1 Allgemeines

 

Rz. 1

§ 157 FGO ist – wie § 183 VwGO für die allgemeine Verwaltungsgerichtsbarkeit – dem § 79 Abs. 2 BVerfGG nachgebildet und regelt die Folgen einer Nichtigkeitserklärung von Landesrecht durch das Landesverfassungsgericht. Die Vorschrift räumt dabei dem Gebot der Rechtssicherheit Vorrang vor dem Gebot der Gerechtigkeit im Einzelfall ein. Finanzgerichtliche Entscheidungen, die auf der für verfassungswidrig erklärten Vorschrift beruhen, aber nicht mehr anfechtbar sind, haben weiterhin Bestand, auch die auf ihrer Grundlage bereits erfolgten Vollstreckungen bleiben wirksam, eine zukünftige Vollstreckung ist aber ausgeschlossen.

Rz. 2–4 einstweilen frei

2 Voraussetzungen

 

Rz. 5

Die Regelung des § 157 FGO betrifft nur Landesrecht. Sie hat damit keine sehr große praktische Bedeutung, weil die Entscheidungen der FG weit überwiegend Bundesrecht betreffen.[1] Allerdings sieht § 33 Abs. 1 Nr. 4 FGO eine Eröffnung des Finanzrechtswegs vor, wenn dies durch Landesgesetz ausdrücklich bestimmt ist. Solche aufdrängenden Spezialzuweisungen finden sich insbesondere in verschiedenen Kirchensteuergesetzen und für die Spielbank- und Troncabgaben.[2]

 

Rz. 6

§ 157 FGO setzt zunächst voraus, dass das Verfassungsgericht eines Landes die Nichtigkeit von Landesrecht festgestellt oder Vorschriften des Landesrechts für nichtig erklärt hat. Die Vorschrift gilt entsprechend, wenn das Verfassungsgericht das Landesrecht als mit dem Verfassungsrecht für unvereinbar erklärt.[3]

 

Rz. 7

Die Entscheidung, also ein Urteil, Gerichtsbescheid oder Beschluss, muss durch ein Gericht der Finanzgerichtsbarkeit, also durch ein FG oder den BFH ergangen sein.

 

Rz. 8

Sie muss auf der für nichtig erklärten Norm beruhen. Das ist der Fall, wenn die Entscheidung nur auf die nichtig erklärte Norm gestützt ist und sie sich nicht auch aus einem anderen Grund als richtig erweist.[4]

 

Rz. 9

Die Entscheidung des FG oder des BFH darf nicht mehr anfechtbar sein, was der Fall ist, wenn gegen sie kein (ordentliches) Rechtsmittel mehr eingelegt werden kann.[5]

Rz. 10–14 einstweilen frei

[1] Zutreffend Schwarz, in HHSp, AO/FGO, § 157 FGO Rz. 1.
[2] S. die Übersicht bei Braun, in HHSp, AO/FGO, § 33 FGO Rz. 258ff.
[3] BFH v. 18.10.1994, VII R 20/94, BFHE 175, 519, BStBl II 1995, 42, zu § 79 Abs. 2 BVerfGG; s. dazu Pietzner, in Schoch/Schneider, VwGO, § 183 VwGO Rz. 22.
[4] Just, in Fehling/Kastner/Störmer, VwGO, 5. Aufl. 2021, § 183 VwGO Rz. 4.
[5] S. die Erläuterungen von Fu, in Schwarz/Pahlke, AO/FGO, § 110 FGO Rz. 7.

3 Rechtsfolgen

3.1 Bestand der finanzgerichtlichen Entscheidung (Satz 1)

 

Rz. 15

Nach § 157 Satz 1 FGO bleibt die Entscheidung des FG oder des BFH, die auf der für nichtig erklärten Norm beruht, unberührt. Sie werden also nicht gegenstandslos, ihre Wirkungen bleiben bestehen. Die Nichtigerklärung der zugrunde liegenden Vorschrift ist auch kein Grund für eine Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 134 FGO.[1] Allerdings schließt § 157 FGO eine Wiederaufnahme nicht aus, wenn – unabhängig von der Nichtigkeitsfeststellung bzw. -erklärung durch das Landesverfassungsgericht – ein Grund vorliegt, der nach § 134 FGO zur Wiederaufnahme des Verfahrens berechtigt.[2]

 

Rz. 16

Der Bestand der finanzgerichtlichen Entscheidung gilt aber nur vorbehaltlich einer besonderen gesetzlichen Regelung durch das Land. Das jeweilige Landesrecht kann also eine von § 157 Satz 1 FGO abweichende Regelung vorsehen. So kann etwa der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz nach § 26 Abs. 4 VerfGHG RP die Wiederaufnahme bereits rechtskräftig abgeschlossener Verfahren bestimmen, soweit eine dort erlassene Entscheidung zu seinem Urteil in Widerspruch steht.[3]

Rz. 17–19 einstweilen frei

[1] Brandis, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 157 FGO Rz. 2; Schwarz, in HHSp, AO/FGO, § 157 FGO Rz. 1; Wendl, in Gosch, AO/FGO, § 157 FGO Rz. 8.
[2] Eyermann/Kraft, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 183 VwGO Rz. 5.
[3] S. weiterführend die Übersicht bei Pietzner, in Schoch/Schneider, VwGO, § 183 VwGO.

3.2 Vollstreckungsverbot und Vollstreckungsabwehrklage (Satz 2 und 3)

 

Rz. 20

Die Vollstreckung aus einer solchen Entscheidung ist unzulässig. Laufende Vollstreckungshandlungen sind also einzustellen, neue dürfen nicht begonnen werden. War die finanzgerichtliche Entscheidung aber schon vor der Nichtigkeitserklärung oder -feststellung durch das Landesverfassungsgericht vollzogen, "hat es dabei sein Bewenden"[1], d. h. die Vollstreckungsmaßnahme bleibt bestehen.

 

Rz. 21

Unter Vollstreckung sind nicht nur die Betreibungsmaßnahmen i. S. d. sechsten Teils der AO zu verstehen, sondern alle Maßnahmen, die der Befriedigung des Steuergläubigers dienen, etwa eine Aufrechnung.[2] Das Vollstreckungsverbot gilt auch für Kostenentscheidungen, die in einem Verfahren ergangen sind, das die für nichtig erklärte Vorschrift zum Gegenstand hatte.[3] Da § 157 Satz 2 FGO die Vollstreckung für unzulässig erklärt, ist die Vollstreckungssperre von Amts wegen zu beachten.[4]

 

Rz. 22

Nach § 157 Satz 3 FGO gilt § 767 ZPO sinngemäß. Der Vollstreckungsschuldner hat damit die Möglichkeit, eine Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO zu erheben, wenn das von § 157 Satz 2 FGO angeordnete Vollstreckungsverbot nicht beachtet wird.

Da die Vollstreckung an ...

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