Rz. 139

ESRS 1 enthält zwei explizite Schutzklauseln, die es Unternehmen erlauben, Angaben zu unterlassen – insbes. dann, wenn diese in der Wesentlichkeitsanalyse als wesentlich identifiziert wurden: "Das Unternehmen ist nicht verpflichtet, Verschlusssachen oder vertrauliche Informationen anzugeben, selbst wenn diese als wesentlich betrachtet werden" (ESRS 1.105). Im Besonderen werden Informationen i. V. m. geistigem Eigentum (intellectual property) hervorgehoben (ESRS 1.106 f.). Auch solche Schutzklauseln sind der Finanzberichterstattung nicht fremd; das Besondere an den Schutzklauseln gem. ESRS 1 ist jedoch, dass sie vage gehalten sind und damit weiten Spielraum eröffnen, Unternehmensinteressen gegenüber den Informationsbedürfnissen Dritter zu priorisieren.

 

Rz. 140

Vergleichsweise konkrete Ausführungen finden sich zur Schutzklausel im Hinblick auf geistiges Eigentum. Umfasst sind davon:

  • sachlich Angaben zu geistigem Eigentum, zu "Know-how" oder zu Ergebnissen von Innovationen;
  • in formaler Hinsicht nur solche Angaben, die sich auf Strategien, Pläne oder Maßnahmen beziehen und
  • die gleichzeitig drei Bedingungen erfüllen:

    • die Angabe bezieht sich auf Sachverhalte, die in dem Sinne geheim sind, dass sie weder in ihrer Gesamtheit noch in ihren Bestandteilen bzw. in der genauen Anordnung und Zusammensetzung dieser Bestandteile allgemein bekannt oder zumindest zugänglich sind für Personen in den einschlägigen Fachkreisen;
    • die Geheimhaltung der Sachverhalte, die durch die Angabe erfasst werden, ist für das berichtspflichtige Unternehmen von wirtschaftlichem Wert;
    • das Unternehmen hat auch angemessene Anstrengungen unternommen, um diese Geheimhaltung sicherzustellen (ESRS 1.106).
 

Rz. 141

Auch auf (weitere) Verschlusssachen oder vertrauliche Informationen ist eine Schutzklausel gem. ESRS 1 anzuwenden. Hierzu finden sich Begriffsdefinitionen im Glossar zu den ESRS:

  • Verschlusssachen: "EU-Verschlusssachen gemäß der Definition im Beschluss 2013/488/EU des Rates über die Sicherheitsvorschriften für den Schutz von EU-Verschlusssachen oder als von einem Mitgliedstaat als solche eingestuft und gemäß Anlage B dieses Beschlusses gekennzeichnet."[1]
  • Vertrauliche Informationen: "Vertrauliche Informationen im Sinne der Verordnung (EU) 2021/697 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung des Europäischen Verteidigungsfonds."[2]

Hierbei handelt es sich also um (vergleichsweise eng abgegrenzte) Schutzklauseln, die für öffentliches Interesse zur Anwendung gelangen. Eine solche Schutzklausel ist insbes. im nationalen Bilanzrecht geregelt (HGB) bzw. geregelt gewesen (UGB) und hinsichtlich ihres Anwendungsbereichs klar umrissen; auch für die IFRS wird eine Anwendung gefordert. Dabei wird diese Schutzklausel nach h. M. so ausgelegt, dass das Unterlassen sogar eine Verpflichtung für Unternehmen darstellt, da das öffentliche Interesse stets in einem höheren Maß schützenswert ist, als es die ansonsten verfolgten Zwecke der Rechnungslegung sind. Kontexte, in denen diese Schutzklausel von einer großen praktischen Bedeutung sein kann, sind etwa Wirtschaftstätigkeiten im Bereich der Landesverteidigung oder Rüstungsindustrie bzw. im Bereich öffentlicher Infrastruktur.[3]

 

Rz. 142

Eine Angabe, dass eine dieser beiden Schutzklauseln ausgeübt wurde, ist nach ESRS 2 BP-1 nur für die Schutzklausel zu geistigem Eigentum erforderlich (nicht aber für Verschlusssachen bzw. vetrauliche Informationen). Anzugeben ist auch in diesem Fall nur, ob von einer Schutzklausel Gebrauch gemacht wurde; jede weitergehende Spezifizierung kann u. E. unterbleiben. Damit soll v. a. dem schützenswerten Interesse des berichtspflichtigen Unternehmens Rechnung getragen werden. Allerdings sind alle weiteren Datenpunkte einer Angabepflicht, die nicht die soeben dargestellten Kriterien erfüllen und damit nicht von der Möglichkeit des Unterlassens umfasst sind, anzugeben. Darüber hinaus haben Unternehmen darauf abzustellen, die Relevanz all dieser Angaben, die zu einer Angabepflicht getätigt werden, durch die Ausübung einer Schutzklausel so wenig wie möglich zu beeinträchtigen (ESRS 1.108.).

 

Rz. 143

Weitere umfassende Schutzklauseln für die Nachhaltigkeitsberichterstattung gem. ESRS existieren nicht. D. h., dass Unternehmen keine Aufrechnung eigener Interessen gegenüber jener der Nutzer der Nachhaltigkeitsberichterstattung anstellen dürfen, sofern es Angabepflichten betrifft, die als wesentlich in der Wesentlichkeitsanalyse identifiziert wurden. Per se sind die Unternehmensinteressen durch die ESRS damit nicht geschützt. Hinzuweisen ist allerdings darauf, dass einzelne Angabepflichten der ESRS Anforderungen eingearbeitet haben, die im Ergebnis sehr eingeschränkten Schutzklauseln gleichkommen (etwa i. V. m. ESRS G1-4, wonach nur "bestätigte Korruptions- oder Bestechungsfälle" berichtspflichtig sind, oder im Hinblick auf die bereits angesprochene Möglichkeit, Angaben im Fall von Impraktikabilitäten zu unterlassen; Rz 40).

 

Rz. 144

Ergänzend ist aber noch darauf hinzuweisen, d...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Sustainability Office. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge