Interview Dr. Daniela Büchel, REWE Group

Ein Viertel der weltweiten Treibhausgasemissionen entsteht bei der Produktion von Lebensmitteln. Dr. Daniela Büchel sieht daher auch den Lebensmitteleinzelhandel mit in der Verantwortung. Im Interview spricht sie über die strategische Bedeutung von Nachhaltigkeit in ihrer Branche, aktuelle Initiativen und künftige Herausforderungen.

Seit Jahren treibt Dr. Daniela Büchel als Chief HR and Sustainability Officer den Umwelt- und Klimaschutz sowie die soziale Nachhaltigkeit in der REWE Group voran. Dabei ist ihr der kritische Dialog zu Nachhaltigkeitsthemen besonders wichtig. Im November nimmt sie den B.A.U.M. | Umwelt- und Nachhaltigkeitspreis 2023 in der Kategorie „Großunternehmen“ entgegen. Anlässlich der Auszeichnung sprachen wir mit ihr über die Herausforderungen für Handel und Gesellschaft und warum Menschen und Nachhaltigkeit in einem Vorstandsressort zusammengehören.

Haufe Sustainability: Frau Büchel, sie befassen sich bei der REWE Group bereits seit 16 Jahren mit Nachhaltigkeit – bitte ganz knapp: Was sind die größten Veränderungen seitdem?

Dr. Daniela Büchel: Zu Beginn ging es uns vor allem darum, Nachhaltigkeit aus der Nische zu holen und transparente und verlässliche Orientierung beim Einkauf von nachhaltigeren Lebensmitteln zu geben. Wir haben damals als erstes Unternehmen im Lebensmitteleinzelhandel das Thema Nachhaltigkeit ganzheitlich in den Fokus gerückt und damit die gesamte Branche positiv verändert: Nachhaltigkeit ist heute im gesamten Lebensmitteleinzelhandel in Deutschland ein Thema mit strategischer Bedeutung.

Und welches Sustainability-Thema bestimmt die kommenden Jahre?

Heute sind sicherlich die Erderwärmung und das Artensterben die beiden größten ökologischen Krisen unserer Zeit. Und sie haben auch unmittelbar mit Ernährung zu tun: 25 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen entstehen in der Lebensmittelproduktion. Wir sind Lebensmittelhändler und fühlen uns daher mit verantwortlich dafür zu sorgen, dass sichere, gesunde Ernährung und Klimaschutz Hand in Hand gehen. Hier liegt unser Fokus.

„Wahre Kosten“: Handel und Gesellschaft stehen vor großen Aufgaben

Wie beeinflussen Nachhaltigkeitsüberlegungen die Produktpalette der Unternehmen in der REWE Group?

Wir begreifen Nachhaltigkeit schon lange als integralen Bestandteil unserer Unternehmensstrategie, der alle Geschäftseinheiten beeinflusst – vom Sortiment über den Bau unserer Märkte bis hin zu unseren Mitarbeitenden, um nur einige Beispiele zu nennen. Unsere Kundinnen und Kunden interessieren sich für die sozialen und ökologischen Auswirkungen ihres Ernährungs- und Konsumverhaltens. Dabei ist Nachhaltigkeit nie das einzige Entscheidungskriterium, ebenso wichtig sind Qualität und Preis. Gleichzeitig verbindet jeder und jede beim Einkauf unterschiedliche Aspekte mit dem Begriff Nachhaltigkeit. Für die einen geht es um den Klima- oder Ressourcenschutz, während andere eher auf die sozialen Bedingungen oder Tierschutz Wert legen.

Der zur Unternehmensgruppe gehörende Lebensmittelhändler Penny hatte vor kurzem eine medial vielbeachtete Aktionswoche zu den „wahren Kosten“ von Lebensmitteln. Ist es die Aufgabe des Einzelhandels, die Konsumgewohnheiten zu verändern?

Wir sehen uns als Lebensmitteleinzelhändler klar in der Verantwortung, die großen ökologischen Herausforderungen unserer Zeit aktiv zu begleiten. Wir wollen unseren Beitrag leisten und neue Lösungen finden und entwickeln. Aber das beinhaltet dann eben auch, Haltung zu zeigen, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen – und unsere Reichweite zu nutzen, um Diskussionen anzustoßen. Ziel von PENNY ist es in diesem Fall, gemeinsam mit der Technischen Hochschule Nürnberg und der Universität Greifswald der Frage auf den Grund gehen, ob und welche Lenkungswirkung beim Thema Umweltfolgekosten vom Lebensmittelhandel ausgehen kann. Die Studienergebnisse werden Anfang des kommenden Jahres der Öffentlichkeit vorgestellt. Der lebhafte Diskurs zum Thema zeigt eindeutig, welche großen Aufgaben uns als Branche und Gesellschaft noch bevorstehen.

Widersprüche in der Produktpalette?

REWE hat als Vollsortimenter dauerhaft eine beachtliche Palette an Produkten vorrätig, das erfordert Lagerplatz und kostet Energie. Discounter wie LIDL und ALDI machen das seit jeher anders. Werden sie daran im Zuge der Nachhaltigkeitsstrategie etwas ändern?

Ein Vollsortimenter hat eine ganz andere Sortiments- und Logistikstruktur als ein Discounter. Wir investieren erheblich in den Klimaschutz und die Diversifizierung unserer Stromversorgung. In den kommenden Jahren werden wir Hunderte von Photovoltaikanlagen auf ausgewählten Gebäuden der REWE Group installieren – auf Lagern, Zentralstandorten und bestehenden Märkten von REWE, PENNY und toom Baumarkt. Der gewonnene Grünstrom ist ausschließlich für die Eigenversorgung bestimmt – so sichern wir die Stromversorgung unserer Standorte und entlasten gleichzeitig das Stromnetz.

Die REWE Group engagiert sich zusammen mit dem NABU für den Moorschutz. Gleichzeitig bietet das zur Gruppe gehörende Unternehmen toom aber torfhaltige Blumenerde an. Wie gehen Sie mit solchen Widersprüchen um?

Ich sehe hier keinen Widerspruch, sondern eine klare Fokussierung über alle Einheiten in unserem Konzern hinweg. toom hat schon 2016 als erster und bisher einziger Baumarkt Deutschlands das strategische Ziel kommuniziert, bis 2025 komplett auf Torf in Blumenerden zu verzichten, um so einen Beitrag zu Klima- und Biodiversitätsschutz zu leisten. Seitdem werden die Rezepturen kontinuierlich auf Rohstoffe aus nachwachsenden Quellen wie Holzfaser, Rindenhumus, Grünschnittkompost, Cocopeat umgestellt. Zusätzlich forcieren wir das Thema des torffreien und torfreduzierten Anbaus auch bei den Gärtnern unserer Pflanzen und können heute schon über 200 Pflanzenartikel anbieten, die zu mindestens 50 Prozent torfreduziert oder torffrei sind – auch hier als bisher erster und einziger Baumarkt.

„People und Nachhaltigkeit gehören in einem Vorstandsressort zusammen“

Was bedeutet Nachhaltigkeit für die REWE Group jenseits von CO2 und Klima?

Hier sind vor allem die sozialen Aspekte entlang unserer Lieferketten ein Thema: Wir setzen uns für die Achtung der Menschenrechte, für die Verbesserung von Arbeitsbedingungen und für einen fairen Handel ein. Aber auch die Förderung von Diversität, Chancengleichheit und einem respektvollen Umgang mit Blick auf Gleichbehandlung im Unternehmen sind wichtige Fokusthemen.

Wie wirken Sie konkret auf Menschenrechte in den Lieferketten ein?

Im Lieferkettenmanagement verfolgen wir einen dreistufigen Ansatz, der die Formulierung verbindlicher Anforderungen, die Kontrolle sowie die Entwicklung der Akteure umfasst. Wir legen Wert auf den Einkauf zertifizierter Produkte und unterstützen Lieferanten und Produzenten vor Ort bei der Umsetzung der sozialen und ökologischen Anforderungen mit entsprechenden Trainings. Dazu arbeiten wir in verschiedenen Projekten direkt mit den Rohstoffproduzenten zusammen. Ein wirksames Beschwerdemanagement ist ebenfalls ein wichtiger Bestandteil der Menschenrechtsstrategie der REWE Group.

In Ihrer Rolle vereinen Sie HR und Sustainability. Welche Vorteile sehen Sie darin?

Aus meiner Sicht bedingen sich beide Themen unmittelbar. HR ist ein wesentlicher Kulturgestalter und Nachhaltigkeit ein wichtiger Teil der Kultur. Und ein entscheidender Erfolgsfaktor ist, dass Nachhaltigkeit intrinsisch motiviert in jeder Abteilung und an jedem Platz ihre Daseinsberechtigung im Alltag findet. Nachhaltigkeit ist kein Projekt, sondern eine Haltung – das muss allen klar sein und wird bei uns entsprechend gelebt. Gleichzeitig sind unsere Mitarbeitenden auch die besten Botschafter. Viele von ihnen bringen super Ideen ein und machen sich mit uns stark. Und auch unsere selbständigen Kaufleute sind mit so viel Überzeugung dabei, dass wir Vorreiterthemen wie den Verzicht auf den gedruckten Handzettel oder die Plastiktüte überhaupt umsetzen können. Deshalb finde ich es so wichtig, dass People und Nachhaltigkeit in einem Vorstandsressort zusammengehören, denn es sind absolute Kulturthemen.

Selbstkritischer Umgang mit „Green Claims“

Umwelt- und Verbraucherschutzverbände nehmen sogenannte „Green Claims“ zunehmend kritisch unter die Lupe. Erst kürzlich unterlag dm in einem Rechtsstreit um die Bezeichnung von Produkten als „umweltneutral“. Wie geht die REWE Group mit dieser Entwicklung um?

Wir haben bezüglich der Auslobung von Klimaschutzprojekten in Zusammenhang mit unseren Produkten selbst viel gelernt und gehen mit dem Thema sehr selbstkritisch um. Denn wenn ein mit Klimaneutralität gelabeltes Produkt tatsächlich so interpretiert wird, dass die Herstellung keine CO2-Emissionen verursacht, dann muss die Kommunikation dazu natürlich hinterfragt und anders gestaltet werden. Wir werden darum künftig keine Klimaneutralität mehr auf Produkten ausloben und haben die Aufforstungsprojekte zur Kompensation beendet. Stattdessen unterstützen wir gezielt Umwelt- und Klimaschutzprojekte in Deutschland und Europa. REWE hat zusammen mit dem NABU ein eigenes Projekt, den NABU-Klimafonds, gegründet. Dabei geht es um die Wiedervernässung von Mooren, in die wir über fünf Jahre mindestens 25 Millionen Euro investieren. Die Projekte finden hierzulande und in Europa statt, wir können sie selbst mitsteuern und vor Ort besuchen. Anrechnen in puncto CO2-Ausstoß lässt sich dabei nichts. Außerdem haben REWE und PENNY sich verpflichtet, kurz- und langfristige unternehmensweite Reduktionsziele im Einklang mit dem wissenschaftlich fundierten Netto-Null-Standard der Science Based Targets initiative (SBTi) festzulegen. Mit der Entscheidung für ein Net-Zero-Ziel nach SBTi-Standard verpflichten wir uns zu umfassenden Maßnahmen, die unsere Emissionen wirksam reduzieren und gleichzeitig innovative Lösungen entlang der gesamten Lieferkette fördern.

Müssen Handelsunternehmen ihre Kommunikation durch die kommende Green Claims Directive der EU grundsätzlich überdenken?

Noch liegt die finale Regulierung nicht vor, aber wir erwarten durchaus große Veränderungen hinsichtlich Verifizierungen und Labelling. Grundsätzlich finden wir die Stoßrichtung eines einheitlichen Rahmens, der Kund:innen Orientierung anhand belastbarer Fakten gibt, völlig richtig. Wir sprechen uns schon lange für eine verpflichtende Nachhaltigkeitskennzeichnung aus. Dabei muss man aber aufpassen, dass der Aufwand zum Nachweis dieser Nachhaltigkeitswirkungen nicht so hoch wird, dass sich ein Labelling für viele vor allem kleine und mittelständische Unternehmen nicht mehr lohnt. Hier sehe ich eine große Gefahr, dass wir gute und wirksame Initiativen verlieren.

Vielen Dank für das Gespräch!