Rz. 44

Nach jahrzehntelanger Rechtsprechung des BFH war die Anerkennung von Rechtsgeschäften zwischen einander nahestehenden Personen auf dem Gebiet des Ertragsteuerrechts u. a. von der zivilrechtlichen Wirksamkeit der getroffenen Vereinbarungen abhängig.[1] Dies lief auf eine Nichtanwendung des § 41 Abs. 1 S. 1 AO in diesem Bereich hinaus, die damit begründet wurde, dass nur bei zivilrechtlich wirksamen Vereinbarungen davon ausgegangen werden könne, dass die sich daraus ergebenden Rechtsfolgen ernsthaft gewollt seien.

Nachdem es das BVerfG in seiner Entscheidung zum Oderkonto[2] als willkürlich bezeichnet hatte, einzelne für den Fremdvergleich bedeutsame Gesichtspunkte zu ungeschriebenen Tatbestandsmerkmalen zu verabsolutieren, hat auch der BFH seine Rspr. schrittweise gelockert. Inzwischen misst er der zivilrechtlichen Unwirksamkeit bei der steuerrechtlichen Beurteilung von Verträgen zwischen einander nahestehenden Personen im Rahmen einer Gesamtwürdigung nur noch indizielle Bedeutung zu.[3] Dieser Auffassung hat sich inzwischen auch die Finanzverwaltung angeschlossen.[4] Auch in der Literatur wird sie jedenfalls im Ergebnis geteilt.[5]

 

Rz. 45

Im Rahmen einer Gesamtwürdigung bleibt die zivilrechtliche Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts aber ein gewichtiger Gesichtspunkt für die steuerrechtliche Anerkennung der Rechtsbeziehungen zwischen einander nahestehenden Personen. Denn der Mangel der zivilrechtlichen Wirksamkeit birgt die Gefahr der jederzeitigen Rückforderung der ausgetauschten Leistungen in sich und legt die Vermutung nahe, dass der äußerliche Vollzug des Rechtsgeschäfts nicht auf das endgültige Eintretenlassen des wirtschaftlichen Ergebnisses abzielt[6] Besonderes Gewicht kommt der Nichteinhaltung der zivilrechtlichen Wirksamkeitserfordernisse dann zu, wenn sich die klare Rechtslage schon aus dem Wortlaut der einschlägigen Vorschriften des BGB ableiten lässt.[7] Dies gilt z. B. im Fall der nach § 1909 BGB erforderlichen Bestellung eines Ergänzungspflegers für Rechtsgeschäfte zwischen Eltern und minderjährigen Kindern.[8] Anders verhält es sich, wenn für die Beteiligten nicht ohne weiteres erkennbar war, dass bestimmte zivilrechtliche Erfordernisse zu beachten waren.[9] Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn sich diese nicht aus dem Gesetzeswortlaut, sondern aus einer erweiternden Auslegung oder aus einer Analogie ergeben, die sich nicht ohne weiteres aufdrängt und zu der keine veröffentlichte Rechtsprechung oder allgemein zugängliche Literatur existiert.[10] Für einen ernsthaften Bindungswillen der Beteiligten spricht es auch, wenn sie nach dem Auftauchen von Zweifeln umgehend alle erforderlichen Maßnahmen ergriffen haben, um die zivilrechtliche Wirksamkeit des Vertrags herbeizuführen.[11]

 

Rz. 46

Die Grundsätze für die steuerliche Anerkennung von Rechtsbeziehungen zwischen einander nahestehenden Personen gelten immer dann, wenn im Einzelfall ein den Gleichklang der Interessen indizierendes Näheverhältnis angenommen werden kann.[12] Diese Voraussetzung kann auch bei geschiedenen Eheleuten[13], den Beteiligten einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft[14] und im Verhältnis zwischen einer Personen- oder Kapitalgesellschaft und ihren Gesellschaftern[15] erfüllt sein.

Rz. 47–49 einstweilen frei

[4] Vgl. BMF v. 23.12.2010, IV C 6-S 2144/07/10004, BStBl I 2011, 37, betr. die steuerrechtliche Anerkennung von Darlehensverträgen zwischen Angehörigen.
[5] Schmieszek, in Gosch, AO/FGO, § 41 AO Rz. 8ff.; Klein/Ratschow, AO, 15. Aufl. 2020, § 41 Rz. 32ff.; Koenig/Koenig, AO, 4. Aufl. 2021, § 41 Rz. 23; Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 41 AO Rz. 30, sieht den richtigen dogmatischen Ansatz in einer gesetzlichen Überlagerung des § 41 Abs. 1 S. 1 AO durch die einkommensteuerrechtlichen Vorschriften.
[6] Koenig/Koenig, AO, 4. Aufl. 2021, § 41 Rz. 23.

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