Rz. 148a

Stand: 5. A. Update 1 – ET: 10/2019

Der BFH hat entschieden, dass bei innergemeinschaftlichen Reihengeschäften die Prüfung, welche von mehreren Lieferungen über ein und denselben Gegenstand in einen anderen EU-Mitgliedstaat nach § 4 Nr. 1 Buchst. b i. V. m. § 6a Abs. 1 UStG steuerfrei ist, anhand der objektiven Umstände und nicht anhand von Erklärungen der Beteiligten vorzunehmen ist. Erklärungen des Erwerbers können allerdings im Rahmen der Prüfung des Vertrauensschutzes für den Lieferanten (§ 6a Abs. 4 UStG) von Bedeutung sein (BFH vom 25.02.2015, Az: XI R 15/14, BFH/NV 2015, 772).

Der Urteilsfall

 

Rz. 148b

Stand: 5. A. Update 1 – ET: 10/2019

Das Urteil erging zu folgendem Sachverhalt:

Ein deutsches Unternehmen (A) verkaufte bereits im Jahr 1998 zwei Maschinen an ein US-amerikanisches Unternehmen (B). B teilte A auf Anfrage lediglich die USt-IdNr. eines finnischen Unternehmens (C) mit, an die es die Maschinen weiterverkauft hatte. Die Maschinen wurden von einer von B beauftragten Spedition bei A abgeholt und zu C nach Finnland verschifft. Das Finanzamt (FA) behandelte die Lieferung des A nicht als steuerfrei, weil B keine USt-IdNr. eines Mitgliedstaats der EU verwendet hatte.

Nach Ansicht des zuvor auf Vorlage des BFH mit dem Streitfall befassten EuGH ist bei Reihengeschäften regelmäßig die Lieferung von A an B umsatzsteuerfrei; anders ist es jedoch, wenn B der C bereits Verfügungsmacht an der Ware verschafft hat, bevor die Ware das Inland verlassen hat. Dies ist anhand aller objektiven Umstände des Einzelfalls und nicht lediglich anhand der Erklärungen des B zu prüfen (EuGH vom 27.09.2012, Rs. C-587/10, VSTR, BFH/NV 2012, 1919).

A, das FA und das Finanzgericht (FG) konnten im Nachhinein nicht mehr ermitteln, wann B die Verfügungsmacht an den Waren der C verschafft hatte.

Das FG gab deshalb der Klage statt (Sächsisches FG vom 12.03.2014, Az: 2 K 1127/13, BFH/NV, Datenbank HI 6754223). Hiergegen wendet sich das FA und begründet die Revision insbesondere unter Hinweis auf die neuere Rechtsprechung des FG Münster (FG Münster vom 16.01.2014, Az: 5 K 3939/10 U, GStB 2014, 345; nrkr., Az des BFH: XI R 12/14).

Die Entscheidung des BFH

 

Rz. 148c

Stand: 5. A. Update 1 – ET: 10/2019

§ 3 Abs. 6 S. 6 HS 1 UStG enthält die gesetzliche Vermutung dahingehend, dass der Ersterwerber bei der Beförderung oder Versendung

  • als Abnehmer der Vorlieferung und
  • nicht als Lieferer an den letzten Abnehmer

tätig wird.

Im Zweifel ist damit die erste Lieferung – im Urteilsfall die Lieferung von A an B – die "bewegte" und unter den weiteren Voraussetzungen der § 4 Nr. 1 Buchst. b, § 6a Abs. 1 UStG als innergemeinschaftliche Lieferung umsatzsteuerfrei.

 

Rz. 148d

Stand: 5. A. Update 1 – ET: 10/2019

Die gesetzliche Vermutung kann widerlegt werden (§ 3 Abs. 6 S. 6 HS 2 UStG). Die MwStSystRL sieht keine korrespondierende Regelung vor; der EuGH betont insoweit vielmehr die Maßgeblichkeit der Umstände des Einzelfalls. § 3 Abs. 6 S. 6 UStG muss daher unionsrechtskonform ausgelegt werden (BFH vom 25.02.2015, a. a. O., Rz. 32).

Im Urteilsfall kann die Vermutung des § 3 Abs. 6 S. 6 HS 1 UStG nicht widerlegt werden. Der BFH bestätigt daher das FG-Urteil und weist die Revision als unbegründet zurück.

Absage an die Rechtsprechung des FG Münster

 

Rz. 148e

Stand: 5. A. Update 1 – ET: 10/2019

Der Auffassung, die in § 3 Abs. 6 S. 6 UStG enthaltene Vermutung sei unionsrechtswidrig und dementsprechend nicht anzuwenden (so z. B. FG Münster vom 16.01.2014, a. a. O.), ist der BFH ausdrücklich nicht gefolgt.

Damit kommt es für die Zuordnung der Warenbewegung allein auf die objektiven Umstände an. Bloße Absichtsbekundungen der Beteiligten bleiben bei der Frage der Zuordnung – anders als vom FG Münster angenommen – unberücksichtigt.

Bestätigung des BFH durch die Rechtsprechung des EuGH

 

Rz. 148f

Stand: 5. A. Update 1 – ET: 10/2019

Bestätigt wird der BFH durch den EuGH, der – wie schon Art. 28c Teil E Abs. 3 der 6. EG-Richtlinie 77/388/EWG und jetzt Art. 141 MwStSystRL sowie § 25b Abs. 1, Abs. 3 UStG – davon ausgeht, dass

  • die Zuordnung der Warenbewegung zur ersten Lieferung der Regelfall ist und
  • die Zuordnung zur zweiten Lieferung damit eine Ausnahme

darstellt (BFH vom 25.02.2015, a. a. O., Rz. 61 m. w. N.).

Hinzuweisen ist auf das insoweit grundlegende EuGH-Urteil vom 16.10.2010 (Rs. C-430/09, Euro Tyre Holding, BFH/NV 2011, 397), das die Zusammenhänge zwischen Zuordnungsentscheidung, Absichtserklärungen und Vertrauensschutz wie folgt aufzeigt:

Rz. 29

Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich ferner, dass eine Befreiung der innergemeinschaftlichen Lieferung eines Gegenstands im Sinne von Art. 28c Teil A Buchst. a Unterabs. 1 der Sechsten Richtlinie nur anwendbar ist, wenn das Recht, wie ein Eigentümer über den Gegenstand zu verfügen, auf den Erwerber übertragen worden ist, wenn der Lieferant nachweist, dass dieser Gegenstand in einen anderen Mitgliedstaat versandt oder befördert worden ist und wenn dieser Gegenstand infolge dieser Versendung oder Beförderung den Liefermitgliedstaat physisch verlassen hat (vgl. in diesem Sinne Urteile Teleos u. a., Randnr. 42, vom 27. September 2007, Twoh International, C-18...

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