Aufrechnungsverbot: Anfechtung bei Masseunzulänglichkeit

Sind die Kosten eines Insolvenzverfahrens gedeckt, reicht aber die Masse nicht aus, um die fälligen sonstigen Masseverbindlichkeiten nach § 55 InsO zu erfüllen, muss der Insolvenzverwalter Masseunzulänglichkeit gegenüber dem Insolvenzgericht anzeigen.

Über die Anzeige der Masseunzulänglichkeit erlangt der Insolvenzverwalter die zur Fortsetzung seiner Tätigkeit unerlässliche Handlungsfreiheit zurück; ansonsten könnte er bei Kenntnis der Masseunzulänglichkeit keine weiteren Verbindlichkeiten eingehen. Die Anzeige ermöglicht dem Insolvenzverwalter, neue Masseverbindlichkeiten (Neumasseverbindlichkeiten) einzugehen und diese auch voll zu erfüllen, während die bisherigen Massegläubiger (Altmassegläubiger) nur eine Quote erhalten. Nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit ist für die weitere Beurteilung der Masseverbindlichkeiten zwischen Alt- und Neumasseverbindlichkeiten zu unterscheiden.

Aufrechnungsverbote

Scheitert die Aufrechnung gegen einen Steuererstattungsanspruch mit Insolvenzforderungen an einem Aufrechnungshindernis, so ist dann grundsätzlich immer noch eine Aufrechnung mit Masseforderungen möglich. Liegt allerdings ein Fall von Masseunzulänglichkeit vor, hat dies zur Folge, dass eine weitere zeitliche Differenzierung hinsichtlich der nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Steuererstattungsansprüche vorgenommen werden muss. Auf Altmasseforderungen, d.h. Masseforderungen, die vor Feststellung der Masseunzulänglichkeit begründet sind, sind insoweit die Vorschriften der §§ 94 – 96 InsO mit der Maßgabe analog anzuwenden, dass als Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens der Zeitpunkt des Eintritts der Masseunzulänglichkeit gilt.

Nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist eine Aufrechnung unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger erst nach Eröfnung des Insolvenzverfahrens (analog: wenn ein Massegläubiger nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit) etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist. Danach können Massegläubiger mit ihren Altforderungen gegen die Masse weiterhin gegen solche Ansprüche der Masse wirksam aufrechnen, die vor Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründet sind; dagegen ist die Aufrechnung von Altforderungen gegen Neuansprüche der Masse, die erst nach dieser Anzeige begründet worden sind, unzulässig. Ebenso können Neuforderungen, die erst nach Feststellung der Masseunzulänglichkeit begründet worden sind, nicht zur Aufrechnung gestellt werden.

Auch § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO analog?

Dieser Vorschrift wurde in der Praxis – bei Masseunzulänglichkeit – bislang überwiegend Bedeutung beigemessen. Soweit ersichtlich, hat das FG Nürnberg als erstes Finanzgericht eine Aufrechnung nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO für unzulässig erklärt.

Die Aufrechnung ist hiernach unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger die Möglichkeit der Aufrechnung durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt hat. Rechtshandlungen, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden sind und die Insolvenzgläubiger benachteiligen, kann der Insolvenzverwalter nach § 129 Abs. 1 InsO nach Maßgabe der §§ 130 – 146 InsO anfechten. Anfechtbar ist z. B. eine Rechtshandlung, die einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht hat, die er nicht oder nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte (inkongruente Deckung), nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO, wenn die Handlung im letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag vorgenommen worden ist.

Eine solche Rechtshandlung, die einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht hat, die er nicht oder nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte, ist nach der Rechtsprechung insbesondere auch die Leistung des vorläufigen Insolvenzverwalters, die dazu führt, dass das Finanzamt mit Steuerschulden gegen einen Vorsteueranspruch aufrechnen kann.  

Daher ist das FG zu dem Ergebnis gekommen, dass bei dem folgenden Sachverhalt die Aufrechnung nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO i. V. m. § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO unzulässig ist:

  • Beginn vorläufige Verwaltung: 21.3.2013
  • Insolvenzeröffnung: 1.6.2013
  • Anzeige Masseunzulänglichkeit: 4.6.2013
  • Umsatzsteuerrückstand 05/13 = trotz Zeitraum vor Eröffnung Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 4 InsO
  • Vorsteuererstattungsanspruch 03/2014 (aus Rechnung des vorläufigen Verwalters begründet)

Hier liegt eine Aufrechnung (Alt-)Masse gegen (Alt-)Masse vor, weil auch vorinsolvenzlich begründete Erstattungsansprüche zur Masse gehören. § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist erfüllt, weil die Handlung des vorläufigen Verwalters (auch) im Zeitraum 4.5.2013 - 4.6.2013 erbracht wurde. Zwar wurde die Leistung auch vom 21.3. - 3.5.2013 erbracht, aber hier hat der BFH entschieden (Urteil v. 4.3.2008, VII R 10/06), dass eine Aufrechnung insgesamt ausgeschlossen ist, wenn keine Teilleistungen für die Arbeit des (vorläufigen-)Insolvenzverwalters festgesetzt wurden.

Die Entscheidung des FG Nürnberg ist rechtskräftig. Es empfiehlt sich daher, bei Aufrechnungen Altmasse/Altmasse auch das Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO zu prüfen.  

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