Entscheidungsstichwort (Thema)

Zolltarifirrtum und Absehen von der Nacherhebung

 

Leitsatz (NV)

1. Bei statthafter und auch im übrigen zulässiger Revision gegen ein Urteil in Zolltarifsachen unterliegt auf die Sachrüge des Revisionsklägers hin der gesamte Gegenstand des angefochtenen Urteils und nicht nur dessen zolltariflicher Teil der Überprüfung durch das Revisionsgericht.

2. Zur Auslegung des Begriffs "sonst zerkleinert" im Sinne der Unterposition 0904 20 KN (Vorabentscheidungsurteil des EuGH vom 9. Dezember 1997 Rs. C-143/96, EuGHE 1997, I-7039 -- getrockneter Gemüsepaprika --).

3. Die Nichteinholung einer verbindlichen Zolltarifauskunft kann dem Beteiligten nicht als Verstoß gegen die erforderliche Sorgfalt zur Last gelegt und schon daraus gefolgert werden, er hätte den Tarifirrtum der Zollbehörde erkennen müssen, wenn die unzutreffende Tarifauffassung des Beteiligten zuvor in einem förmlichen Erstattungsverfahren von der Zollbehörde bestätigt worden war.

4. Bei befundgerechter Zolltarifanmeldung kann dem Anspruch des gutgläubigen Beteiligten auf Absehen von der Nacherhebung allein die Tatsache, daß sich die angemeldete Zolltarifnummer letztlich durch eine Entscheidung des EuGH als unzutreffend erwiesen hat, nicht entgegengehalten werden.

 

Normenkette

KN 1989/1990 Unterpos. 0904 20 10, 0904 20 90; NacherhebungsVO Art. 5 Abs. 2; FGO § 96 Abs. 1 S. 3, § 116 Abs. 2, § 118 Abs. 3 S. 2

 

Tatbestand

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) entnahm in der Zeit von Juni 1989 bis November 1990 aus ihrem Zollager verschiedene Partien von getrocknetem Gemüsepaprika aus Ungarn bzw. Chile mit Schnittgröße von 4 bis 8 mm, den sie in ihren Zahlungsanmeldungen als "gemahlen oder sonst zerkleinert" unter Zuordnung zur Unterposition 0904 2090 der Kombinierten Nomenklatur (KN) -- Zollsatz 5 % -- anmeldete. Nach Erhebungen über die Beschaffenheit der Ware gelangte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt -- HZA --) zu der Auffassung, daß ein nicht gemahlener und auch sonst nicht zerkleinerter Paprika der Unterposition 0904 2010 -- Zollsatz 12 % -- vorgelegen habe, und erhob den entsprechenden Zoll nach.

Die daraufhin erhobene Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG), das ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschied (§90a der Finanzgerichtsordnung -- FGO --), hielt die der Nacherhebung zugrundeliegende Tarifierung für zutreffend. In Code-Nr. 0904 2010 0100 des Deutschen Gebrauchszolltarifs (DGebrZT) sei -- als "weder gemahlen noch sonst zerkleinert" -- in Stücke geschnittener roter oder grüner Gemüsepaprika ... aufgeführt, was einer auf die Verordnung (EWG) Nr. 4161/87 (VO Nr. 4161/87) des Rates vom 22. Dezember 1987 über die Festsetzung der Ausgangszollsätze, ... (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften -- ABlEG -- L 395/1) zurückzuführenden Tarif-Code-Nr. 0904 20 10*10 der EG-Kommission und damit dem verbindlichen, gemeinschaftsrechtlichen Zolltarif (ZT) entspreche. Jedenfalls Waren mit den vorliegenden Schnittgrößen seien nur "in Stücke geschnitten" und nicht "gemahlen oder sonst zerkleinert", mithin Erzeugnisse der Code-Nr. 0904 2010 0100 DGebrZT.

Ein Absehen von der Nacherhebung scheide aus, da die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1697/79 des Rates vom 24. Juli 1979 betreffend die Nacherhebung ... (ABlEG L 197/1) -- NacherhebungsVO -- nicht erfüllt seien. Vieles spreche dafür, daß es bereits an einem sogenannten aktiven Irrtum des HZA fehle, weil dieses die Anmeldungen der Klägerin ohne eigene Prüfung lediglich hingenommen habe. Die in der Einspruchsentscheidung erwähnte "Begutachtung einzelner Warenproben" betreffe nach Aktenlage nicht die im angefochtenen Steuerbescheid erfaßten Entnahmen aus dem Zolllager. Einer Entscheidung darüber bedürfe es aber nicht, weil ein etwa anzunehmender aktiver Irrtum für die Klägerin jedenfalls erkennbar gewesen sei. Bei einer Lektüre der Fassung der Code-Nr. 0904 2010 0100 DGebrZT hätte der Klägerin ohne weiteres auffallen können, daß der von ihr eingeführte getrocknete, in Stücke geschnittene rote und grüne Gemüsepaprika nicht als "sonst zerkleinert" im Sinne der Code-Nr. 0904 2090 0100 DGebrZT angesehen werden könne. Aber selbst wenn man die Tarifierungsproblematik als verwickelt ansehen wolle, der zollamtliche Irrtum also nicht leicht erkennbar gewesen sei, habe die Klägerin den Sorgfalts- und Informationspflichten nicht genügt, die sie als erfahrener Importeur gehabt habe. Da ihr selbst Zweifel an der zutreffenden Tarifierung gekommen wären, hätte die Einholung einer verbindlichen Zolltarifauskunft (vZTA) nahegelegen. Schließlich habe die Klägerin auch nicht alle Bestimmungen betreffend die Zollerklärung beachtet, denn sie habe in ihren Anmeldungen bei der Warenbeschreibung nicht deutlich gemacht, daß der Paprika in Stücke geschnitten gewesen sei.

Mit ihrer hinsichtlich der Zulässigkeit auf §116 Abs. 2 FGO gestützten Revision rügt die Klägerin in erster Linie die ihrer Ansicht nach unzutreffende Tarifierung des Paprikas durch das FG, hilfsweise die Verletzung des Art. 5 Abs. 2 NacherhebungsVO.

In zolltariflicher Hinsicht trägt die Klägerin im wesentlichen vor, "sonst zerkleinert" bedeute nicht "dem Mahlen gleich zerrieben", sondern umfasse jedenfalls auch geschnittene Stücke mit einer Größe von 4 bis 8 mm. Jedenfalls sei aber gemäß Art. 5 Abs. 2 NacherhebungsVO von einer Nacherhebung abzusehen. Diese Bestimmung sei vom FG unrichtig angewendet worden, weil es schon den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt habe. Das FG habe nicht offen lassen dürfen, ob ein aktiver Irrtum der Zollbehörde vorgelegen habe, denn für die (vom FG) bejahte Frage, ob der Irrtum für die Klägerin erkennbar gewesen sei, komme es auf die Umstände des Einzelfalls an. Insoweit sei vom FG nicht berücksichtigt worden, daß das HZA der Klägerin nach dem Schreiben vom 12. September 1989, aus dem das FG auf bei der Klägerin vorhandene Tarifierungszweifel geschlossen habe, Zoll gerade deswegen erstattet habe, weil "zerkleinerter getrockneter Paprika" der Unterposition 0904 209 KN -- und nicht 0904 2010 KN -- zuzuweisen sei. Das FG habe dieser Tatsache wohl deshalb keine Bedeutung zugemessen, weil es entgegen der Einspruchsentscheidung des HZA und dem Vortrag der Klägerin bereits in der Einspruchsbegründung offenbar der Ansicht gewesen sei, daß die diesem Steueränderungsbescheid zugrundeliegende Begutachtung der einzelnen Warenproben wohl andere Waren als die streitbefangenen betroffen haben dürfte. Wäre das FG bei einer Beweisaufnahme zu dem Ergebnis gekommen, daß -- wie nach dem Vortrag -- die Begutachtung Waren der streitbefangenen Art betroffen habe, hätte die Beweiswürdigung einen anderen Verlauf nehmen müssen. Denn dann wäre bewiesen gewesen, daß die Klägerin sich sehr wohl beim HZA wegen der richtigen Einreihung informiert habe und daß mit dem Erstattungsbescheid für die Klägerin alle Zweifel ausgeräumt gewesen seien. Deshalb hätte sie -- anders als das FG meine -- auch keine vZTA einholen müssen. Das FG hätte also diesen Punkt unbedingt aufklären müssen, um zu einer richtigen Exegese des Art. 5 Abs. 2 NacherhebungsVO zu gelangen.

Die mangelhafte Sachaufklärung durch das FG habe sich bei der Frage wiederholt, ob sie -- die Klägerin -- alle Zollvorschriften eingehalten habe. Die Folgerung des FG, es habe nach Aktenlage keinen Rückschluß auf die zutreffende Tarifierung gegeben, gehe fehl, denn dem HZA sei aufgrund mehrfacher Außenprüfungen sehr wohl bekannt gewesen, was die Klägerin im einzelnen einlagere. Hätte das FG nicht nur nach Aktenlage entschieden, so wäre dies schnell offenbar geworden. Das FG könne sich zumal in einem Gerichtsbescheid nicht einfach auf die Aktenlage berufen, ohne der Klägerin vorher Gelegenheit gegeben zu haben, sich zu dieser Absicht zu äußern (§96 Abs. 2 FGO). Auch darin manifestiere sich mangelnde Sachaufklärung. Schließlich habe sie mit ihren Anmeldungen entgegen der Auffassung des FG auch die Zollvorschriften eingehalten. Da die Anmeldungen auf einem aktiven Verhalten der Behörde beruhten, seien etwaige Unrichtigkeiten der Klägerin nicht zuzurechnen. Sie habe in den Zollanmeldungen nur Formulierungen gewählt, die sie aufgrund der Äußerungen des HZA für richtig halten durfte.

Das HZA bezweifelt die Zulässigkeit des Rechtsmittels, das jedenfalls aber unbegründet sei. Es hält die von der Vorinstanz gebilligte Tarifierung für richtig, was sich vor allem aus der französischen und der englischen Sprachfassung der maßgebenden zolltariflichen Vorschriften ergebe. Die Frage einer Verletzung von Art. 5 Abs. 2 NacherhebungsVO sei nicht Revisionsgegenstand.

Der erkennende Senat war aufgrund des deutschen Tarifwortlauts der Unterposition 0904 2090 KN ("sonst zerkleinert") geneigt, der Tarifauffassung der Klägerin zu folgen, hatte jedoch im Hinblick auf die vom HZA angeführten beiden anderen Sprachfassungen Zweifel, ob für die Einreihung in diese Unterposition nicht doch ein stärkerer Zerkleinerungsgrad als geschnittene Stücke von 4 bis 8 mm erforderlich sei. Er legte daher dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) mit Beschluß vom 7. März 1996 VII R 72/95 (BFH/NV 1996, 587) die folgende Auslegungsfrage zur Vorabentscheidung vor:

"Wie ist der Gemeinsame Zolltarif -- Kombinierte Nomenklatur 1989 und 1990 -- in Unterposition 0904 20 auszulegen? Bezeichnet der dort verwendete Begriff sonst zerkleinert nur eine dem gemahlenen Produkt ähnliche Feinheit oder erfaßt er auch ein in Stücke geschnittenes Produkt wie ein solches mit Schnittgrößen von 4 bis 8 mm?"

Der EuGH hat daraufhin mit Urteil vom 9. Dezember 1997 C-143/96 wie folgt entschieden:

"Der Begriff sonst zerkleinert in Unterposition 0904 20 der Kombinierten Nomenklatur in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 3174/88 der Kommission vom 21. September 1988 zur Änderung des Anhangs I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif und der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 2886/89 der Kommission vom 2. August 1989 zur Änderung des Anhangs I der Verordnung Nr. 2658/87 erfaßt ein in Stücke von 4 bis 8 mm geschnittenes Produkt nicht."

Die Beteiligten hatten Gelegenheit, sich zu diesem Vorabentscheidungsurteil zu äußern.

Die Klägerin ist der Ansicht, der angefochtene Steueränderungsbescheid sei nunmehr aus Gründen des Vertrauensschutzes aufzuheben, weil die Nacherhebung durch Art. 5 Abs. 2 NacherhebungsVO ausgeschlossen werde.

Sie beantragt, die Vorentscheidung und die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen aufzuheben und die Hinzuziehung des Prozeßbevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären, hilfsweise die Sache unter Aufhebung der Vorentscheidung an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Das HZA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision der Klägerin ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). In diesem Sinne ist auf die von der Revision erhobene Sachrüge zu erkennen, weil es aufgrund der bisher getroffenen Feststellungen an einer nachvollziehbaren Ableitung der vom FG der Klägerin zur Last gelegten Verletzung ihrer Sorgfaltspflichten hinsichtlich der Erkennbarkeit des zollamtlichen Tarifierungsirrtums fehlt und die vom FG vertretene Auffassung, die Klägerin habe nicht alle Bestimmungen betreffend die Zollanmeldung eingehalten, rechtlich fehlerhaft ist. Abschließend zu entscheiden vermag der Senat mangels Spruchreife jedoch nicht.

1. Die Revision ist gemäß §116 Abs. 2 FGO zulassungsfrei statthaft, weil es sich bei der Vorentscheidung um ein Urteil in Zolltarifsachen handelt. Ohne Bedeutung für die Statthaftigkeit der Revision ist, daß die Vorentscheidung sich nicht nur mit der Frage der Tarifierung, sondern wesentlich auch mit der Frage der Zulässigkeit der Nacherhebung befaßt (Senatsurteil vom 1. Dezember 1992 VII R 53/92, BFH/NV 1993, 515).

Nach feststehender Rechtsprechung des Senats ist der Umstand, daß die zolltarifrechtliche Frage nur als Vorfrage eine Rolle spielte, nicht geeignet, den Charakter der Vorentscheidung als Urteil in einer Zolltarifsache in Frage zu stellen (Senatsurteil vom 16. Oktober 1986 VII R 122/83, BFHE 148, 372). Es genügt, daß das Urteil des FG von einer in ihm getroffenen zolltarifrechtlichen Entscheidung abhängt (Senatsbeschluß vom 26. Februar 1991 VII R 41/89, BFHE 164, 5). Dies ist im Streitfall zu bejahen. Denn hätte das FG nicht die in den angefochtenen Verwaltungsentscheidungen vertretene zolltarifliche Einreihung des von der Klägerin aus ihrem Zollager entnommenen Paprika bestätigt, sondern wäre der Zolltarifauffassung der Klägerin gefolgt, hätte es nicht zur Bestätigung des Steueränderungsbescheids und damit auch nicht zur Klageabweisung gelangen können.

Die Eigenschaft des vorinstanzlichen Urteils als ein solches in Zolltarifsachen führt entgegen der Auffassung des HZA dazu, daß bei statthafter und auch im übrigen zulässiger Revision, wie dies hier der Fall ist, auf die Sachrüge des Rechtsmittelführers hin der gesamte Gegenstand des angefochtenen Urteils und nicht nur dessen zolltariflicher Teil zur Überprüfung des Revisionsgerichts steht (§118 Abs. 3 Satz 2 FGO).

2. Die Revision ist auch begründet.

a) Ohne Erfolg bleibt indessen der zolltarifrechtliche Angriff der Revision, denn die vom FG vertretene Tarifauffassung hat sich als zutreffend erwiesen. Nach der vom Senat in diesem Verfahren eingeholten Vorabentscheidung des EuGH, an die der Senat gebunden ist, steht fest, daß der streitgegenständliche, in Stücke geschnittene Paprika nicht als "sonst zerkleinert" im Sinne der Unterposition 0904 20 KN anzusehen und daher nicht, wie von der Klägerin begehrt, der Code-Nr. 0904 2090 0100 DGebrZT (Zollsatz 5 %) zuzuweisen ist. Er gehört daher vielmehr, wie in den Vorentscheidungen vertreten, als "weder gemahlener noch sonst zerkleinerter", in Stücke geschnittener getrockneter Gemüsepaprika zur Code- Nr. 0904 2010 0100 des in dem maßgeblichen Zeitraum gültigen DGebrZT (Zollsatz 12 %).

b) Erfolg hat hingegen der Angriff der Revision, soweit das FG zu dem Ergebnis gekommen ist, der Klägerin stehe gemäß Art. 5 Abs. 2 NacherhebungsVO ein Anspruch auf Absehen von der Nacherhebung der nach den gesetzlichen Vorschriften geschuldeten und teilweise nicht angeforderten Eingangsabgaben (Art. 2 Abs. 1 NacherhebungsVO) -- aufgrund der ursprünglich falschen Tarifierung ist der aus dem Zolllager der Klägerin entnommene Paprika statt mit dem zutreffenden Zollsatz von 12 % lediglich mit einem Zollsatz von 5 % verzollt worden -- nicht zu. Den Ausführungen des FG läßt sich nämlich zunächst nicht nachvollziehbar entnehmen, wie es zu der seine Entscheidung tragenden Feststellung gelangt ist, die Klägerin habe als erfahrene Spediteurin ihren Sorgfalts- und Informationspflichten im Hinblick auf die zutreffende Tarifierung des Paprikas nicht genügt, indem sie es versäumt habe, ihre diesbezüglichen Zweifel durch Einholung einer vZTA auszuräumen. Ferner trifft die Auffassung des FG nicht zu, die Klägerin habe nicht alle geltenden Bestimmungen betreffend die Zollerklärung beachtet.

aa) Nach Art. 5 Abs. 2 NacherhebungsVO müssen für einen Anspruch des Beteiligten auf Abstandnahme von der Nacherhebung von Eingangsabgaben nach ständiger Rechtsprechung des EuGH und des erkennenden Senats drei Voraussetzungen erfüllt sein: Nichterhebung der Abgaben infolge eines Irrtums der zuständigen Behörden (sogenannter aktiver Irrtum), Gutgläubigkeit des Abgabenschuldners in der Weise, daß er den behördlichen Irrtum nicht erkennen konnte, und Beachtung der geltenden Bestimmungen betreffend die Zollerklärung (vgl. zB. EuGH, Urteil vom 1. April 1993 C-250/91 -- Hewlett Packard France --, EuGHE 1993, I-1819; Senatsurteil vom 7. September 1993 VII R 128/92, BFHE 172, 561).

bb) Das FG hat bewußt keine Feststellungen zum Vorliegen eines aktiven (Tarif-)Irrtums des HZA getroffen, einen solchen vielmehr zugunsten der Klägerin unterstellt. Ein solches Vorgehen ist grundsätzlich nicht zu beanstanden. Der in diesem Zusammenhang vom FG getroffenen Aussage, die auf Seite 6 der Einspruchsentscheidung erwähnte "Begutachtung einzelner Warenproben" betreffe nach Aktenlage nicht die in dem angefochtenen Steuerbescheid erfaßten Entnahmen aus dem Zolllager, kommt schon deshalb keine entscheidungserhebliche Bedeutung bei, weil das FG die Entscheidung über das Tatbestandsmerkmal des "aktiven Irrtums", wofür die Frage einer Begutachtung der Waren eine Rolle spielen könnte, letztlich offen gelassen hat. Die von der Revision hiergegen erhobene Aufklärungsrüge (§76 FGO), sollte sie überhaupt in im übrigen zulässiger Weise vorgetragen worden sein, greift jedenfalls mangels Entscheidungserheblichkeit nicht durch. Gleiches gilt für die auf §96 Abs. 2 FGO gestützte Rüge der Klägerin, das FG sei damit von ihrem Vortrag, den sie schon in der Einspruchbegründung hervorgehoben habe, abgewichen und habe daher, ohne sie dazu zu hören, unter unzulässiger Berufung auf die Aktenlage durch Gerichtsbescheid ohne vorherige mündliche Verhandlung entschieden. Da das FG, indem es einen aktiven Irrtum des HZA unterstellt hat, im Ergebnis zugunsten der Klägerin davon ausgegangen sein muß, daß eine zollamtliche Begutachtung der streitbefangenen Waren stattgefunden haben muß, gehen diesbezügliche Verfahrensrügen der Klägerin ins Leere. Der Senat brauchte deswegen auch nicht zu prüfen, ob das FG im Streitfall etwa verfahrensfehlerhaft durch Gerichtsbescheid entschieden hat, denn die Klägerin hat eine Verletzung des §90a Abs. 1 FGO nicht schlüssig gerügt.

cc) Entgegen der Auffassung der Klägerin bedurfte es auch im Hinblick auf das zweite Tatbestandsmerkmal des Art. 5 Abs. 2 NacherhebungsVO, der Nichterkennbarkeit des Irrtums, keiner ausdrücklichen Feststellungen zur Frage des aktiven Irrtums der Behörde, denn beide Tatbestandsmerkmale stehen grundsätzlich selbständig nebeneinander. Mit Recht hat daher das FG eigenständig geprüft, ob der (unterstellte) Tarifirrtum des HZA für die Klägerin erkennbar gewesen war. Zutreffend hat es dabei die in der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten wesentlichen Kriterien für die Beurteilung der Erkennbarkeit des Irrtums zugrunde gelegt, nämlich die Art des Irrtums, die Erfahrung des Abgabenschuldners und die Sorgfalt, die dieser nach den Umständen des Falles hätte walten lassen müssen (vgl. Senatsurteil vom 7. September 1993 VII R 128/92, BFH/NV 1994, 672, m.w.N., insoweit nicht in BFHE 172, 561 abgedruckt).

Den Ausführungen des FG läßt sich jedoch nicht nachvollziehbar entnehmen, wie es zu der seine Entscheidung in erster Linie tragenden Feststellung gelangt ist, die Klägerin habe als erfahrene Spediteurin ihren Sorgfalts- und Informationspflichten im Hinblick auf die zutreffende Tarifierung des Paprikas nicht genügt, indem sie es versäumt habe, ihre diesbezüglichen Zweifel durch Einholung einer vZTA auszuräumen. Die Entscheidung enthält insoweit nicht in nachvollziehbarer Weise die Gründe, die für die Überzeugungsbildung der Vorinstanz leitend gewesen sind (§96 Abs. 1 Satz 3 FGO) und kann deshalb, da auch die Ausführungen zur dritten Voraussetzung des Art. 5 Abs. 2 NacherhebungsVO nicht tragen (siehe nachstehend dd), keinen Bestand haben (Senatsurteile vom 27. Oktober 1987 VII R 18/83, BFHE 151, 270; vom 23. August 1994 VII R 93/93, BFH/NV 1995, 572, und vom 30. August 1994 VII R 1/94, BFH/NV 1995, 515).

Zunächst könnte der Senat dem FG nicht darin folgen, daß es sich bei dem vorliegenden Tarifirrtum des HZA um einen einfachen Irrtum gehandelt hat, der von der im Import- und Einlagerungsgeschäft mit den fraglichen Waren erfahrenen Klägerin hätte leicht erkannt werden können. Gegen diese Annahme spricht schon der Umstand, daß die streitige Tariffrage letztlich erst durch eine Vorabentscheidung des EuGH geklärt werden konnte, nachdem zuvor sowohl der erkennende Senat als auch der mit der Sache befaßte Generalanwalt beim EuGH eher der gegenteiligen Tarifauffassung der Klägerin zugeneigt waren.

Die dann zum Tragen kommende Hilfsbegründung des FG geht zutreffend von der Annahme einer verwickelten Tarifierungsproblematik und eines folglich nicht ohne weiteres für die Klägerin erkennbaren Irrtums des HZA aus. Die weitere Folgerung des FG indessen, die Klägerin habe nicht die erforderliche Sorgfalt walten lassen, weil sie sich trotz ausweislich ihres Schreibens an das HZA vom 12. September 1989 zum Ausdruck gekommener Zweifel an der zutreffenden Tarifierung der Waren nicht ausreichend informiert und es vor allem versäumt habe, diese Zweifel durch Einholung einer vZTA auszuräumen, ist für den Senat nicht nachvollziehbar.

Das vom FG in Bezug genommene Schreiben der Klägerin an das HZA vom 12. September 1989, dem das FG die Zweifel der Klägerin an der zutreffenden Tarifierung entnimmt, ist nichts anderes als der von der Revision hervorgehobene Erstattungsantrag der Klägerin, der sich auf den streitgegenständlichen vergleichbare Waren beziehen soll. Wenn das FG der Klägerin bei der Prüfung der Erkennbarkeit des zollamtlichen Irrtums nun aber die Stellung des Erstattungsantrags vorhält und daraus die Tarifierungszweifel der Klägerin entnehmen will, was für sich betrachtet zutreffend erscheint, so ist es nach Auffassung des Senats denkgesetzlich notwendig, auch das weitere Schicksal des Erstattungsantrags in die Überlegungen miteinzubeziehen. Die Folgerung des FG wäre daher nur dann nachvollziehbar, wenn das FG auch festgestellt hätte, daß dieser Erstattungsantrag vom HZA abgelehnt worden ist. Eine solche Feststellung hat das FG aber nicht getroffen. Wäre dem Erstattungsantrag hingegen stattgegeben worden, fiele die Folgerung des FG, die Klägerin habe (weiterhin) Tarifierungszweifel haben müssen, die sie durch Einholung einer vZTA habe ausräumen müssen, in sich zusammen. Denn dann käme die Rechtsprechung des Senats zum Zuge, daß dann, wenn einem Antrag des Zollbeteiligten auf Erstattung von Zoll in einem förmlichen Erstattungsverfahren entsprochen wird und zu diesem Zeitpunkt die Rechtslage höchstrichterlich noch nicht eindeutig geklärt ist, vom Zollbeteiligten nicht verlangt werden kann, daß er im Rahmen der Erfüllung seiner Sorgfaltspflichten die behördliche Erstattungsentscheidung noch einmal anhand der geltenden Rechtsvorschriften einer Prüfung unterzieht (Senatsbeschluß vom 15. Dezember 1992 VII B 123/92, BFH/NV 1994, 65). Übertragen auf den Fall eines Zolltarifirrtums bedeutete dies, daß unter diesen Umständen der Klägerin die Nichteinholung einer vZTA nicht mehr als Verletzung ihrer Sorgfaltspflichten hätte vorgehalten werden dürfen (s. auch BFH/NV 1994, 672).

Die Frage des Schicksals des Erstattungsantrags durfte das FG also keineswegs offenlassen. Da demzufolge die Ausführungen des FG zur Bedeutung des Schreibens der Klägerin vom 12. September 1989 einschließlich der daraus gezogenen Folgerungen nicht nachvollziehbar sind, dieser Punkt sich aber als entscheidungserheblich erweist (vgl. nachstehend dd), ist die darauf beruhende Vorentscheidung aufzuheben, ohne daß es eines Eingehens auf die von der Klägerin auch zu diesem Punkt erhobene Aufklärungsrüge (§76 Abs. 1 Satz 1 FGO) bedarf.

dd) Die damit letztlich allein die Vorentscheidung tragende Begründung des FG, die Klägerin habe nicht alle Bestimmungen betreffend die Zollerklärung beachtet, weil sie in ihren Anmeldungen bei der Warenbeschreibung nicht deutlich gemacht habe, daß der Paprika in Stücke geschnitten gewesen sei, ist -- jedenfalls unter Berücksichtigung der Ausführungen zu cc) -- rechtsfehlerhaft. Von der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist nämlich anerkannt, daß unrichtige Erklärungen des Abgabenschuldners jedenfalls dann nicht schaden, wenn der Schuldner gutgläubig war und vernünftigerweise nur diese Angaben machen oder sich beschaffen konnte (EuGH, Urteil vom 27. Juni 1991 C-348/89 -- Mecanarte --, EuGHE 1991, I-3277, Abs. 29). Ist die Anmeldung guten Glaubens unter einer falschen Zolltarifnummer erfolgt, so schadet dies im Rahmen des Art 5 Abs. 2 NacherhebungsVO nicht, wenn der Anmelder diese klar und deutlich mit der Bezeichnung der betreffenden Ware angemeldet hat, so daß die zuständigen Behörden sofort und zweifelsfrei die fehlende Übereinstimmung mit der richtigen Einreihung in die KN hätten feststellen können (EuGHE 1993, I-1819). Auch der erkennende Senat hat schon des öfteren entschieden, daß bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen für einen Ausschluß der Nacherhebung (zollamtlicher Irrtum und dessen Nichterkennbarkeit durch den gutgläubigen Beteiligten), die der Senat in diesem Zusammenhang zu unterstellen hat, allein in dem Gesichtspunkt einer unrichtigen zolltariflichen Anmeldung (falsche Tarifstelle oder falsche KN-Unterposition) ein Verstoß gegen die maßgebenden Bestimmungen nicht gesehen werden kann (Senatsurteil vom 4. Juli 1996 VII R 75/95, BFH/NV 1997, 75, m.w.N.).

Die Klägerin hat in ihren Zahlungsanmeldungen den streitgegenständlichen Paprika "befundgerecht", d.h. klar und deutlich, so wie in den KN vorgegeben, als "gemahlen oder sonst zerkleinert" zur Unterposition 0904 2090 KN angemeldet, weil sie gutgläubig davon ausging, daß der auf eine Schnittgröße von 4 bis 8 mm geschnittene Paprika als "sonst zerkleinert" im Sinne dieser Unterposition anzusehen war. Allein die Tatsache, daß sich die Zolltarifauffassung nach Durchführung des vorliegenden Rechtsstreits letztlich durch Entscheidung des EuGH als unzutreffend erwiesen hat, kann der Klägerin im Rahmen des Art. 5 Abs. 2 NacherhebungsVO nicht entgegengehalten werden. Selbst wenn man mit dem FG unterstellen wollte, die Klägerin hätte sich zusätzlich im DGebrZT informieren müssen (was im übrigen nicht ohne weiteres einleuchtet, da dadurch möglicherweise an deutsche Importeure strengere Anforderungen als an in anderen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft ansässige Importeure gestellt würden) und hätte feststellen können, daß es dort eine eigene Zolltariflinie für "in Stücke geschnittenen" roten oder grünen Gemüsepaprika gibt, unter die möglicherweise der streitgegenständliche, auf eine Schnittgröße von 4 bis 8 mm gebrachte Paprika hätte fallen können, so wäre die Nichtbeachtung dieser Zolltariflinie letztlich nicht schädlich, wenn der zollamtliche Irrtum wegen der (hier zu unterstellenden) Erstattung für die Klägerin nicht erkennbar gewesen wäre (oben cc).

3. Die Sache ist nicht spruchreif. Im zweiten Rechtsgang wird das FG Feststellungen zu allen drei Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 2 NacherhebungsVO zu treffen haben.

Die Feststellung eines "aktiven" Irrtums wird nach Auffassung des Senats angesichts der Umstände des Streitfalls schon deshalb nicht unterbleiben dürfen, weil sich die streitgegenständlichen Entnahmen aus dem Zollager über einen längeren Zeitraum (Juni 1989 bis November 1990) hinzogen und daher nicht auszuschließen ist, daß einige dieser Entnahmen vor dem Zeitpunkt des zollamtlichen Irrtums erfolgt sind. Die Falschanmeldungen bei solchen Entnahmen wären nicht kausal durch diesen Irrtum hervorgerufen, so daß eine Berücksichtigung dieser Entnahmen für die Frage des Absehens von der Nacherhebung nicht in Betracht käme.

Hinsichtlich der Frage der Erkennbarkeit des Irrtums ist, wie ausgeführt, von einer verwickelten Tarifierungsproblematik auszugehen. Sollte sich herausstellen, daß das HZA die Tarifierungsauffassung der Klägerin dadurch bestätigt hat, daß es der Klägerin nach einem förmlichen Erstattungsverfahren Zoll für die streitgegenständlichen oder für diesen gleiche oder ähnliche Waren (aus früheren Entnahmen aus dem Zollager) erstattet hat, könnte der Klägerin eine Verletzung ihrer Informations- und Sorgfaltspflichten nicht vorgehalten werden. Insbesondere dürfte man ihr dann nicht zur Last legen, daß sie keine vZTA eingeholt hat.

Sollte das FG diese beiden ersten Voraussetzungen hinsichtlich aller oder jedenfalls eines Teils der Entnahmen aus dem Zolllager als erfüllt ansehen, so darf die Gewährung des Vertrauensschutzes, wie vom Senat dargelegt, nicht allein daran scheitern, daß die Klägerin den Paprika unter einer unzutreffenden Unterposition der KN angemeldet hat.

Schließlich wird das FG auch den von der Klägerin im Revisionsverfahren zusätzlich gestellten Antrag, die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären (§139 Abs. 3 Satz 3 FGO), zu verbescheiden haben, denn dieser Antrag ist im Revisionsverfahren unzulässig. Die Entscheidung nach §139 Abs. 3 Satz 3 FGO gehört sachlich zum Kostenfestsetzungsverfahren; zuständig ist daher das Gericht des ersten Rechtszuges, also das FG (Urteil des Bundesfinanzhofs vom 14. Dezember 1994 X R 74/91, BFHE 176, 117, BStBl II 1995, 259).

 

Fundstellen

BFH/NV 1998, 1397

HFR 1998, 930

ZfZ 1998, 377

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