erteilung dieser Bescheinigung mit Bescheid vom 10.September 1984 als unbegründet abgelehnt. Eine für die Neuberechnung der Anlieferungs-Referenzmenge erforderliche Bescheinigung der zuständigen Landesstelle könne durch einen Antrag nach § 10 Abs.3 MGVO nicht ersetzt oder angegriffen werden (§ 10 Abs.3 Satz 2 MGVO). Daraus folge aber auch, daß eine derartige Bescheinigung nicht vor dem FG im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes im Rahmen der Aussetzung der Vollziehung "vorläufig" ersetzt oder angegriffen werden könne. Da die Landwirtschaftskammer die Erteilung der Bescheinigung bereits abgelehnt habe, könne weder zweifelsfrei davon ausgegangen werden noch spreche eine ausreichende Wahrscheinlichkeit dafür, daß der Antragsteller diese im verwaltungsgerichtlichen Verfahren erstreiten werde.

Auch unter Berücksichtigung der vom Antragsteller vorgebrachten verfassungsrechtlichen Gesichtspunkte bestünden keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Referenzmengenfestsetzung. Auch wenn die MGVO für April und Mai 1984 eine echte Rückwirkung entfalten sollte, bestünden keine ernstlichen Zweifel daran, daß ihre Regelung verfassungsrechtlich unbedenklich sei (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 26.März 1985 VII B 12/85, BFHE 142, 534, BStBl II 1985, 258). Es gebe ferner zwingende Gründe des Gemeinwohls, die hier darin lägen, daß der Bereich der Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse funktionsfähig erhalten werden solle. Auch die übrigen verfassungsrechtlichen Bedenken des Antragstellers begründeten keine ernstlichen Zweifel. Der Ausgang der vom Antragsteller eingeleiteten Verfassungsbeschwerde erscheine offen. Für die Aussetzung sei erforderlich, daß die Verfassungswidrigkeit für das angerufene Gericht außer Zweifel stehe. Das sei hier nicht der Fall. Außerdem sei zu berücksichtigen, daß die Aussetzung der Vollziehung aus verfassungsrechtlichen Gründen in ihren praktischen Auswirkungen zur Folge hätte, daß der Zweck des Gesetzes, eine Begrenzung der Milchproduktion zu erreichen, zumindest zeitweise in wesentlichen Teilen vereitelt würde (vgl. BFH-Beschluß vom 10.Februar 1984 III B 40/83, BFHE 140, 396, BStBl II 1984, 454).

Die Vollziehung könne auch nicht deshalb ausgesetzt werden, weil sie für den Antragsteller eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Das öffentliche Interesse an der Vollziehung eines angefochtenen Bescheides überwiege dann, wenn es --wie hier-- unwahrscheinlich erscheine, daß der Antragsteller in der Hauptsache obsiege. Ferner sei zu berücksichtigen, daß die Härte vom Normgeber im Interesse der Sanierung des Marktes für Milch und Milcherzeugnisse bewußt in Kauf genommen worden sei.

Das FG hat wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache die Beschwerde zugelassen. Der eingelegten Beschwerde hat es nicht abgeholfen. /++

Der Antragsteller begründet seine Beschwerde wie folgt:

Die pauschale Begründung des FG zur Verfassungsmäßigkeit der angegriffenen Regelungen sei nicht zutreffend. Der BFH-Beschluß vom 26.März 1985 VII B 12/85 (BFHE 142, 534, BStBl II 1985, 258) beziehe sich lediglich auf die Monate April und Mai 1984. Vorliegend sei über einen ganz anderen Fall zu entscheiden. Er, der Antragsteller, sei Junglandwirt. Da die MGVO keine Regelung für Junglandwirte und Neuanfänger vorsehe, wären seine sämtlichen Investitionen umsonst gewesen. Er stehe vor dem Ruin und müsse sich überlegen, ob er nicht Konkurs anmelden müsse. Die Verordnung (EWG) Nr.857/84 (VO Nr.857/84) des Rates vom 31.März 1984 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- L 90/13 vom 1.April 1984) habe in ihrem Art.3 Nr.2 vorgesehen, daß Junglandwirten eine bestimmte Referenzmenge zuzuteilen sei. Hiervon habe der Minister jedoch keinen Gebrauch gemacht. In der Zwischenzeit seien einige Verfassungsbeschwerden, die ähnliche Fälle beträfen, beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) anhängig. Bis zur Entscheidung über diese Verfassungsbeschwerden müsse ihm, dem Antragsteller, durch Aussetzung der Vollziehung geholfen werden.

Die Meinung des FG sei unrichtig, es handle sich hier um Härtefallregelungen, wofür die Landwirtschaftskammern und deshalb auch die Verwaltungsgerichte zuständig seien. Er verweise insoweit auf den Beschluß des FG München vom 10.September 1985 III 47/85 Aus ZeA (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1985, 618). Das FG führe zu Recht aus, daß gerade auch für die Verteilung zusätzlicher Referenzmengen einzig und allein die Zollämter und damit die FG zuständig seien. Die Landwirtschaftskammern und Verwaltungsgerichte seien nur in den in der MGVO enumerativ aufgezählten Fällen zuständig. Ein solcher Fall liege hier jedoch nicht vor. Der Antragsteller beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und die beantragte Aussetzung zu gewähren.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist nicht begründet.

1. Das FG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, daß für den vorliegenden Antrag der Finanzrechtsweg gegeben ist. Nach § 69 Abs.3 FGO ist für die Aussetzung der Vollziehung das Gericht der Hauptsache zuständig. Als solches Gericht kann ein FG nur angesehen werden, wenn für die Hauptsache der Finanzrechtsweg eröffnet ist (vgl. Beschluß des Senats vom 16.Juli 1985 VII B 53/85, BFHE 143, 523, BStBl II 1985, 553). Das ist hier der Fall. In der Hauptsache geht es um die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 16.Januar 1985, in dem das HZA die Anlieferungs- Referenzmenge nach § 10 Abs.3 MGVO festgesetzt hat. Für eine solche Streitigkeit ist der Finanzrechtsweg gegeben (vgl. BFHE 142, 534, BStBl II 1985, 258).

2. Das FG ist ohne weitere Begründung davon ausgegangen, daß im vorliegenden Fall vorläufiger Rechtsschutz nur im Wege der Aussetzung der Vollziehung nach § 69 Abs.2 und 3 FGO und nicht durch einstweilige Anordnung nach § 114 FGO gewährt werden kann. Der Senat teilt diese Auffassung.

Das HZA hat mit dem angefochtenen Bescheid nach § 10 Abs.3 MGVO die Anlieferungs-Referenzmenge festgesetzt. Diese Referenzmenge ist nach Art.5c Abs.1 Formel A der Verordnung (EWG) Nr.804/68 (VO Nr.804/68) des Rates i.d.F. der Verordnung (EWG) Nr.856/84 (VO Nr.856/84) des Rates vom 31.März 1984 (ABlEG L 90/10 vom 1.April 1984) und nach §§ 2, 11 MGVO die maßgebende Grundlage für die Festsetzung der Abgabe nach der MGVO (im folgenden: Milchabgabe). Die Referenzmengenfestsetzung stellt also die Besteuerungsgrundlagen fest. Sie ist daher ein Grundlagenbescheid im Sinne der Definition des § 171 Abs.10 der Abgabenordnung (AO 1977); die Vorschriften der AO 1977 gelten hier nach § 8 Abs.2 des Gesetzes zur Durchführung der gemeinsamen Marktorganisationen (MOG) entsprechend (vgl. BFHE 143, 523, BStBl II 1985, 553).

Wie sich aus § 69 Abs.3 i.V.m. Abs.2 Satz 4 FGO ergibt, kann das Gericht auch die Vollziehung von Grundlagenbescheiden aussetzen. Aussetzung bedeutet, daß der materielle Regelungsgehalt des Grundlagenbescheides nicht mehr verwirklicht werden kann. Die Nichtberücksichtigung der Referenzmengenfestsetzung führt aber nicht zum offensichtlichen Ziel eines Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Festsetzung; denn sie bewirkt nicht ohne weiteres, daß zugunsten des Milcherzeugers und potentiellen Steuerpflichtigen einstweilen bei der Steuerfestsetzung die vom Antragsteller angestrebte günstigere Referenzmenge berücksichtigt wird. Dies wäre aber möglich, wenn in einem einstufigen Verfahren (d.h. ohne vorherigen Erlaß eines Grundlagenbescheides) die Steuerfestsetzung angefochten und hinsichtlich dieses Steuerbescheids die Aussetzung der Vollziehung gewährt würde.

Diese Diskrepanz tritt in gleicher Weise auf, wenn ein Steuerpflichtiger die Feststellung eines höheren Verlustes begehrt als ihn das Finanzamt (FA) in seinem entsprechenden Feststellungsbescheid zugestanden hat. Der VIII.Senat des BFH hat daher in seinem Beschluß vom 10.Juli 1979 VIII B 84/78 (BFHE 128, 164, BStBl II 1979, 567) --mit Zustimmung des I. und IV.Senats, die zuvor gleich dem VIII.Senat anders entschieden hatten-- erkannt, daß die in § 69 FGO vorhandene Lücke durch entsprechende Anwendung der Vorschrift auch im Falle einer begehrten höheren Verlustfeststellung zu schließen sei; bei der Anordnung der Aussetzung sei anzugeben, von welchem höheren Verlust vorläufig auszugehen sei (vgl. auch Beschluß des IV.Senats vom 17.Januar 1985 IV B 65/84, BFHE 143, 10, BStBl II 1985, 299, Abschn.II Nr.2 der Gründe). Die Frage, weswegen der IV.Senat im zuletzt zitierten Beschluß den Großen Senat des BFH angerufen hat, stellt sich im vorliegenden Verfahren nicht, da das HZA nicht die Festsetzung einer Referenzmenge überhaupt abgelehnt hat, sondern diese nur niedriger als begehrt festgesetzt hat. Daher braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob die Grundsätze des Beschlusses in BFHE 128, 164, BStBl II 1979, 567 auf die Aussetzung der Vollziehung einer die Festsetzung einer Referenzmenge ablehnenden Entscheidung des HZA ausgedehnt werden müssen.

Im Fall der nach Auffassung des Betroffenen zu niedrigen Referenzmengenfestsetzung ist die Problematik die gleiche. In den maßgebenden Punkten bestehen keine wesentlichen Unterschiede zum Fall des Grundlagenbescheides, der vom Steuerpflichtigen wegen der Feststellung eines zu geringen Verlustes angegriffen wird. Eine zu niedrige Referenzmenge führt im Folgebescheid ebenso zu einer zu hohen Steuerlast wie die Feststellung eines zu niedrigen Verlustes. Der Senat ist daher der Auffassung, daß die im Vorabsatz geschilderten Rechtsprechungsgrundsätze auch im Falle der zu niedrigen Referenzmengenfestsetzung des HZA Geltung beanspruchen können (vgl. Voss, Die Milch-Garantiemengen-Verordnung, Recht der internationalen Wirtschaft/Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters --RIW/AWD-- 1985, 870, 872, Abschn.IV 2 c bb). Nur auf diese Weise kann in Fällen wie dem vorliegenden vorläufiger Rechtsschutz unter den angemessenen Bedingungen des § 69 FGO gewährt werden, während wegen der besonderen Anforderungen des § 114 Abs.1 FGO durch Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung nur ausnahmsweise Rechtsschutz erlangt werden könnte (vgl. auch BFHE 143, 10, BStBl II 1985, 299, Abschn.III Nr.2 der Gründe). Vorläufiger Rechtsschutz ist demnach hier durch Aussetzung der Vollziehung nach § 69 FGO zu gewähren. Der Erlaß einer einstweiligen Anordnung scheidet infolgedessen aus (§ 114 Abs.5 FGO). Liegen die Voraussetzungen des § 69 FGO vor, so ist im Aussetzungsbeschluß neben der Anordnung der Aussetzung der angefochtenen Referenzmengenfestsetzung auszusprechen, von welcher höheren Referenzmenge bei der Festsetzung der Milchabgabe vorläufig auszugehen ist.

3. Nach § 69 Abs.3 i.V.m. Abs.2 Satz 2 FGO soll das FG auf Antrag die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen. Das FG hat zu Recht entschieden, daß solche ernstlichen Zweifel im vorliegenden Fall nicht gegeben sind.

a) Der Antragsteller begründet das Vorliegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 16.Januar 1985 in erster Linie damit, in seinem Fall sei eine besondere Situation gegeben, die zur Festsetzung einer höheren Referenzmenge zwinge (vgl. Art.3 ff. der VO Nr.857/84, § 6 MGVO). Nach § 9 Abs.2,§ 10 Abs.3 Satz 2 MGVO darf aber das HZA eine höhere Referenzmenge nur festsetzen, wenn der Milcherzeuger durch Vorlage einer Bescheinigung der zuständigen Landesstelle nachweist, daß eine besondere Situation vorliegt und welche Zielmenge zu berücksichtigen ist. Das (insoweit nicht sachkundige) HZA ist nicht berechtigt, seine Entscheidung über das Vorliegen einer besonderen Situation, die eine höhere Referenzmenge rechtfertigen würde, an die Stelle der Entscheidung der (sachkundigen) zuständigen Landesstelle zu setzen.

Das macht insbesondere § 10 Abs.3 Satz 2 MGVO deutlich, wo es heißt, daß eine für die Neuberechnung der Anlieferungs-Referenzmenge erforderliche Bescheinigung durch den Antrag auf Neuberechnung beim HZA "nicht ersetzt oder angegriffen werden" kann. Das Vorliegen der Bescheinigung ist vielmehr ebenso materiell- rechtliche Voraussetzung für die entsprechende steuerliche Entscheidung der Finanzbehörde, wie dies z.B. für die Bescheinigungen der obersten Wirtschaftsbehörden gilt, von denen in den §§ 6b, 6d des Einkommensteuergesetzes (EStG) die Rede ist (vgl. z.B. Schmidt/Seeger, Einkommensteuergesetz, 4.Aufl., 1985, § 6b Anm.5 f., § 6d Anm.6; Frotscher, Einkommensteuergesetz, § 6b Anm.57, § 6d Anm.18). Wird eine Bescheinigung, wie hier, nicht vorgelegt --aus welchen Gründen auch immer--, so ist die Nichtberücksichtigung der (angeblichen) besonderen Situation durch das HZA gerechtfertigt und bestehen insoweit keine ernstlichen zweifel i.S. des § 69 Abs.2 FGO an der Rechtmäßigkeit der ohne Berücksichtigung der besonderen Situation erfolgten Referenzmengenfestsetzung (vgl. auch Voss, a.a.O., RIW/AWD 1985, 870, 873, Abschn.IV 3 b cc; a.A. FG München in EFG 1985, 618, das die Bedeutung der Regelung des § 10 Abs.3 Satz 2 MGVO verkannt hat).

Dadurch wird die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes für den Antragsteller nicht beschnitten. Die MGVO hat die Befugnisse aufgeteilt; die Entscheidung über das Vorliegen einer Sondersituation ist aus Gründen der Sachkunde anderen Behörden übertragen worden als die Entscheidung über die Festsetzung der Milchabgabe. Daraus ergibt sich, daß die Entscheidung der zuständigen Landesstelle über die Erteilung und gegebenenfalls den Inhalt der Bescheinigung keine Abgabenangelegenheit i.S. des § 33 FGO ist und für Streitigkeiten darüber der Verwaltungsrechtsweg gegeben ist. Auch vorläufigen Rechtsschutz muß der Milcherzeuger daher vor den Verwaltungsgerichten suchen, soweit er geltend macht, ihm stehe wegen des Vorliegens einer besonderen Situation eine höhere als die normale Referenzmenge zu (vgl. auch Voss, a.a.O., RIW/AWD 1985, 873, Abschn.IV 3 b bb; Beschluß des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 18.April 1985 1 D 5/85, RIW/AWD 1985, 664). Dies gilt auch für den Fall, daß geltend gemacht wird, im Gemeinschaftsrecht und/oder in der MGVO sei unter Verstoß gegen höherrangiges Recht unterlassen worden, für bestimmte Härtefälle ausreichende Abhilfe zu schaffen (vgl. dazu z.B. BVerfG-Entscheidungen vom 13.Dezember 1961 1 BvR 1137/59, 278/60, BVerfGE 13, 248, 261, und vom 28.November 1967 1 BvR 515/63, BVerfGE 22, 349, 360 ff.; Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften --EuGH-- vom 19.Oktober 1977 Rs.117/76 und 16/77, EuGHE 1977, 1753, 1771).

b) Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bestünden allerdings, wenn die (nicht die Berücksichtigung von Sondersituationen bei der Referenzmengenfestsetzung regelnden) Vorschriften des Gemeinschaftsrechts und/oder der MGVO, auf denen der Erlaß des angefochtenen Bescheids beruht, wegen Verstoßes gegen höherrangiges Recht ungültig wären. Ernstliche Zweifel in diesem Sinne sind zu bejahen, wenn bei der überschlägigen Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts im Aussetzungsverfahren neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Umstände zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen bewirken. Diese Grundsätze sind auch dann anzuwenden, wenn die Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts mit verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine dem Bescheid zugrunde liegende Norm begründet werden; dabei sind grundsätzlich keine strengeren Anforderungen zu stellen als im Falle der Geltendmachung fehlerhafter Rechtsanwendung (vgl. BFH-Beschluß vom 10.Februar 1984 III B 40/83, BFHE 140, 396, BStBl II 1984, 454). Das muß jedenfalls dann gelten, wenn Gegenstand der Gültigkeitsprüfung nicht ein formelles Gesetz, sondern --wie hier-- eine Rechtsverordnung ist (vgl. Art.100 Abs.1 des Grundgesetzes --GG--). Das FG hat zu Recht entschieden, daß die vom Antragsteller geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken keine ernstlichen Zweifel im genannten Sinne begründen.

aa) Der Senat hat bereits mit seinem Beschluß in BFHE 142, 534, BStBl II 1985, 258 entschieden, daß die Rückwirkung der MGVO für die Monate April und Mai 1984 verfassungsrechtlich unbedenklich ist. Er hält an dieser Auffassung fest.

bb) Der Senat teilt auch nicht die Auffassung des Antragstellers, die Regelung des maßgebenden Gemeinschaftsrechts bzw. die der MGVO verstoße insoweit gegen höherrangiges Recht, als sie sein Vertrauen nicht schütze, das er in den Fortbestand des bisherigen Rechtszustandes gesetzt und das zu Dispositionen seinerseits im Jahre 1983 (Abschluß eines Pachtvertrages usw.) geführt habe. Die genannten Regelungen entfalten insoweit in der Tat eine sog. unechte Rückwirkung, d.h. sie wirken auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft ein (vgl. z.B. Leibholz/Rinck, Grundgesetz, Kommentar, 6.Aufl., Stand November 1984, Art.20 Rdnr.41 a mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des BVerfG). Auch bei der unechten Rückwirkung ergeben sich aus den rechtsstaatlichen Grundsätzen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes bestimmte Grenzen, die der Gesetzgeber zu beachten hat. Zur Bestimmung der verfassungsrechtlichen Grenzen ist das Vertrauen des einzelnen in den Fortbestand einer bestimmten gesetzlichen Regelung mit der Bedeutung des gesetzlichen Anliegens für das Wohl der Allgemeinheit abzuwägen. Ergibt sich, daß das Vertrauen auf die Sicherheit der bestehenden Lage den Vorrang verdient, so ist die Rückwirkung unzulässig (vgl. Leibholz/Rinck, a.a.O., Anm. 45 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung).

Bei summarischer Prüfung gelangt der Senat zum Ergebnis, daß hier die Bedeutung des Anliegens der einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften den Vorrang vor dem Vertrauen des Antragstellers in den Fortbestand der früheren Regelungen verdienen. Die Milchlieferungen hatten, wie es im dritten Erwägungsgrund der VO Nr.856/84 heißt, trotz Anwendung der Milchverantwortungsabgabe in einem Ausmaß zugenommen, "daß der Absatz der Übermengen zu Haushaltsbelastungen und Marktschwierigkeiten führt, die die künftige Entwicklung der gemeinsamen Agrarpolitik gefährden". Angesichts der immer höheren Finanzmittel, die die Einlagerung und Vermarktung der immer größeren Überschüsse an Milchprodukten verschlang, drängte sich dem gemeinschaftsrechtlichen Normgeber eine Änderung der Politik auf dem Gebiet der gemeinsamen Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse auf. Das öffentliche Interesse an der Neuregelung hatte daher einen hohen Stellenwert. Demgegenüber ist das Interesse am Schutz des Vertrauens des Antragstellers in den Fortbestand der früheren Regelung auch dann geringer, wenn es sich schon in besonderen Dispositionen niedergeschlagen hat. Der Normgeber war trotz der erheblichen Nachteile, die für manche Milcherzeuger die Folge der Neuregelung waren, von Verfassungs wegen nicht verpflichtet, von einer Änderung der bisherigen Rechtslage abzusehen oder zumindest während langer Übergangsfristen an der früheren Regelung festzuhalten. Den an ihn insoweit zu stellenden Anforderungen ist er im Grundsatz dadurch nachgekommen, daß er im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht für Härtefälle Sonderregelungen getroffen hat.

c) Schließlich bestünden ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids, wenn die Vorschriften der MGVO --auf denen der Bescheid beruht-- ungültig wären, weil entweder die Ermächtigung, auf der die MGVO beruht, nicht den Anforderungen des Art.80 Abs.1 Satz 2 GG entspricht, die Vorschriften der MGVO nicht von dieser Ermächtigung gedeckt sind oder die Regelungen der MGVO nur durch Gesetz getroffen werden durften. Bei summarischer Prüfung gelangt der Senat jedoch zu dem Ergebnis, daß auch unter diesen rechtlichen Gesichtspunkten ernstliche Zweifel i.S. des § 69 Abs.2 und 3 FGO nicht bestehen.

aa) Die Ermächtigungsgrundlage der MGVO entspricht den Anforderungen des § 80 Abs.1 Satz 2 GG. Nach der Auslegung dieser Vorschrift durch die Rechtsprechung des BVerfG genügt es, wenn Inhalt, Zweck und Ausmaß einer Ermächtigungsvorschrift nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen aus ihrem Sinnzusammenhang mit anderen Vorschriften des Gesetzes und aus dem von der gesetzlichen Regelung insgesamt verfolgten Ziel ermittelt werden können (vgl. Beschluß des Senats vom 17.März 1982 VII B 113/81, BFHE 135, 252, BStBl II 1982, 413, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des BVerfG). Dabei darf der Gesetzgeber, wie das BVerfG ausdrücklich entschieden hat (Beschluß vom 13.Oktober 1970 2 BvR 618/68, BVerfGE 29, 198, 210), zur näheren Bestimmung von Inhalt, Zweck und Ausmaß einer Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsverordnungen auch auf Normen und Begriffe des Rechts der Europäischen Gemeinschaften (EG) verweisen. Das ist hier der Fall.

Die MGVO beruht im wesentlichen auf der Ermächtigung des § 8 Abs.1 Nr.1 MOG. Danach ist der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (BML) ermächtigt, durch Rechtsverordnung Vorschriften zu erlassen über das Verfahren bei Abgaben im Rahmen von Produktionsregelungen sowie über die Voraussetzungen und die Höhe dieser Abgaben, soweit sie nach den vom Rat oder der Kommission erlassenen Rechtsakten bestimmt, bestimmbar oder nach oben begrenzt sind. Ferner beruht die MGVO auf den Ermächtigungen der § 10 Abs.1, §§ 12, 26 Abs.2 Nr.1 und § 48 Abs.2 MOG und des § 12 Abs.3 des Finanzverwaltungsgesetzes (FVG); diese Ermächtigungen (zum Erlaß von Überwachungsvorschriften, zur Regelung von Duldungs- und Mitwirkungspflichten, zur Regelung von Zuständigkeiten für die Durchführung, zur Anordnung der Rückwirkungen und zur Übertragung von Zuständigkeiten für den Bereich mehrerer HZÄ auf ein HZA) sind aber im Rahmen der hier erforderlichen Prüfung von keiner wesentlichen Bedeutung.

Das Ziel der Ermächtigung des § 8 Abs.1 Nr.1 MOG ergibt sich insbesondere aus dem ausdrücklich in Bezug genommenen Gemeinschaftsrecht. Im vorliegenden Fall enthält das Gemeinschaftsrecht die materiell-rechtlichen Vorschriften über die Erhebung der Milchabgabe. Der durch die VO Nr.856/84 in die VO Nr.804/68 eingefügte Art. 5c regelt insbesondere die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Erhebung der Milchabgabe, stellt den Mitgliedstaaten zwei Erhebungsformeln zur Auswahl, bringt Regelungen zu den Referenzmengen und dem Bezugsjahr sowie über die Festsetzung der Gesamtgarantiemengen. Weitere Einzelheiten ergeben sich aus der VO Nr.857/84, insbesondere zur Höhe der Abgabe, zu den Referenzjahren, zur Regelung von Härtefällen und zur Bestimmung von Begriffen. Ferner ist in diesem Zusammenhang die Verordnung (EWG) Nr.1371/84 der Kommission vom 16.Mai 1984 (ABlEG L 132/11 vom 18.Mai 1984) zu erwähnen, die weitere Durchführungsvorschriften enthält, insbesondere zu den Härtefallregelungen. Diese gemeinschaftsrechtlichen Regelungen machen Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung des § 8 Abs.1 Nr.1 MOG deutlich; sie legen Programm und Rahmen für die Regelung durch den Verordnungsgeber fest. Durch die Verweisung auf sie in § 8 Abs.1 Nr.1 MOG ist Inhalt, Zweck und Ausmaß dieser Ermächtigung in hinreichendem Ausmaß deutlich gemacht worden.

bb) Die MGVO ist durch die Ermächtigung des § 8 Abs.1 Nr.1 MOG auch ausreichend gedeckt. Durch sie ist der BML ermächtigt, Vorschriften über das Verfahren bei Abgaben im Rahmen von Produktionsregelungen sowie über die Voraussetzungen und die Höhe dieser Abgaben zu erlassen. Dabei sind unter Verfahrensvorschriften in diesem Sinne nicht nur die formellen Vorschriften über die Erhebung einer Abgabe im engen Sinne zu verstehen, sondern alle Vorschriften über das "Wie" der Erhebung einer Abgabe, deren materiell-rechtliche Voraussetzungen durch das Gemeinschaftsrecht hinreichend bestimmt sind. Daß der Begriff "Verfahren" in diesem Sinne auszulegen ist, belegt auch der Umstand, daß § 8 Abs.1 MOG auch zur Festlegung von "Voraussetzung und Höhe" der Abgabe ermächtigt, falls durch das Gemeinschaftsrecht bestimmte Bedingungen erfüllt werden. Bei summarischer Prüfung vermag der Senat keine Regelung der MGVO zu erkennen, die durch die so zu verstehende Ermächtigung des § 8 Abs.1 MOG nicht gedeckt ist. Soweit das Gemeinschaftsrecht dem nationalen Normgeber Wahlmöglichkeiten zugesteht (z.B. zwischen der Formel A oder B des Art.5c der VO Nr.804/68), halten diese sich in einem Rahmen, daß sich dadurch an der Bestimmtheit, Bestimmbarkeit oder Begrenzung der Abgabe der Höhe nach nichts ändert. Die MGVO entspricht also auch insoweit der Ermächtigung, als sie von diesen Wahlmöglichkeiten Gebrauch macht.

Auch die Regelung des Bescheinigungsverfahrens (§ 9 Abs.2, § 10 Abs.3 Satz 2 MGVO) ist durch die Ermächtigung gedeckt. Diese Regelung enthält ebenfalls nur Vorschriften über das Verfahren bei der Erhebung der Milchabgabe, indem sie die Festsetzung einer höheren Referenzmenge durch die HZÄ in besonderen Fällen von der Voraussetzung abhängig macht, daß darüber Bescheinigungen der zuständigen Landesstellen vorgelegt werden. Mit dieser Einschaltung von Landesstellen für die Bescheinigung agrarspezifischer Fragen im Vorfeld der Festsetzung der Referenzmengen und der Milchabgabe hat der Verordnungsgeber nicht etwa gegen höherrangige Zuständigkeitsregelungen verstoßen. Zwar sieht § 26 MOG vor, daß zuständig für die Durchführung von Rechtsverordnungen nach § 8 Abs.1 Nr.1 MOG die Bundesfinanzverwaltung ist. Diese Regelung wird durch das Bescheinigungsverfahren der MGVO aber nicht berührt; der entgegengesetzten Auffassung des FG München (Beschluß in EFG 1985, 618) folgt der Senat nicht. Auch die MGVO geht davon aus, daß die Festsetzung der Anlieferungs- Referenzmenge sowie die Festsetzung der Milchabgabe selbst den Behörden der Bundesfinanzverwaltung überlassen bleibt. Ihre Bescheinigungsregelung ist vergleichbar z.B. mit der Regelung der § 6b Abs.1 Satz 2 Nr.5, § 6d Abs.3 Nr.1 EStG. Dort sind ebenfalls bestimmte steuerrechtliche Entscheidungen an die materiell-rechtliche Voraussetzung der Vorlage von Bescheinigungen der obersten Wirtschaftsbehörden gebunden. Niemand ist bisher auf die Idee gekommen, darin einen Eingriff in die Kompetenzen der Finanzbehörden bei der Abgabenerhebung zu sehen.

cc) Schließlich geht der erkennende Senat bei summarischer Prüfung auch davon aus, daß die MGVO keine Rechtsmaterien betrifft, die grundsätzlich nur durch formelles Gesetz geregelt werden dürften. Die wesentlichen Entscheidungen für die Höhe und Erhebung der Milchabgabe sind durch Gemeinschaftsrecht getroffen worden. Die der Regelung des nationalen Verordnungsgebers überlassenen Materien sind nicht von der Bedeutung, daß sie der Regelung durch den Gesetzgeber selbst überlassen werden müßten.

c) Bedenken gegen die gemeinschaftsrechtliche und nationale Regelung der Milchabgabe werden auch unter den Gesichtspunkten des Gleichheitssatzes, der Verhältnismäßigkeit, der Freiheit der Berufswahl und der Eigentumsgarantie geäußert. Diese Einwendungen betreffen jedoch nicht die Grundsätze der Regelung. Die Abgabe ist nur zu bezahlen, wenn eine bestimmte Referenzmenge überschritten wird; diese entspricht grundsätzlich der um 4 % gekürzten, im Jahre 1983 gelieferten Milchmenge (vgl. § 4 Abs.1 und 2 MGVO). Darin allein ist bei summarischer Prüfung keine Abgabenregelung zu sehen, die Gleiches ungleich behandelt, unverhältnismäßig ist, "erdrosselt" oder die Freiheit der Berufswahl oder -ausübung in relevanter Weise beeinträchtigt (vgl. auch Urteil des Senats vom 26.Juni 1984 VII R 60/83, BFHE 141, 369, 385, Abschn.V und VI der Gründe).

Die geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken beziehen sich --was das FG München (Beschluß in EFG 1985, 618) verkannt hat-- allein auf den Bereich der Berücksichtigung besonderer Situationen (vgl. z.B. Art.3 VO Nr.857/84, § 6 MGVO). Über sie braucht der Senat im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden, da sie nur im Rahmen des Bescheinigungsverfahrens nach § 9 Abs.2 MGVO eine Rolle spielen können und im Fall eines Rechtsmittels gegen den entsprechenden Verwaltungsakt der zuständigen Landesstelle oder im Fall eines Antrags bei Gericht auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes der Entscheidung der Verwaltungsgerichte unterliegen. Das gilt auch im Falle einer mit höherrangigem Recht nicht vereinbaren Unvollständigkeit der gemeinschaftsrechtlichen oder nationalen Regelung der Sonderfälle (vgl. oben Nr.3 a, am Ende). An der Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 16.Januar 1985 bestehen jedenfalls auch dann keine ernstlichen Zweifel, wenn die genannten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Sonderfallregelungen begründet wären. Solange keine Härtefallbescheinigung der zuständigen Landesstelle vorliegt (oder nicht aufgrund der Entscheidung eines Verwaltungsgerichts im Rahmen der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes erteilt wird), ist die Nichtberücksichtigung eines Sonderfalles bei der Referenzmengenfestsetzung des HZA rechtmäßig.

++/ 4. Daß die Vollziehung des angefochtenen Bescheids auch keine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (§ 69 Abs.2 und 3 FGO), hat das FG ebenfalls zu Recht entschieden. Auf die Gründe der Vorentscheidung und auf die Ausführungen unter Nr.3 der vorliegenden Entscheidung weist der Senat hin (vgl. auch Beschluß des BFH vom 19.April 1968 IV B 3/66, BFHE 92, 314, BStBl II 1968, 538; Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 69 Anm.15). /++

 

Fundstellen

BFHE 145, 289

BFHE 1986, 289

HFR 1986, 249-251 (ST)

Information StW 1986, 255-255 (ST)

RIW/AWD 1986, 229-230 (ST)

ZfZ 1986, 149-152 (ST)

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Finance Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge