Digitalisierung im Finance-Bereich: Fünf Prozesse mit Optimierungspotenzial


Prozessbeispiele zur Digitalisierung im Finance-Bereich

Um dem zunehmendem Ergebnisdruck stand zu halten, haben die Stadtwerke Essen ein (Kosten-) Optimierungsprogramm initiiert. Die Digitalisierung bietet ein gutes Werkzeug für die Prozessautomatisierung und damit das Erzielen von Einsparungen. Tobias Grau zeigt am Beispiel von fünf Prozessen, welche erheblichen Optimierungspotenziale sich ergeben können.

Umwälzungen im Energiemarkt zwingen zum Handeln

Ein sich in Bewegung befindender Energiemarkt (Energiewende, angespannte Kommunalhaushalte, agiler Wettbewerb) stellt die Stadtwerke Essen (SWE) vor mehrere Herausforderungen. Neben dem Rendite- und Ergebnisdruck durch ein rückläufiges Kerngeschäft gilt es, Kunden nachhaltig zu halten bzw. zurückzugewinnen. Deshalb läuft bei SWE unter anderem ein (Kosten-) Optimierungsprogramm, welches sämtliche Bereiche und Prozesse einer Prüfung unterzieht.

Digitalisierung soll Kapazitätsverlust durch demografische Entwicklung kompensieren

Die Prozessdigitalisierung ist ein wesentlicher Hebel um die Ziele des Optimierungsprogrammes zu erreichen. In den nächsten zehn Jahren fallen bei den Stadtwerken Essen rund 90 Vollzeit-Stellen weg – alle sozialverträglich im Wege des Demographie-Pfads. Auch der Finanzbereich wird dazu einen ambitionierten Beitrag leisten. Durch Digitalisierung erreichte Prozessverkürzungen und -verschlankungen helfen, die Leistungen des Finanz- und Einkaufsbereichs mit geringerer Belegschaft aufrecht zu erhalten.

Hinsichtlich des Digitalisierungsgrads ist zwischen den Reifegraden

  1. der energiewirtschaftlichen Kernprozesse (bspw. Energieeinkauf, Betrieb Netz) und
  2. der Unterstützungsprozesse (bspw. Rechnungswesen, Einkauf)

zu differenzieren. Während die Kernprozesse durch Branchenstandards bereits meist als (teil-) automatisiert bezeichnet werden können, weisen die Unterstützungsprozesse durch Medienbrüche und Papierworkflows oft noch Ineffizienzen auf.

Tobias Grau, Abteilungsleiter Finanzen und Einkauf der Stadtwerke Essen AG, liefert in seinem Vortrag auf der Finance Excellence 2017 anschauliche Beispiele, wie Digitalisierungsmöglichkeiten zur Effizienzsteigerung in den Unterstützungsprozessen genutzt werden können. Die Priorisierung der Initiativen erfolgte anhand der Analyse der Ausgangssituation. Durch Erfahrungen im täglichen Geschäft habe man festgestellt, wo die Schwachstellen liegen und diese Indikationen hergenommen, um Verbesserungen anzustoßen.

Tobias Grau erörtert dazu fünf Prozessbeispiele, bei denen digitale Ansatzpunkte zu Verbesserungen führen:

  1. Digitalisierter Rechnungsworkflow im Rechnungswesen
  2. Integration des Planungs- und Reporting-Tools im Controlling
  3. Systemunterstützter Mittelfreigabeprozess bei Investitionen im Controlling
  4. Einführung eines Gutschriftsystems im Tiefbau (Rechnungskontrolle & Zahllauf) – Pilot
  5. Aufbau eines integrierten Vergabemanagementsystems (Einkauf/Vergabe)

1. Digitalisierter Rechnungsworkflow im Rechnungswesen

Der bereits praktizierte Rechnungsscan nebst Workflow wird ausgebaut, um erste Plausibilitätsprüfungen eingehender Kreditorenrechnungen automatisiert und ohne manuelle Zuarbeit durchzuführen. Ferner wird die Quote digitaler Rechnungen gezielt erhöht (s. Abb.). Die Umstellung auf digitale Rechnungen auf Lieferanten- und Dienstleisterseite führt dazu, dass Rechnungen automatisch auf formale Richtigkeit überprüft werden können. Ohne manuellen Scanvorgang ist eine schnelle Erfassung der Eingangsrechnungen im SAP der Stadtwerke möglich, durch Zentralisierung und Optimierung können Prozesseffizienzen gehoben werden. Auch Lieferanten und Dienstleister profitieren von der Umstellung, da durch die Erhöhung der EDI-Quote zeitnah genehmigt und kontiert werden und der Zahllauf in SAP angestoßen werden kann. Einsparung: 1,6 % der beeinflussbaren Kosten des Finanzbereichs.

2. Integration des Planungs- und Reporting-Tools im Controlling

Im Jahr 2016 wurde ein integriertes Planungs- und Reporting-Tool eingeführt. Als Folge konnten einerseits Medienbrüche im Planungsprozess beseitigt und dieser damit schlanker gestaltet werden. Durch diese BI-Lösung konnte andererseits die bestehende Zweigleisigkeit von Planung und Reporting aufgehoben werden. Zudem wurden Teilrechenwerke der Geschäftsfelder und die Darlehensverwaltung integriert. Die Einsparungen lassen sich mit knapp 2 % der beeinflussbaren Kosten des Finanzbereichs beziffern.

3. Systemunterstützter Mittelfreigabeprozess bei Investitionen im Controlling

Mit rund 3 % der beeinflussbaren Kosten des Finanzbereichs ist der Effekt der Umstellung von manueller zu digitaler Mittelfreigabe noch stärker. Ausgangssituation ist ein auf schriftlichen Anträgen basierender, manueller Mittelfreigabeprozess mit den Schritten:

  1. Ausfüllen des Investitionsmittelantrags und Weiterleitung an das Controlling,
  2. manuelle Verfügbarkeitskontrolle und Budgetabgleich,
  3. Genehmigung der Mittelfreigabe und Weiterleitung der Bestätigung an die Fachabteilung.

Dieser dreistufige, händische Prozess wird durch eine automatisierte Lösung auf zwei Schritte ohne manuelle Interaktion verkürzt.

  1. Die Fachabteilung fragt verfügbare Mittel nun direkt im System ab.
  2. Diese Abfrage wird direkt und automatisiert mit vorhandenem Budget und Verfügbarkeit abgeglichen, kontrolliert sowie freigegeben.

4. Einführung eines Gutschriftsystems im Tiefbau (Rechnungskontrolle & Zahllauf)

In der Pilotphase befindet sich derzeit die Einführung eines Gutschriftensystems im Tiefbau. Ein wesentlicher Vorteil liegt neben Kosteneinsparungen auch in der Bindung der Lieferanten (in diesem Fall Baudienstleister), da diese schneller bezahlt werden können. Voraussetzung jedoch ist, dass die Baudienstleister einerseits Zugang zum notwendigen Portal haben, ihnen andererseits die Nutzung der benötigten Mobilgeräte möglich ist. Hintergrund ist, dass Leistungserbringung und Leistungsüberprüfung digital erfolgen, dieser Prozess somit deutlich verkürzt werden kann.

5. Aufbau eines integrierten Vergabemanagementsystems (Einkauf/Vergabe)

Als kommunales Unternehmen unterliegen die Stadtwerke Essen vor allem im Abwasserbereich als öffentlicher Auftraggeber dem Vergaberecht. Dies verpflichtet dazu, ab 2018 Angebote elektronisch entgegen zu nehmen. Da rund zwei Drittel des Einkaufsvolumens auf Bauleistungen entfällt, handelt es sich sehr häufig um Beschaffungen auf Basis komplexer und umfangreicher Leistungsverzeichnisse. Neben der digitalen Entgegennahme der Angebote, soll der komplette interne Prozess bis hin zum Zuschlagsschreiben an den Bestbieter digitalisiert werden. Das Vergabemanagement-System leistet die wesentlichen Punkte der Vergabe: Ausschreibung, Bieterkommunikation, Genehmigungs-Workflow, Submission, Zu-/Absageschreiben. Mit rund 4,5 % Einsparungen der beeinflussbaren Kosten des Finanzbereichs liegt in diesem Beispiel das größte Optimierungspotential. Darüber hinaus kann eine größere Transparenz und Rechtssicherheit in den Vergabeprozessen realisiert werden, so dass sich auch Fremdleistungskosten für die bisher sehr ausgeprägte anwaltliche Beratung reduzieren lassen.

Die Stadtwerke Essen im Überblick

Als mehrheitlich kommunaler Energie- und Wasserversorger sind Trinkwasser- und Gasversorgung, Entwässerung und zunehmend Stromvertrieb Kerngeschäft der Stadtwerke Essen. Mit rund 880 Mitarbeitern werden ein Jahresumsatz von ca. 340 Mio. EUR erwirtschaftet und Infrastruktur im Wert von rund 400 Mio. EUR betreut.