On or off the Omnibus


Re:thinking Sustainability: On or off the Omnibus

Mit der angekündigten Omnibus-Verordnung der EU sollen ESG-Berichtspflichten harmonisiert und vereinfacht werden. Stephan Grabmeier blickt den Anpassungen optimistisch entgegen, schließlich schaffe eine Entlastung beim Reporting Raum für wirksamere Nachhaltigkeitsstrategien.

Lediglich die Feiertage um den Jahreswechsel haben die Diskussionen um die Schubumkehr vieler Maßnahmen in der Nachhaltigkeitsregulierung etwas verstummen lassen. Die Ankündigung einer „Omnibus-Verordnung“ der EU war ein Paukenschlag. Diskutiert wird seitdem in vielen Unternehmen, Beratungen und Wirtschaftsprüfungen die damit verbundene strategische Adaption. Drehen konservative politische Klimaskeptiker und fossile Lobbyisten das Rad der Veränderung wieder rückwärts? Sind die geplanten Maßnahmen ein Vorwand, um Nachhaltigkeit auf die lange Bank der unangenehmen Transformationsvorhaben zu schieben? Oder sind sie umgekehrt eine Einladung, die Chancen nachhaltiger Transformation praktikabler zu machen und sie zum positiven zu vereinfachen? Wohin befinden wir uns aktuell: on or off the (Omni-)bus.

Mein Plädoyer: Klar on the bus. Nicht trotz, sondern wegen der neuen Vorhaben können wir unsere Unternehmen zukunftsfähig entwickeln.

Die geplanten Vereinfachungen in der ESG-Berichterstattung sind keine Reduktion der Verantwortung, sondern ein Mittel, Unternehmen effektiver und effizienter in die Verantwortung zu nehmen. Konkret sollen durch die „Omnibus-Verordnung“ Regelungen aus der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), der Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) und der EU-Taxonomie-Verordnung gebündelt werden.

Unternehmen, die diesen Moment nutzen, können sich strategische Vorteile verschaffen und sich weiter als Vorreiter einer zukunftsfähigen Wirtschaft positionieren.

Die Omnibus-Verordnung: ein Rejustieren der Nachhaltigkeitspolitik

Die EU signalisiert mit der Omnibus-Verordnung, dass Nachhaltigkeit nicht mehr nur moralischer Imperativ, sondern wirtschaftlicher Handlungsrahmen wird. Sie ist Teil der Budapester Erklärung zum „Neuen Deal für die europäische Wettbewerbsfähigkeit“. Die Verschlankung und Harmonisierung von ESG-Berichtspflichten reduzieren administrative Hürden und schaffen Raum für das Wesentliche: die Umsetzung wirksamer Nachhaltigkeitsstrategien. Bereits im ersten Halbjahr 2025 sollen konkrete Vorschläge zur Reduzierung der Berichtspflichten um mindestens 25 Prozent vorgelegt werden. Unternehmen sollten sich bewusst machen, dass diese Entwicklung langfristige Stabilität und Wachstumsmöglichkeiten fördert und als Chance betrachtet werden muss.

So weit so theoretisch. Aus der Transformationsforschung wissen wir: mangelnde Orientierung verhindert Veränderungsmotivation und -geschwindigkeit. Das ist die Herausforderung, in der wir stecken. In der Praxis nehme ich drei verschiedene Reaktionen aufgrund der neuen Strömungen wahr.

Die Zukunftsgestalter

Es gibt die unternehmerisch progressiven Zukunftsgestalter, die eine große Chance darin sehen, ihre Nachhaltigkeitsaktivitäten zu bündeln, um bürokratischen Aufwand zu reduzieren und effektiver zu werden. Sie sind bereits on the bus und arbeiten progressiv an der Bündelung und Vereinfachung ihrer Berichtspflichten. Die Gruppe gehört zu denen, die bereits seit vielen Jahren einen hohen Reifegrad in ihrer organisationalen Nachhaltigkeit haben. In Balance zu den intrinsischen Beweggründen stehen die wirtschaftlichen Vorteile und Potenziale.

Die Abwartenden

Ein Teil derer, die sich auf den Weg gemacht haben, reduzieren die Geschwindigkeit und gehen in den Zuschauermodus. Im Sinne: „lasst uns mal sehen was passiert, erst wenn wir wieder Klarheit haben, werden wir auch wieder aktiv“. Der Reifegrad und die direkten Verpflichtungen sind in der Gruppe dieser Unternehmen niedriger. Die Unternehmer finden sich eher in der „early oder late majority“, wenn man diese Gruppe in der Diffusionstheorie einordnet.

Die Rückzieher

Es gibt andere Unternehmer, die überlegen wieder aus dem Bus auszusteigen und eine Vereinfachung als Vorwand nutzen jetzt erstmal nichts zu tun. „Alles auf Stopp, raus aus dem Bus, wussten wir es doch, das war alles grüner ideologischer Firlefanz. Wir machen es wieder so wie immer“. Teilweise auch in der Hoffnung, dass destruktive politische Kräfte des fossilen Kapitalismus noch mehr geplante Nachhaltigkeitsmaßnahmen stoppen und zurückfahren.

Um den Abwartenden und den Rückziehern etwas Orientierung zu geben. Es wird sehr wahrscheinlich so sein, dass geplante Regulierungen angepasst werden. Das bedeutet nicht, dass sie gestoppt werden. Es gibt keinen Grund, langsamer in der Anpassung an neue Realitäten zu werden, seine Ambitionen zu reduzieren oder gar zu stoppen. Im Gegenteil.

Im großen Bild der Transformation geht es um die Erneuerung unserer Wirtschaft. Es geht um die Zukunftsfähigkeit unserer Unternehmen und unserer Gesellschaft. Dafür müssen wir im aktiven Gestalter-Modus bleiben. Denn wohin uns reaktives Festhalten an alten fossilen Geschäftsmodellen und mangelndes Innovieren in grüne Zukunftsmärkte gebracht hat, spüren wir schmerzhafter, denn je in der aktuellen Wirtschaftslage. Andere Länder und Wettbewerber überholen uns aktuell in Sachen nachhaltiger Zukunftsfähigkeit links und rechts.

Jetzt handeln! Vier zentrale Argumente für den Aufbruch

  1. Innovationen entfalten und Wettbewerbsfähigkeit ausbauen
    Nachhaltigkeit ist der Innovationstreiber unserer Zeit. Unternehmen, die Nachhaltigkeit in ihre Kernstrategie integrieren, entwickeln neue Produkte, Dienstleistungen und Geschäftsmodelle, die nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch zukunftsfähig sind. Die Umstellung auf Kreislaufwirtschaft oder Investitionen in grüne Technologien zeigen, wie sich Unternehmen gegenüber weniger agilen Wettbewerbern abheben können. Die Geschichte zeigt: Innovation entsteht dort, wo Grenzen erkannt und neu gedacht werden.
  2. Marktzugang und Finanzierung sichern
    Finanzierungsquellen verschieben sich. Investoren und Kreditgeber bevorzugen zunehmend Unternehmen, die ESG-Kriterien erfüllen, messbare Fortschritte in der Nachhaltigkeit zeigen und ihre Geschäftsrisiken im Rahmen der planetaren Grenzen steuern. Wer hier vorangeht, verbessert nicht nur seine Reputation, sondern auch seine Chancen auf Zugang zu Kapital und strategische Partnerschaften. Dies ist besonders relevant, da sich regulatorische Anforderungen in globalen Lieferketten verschärfen. In einer Welt, die sich zunehmend auf nachhaltige Wertschöpfung konzentriert, bedeutet passives Verhalten einen Verlust an Relevanz.
  3. Attraktivität für Talente und Kunden steigern
    Der veränderte Mindset hin zu einer gesunden Welt in der Gesellschaft geht voran. Mitarbeitende und Kund:innen erwarten von Unternehmen Verantwortung – nicht als Imagekampagne, sondern als echte Transformation. Unternehmen, die glaubhaft Nachhaltigkeit umsetzen, gewinnen loyale Kund:innen und hochqualifizierte Talente, die bereit sind, diese Mission mitzutragen. Wer zukunftsfähig sein will, muss nicht nur überzeugen, sondern authentisch inspirieren.
  4. Kosteneffizienz durch Ressourcenschonung
    Nachhaltigkeitsstrategien zahlen sich auch in harten Zahlen aus. Unternehmen, die Energie- und Ressourceneffizienz priorisieren, senken langfristig ihre Kosten. Ob durch Energieeinsparungen, die Reduktion von Abfällen oder den Einsatz erneuerbarer Energien – Nachhaltigkeit ist eine Investition in Effizienz und Widerstandsfähigkeit. In wirtschaftlich unsicheren Zeiten verschafft das einen unschlagbaren Wettbewerbsvorteil.

Verantwortung ist keine Option, sondern Pflicht

Unternehmen, die Nachhaltigkeit strategisch in den Wandel ihrer Geschäftsmodelle verankern, tragen nicht nur zum Klimaschutz und sozialen Fortschritt bei, sondern sichern ihre eigene Zukunftsfähigkeit. Die Omnibus-Verordnung bietet daher die Gelegenheit, komplexe Anforderungen zu überdenken und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Die Zukunft verlangt nach mutigen Entscheidungen, progressiven Ambitionen und nicht nach Zaudern. Hier kann die Wirtschaft der konservativen Politik mit gestrigem Wirtschaftsbild ein Vorbild sein.

Mut zur Transformation

Der unternehmerische Mut bestätigt sich aus vielen Quellen. So zeigt der aktuelle „CxO Sustainability Report“ von Deloitte (November 2024, 2.100 befragte Führungskräfte in 27 Ländern), dass Nachhaltigkeit für Führungskräfte weltweit eine hohe Priorität hat und dass ein Wandel in der Wahrnehmung von Nachhaltigkeit als Werttreiber im Gange ist.

Einige Erkenntnisse aus der Studie zeigen den klaren Weg in Richtung Zukunftsfähigkeit:

  • Klimawandel als Top 3 -Priorität
    Der Klimawandel ist eines der drei wichtigsten Themen für CxOs und übertrifft andere dringende Herausforderungen wie politische Unsicherheit, den Wettbewerb um Talente und das sich verändernde regulatorische Umfeld.
  • Erhöhte Investitionen in Nachhaltigkeit
    85 Prozent der CxOs geben an, ihre Investitionen in Nachhaltigkeit im letzten Jahr erhöht zu haben, gegenüber 75 Prozent im Jahr 2023. Dies deutet auf ein wachsendes Engagement für Nachhaltigkeitspraktiken hin.
  • Erwarteter Einfluss auf Geschäftsstrategien
    70 Prozent erwarten, dass der Klimawandel in den nächsten drei Jahren einen erheblichen Einfluss auf die Strategien und Abläufe ihrer Unternehmen haben wird.
  • Nachhaltigkeit als Werttreiber
    Führungskräfte erkennen zunehmend das Potenzial von Nachhaltigkeit als „Motor für neue Wertschöpfung, einen Wettbewerbsvorteil, einen Treiber für Innovation und Transformation“ und nicht nur eine Compliance- oder Risikomanagementübung.
  • Transformation von Geschäftsmodellen
    Nahezu die Hälfte (45 Prozent) gibt an, ihre Geschäftsmodelle so umzustellen, dass Klimawandel und Nachhaltigkeit zentral in der Organisationsstrategie verankert sind.
  • Glaube an Wachstum und Klimaschutz
    Die meisten sehen keinen Widerspruch zwischen wirtschaftlichem Erfolg und Klimaschutz: „92 Prozent der CxOs glauben, dass ihr Unternehmen wachsen kann, während es die Treibhausgasemissionen reduziert, und 90 Prozent glauben, dass die Welt wirtschaftliches Wachstum erzielen kann, während sie kollektive Klimaziele erreicht.“

Ohne Zweifel liegt mehr Arbeit vor uns als hinter uns. Die Botschaften aus dieser Studie, wie auch aus der Twin Transformation Studie mit 51 Familienunternehmen die ich im Sommer 2024 hier vorgestellt habe zeigen viele Beispiele von Unternehmen mit Verantwortung für Zukunftsfähigkeit. Auch unser aktuelles Buch „Re:thinking Sustainability“ in dem wir zwölf Unternehmen und ihre Transformationsgeschichten hin zum regenerativen Wirtschaften beschreiben, greift vorbildliche Unternehmen auf, von denen wir alle lernen können.

Fazit: Zukunft gestalten statt Abwarten

Die aktuelle Lage bietet Unternehmen den richtigen Moment, Verantwortung zu übernehmen und den Wandel als Chance zu begreifen. Nachhaltigkeit ist nicht der Verzicht auf Wachstum, sondern der Weg zu einem besseren, stabileren und profitableren Wirtschaftssystem. Große Zukunftssprünge entstehen in großen Umbrüchen. Wer jetzt handelt, gestaltet nicht nur die eigene Zukunft, sondern auch die unserer Gesellschaft. Dieses Momentum zu nutzen, bedeutet, Pionier zu sein – und wer möchte nicht Teil einer Erfolgsgeschichte sein, die Generationen inspiriert und unseren Kindern einen lebenswerten Planeten hinterlässt?