Entscheidungsstichwort (Thema)

Abweichung der Entscheidungsausfertigungen von der Urschrift

 

Leitsatz (NV)

Eine offenbare Unrichtigkeit i. S. von § 107 Abs. 1 FGO liegt nicht vor, wenn ein Versehen des Schreibdienstes des Gerichts dazu führt, daß die Entscheidungsausfertigungen nicht mit der Urschrift der gerichtlichen Entscheidung übereinstimmen. Das Kanzleiversehen ist vom Urkundsbeamten der Geschäftsstelle richtigzustellen.

 

Normenkette

FGO § 107; ZPO § 113

 

Tatbestand

Die Anträge des Antragstellers und Beschwerdeführers (Antragsteller) auf Aussetzung der Vollziehung der Einkommensteuer-, Umsatzsteuer- und Gewerbesteuermeßbescheide für das Streitjahr wurden vom Antragsgegner und Beschwerdegegner (Finanzamt -- FA --) abgelehnt. Auch ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung beim Finanzgericht (FG) blieb ohne Erfolg.

Das FG führte in dem Beschluß vom 6. Februar 1995 weder in der Beschlußformel noch in den Gründen aus, daß es die Beschwerde gegen seinen Beschluß zuläßt. In der Urschrift wies es auf die Unanfechtbarkeit des Beschlusses hin. Durch ein Versehen des Schreibdienstes des FG wurde den Beschlußausfertigungen, auch der am 10. Februar 1995 dem Antragsteller zugestellten Ausfertigung, eine Rechtsmittelbelehrung beigefügt, nach der den Beteiligten gegen den Beschluß die Beschwerde an den Bundesfinanzhof (BFH) zustehe. Mit dem am 21. Februar 1995 eingegangenen Telefax hat der Antragsteller gegen den Beschluß des FG Beschwerde erhoben, der das FG nicht abgeholfen hat.

Mit Beschluß vom 27. Februar 1995 berichtigte das FG seinen Beschluß vom 6. Februar 1995 dahingehend, daß die Rechtsmittelbelehrung lautet: "Dieser Beschluß ist unanfechtbar." Das FG führte aus, es liege ein offenkundiger Schreibfehler vor, da gemäß § 128 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gegen die Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung die Beschwerde nur bei ausdrücklicher Zulassung gegeben sei, der Beschluß aber weder im Tenor noch in den Gründen eine Zulassung enthalte.

Mit der hiergegen erhobenen Beschwerde, der das FG nicht abgeholfen hat, trägt der Antragsteller vor, durch die den Beschlußausfertigungen beigefügte Rechtsmittelbelehrung sei die Beschwerde zugelassen worden. Die Zulassung der Beschwerde müsse nicht im Tenor oder in den Gründen zum Ausdruck kommen. Der Schreibfehler sei daher nicht offenkundig. Die Berichtigung des Beschlusses verstoße auch gegen Treu und Glauben, da er, der Antragsteller, auf den Inhalt des ergangenen Beschlusses vertraut habe.

Der Antragsteller beantragt, den Beschluß des FG vom 27. Februar 1995 aufzuheben und die Beschwerde zuzulassen.

Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde hat Erfolg.

1. Die gegen den Berichtigungsbeschluß gerichtete Beschwerde ist zulässig und begründet.

Der Antragsteller geht davon aus, im Streitfall seien die Voraussetzungen für eine Berichtigung des Beschlusses des FG vom 6. Februar 1995 nicht gegeben. Mit der Aufhebung des Berichtigungsbeschlusses vom 27. Februar 1995 verbleibe es daher bei der Zulassung der Beschwerde gegen den Beschluß vom 6. Februar 1995 aufgrund der den Beschlußausfertigungen beigefügten Rechtsmittelbelehrung. Der Antragsteller macht damit eine hinreichende Beschwer durch den Berichtigungsbeschluß geltend (vgl. auch BFH-Beschluß vom 18. Juni 1986 V S 5/86, BFH/NV 1986, 621).

Entgegen der Rechtsauffassung des FG ist das im Streitfall unterlaufene Kanzleiversehen nicht nach § 113 Abs. 1 i. V. m. § 107 FGO zu korrigieren. Ein Schreib- oder Rechenfehler bzw. eine ähnliche offenbare Unrichtigkeit i. S. von § 107 Abs. 1 FGO liegt nur vor, wenn es sich um ein Versehen handelt, durch das das wirklich Gewollte nicht zum Ausdruck gelangt. Ziel der Berichtigung nach § 107 FGO kann deshalb nur sein, den erklärten mit dem gewollten Inhalt eines Urteils oder eines Beschlusses in Einklang zu bringen (BFH-Beschluß vom 29. Juni 1992 V B 84/91, BFH/NV 1993, 251). Eine solche Fallgestaltung liegt hier nicht vor. Denn die der in den FG-Akten befindlichen Urschrift des Beschlusses des FG vom 6. Februar 1995 beigefügte und mit dem Beschluß von den beteiligten Richtern unterschriebene Rechtsmittelbelehrung enthält durch Kennzeichnung an der betreffenden Stelle des verwandten Vordrucks einen eindeutigen Hinweis auf die Unanfechtbarkeit des Beschlusses. Es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß das FG -- entgegen seiner in der Urschrift der Entscheidung dokumentierten Beschlußfassung -- die Rechtsmittelbelehrung hätte erteilen wollen, daß gegen seine Entscheidung die Beschwerde gegeben ist. Somit liegt keine Abweichung des erklärten Willens des Gerichts von dem wirklich gewollten Inhalt des Beschlusses vor. Der dem Schreibdienst des FG unterlaufene Fehler haftet nur den Ausfertigungen, nicht aber der Urschrift des Beschlusses an. Ein solches Versehen fällt nicht unter § 107 Abs. 1 FGO. Es ist vom Urkundsbeamten der Geschäftsstelle nach § 155 FGO i. V. m. § 317 Abs. 3 der Zivilprozeßordnung richtigzustellen (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 107 Anm. 1; Tipke/Kruse, Abgabenordnung -- Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl., § 107 FGO Tz. 1 a; BFH- Urteil vom 19. Februar 1991 VIII R 8/86, BFH/NV 1992, 175).

2. Soweit der Antragsteller in dem vorliegenden Verfahren ferner die Zulassung der Beschwerde beantragt, mißt der Senat diesem Begehren keine selbständige Bedeutung bei. Der Antragsteller sieht, wie sich aus dem Beschwerdeverfahren III B 47/95 ergibt, die Beschwerde bereits aufgrund der den Beschlußausfertigungen beigefügten Rechtsmittelbelehrung als gegeben an. Nach Ergehen des Beschlusses hat das FG aber keine Möglichkeit mehr, die Beschwerde zuzulassen, sofern es sich nicht -- anders als hier -- um ein Versehen handelt, das zu einer Berichtigung des Beschlusses wegen einer offenbaren Unrichtigkeit nach § 107 FGO berechtigt. Gegen die Nichtzulassung der Beschwerde ist ein Rechtsmittel nicht gegeben (BFH-Beschluß vom 23. Juni 1987 VIII B 212/86, BFHE 150, 114, BStBl II 1987, 635).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 135 Abs. 1, 143 FGO. Im Unterschied zu dem zur Instanz gehörenden Berichtigungsverfahren ist das Beschwerdeverfahren kostenpflichtig (BFH-Beschluß vom 24. November 1993 IV B 35/93, BFH/NV 1994, 730).

 

Fundstellen

Haufe-Index 421302

BFH/NV 1996, 754

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