Rz. 256

[Autor/Stand] Das Erbschaftsteuerreformgesetz 2009[2] hat für die Bewertung des Betriebsvermögens aller gewerblichen, gewerblich geprägten und freiberuflichen Unternehmensrechtsträger, unabhängig von deren Rechtsform, den gemeinen Wert zur Bewertungszielgröße erhoben. Der gemeine Wert des Betriebsvermögens ist auf den Bewertungsstichtag (vgl. dazu unten, Anm. 368 ff.) zu ermitteln und gem. § 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BewG gesondert festzustellen.

 

Rz. 257

[Autor/Stand] Zur Ermittlung dieses gemeinen Werts ordnet § 109 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 2 BewG n.F. die entsprechende Anwendung des § 11 Abs. 2 BewG n.F. an. Danach ist der gemeine (Unternehmens-)Wert vorrangig "aus Verkäufen unter fremden Dritten abzuleiten, die weniger als Jahr zurückliegen" (vgl. dazu unten, Anm. 277 ff.). Haben solche Verkäufe nicht stattgefunden, was in der Praxis die Regel darstellt, so ist der gemeine (Unternehmens-)Wert "unter Berücksichtigung der Ertragsaussichten ... oder einer anderen anerkannten, auch im gewöhnlichen Geschäftsverkehr für nichtsteuerliche Zwecke üblichen Methode (vgl. dazu unten, Anm. 293 ff.) zu ermitteln; dabei ist die Methode anzuwenden, die ein Erwerber der Bemessung des Kaufpreises zu Grunde legen würde" (§ 11 Abs. 2 Satz 2 BewG n.F.).

§ 11 Abs. 2 BewG ist also durch einen Methodenpluralismus geprägt[4], wobei die genannte Vorschrift in Bezug auf die Wahl der im konkreten Fall in Betracht kommenden Bewertungsmethode auf die Sicht eines "typisiert-hypothetischen Erwerbers" abstellt.[5] In dem in § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG enthaltenen Gebot zur Anwendung derjenigen Methode, "die ein Erwerber der Bemessung des Kaufpreises zu Grunde legen würde", offenbart sich die Intention des Gesetzgebers, "bestehende Bewertungsunschärfen durch Rückgriff auf diejenige Bewertungsmethode zu reduzieren, die aus Sicht des (objektiv gedachten) Erwerbers am vorteilhaftesten ist."[6]

 

Rz. 258

[Autor/Stand] Zu den marktüblichen Wertermittlungsmethoden in diesem Sinne rechnen neben den (nicht vereinfachten) Ertragswertverfahren (vgl. dazu unten, Anm. 301 ff.) unter anderem die umsatz- oder gewinnorientierten Multiplikatorenmethoden (vgl. dazu unten, Anm. 308), welche insbesondere zur Ermittlung des gemeinen Werts von Freiberuflerpraxen herangezogen werden, und die Discounted-Cashflow-Methode (DCF-Methode, vgl. dazu unten, Anm. 304 f.).[8] Daneben stellt das Gesetz als weitere, nicht branchenspezifische Wertermittlungsmethode das "vereinfachte Ertragswertverfahren" (§§ 199 bis 203 BewG n.F.; vgl. dazu unten, Anm. 317 ff.) zur Verfügung (§ 11 Abs. 2 Satz 4 BewG n.F.).

 

Rz. 259

[Autor/Stand] Eine – abstrakte – Rangfolge für die Anwendung dieser verschiedenen Gesamtbewertungsmethoden sieht das Gesetz m.E. nicht vor.[10] Kann allerdings im konkreten Fall mit hinlänglicher Sicherheit davon ausgegangen werden, dass ein gedachter Erwerber ausschließlich eine bestimmte branchenspezifische Bewertungsmethode[11] zur Kaufpreisfindung anwenden würde, so ist diese auch im Rahmen des § 11 Abs. 2 BewG n.F. heranzuziehen.[12] Werden im gewöhnlichen Geschäftsverkehr mehrere branchenspezifische Bewertungsverfahren angewendet, so ist m.E. für die Wertermittlung nach Maßgabe des § 11 Abs. 2 BewG n.F. diejenige Methode anzuwenden, deren Ergebnis dem gemeinen Wert als Bewertungszielgröße am nächsten kommt. Entsprechendes gilt, wenn branchenspezifische Bewertungsverfahren fehlen, jedoch im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zwei oder mehrere branchenübergreifende Bewertungsverfahren zur Verfügung stehen.[13] Lässt sich nicht zuverlässig beurteilen, welche der mehreren zu Gebote stehenden und üblichen Bewertungsverfahren der Findung des gemeinen Werts am ehesten gerecht wird, so sollte m.E. den Steuerpflichtigen die Wahl zwischen den verschiedenen in Betracht kommenden Bewertungsmethoden eingeräumt werden.

 

Rz. 260

[Autor/Stand] Ist weder eine branchenspezifische noch eine andere anerkannte, im gewöhnlichen Geschäftsverkehr auch für nichtsteuerliche Zwecke übliche Methode vorhanden, die ein gedachter Käufer bei der Bemessung des Kaufpreises zugrunde legen würde, so bietet das Gesetz die Anwendung des sog. vereinfachten Ertragswertverfahrens (§§ 199 bis 203 BewG n.F.) an (vgl. § 11 Abs. 2 Nr. 4 BewG n.F.; vgl. dazu unten, Anm. 317 ff.), wenn dieses Verfahren nicht zu offensichtlich unzutreffenden Ergebnissen führt (vgl. § 199 Abs. 1 BewG n.F.).

 

Rz. 261

[Autor/Stand] Nach zutreffender, allerdings nur von einer Minderheit vertretener Auffassung ist das vereinfachte Ertragswertverfahren gegenüber den anderen anerkannten und marktüblichen Bewertungsverfahren grundsätzlich nachrangig, und zwar auch in Bezug auf die Bewertung des Betriebsvermögens kleiner und mittlerer Unternehmen.[16] Dies ergibt sich, worauf in der Literatur[17] – freilich nur vereinzelt – zu Recht hingewiesen wird, bereits aus dem Wesen der Vereinfachung, die pauschalierend und typisierend ein von dem wirklichen Unternehmenswert (gemeinen Wert) mehr oder weniger abweichendes Bewertungsergebnis in Kauf ...

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