Rz. 86

Der BFH hat darauf erkannt, dass ein der Sollbesteuerung unterliegender Unternehmer, der seinen Entgeltsanspruch aufgrund eines vertraglichen Einbehalts zur Absicherung von Gewährleistungsansprüchen über einen Zeitraum von zwei bis fünf Jahren nicht verwirklichen kann, bereits für den Voranmeldungszeitraum der Leistungserbringung zur Steuerberichtigung berechtigt ist (BFH vom 24.10.2013, Az: V R 31/12, BStBl II 2015, 674). Das auf den ersten Blick sicher recht spezielle und eher theoretisch anmutende Urteil dürfte sich in der Praxis immer dann – und zwar zum Vorteil des Mandanten – auswirken, wenn dieser als Sollbesteuerer nach Erbringung seiner Leistung zwar einen Entgeltsanspruch hat, diesen aber aufgrund entgegenstehender Vereinbarungen zunächst nicht durchsetzen kann. Entsprechend mindert sich dann der Vorsteueranspruch des aus den Vereinbarungen begünstigten Leistungsempfängers.

 
Praxis-Beispiel

Ein deutsches Unternehmen (D) ist im Bereich der Oberflächentechnik tätig und führte für einen ebenfalls deutschen Unternehmenskunden (K) Malerarbeiten aus. Auf Grund eines Sicherheitseinbehalts wegen möglicher Baumängel musste K zunächst nur 90 % der Rechnungssumme zahlen. Die verbleibenden 10 % waren erst nach Ablauf der Gewährleistungsfrist (5 Jahre) fällig.

Lösung:

D wollte dementsprechend zunächst nur 90 % des Umsatzes versteuern und die Umsatzsteuer auf die restlichen 10 % nach Fälligkeit in 5 Jahren bezahlen.

Das Finanzamt forderte mit der bislang herrschenden Meinung die sofortige Zahlung der gesamten Umsatzsteuer.

 

Rz. 87

Der BFH teilt die Auffassung des leistenden Unternehmers. Die Sollbesteuerung – also die Besteuerung nach vereinbarten Entgelten – ist auch im Hinblick auf die EU-Vorgaben im Grundsatz nicht zu beanstanden. Daraus ergibt sich für den leistenden Unternehmer zwangsläufig auch eine gewisse Pflicht zur Vorfinanzierung der Umsatzsteuer (BFH, a. a. O., Rz. 11 ff.). Diese Pflicht darf den Sollbesteuerer aber im Vergleich zum Istbesteuerer nicht über die Gebühr belasten! Dieses Ziel – also die Vermeidung einer Überbelastung – erreicht der BFH über die Auslegung des Begriffs der "Uneinbringlichkeit" nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG. Die Auslegung muss auch dazu dienen, die Besteuerungsgleichheit zwischen der Soll- und Istbesteuerung zu gewährleisten (so bereits BFH vom 22.7.2010, Az: V R 4/09, BStBl II 2013, 590, unter II.4.b dd (1) und oben II.1.a.). Aus diesem Grund legt der BFH den Berichtigungstatbestand (§ 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG) weit aus (BFH, a. a. O., Rz. 20). Damit ist ab sofort zu unterscheiden zwischen

  • nachträglicher Uneinbringlichkeit: Schon immer unstreitig war, dass die Sollbesteuerung den Unternehmer bei Umständen, die erst nach der Leistungserbringung eintreten, nicht verpflichtet, Umsatzsteuer über mehrjährige Zeiträume vorzufinanzieren (vgl. Abschn. 17.1 Abs. 5 UStAE; und.
  • anfänglicher Uneinbringlichkeit: Vor dem Besprechungsurteil noch ungeklärt war der Fall, dass der Unternehmer bereits nach den der Leistungserbringung zugrunde liegenden Verträgen von vornherein nicht berechtigt ist, das Entgelt bei Leistungserbringung vollständig zu vereinnahmen.
 

Rz. 88

Hier hält der BFH die Annahme einer Uneinbringlichkeit bereits für den Voranmeldungszeitraum der Leistungserbringung für gerechtfertigt:

  • Eine Verpflichtung des Unternehmers zu einer mehrjährigen Vorfinanzierung der Umsatzsteuer ohne Entgeltvereinnahmung ist im Hinblick auf die Aufgabe als Steuereinnehmer auch dann unverhältnismäßig, wenn diese von vornherein feststeht (BFH, a. a. O., Rz. 19 und 23).
  • Aufgrund der vom deutschen Gesetzgeber ausgeübten Ermächtigung, einzelne Unternehmer der Istbesteuerung zu unterwerfen, ist es mit dem Gleichheitsgrundsatz unvereinbar, wenn der Steueranspruch bei Vereinbarung eines Sicherungseinbehalts für den Gewährleistungsfall bei der Istbesteuerung erst aufgrund der Vereinnahmung nach Ablauf von Gewährleistungsfristen von zwei bis fünf Jahren entsteht, während bei der Sollbesteuerung auch im Umfang des Sicherungseinbehalts bereits aufgrund der Leistungserbringung sofort zu versteuern ist (BFH, a. a. O., Rz. 20).
 

HINWEISE

  1. Die Auslegung des Begriffs der "Uneinbringlichkeit" dient also hier dazu, eine gewisse Besteuerungsgleichheit zwischen Soll- und Istbesteuerung herzustellen (Weimann / Kraatz, a. a. O.).
  2. Der BFH hätte wahrscheinlich anders entschieden, wenn D die laut Vertrag ebenfalls mögliche Bankbürgschaft erbracht und damit den vollen Zahlungsanspruch gehabt hätte (BFH, a. a. O., Rz. 26).
 

Rz. 89

Anzuwenden sein wird das Urteil immer dann, wenn die Sollbesteuerung deswegen zu einer nicht gewollten Vorfinanzierung der Umsatzsteuer durch den Mandanten führt, weil sein Kunde erst später den vollen Preis zahlt, also vor allem bei

  • Sicherheitseinbehalten

    Beispiel: Der Mandant ist Bauunternehmer und tätigt ein dem Urteilsachverhalt vergleichbares Geschäft.

  • Ratenzahlungsgeschäften

    Beispiel: Ihr Mandant betreibt ein Möbelhaus und kurbelt den in den Sommermonaten 2018 schleppenden Umsatz mit der Verkaufsför...

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