Leitsatz (amtlich)

In der stillschweigenden Entgegennahme der Mitteilung des Käufers (Molkerei) nach § 4 Abs. 5 Satz 2 der Milch-Garantiemengen-Verordnung durch das HZA ist ein Feststellungsbescheid zu sehen, durch den die Anlieferungs-Referenzmenge des Erzeugers (sog. Milchquote) entsprechend der Berechnung des Käufers hoheitlich festgesetzt wird.

 

Orientierungssatz

1. Begehrt ein Milcherzeuger, im Wege vorläufigen Rechtsschutzes eine höhere Milch-Referenzmenge festzustellen, so ist dieser Rechtsschutz durch Aussetzung der Vollziehung und nicht durch einstweilige Anordnung zu gewähren (Festhalten an BFH-Beschluß vom 17.12.1985 VII B 116/85).

2. Aussetzung der Vollziehung: Legt das FA als Antragsgegner Beschwerde gegen den Beschluß des FG ein, so kommt es für deren Zulässigkeit auf die materielle Beschwer an. Der Umstand, daß das FA in Wahrnehmung der öffentlichen Interessen tätig ist, muß dazu führen, daß jede durch die Vorentscheidung eingetretene materielle Verschlechterung der Rechtslage hinsichtlich des Verwaltungsakts das FA zur Einlegung des Rechtsmittels berechtigt (vgl. BFH-Beschluß vom 15.11.1971 GrS 7/70). Eine solche Beschwer im materiellen Sinn liegt wegen der unterschiedlichen Rechtskraftwirkung auch vor, wenn der Antrag als unzulässig anstatt als unbegründet abgelehnt worden ist (Lit.).

 

Normenkette

MilchGarMV § 4 Abs. 5 S. 2; FGO §§ 69, 114 Abs. 5

 

Tatbestand

I. Der Antragsteller, Beschwerdeführer und Beschwerdegegner (Antragsteller) ist Milcherzeuger. Mit Schreiben vom 8. Juni 1984 teilte ihm der Milchhof N (im folgenden: Molkerei) mit, daß für ihn eine Anlieferungs-Referenzmenge nach der Regelung der Milch-Garantiemengen-Verordnung (MGVO) in Höhe von 292 900 kg berechnet worden sei. Mit Bescheid vom 23. Oktober 1984 setzte der Antragsgegner, Beschwerdeführer und Beschwerdegegner (das Hauptzollamt –HZA–) die Vollziehung des Referenzmengenbescheids aus, bis über den bei der zuständigen Landesstelle gestellten Antrag des Antragstellers auf Anerkennung einer besonderen Situation entschieden worden sei; die Aussetzung bezog sich auf eine Milchmenge von 33 800 kg, deren Anerkennung der Antragsteller bei der Landesstelle beantragt hatte. Der gegen den Ablehnungsbescheid vom 19. September 1984 der Landwirtschaftskammer W eingelegte Widerspruch des Antragstellers blieb erfolglos, ebenso die Klage beim Verwaltungsgericht (VG). Mit Bescheid vom 24. Januar 1985 widerrief das HZA die Aussetzung der Vollziehung.

Seinen beim Finanzgericht (FG) gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung begründete der Antragsteller im wesentlichen wie folgt: Die Referenzmenge von 292 900 kg entspreche einer Kuhzahl von ca. 45 Kühen. 1982/83 habe er Investitionen in Höhe von rd. 145 000 DM vorgenommen zur Erhöhung der Kuhzahl von 50 auf 70, damit der Betrieb demnächst außer seiner eigenen Familie mit drei Kindern auch die seines ältesten Sohnes erhalten könne. Wenn die MGVO auf derartige Investitionen keine Rücksicht nehme, sei sie verfassungswidrig. Der Antragsteller stellte vor dem FG den Antrag, die Vollziehung auszusetzen für das Milchwirtschaftsjahr 1984/85 für eine Milchmenge von 29 234 kg, für das Milchwirtschaftsjahr 1985/86 für eine Zielmenge von 415 100 kg.

Das FG lehnte den Antrag mit folgender Begründung ab:

Der Finanzrechtsweg sei nicht gegeben, wenn der Milcherzeuger die Festsetzung einer höheren Referenzmenge ausschließlich damit begründe, es liege eine besondere Situation vor und er sei ein Härtefall. In solchen Fällen bedürfe es der Vorlage einer Bescheinigung nach § 9 Abs. 2 MGVO. Bei dieser Bescheinigung handle es sich um einen besonderen Verwaltungsakt, der selbständig anfechtbar sei. Für die Anerkennung als Härtefall durch Erteilung der Bescheinigung der zuständigen Stelle sei der Finanzrechtsweg nicht gegeben. § 33 Abs. 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) scheide als Zuweisungsnorm aus, da die zuständige Landesstelle keine Bundes- oder Landesfinanzbehörde sei. Eine Zuständigkeit der FG ergebe sich auch nicht aus § 33 Abs. 1 Nr. 4 FGO i.V.m. § 29 Abs. 1 des Gesetzes zur Durchführung der gemeinsamen Marktorganisation (MOG). Denn es handle sich bei der Ausstellung der Bescheinigung nicht um eine Abgabenangelegenheit. Zwar gehe es im vorliegenden Verfahren nicht um die Erteilung der Bescheinigung, sondern um die vorläufige Heraufsetzung der Referenzmenge bzw. die Aussetzung der Beschränkung der Referenzmenge. Materiell-rechtlich begehre der Antragsteller aber damit eine vorläufige Anerkennung als Härtefall, für die das VG zuständig und bei dem der entsprechende Rechtsstreit auch bereits anhängig sei.

Erachte man den Finanzrechtsweg für gegeben, so fehle es an einem vollziehbaren Verwaltungsakt, der ausgesetzt werden könnte. Einen solchen Verwaltungsakt stelle weder die Mitteilung der Referenzmenge durch die Molkerei an den Milcherzeuger (§ 4 Abs. 5 Satz 1 MGVO) noch die Mitteilung der Summe der Referenzmenge an das für den Betrieb des Käufers zuständige HZA (§ 4 Abs. 5 Satz 2 MGVO) dar. Die Molkerei sei keine Behörde und auch kein beliehenes Unternehmen im Sinne der Verwaltungsrechtslehre. Der Auffassung des Bundesfinanzhofs (BFH) im Beschluß vom 26. März 1985 VII B 12/85 (BFHE 142, 534, BStBl II 1985, 258) vermöge das FG nicht zu folgen.

Auch aus sonstigen Gründen komme eine Aussetzung der Vollziehung nicht in Betracht, da keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit bestünden. Es spreche keine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, daß ein Härtefall anzuerkennen sei und der Antragsteller einen Anspruch auf Erteilung einer entsprechenden Bescheinigung durch die zuständige Landesstelle habe. Insofern werde auf die im Widerspruchsbescheid der Landwirtschaftskammer dargelegten Gründe Bezug genommen.

Das FG hat die Beschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage des Rechtswegs zugelassen.

Gegen diesen Beschluß haben beide Beteiligten selbständige Beschwerden eingelegt.

Der Antragsteller begründet seine Beschwerde wie folgt: Sein Vertrauen in die Fortgeltung des alten Rechts sei schützenswert. Die Investitionen in die Milchviehhaltung seien selbstverständlich im Hinblick darauf erfolgt, daß eine Ausweitung der Milchlieferung vorgenommen werden könne. Dieses Vertrauen müsse in der Zubilligung einer höheren Anlieferungs-Referenzmenge seinen Niederschlag finden. Alles andere verstoße gegen Art. 3, 12, 14 des Grundgesetzes (GG). Die Tatsache, daß das VG ein Vorliegen des Tatbestands des § 6 MGVO verneine, spreche dafür, daß im vorliegenden Fall der Finanzrechtsweg gegeben sei.

Der Antragsteller beantragt wie in erster Instanz „die Aussetzung der Vollziehung der Referenzmengenfeststellung für das Milchwirtschaftsjahr 1984/85 für eine Milchmenge von 29 234 kg” und für das Milchwirtschaftsjahr 1985/86 „bis zu einer Zielmenge von 415 100 kg”. Hilfsweise möchte er dasselbe Ziel, ausgedehnt auch auf die folgenden Milchwirtschaftsjahre, im Wege einer einstweiligen Anordnung erreichen.

Das HZA begründet seine Beschwerde wie folgt:

Die Beschwerde sei zulässig. Die Beschwer ergebe sich daraus, daß das FG den Antrag des Antragstellers wegen sachlicher Unzuständigkeit als unzulässig zurückgewiesen habe, obwohl es, das HZA, die Zurückweisung aus materiell-rechtlichen Gründen begehrt habe (vgl. Beschluß des Großen Senats des BFH vom 15. November 1971 GrS 7/70, BFHE 103, 456, BStBl II 1972, 120). Hinzu komme, daß das FG in der Mitteilung nach § 4 Abs. 5 Satz 2 MGVO keine verbindliche Regelung im Sinne eines Verwaltungsaktes sehe. Die Verwaltungsakteigenschaft dieser Mitteilung bilde aber einen wesentlichen Bestandteil der Milchgarantiemengenregelung. Ohne diese Konstruktion sei die Erhebung der Abgabe nach der MGVO (im folgenden: Milchabgabe) in der Praxis nicht mehr mit angemessenem Verwaltungsaufwand durchführbar. Auch dadurch sei das HZA beschwert. Denn das Vorliegen eines Verwaltungsaktes sei Voraussetzung für die vom HZA begehrte Sachentscheidung.

Die Beschwerde sei auch begründet. Der Finanzrechtsweg sei nach § 33 Abs. 1 Nr. 4 FGO i.V.m. § 29 Abs. 1 Satz 1 MOG gegeben. Die Festsetzung der Referenzmenge und die Erhebung der Abgabe stünden in einem so engen Zusammenhang, daß eine Streitigkeit über die Festsetzung der Referenzmenge als eine solche über „Abgaben im Rahmen von Produktionsregelungen” i.S. von § 29 Abs. 1 Satz 1 MOG anzusehen sei. Welche materiell-rechtlichen Fragen im Rahmen dieser abgabenrechtlichen Streitigkeit zu behandeln seien, sei für die Zuweisung des Rechtswegs ohne Bedeutung. Für diese Auslegung sprächen auch zwingende verwaltungsökonomische Gründe.

Der Antrag sei jedoch als unbegründet zurückzuweisen. Ein vollziehbarer Verwaltungsakt liege vor. Dieser sei darin zu sehen, daß mit der Mitteilung der Summe der Referenzmengen durch die Molkerei an das zuständige HZA die Referenzmengen der einzelnen Milcherzeuger als festgesetzt gälten (§ 8 Abs. 2 MOG i.V.m. § 181 Abs. 1 Satz 1 der AbgabenordnungAO 1977–). Dabei sei unerheblich, daß die Anmeldung in einer Gesamtsumme und nicht von den einzelnen Betroffenen selbst abgegeben werde, wie die Parallele zur rechtsähnlichen Anmeldung der einbehaltenen Lohnsteuer durch den Arbeitgeber nach § 41a des Einkommensteuergesetzes (EStG) deutlich zeige. Im Interesse eines wirksamen Rechtsschutzes für den Milcherzeuger i.S. des Art. 19 Abs. 4 GG sollte bereits im Stadium der Feststellung der Produktionsquote eine Rechtsbehelfsmöglichkeit gegeben sein. Mit dem FG sei davon auszugehen, daß keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Referenzmengenfestsetzung bestünden. Insoweit werde auf die im Widerspruchsbescheid dargelegten Gründe Bezug genommen.

Das HZA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und den Antrag als unbegründet zurückzuweisen, vorsorglich hilfsweise, den Hilfsantrag des Antragstellers auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung als unbegründet zurückzuweisen.

Der Antragsteller beantragt, die Beschwerde des HZA zurückzuweisen. Zur Begründung führt er aus, es fehle ein Rechtsschutzbedürfnis für die Beschwerde.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Beschwerde des HZA hat Erfolg. Sie führt in Abänderung der Vorentscheidung dazu, daß der Antrag als unbegründet abgewiesen wird. Die Beschwerde des Antragstellers ist nicht begründet.

1. Die Beschwerde des HZA ist zulässig.

Wie für jedes Rechtsmittel ist auch bei der Beschwerde das Vorliegen einer Beschwer Voraussetzung für die Zulässigkeit. Legt, wie im vorliegenden Fall, das HZA als Antragsgegner Beschwerde ein, so kommt es auf die materielle Beschwer an. Wie der Große Senat des BFH ausgeführt hat (BFHE 103, 456, BStBl II 1972, 120), muß der Umstand, daß das Finanzamt (FA) in Wahrnehmung der öffentlichen Interessen tätig ist, dazu führen, daß jede durch die Vorentscheidung eingetretene materielle Verschlechterung der Rechtslage hinsichtlich des Verwaltungsakts das FA zur Einlegung des Rechtsmittels berechtigt. Eine solche Beschwer im materiellen Sinn liegt wegen der unterschiedlichen Rechtskraftwirkung auch vor, wenn, wie im vorliegenden Fall, der Antrag als unzulässig, anstatt als unbegründet abgelehnt worden ist (vgl. Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 118 Anm. 3; Eyermann/Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 8. Aufl., § 124 Anm. 4, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung, insbesondere des Bundesverwaltungsgerichts –BVerwG–).

Auch die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig.

2. Im Gegensatz zur Auffassung des FG ist im vorliegenden Fall der Finanzrechtsweg gegeben (vgl. Beschlüsse des Senats in BFHE 142, 534, BStBl II 1985, 258, und vom 17. Dezember 1985 VII B 116/85, BFHE 145, 289; Voss, Finanz- oder Verwaltungsrechtsweg gegen Festsetzung der Milch-Referenzmengen?, Recht der internationalen Wirtschaft/Außenwirtschaftsdienst des Betriebs- Beraters –RIW/AWD– 1985, 822, und Die Milch-Garantiemengen-Verordnung, RIW/AWD 1985, 870, 872; anderer Ansicht Kaiser- Plessow in einer Anmerkung zum zitierten BFH-Beschluß VII B 12/85 in RIW/AWD 1985, 667).

Für die Aussetzung der Vollziehung ist nach § 69 Abs. 3 FGO das Gericht der Hauptsache zuständig. Als Gericht der Hauptsache kann ein FG nur angesehen werden, wenn für die Hauptsache der Finanzrechtsweg eröffnet ist. Das ist hier der Fall.

Für die Frage des Rechtswegs ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH auf die Rechtsnatur des Klagebegehrens abzustellen, wie sie sich aus dem dem Antrag zugrunde liegenden Sachverhalt ergibt. In der Hauptsache trägt der Antragsteller vor, das HZA habe die für ihn festzustellende Anlieferungs-Referenzmenge im Sinne der MGVO unrichtig festgestellt. Nach diesem Klagebegehren ist der Finanzrechtsweg gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 4 FGO i.V.m. § 29 Abs. 1 Satz 1 MOG gegeben.

Nach § 29 Abs. 1 Satz 1 MOG ist der Finanzrechtsweg eröffnet in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten u.a. über „Abgaben im Rahmen von Produktionsregelungen”. Die Milchabgabe ist eingeführt worden, um der strukturellen Überschüsse bei den Milcherzeugnissen Herr zu werden (vgl. Absätze 1 und 4 der Erwägungsgründe der Verordnung (EWG) Nr. 856/84 –VO Nr. 856/84– des Rates vom 31. März 1984, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften –ABlEG– L 90/10 vom 1. April 1984). Die Milchabgabe dient somit der Regulierung der Milcherzeugung, ist also eindeutig eine „Abgabe im Rahmen von Produktionsregelungen” i.S. des § 29 Abs. 1 Satz 1 MOG.

Im vorliegenden Fall geht es zwar nicht um die Milchabgabe als solche, sondern um die Feststellung der Anlieferungs-Referenzmenge im Sinne der MGVO. Diese Referenzmenge ist nach § 3 MGVO die maßgebende Grundlage für die Festsetzung der Milchabgabe. Die Referenzmengenfeststellung ist daher nach § 8 Abs. 2 MOG i.V.m. § 179 AO 1977 ein Feststellungsbescheid über eine Besteuerungsgrundlage für die Milchabgabe (Grundlagenbescheid i.S. des § 171 Abs. 10 AO 1977). Diesem Grundlagenbescheid kommt Bindungswirkung für den Bescheid zu, durch den die Milchabgabe festgesetzt wird (Folgebescheid; vgl. § 8 Abs. 2 MOG i.V.m. § 182 Abs. 1 AO 1977). Ein Bescheid über eine Referenzmengenfeststellung ist somit als ein (Grundlagen-)Bescheid über eine Abgabe im Rahmen von Produktionsabgaben i.S. des § 29 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 MOG anzusehen. Die Regelung des § 29 Abs. 4 MOG spricht dafür, daß der Gesetzgeber gerade auch für solche Grundlagenbescheide den Finanzrechtsweg eröffnen wollte (BFHE 142, 534, BStBl II 1985, 258).

Das FG beruft sich für seine gegenteilige Auffassung darauf, daß der Antragsteller materiell-rechtlich die vorläufige Anerkennung als Härtefall begehre und daher die VG zuständig seien. Es verkennt dabei, daß es für die Frage der Rechtswegzuweisung allein auf die Rechtsnatur des Begehrens des Antragstellers ankommt. Der Antragsteller aber begehrt im zum vorliegenden Verfahren gehörigen Hauptsacheverfahren gerade nicht die Erteilung einer Bescheinigung i.S. des § 9 Abs. 2 MGVO, sondern er möchte wegen eines Härtefalls oder aufgrund einer besonderen Situation eine dementsprechende höhere Referenzmenge festgestellt haben. Materiell-rechtlich kann der Antragsteller eine solche Referenzmengenfeststellung in der Tat nur erreichen, indem er eine entsprechende Bescheinigung der zuständigen Landesstelle vorlegt (§ 9 Abs. 2, § 10 Abs. 3 MGVO). Auch ist für Streitigkeiten über die Entscheidung der zuständigen Landesstelle im Bescheinigungsverfahren nach § 9 Abs. 2 MGVO der Verwaltungsrechtsweg gegeben (vgl. Beschluß des Senats in BFHE 145, 289). Die Frage aber, welcher Rechtsweg gegeben ist, entscheidet sich nicht danach, welcher Art die zu lösenden materiell-rechtlichen Vorfragen sind. Entscheidend ist vielmehr, wie ausgeführt, die Rechtsnatur des Begehrens; und dieses richtet sich auf die Erteilung eines Grundlagenbescheids i.S. des § 171 Abs. 10 AO 1977 mit bestimmtem Gehalt und ist daher eine Abgabenangelegenheit.

3. Der Antragsteller begehrt, im Wege vorläufigen Rechtsschutzes eine höhere als die bisher festgestellte Referenzmenge festzustellen. Wie der Senat im Beschluß in BFHE 145, 289 entschieden hat, ist in einem solchen Fall Rechtsschutz durch Aussetzung der Vollziehung und nicht durch einstweilige Anordnung zu gewähren. Der Senat hält an dieser Auffassung fest und verweist auf die Gründe des zitierten Beschlusses. Auch das FG ist in der Vorentscheidung von dieser Auffassung ausgegangen.

4. Die Aussetzung der Vollziehung setzt das Vorliegen eines Verwaltungsakts voraus. Entgegen der Auffassung des FG ist hier ein solcher gegeben. Zwar ist, wie das FG zu Recht entschieden hat, die Mitteilung der Molkerei über die Referenzmengenberechnung an den Antragsteller (§ 4 Abs. 5 Satz 1 MGVO) kein Verwaltungsakt. Dagegen liegt in der stillschweigenden Entgegennahme der Mitteilung des Käufers nach § 4 Abs. 5 Satz 2 MGVO durch das HZA ein die Feststellung der Referenzmenge umfassender Verwaltungsakt, der der Aussetzung der Vollziehung fähig ist (vgl. BFHE 142, 534, BStBl II 1985, 258). Das ergibt sich aus den folgenden Erwägungen.

Die Referenzmenge ist die maßgebliche Grundlage für die (etwaige) Erhebung der Milchabgabe. Die Regelung der MGVO macht deutlich, daß der Festsetzung der Milchabgabe stets die gesonderte Feststellung der wesentlichen Besteuerungsgrundlage, nämlich der Referenzmenge (sog. Milchquote), vorauszugehen hat (die, wie ausgeführt, ein Grundlagenbescheid i.S. des § 171 Abs. 10 AO 1977 ist; vgl. auch § 179 Abs. 1 AO 1977). Für den Normalfall berechnet der Käufer –in der Regel die Molkerei (Molkerei)– die Referenzmenge und teilt sie dem Erzeuger und dem HZA mit (§ 4 Abs. 5 MGVO). Der Erzeuger kann eine Neuberechnung beim Käufer beantragen, die, wenn sie durchgeführt wird, ebenfalls dem Erzeuger und dem HZA mitzuteilen ist (§ 10 Abs. 1 MGVO). Bei Ablehnung der Neuberechnung nach § 10 Abs. 1 MGVO kann auf Antrag des Erzeugers das HZA die Referenzmenge neu festsetzen (§ 10 Abs. 3 MGVO). Entsprechendes gilt für den Direktverkäufer (§ 14 MGVO).

Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß eine Verfügung des HZA nach § 10 Abs. 3 MGVO ein Steuerverwaltungsakt (Grundlagenbescheid) ist (Senatsbeschluß in BFHE 145, 289). Diese Verselbständigung der Feststellung der Besteuerungsgrundlage ist aber nur sinnvoll, wenn auch in allen übrigen Fällen (§ 4, § 10 Abs. 1, § 14 MGVO) ein entsprechender Grundlagenbescheid zustande kommen soll. Dafür, daß dies der Absicht des Verordnungsgebers Rechnung trägt, spricht auch die Tatsache, daß nach der MGVO der Käufer die berechneten Referenzmengen dem zuständigen HZA mitzuteilen hat. Diese Mitteilung kann nur den Sinn haben, als Grundlage für eine entsprechende Feststellung der Milchquote durch das HZA zu dienen. Zudem entspricht es der zentralen Bedeutung der Milchquote für die Festsetzung der Milchabgabe, daß diese Quote durch Grundlagenbescheid festgesetzt wird, da nur dadurch sichergestellt wird, daß dem Milcherzeuger bereits in diesem Stadium des Verfahrens eine Rechtsschutzmöglichkeit eröffnet wird.

Die MGVO geht demnach davon aus, daß die Entgegennahme der Mitteilung des Käufers über die Referenzmengenberechnung dem Erlaß eines entsprechenden Grundlagenbescheids durch das HZA gleichzusetzen ist. Rechtlich wäre das freilich ohne Bedeutung, wenn auf diese Weise ein Verwaltungsakt nicht zustande kommen könnte. Denn nicht die MGVO, sondern nur die Behörde kann einen Verwaltungsakt erlassen. In der stillschweigenden Entgegennahme der Mitteilung des Käufers über die berechnete Referenzmenge ist aber unter den besonderen Voraussetzungen der Regelung der MGVO ein Handeln der Behörde zu sehen, das den Begriff des Verwaltungsakts erfüllt.

Nach § 118 AO 1977 ist ein Verwaltungsakt jede hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist (vgl. auch § 35 des Verwaltungsverfahrensgesetzes –VwVfG–). Eine Maßnahme in diesem Sinne ist jedes willentliche Verhalten eines Amtsträgers (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 11. Aufl., § 118 AO 1977 Anm. 4). Diese Maßnahme bedarf grundsätzlich keiner besonderen Form (vgl. aber die Ausnahme des § 157 Abs. 1 AO 1977 und die Ausführungen dazu weiter unten). Verwaltungsakte können also auch in einem konkludenten Verhalten zu sehen sein (vgl. Kopp, Verwaltungsverfahrensgesetz, 3. Aufl., § 35 Anm. 9; BFH-Urteil vom 1. März 1974 VI R 253/70, BFHE 111, 457, BStBl II 1974, 369; Urteil des BVerwG vom 26. Juni 1964 VII C 6.64, BVerwGE 19, 68, 69), während Untätigkeit oder bloßes Schweigen im Regelfall nicht genügt (Kopp, a.a.O., Anm. 11; Stelkens/Bonk/Leonhardt, Verwaltungsverfahrensgesetz, 2. Aufl., § 35 Anm. 55). Im Ergebnis anders kann es aber sein, wenn durch Rechtsnorm das Schweigen wie ein Verwaltungsakt gewertet wird (Stelkens/Bonk/Leonhardt, a.a.O., unter Hinweis z.B. auf § 19 Abs. 3 des Bundesbaugesetzes).

So aber ist es im vorliegenden Fall. Wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt, wertet die MGVO das Schweigen des HZA auf die Mitteilung des Käufers nach § 4 Abs. 5 Satz 2 MGVO als eine hoheitliche Maßnahme, durch die das HZA mit Wirkung gegenüber dem jeweiligen Milcherzeuger die Milchquote entsprechend der Berechnung des Käufers festsetzt, d.h. durch eine hoheitliche Maßnahme einen Einzelfall auf dem Gebiet des Abgabenrechts mit Rechtswirkungen nach außen regelt (§ 118 Abs. 1 AO 1977). Daran ändert auch der Umstand nichts, daß dem HZA nach § 4 Abs. 5 Satz 2 MGVO nur die Summe der Referenzmengen mitgeteilt wird (s. auch die entsprechende Regelung des § 41a Abs. 1 Nr. 1 EStG für das Lohnsteuerabzugsverfahren; BFHE 143, 523, 526, BStBl II 1985, 553). Auch ohne Kenntnis der den Einzelfall betreffenden Zahlen entspricht es –im Einklang mit der geschilderten Regelung der MGVO– dem Willen des zuständigen HZA, daß mit Entgegennahme der Mitteilung nach § 4 Abs. 5 Satz 2 MGVO ein Feststellungsbescheid (Grundlagenbescheid) mit einer der Berechnung des Käufers entsprechenden Referenzmenge gegenüber dem jeweiligen Milcherzeuger zustande kommt. Im vorliegenden Fall wird das auch dadurch deutlich, daß das HZA mit Bescheid vom 23. Oktober 1984 die Vollziehung dieser Referenzmengenfeststellung ausdrücklich ausgesetzt und später mit Bescheid vom 24. Januar 1985 diese Aussetzung wieder widerrufen hat. Das HZA ging also davon aus, daß es gegenüber dem Antragsteller einen Referenzmengenfeststellungsbescheid mit dem Inhalt, der sich aus der Berechnung des Käufers ergibt, erlassen hat.

Auf einen Feststellungsbescheid finden die Vorschriften über Steuerfestsetzungen entsprechende Anwendung (§ 181 Abs. 1 AO 1977). Auch ein Feststellungsbescheid muß daher in Form und Inhalt den an einen Steuerbescheid zu stellenden Anforderungen genügen. Das gilt nach § 8 Abs. 2 MOG entsprechend auch für Referenzmengenfeststellungsbescheide. Nach § 157 Abs. 1 AO 1977 sind Steuerbescheide schriftlich zu erteilen, soweit nichts anderes bestimmt ist. Aus der Regelung der MGVO in der oben dargelegten Auslegung des Senats ergibt sich, daß für Referenzmengenfeststellungsbescheide, soweit sie aufgrund der Mitteilung des § 4 Abs. 5 Satz 2 MGVO ergangen sind, etwas anderes bestimmt ist. Dem § 4 Abs. 5 Satz 2 MGVO ist zu entnehmen, daß diese Referenzmengenfeststellungsbescheide nicht schriftlich zu ergehen brauchen. Für die Richtigkeit dieser Auffassung spricht auch, daß § 157 Abs. 1 AO 1977 nach § 8 Abs. 2 MOG nur entsprechend auf die Milchquotenregelung anzuwenden ist.

Der gegenteiligen Auffassung der Vorentscheidung, des FG Hamburg (Beschluß vom 16. August 1985 IV 133/85 S-H (Entscheidungen der Finanzgerichte –EFG– 1985, 567) und des FG München (Beschluß vom 10. September 1985 III 47/85 AusZ, eA, EFG 1985, 618; vgl. auch Voss in RIW/AWD 1985, 822, 823 und 870, 871) folgt demnach der erkennende Senat nicht. Zu Unrecht beruft sich das FG Hamburg auf § 168 AO 1977. In der Tat sind die Tatbestandsmerkmale dieser Vorschrift im Falle des § 4 Abs. 5 Satz 2 MGVO nicht erfüllt, weil die Mitteilung des Käufers an das HZA nicht ohne weiteres einer Anmeldung durch den Steuerpflichtigen gleichgeachtet werden kann. Aber § 168 AO 1977 schließt nicht aus, daß ein Steuerverwaltungsakt auf andere Weise zustande kommt. Insbesondere bleibt die Regelung des § 118 AO 1977 unberührt. Es ist zwar richtig, daß aus einer Unterlassung der Behörde im allgemeinen kein Regelungszweck geschlossen werden kann, kein „beredtes Schweigen”, und daher in ihrem bloßen Schweigen auf einen Antrag in der Regel kein stillschweigender Verwaltungsakt zu erblicken ist (vgl. Tipke/Kruse, a.a.O., § 118 AO 1977 Anm. 6). Aber das gilt nur für den Regelfall und schließt etwas anderes in Ausnahmefällen nicht aus. Als ein solcher Ausnahmefall ist, wie bemerkt, das stillschweigende bzw. konkludente Handeln des HZA auf die Mitteilung nach § 4 Abs. 5 Satz 2 MGVO anzusehen.

Für die Richtigkeit der Auffassung des Senats sprechen schließlich auch noch Gesichtspunkte des Rechtsschutzes und der Verwaltungsökonomie. Bei der zentralen Bedeutung, der, wie bereits ausgeführt, im Rahmen der Milchquotenregelung der Festsetzung der Referenzmenge zukommt, erscheint es zwingend, diese Quote möglichst frühzeitig und möglichst in einer durch Rechtsbehelfe angreifbaren Form festzusetzen und damit nicht zuzuwarten, bis die Milchabgabe selbst festgesetzt werden kann. Dieses Ziel verfolgte offensichtlich die MGVO. Es hätte zwar dadurch erreicht werden können, daß dem zuständigen HZA auferlegt wird, diese Feststellung in jedem Einzelfall durch Grundlagenbescheid zu treffen. Bei der großen Anzahl der Milcherzeuger und Molkereien (nach Mitteilung des HZA ca. 380 000 Milcherzeuger und etwa 750 Molkereien) hätte das aber zu einem unvertretbaren Verwaltungsaufwand geführt. Deswegen und in Anbetracht der Tatsache, daß die Molkereien im Regelfall über die erforderlichen Daten verfügten und sie die Referenzmenge auf relativ einfache Weise berechnen konnten, drängte sich dem Verordnungsgeber eine Regelung auf, wie er sie in der MGVO getroffen hat. Das gilt um so mehr, als er davon ausgehen konnte, daß es im Regelfall bei dieser Berechnung sein Bewenden haben würde (was die Praxis auch bestätigt hat).

5. Nach § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO soll das FG auf Antrag die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegend öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Zur Begründung verweist der Senat auf die Nr. 3 der Begründung seines Beschlusses in BFHE 145, 289.

 

Fundstellen

BFHE 146, 188

BFHE 1986, 188

DB 1986, 1708-1708 (S)

DStR 1987, 57-59 (ST)

HFR 1986, 420-420 (ST)

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