Leitsatz

Scheitert die Anerkennung des sozialen Charakters einer Einrichtung zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen allein an der in § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG normierten Pflicht, diesbezüglich ausschließlich auf die Verhältnisse des vorangegangenen Kalenderjahrs abzustellen, sind die Umsätze dieser Einrichtung nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG steuerfrei.

 

Normenkette

§ 4 Nr. 16 Buchst. e UStG 1993, Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g 6. EG-RL

 

Sachverhalt

Die Steuerpflichtige meldete zum 1.6.1993 einen ambulanten Pflegedienst an. Auf ihren Antrag vom 27.8.1993 wurde sie zum 1.10.1993 für die Leistungen der Häuslichen Krankenpflege (§ 37 des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch in der damals geltenden Fassung), Häuslichen Pflegehilfe (§§ 53 bis 56 SGB V) und Haushaltshilfe (§ 38 SGB V) zu den Krankenkassen zugelassen.

Das FA versagte die Steuerfreiheit der Umsätze der Steuerpflichtigen nach § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG, weil von den von ihr im Jahr 1993 behandelten Personen 68 % Privatzahler waren.

Das FG gab der Klage überwiegend statt (FG Berlin, Urteil vom 16.8.2006, 2 K 5218/01, Haufe-Index 1644092, EFG 2007, 624).

 

Entscheidung

Die Revision des FA blieb erfolglos.

Der BFH entschied, die streitbefangenen Leistungen der Klägerin seien zwar nicht nach § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG steuerfrei. Für die Steuerfreiheit der streitbefangenen Leistungen könne sich die Klägerin jedoch mit Erfolg unmittelbar auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der 6. EG-RL berufen. Die Voraussetzungen dieser Bestimmung lägen vor.

Die Klägerin habe in Ausübung der ambulanten Pflege eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Leistungen i.S.d. Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der 6. EG-RL erbracht. Bei der Klägerin handele es sich zudem um eine als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtung i.S.v. Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der 6. EG-RL.

Zwar habe der EuGH im Urteil Zimmermann die Zwei-Drittel-Grenze des § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG sowie die dort normierte Bedingung, dass die Kosten für die betreffenden Leistungen der ambulanten Pflege ganz oder zum überwiegenden Teil von den gesetzlichen Sozialversicherungs- oder Sozialhilfeträgern übernommen worden sein müssen, ausdrücklich gebilligt. Durch die in § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG normierte Pflicht, diesbezüglich jeweils auf das vorangegangene Kalenderjahr abzustellen, würde jedoch die Anerkennung des "sozialen Charakters" der Einrichtung der Klägerin für den Streitzeitraum, in dem sie dem Grunde nach Umsätze i.S.d. § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG ausführte, automatisch und zwangsläufig ausgeschlossen. Hierfür biete Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der 6. EG-RL keine Grundlage (EuGH, Urteil vom 15.11.2012, C 174/11, Zimmermann, HFR 2013, 84, Rz. 40, 41).

 

Hinweis

Es handelt sich um die Nachfolgeentscheidung zu dem in dieser Sache auf Vorlage des BFH (BFH, Beschluss vom 2.3.2011, XI R 47/07, BFH/NV 2011, 1089) ergangenen EuGH-Urteil vom 15.11.2012, C 174/11, Zimmermann (BFH/NV 2013, 173).

Nach § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG in der in den Streitjahren 1993 und 1994 geltenden Fassung waren steuerfrei u.a. „die mit dem Betrieb ... der Einrichtungen zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen eng verbundenen Umsätze, wenn "im vorangegangenen Kalenderjahr die Pflegekosten in mindestens zwei Drittel der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden sind".

Die Regelung ist durch das Jahressteuergesetz 2009 vollständig neu gefasst worden.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 19.3.2013 – XI R 47/07

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