Rz. 19

[Autor/Stand] Die Frage, ob vom Gutachterausschuss ermittelte und im Grundstücksmarktbericht zur Verfügung gestellte Sachwertfaktoren anzuwenden sind, bei deren Berechnung vom Gutachterausschuss eine progressive Alterswertminderung zugrunde gelegt wurde, ist seinerzeit nicht von der Finanzverwaltung beantwortet worden. In diesen Fällen hat der Gutachterausschuss die Alterswertminderung auf den Gebäudeherstellungswert nicht wie bei der Grundbesitzbewertung des Bewertungsgesetzes linear (s. § 190 BewG bis 31.12.2015, Rz. 69, § 190 BewG bis 31.12.2022, Rz. 140 bzw. § 190 BewG, Rz. 166), sondern z.B. nach Ross, d.h. bei zunehmendem Alter mit steigenden Beträgen, vorgenommen (s. § 189 BewG Rz. 11). Die Anwendung dieser Sachwertfaktoren bei der typisierenden Grundbesitzbewertung führt zu Wertverzerrungen (s. nachfolgende Berechnung am Beispiel eines Einfamilienhauses mit einem Alter von 35 Jahren und einer Restnutzungsdauer von 45 Jahren) und ist daher abzulehnen.

 
Sachwertfaktor bei Ross’scher Abschreibung (progressiv) Sachwertfaktor beim Sachwertverfahren nach §§ 189 BewG i.d.F. bis 31.12.2015
  Gebäuderegelherstellungswert 200.000 EUR   Gebäuderegelherstellungswert 200.000 EUR
Alterswertminderung nach Ross (31 %[2]) – 62.000 EUR lineare Alterswertminderung (43,75 % [35 Jahre/80 Jahre]) – 87.500 EUR
= Gebäudesachwert 138.000 EUR = Gebäudesachwert 112.500 EUR
+ Bodenwert 50.000 EUR + Bodenwert 50.000 EUR
= vorläufiger Sachwert 188.000 EUR = vorläufiger Sachwert 162.500 EUR
× Sachwertfaktor/Marktanpassungsfaktor (gerundet) 0,77793 × Sachwertfaktor[3] 0,9
= Sachwert (gemeiner Wert) 146.250 EUR = Sachwert (gemeiner Wert) 146.250 EUR
 

Rz. 19.1

[Autor/Stand] Aus der obigen Berechnung ist ersichtlich, dass sich eine progressive Alterswertminderung (z.B. nach Ross) in der Höhe deutlich von der linearen Alterswertminderung der typisierenden Bewertung nach §§ 189 ff. BewG unterscheiden kann. In der Folge kommt es zwangsläufig zu unterschiedlich hohen Gebäudesachwerten und vorläufigen Sachwerten. Der vom Gutachterausschuss ermittelte Sachwertfaktor bzw. Marktanpassungsfaktor muss daher zwangsläufig ein anderer als bei der typisierten Grundbesitzbewertung sein, damit sich im Ergebnis bei beiden Verfahren der gleiche Sachwert bzw. der gleiche gemeine Wert ergibt.

 

Rz. 19.2

[Autor/Stand] Würde der Sachwertfaktor (Marktanpassungsfaktor), der unter Zugrundelegung einer progressiven Abschreibung ermittelt wurde, bei der typisierenden Bewertung nach §§ 189 ff. BewG angewandt werden, ergäbe sich im vorstehenden Beispielsfall ein zu niedriger Sachwert (gemeiner Wert) und es käme zu einer Unterbewertung des Grundstücks (162.500 EUR × 0,77793 = 126.414 EUR; Differenz: – 19.836 EUR). Je nach Alter des Gebäudes und Höhe der Abschreibung kann es aber auch zu Überbewertungen kommen. Aus diesem Grund sind Sachwertfaktoren bzw. Marktanpassungsfaktoren der Gutachterausschüsse, die unter Zugrundelegung einer progressiven Alterswertminderung ermittelt wurden, für die typisierte Grundbesitzbewertung nach §§ 189 ff. BewG als ungeeignet anzusehen.

 

Rz. 19.3

[Autor/Stand] Das Problem der Sachwertfaktoren bzw. Marktanpassungsfaktoren bei progressiver Abschreibung hat sich weitestgehend durch Zeitablauf erledigt, da die Abschreibungen auch bei der Verkehrswertermittlung grds. linear vorzunehmen sind.

 

Rz. 19.4

[Autor/Stand] Denn mit Einführung der Immobilienwertermittlungsverordnung 2010[8] zum 1.7.2010 ist nach § 23 ImmoWertV 2010 im Sachwertverfahren regelmäßig eine gleichmäßige (lineare) Alterswertminderung vorzunehmen (s. dazu auch § 189 BewG Rz. 18). Dies wird durch Tz. 4.3 der (unverbindlichen) Sachwertrichtlinie v. 5.9.2012[9] unterstrichen. Die lineare Abschreibung berechnet sich demnach bei der Grundstückswertermittlung nach folgender Formel:

 
Alterswertminderung in % = Gesamtnutzungsdauer – Restnutzungsdauer[10] × 100
Gesamtnutzungsdauer

Die Darstellung in den Grundstücksmarktberichten hat sich in den vergangenen Jahren entsprechend verändert.

 

Rz. 20

[Autor/Stand] Mit der Immobilienwertermittlungsverordnung 2021 (ImmoWertV 2021[12]) vom 14.7.2021 ist die (lineare) Alterswertminderung durch einen Alterswertminderungsfaktor abgelöst worden (vgl. § 38 ImmoWertV 2021 sowie die Kommentierung zu § 189 BewG Rz. 20.4). Nach der Verordnungsbegründung[13] darf sich die Alterswertminderung nicht nur auf die bundesweit durchschnittlichen Herstellungskosten beziehen, sondern muss auch den Regionalfaktor berücksichtigen. Dies sei am einfachsten durch die Multiplikation mit einem Alterswertminderungsfaktor zu erreichen. Der Alterswertminderungsfaktor, also das Verhältnis des Zeitwerts zum Neuherstellungswert der baulichen Anlage, ist zudem aussagefähiger als ein Geldbetrag, der erst dadurch eine Aussagekraft erlangt, dass er zu den regionalisierten durchschnittlichen Herstellungskosten (Neuherstellungswert) ins Verhältnis gesetzt wird. Die Formel für den Alterswertminderungsfaktor (= RND/GND) ist außerdem einfacher als die in der Verordnung enthaltenen...

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