Rz. 9

Die Regelung des § 176 AO kann nur ein erster Schritt zu einer umfassenden Regelung des Vertrauensschutzes im Steuerrecht sein. Jedoch hat sich die Hoffnung auf eine umfassende Regelung des Vertrauensschutzes seit dem Inkrafttreten des § 176 AO im Jahr 1977 nicht realisiert. Unbefriedigend an dieser Vorschrift ist insbesondere, dass ein formaler Anknüpfungspunkt für den Vertrauensschutz gewählt worden ist, nämlich der Erlass eines Verwaltungsakts. Erst wenn der Steuerbescheid erlassen worden ist, kann der Stpfl. darauf vertrauen, dass eine spätere Änderung der Rspr. usw. nicht mehr gegen ihn wirkt. Es ist jedoch nicht zu verkennen, dass dieser Zeitpunkt, der Erlass des Steuerbescheids, für das schutzwürdige Vertrauen des Stpfl. nicht die Bedeutung hat, dass er sich als Anknüpfungspunkt für den Vertrauensschutz eignen würde. Zwar kann der Stpfl. nach § 176 AO davon ausgehen, dass mit Erlass des Steuerbescheids ein gewisser Abschluss in seinem Verhältnis zur Finanzbehörde erreicht ist. Der Erlass des Steuerbescheids stellt aber nicht den entscheidenden, einen besonderen Vertrauenstatbestand schaffenden Einschnitt in den Dispositionen des Stpfl. dar. Wenn der Steuerbescheid ergeht, sind die für diesen Besteuerungszeitraum relevanten steuerlichen Verhältnisse des Stpfl. abgeschlossen und nicht mehr änderbar. Der Stpfl. hat also nicht die Möglichkeit, jetzt noch im Vertrauen auf den nach § 176 AO mit Vertrauensschutz ausgestatteten Steuerbescheid seine steuerlichen Verhältnisse zu gestalten, vor allem da der Vertrauensschutz über den von dem Steuerbescheid erfassten Besteuerungszeitraum nicht hinausreicht. Aus der Sicht des Stpfl. ist der Erlass des Steuerbescheids nur ein formaler Akt, der keines besonderen Vertrauensschutzes bedarf, der über die Bestandskraft hinausreicht. Demgegenüber ist der materiell maßgebende Zeitpunkt, zu dem der Stpfl. des Vertrauensschutzes dringend bedarf, der Zeitpunkt, in dem er im Vertrauen auf eine Rspr. oder eine Verwaltungsanweisung seine Dispositionen vornimmt. Zu diesem Zeitpunkt ist er nach § 176 AO aber ungeschützt. Damit bleibt der gesamte Zeitraum zwischen der geschäftlichen Disposition des Stpfl. und der erstmaligen Steuerfestsetzung ohne Vertrauensschutz.[1]

 

Rz. 10

Eine weitere Lücke im Vertrauensschutz besteht beim Schutz gegen unrichtige begünstigende Verwaltungsanweisungen. § 176 AO greift nur ein, wenn ein Gericht die Verwaltungsvorschrift als rechtswidrig bezeichnet, nicht aber, wenn die Verwaltung die Vorschrift ohne vorherige Gerichtsentscheidung aufhebt oder zum Nachteil des Stpfl. ändert.[2]

 

Rz. 11

Der Vertrauensschutz des § 176 AO greift schließlich nur ein, wenn das die Stellung des Stpfl. verschlechternde Ereignis (z. B. Änderung der Rspr.) bei Aufhebung oder Änderung des Steuerbescheids schon vorliegt. Das bedeutet, dass derjenige Stpfl. schutzlos ist, in dessen Verfahren dieses Ereignis eintritt, also eine Norm für verfassungswidrig erklärt, die Rspr. geändert oder eine Verwaltungsvorschrift nicht angewandt wird.[3] Hier kann nur eine Billigkeitsmaßnahme nach § 163 AO helfen.

[1] Rose, Stbg 1999, 401.
[2] Loose, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 176 AO Rz. 23.

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