Rz. 10

Das Wahren einer Frist bedeutet das Einhalten der gesetzten Frist zur Eröffnung oder Erhaltung von Rechten oder Rechtspositionen, zur Erreichung anderer Rechtsfolgen oder zur Vermeidung von Rechtsnachteilen (z. B. Verwirkung von Säumniszuschlägen). Innerhalb der Frist ist eine Handlung zu erbringen, etwas zu unterlassen oder zu dulden. Auch kann eine Frist abzuwarten sein, um danach mit einer Handlung, Duldung oder Unterlassung die gewünschte Rechtsfolge eintreten zu lassen.[1]

 

Rz. 11

Am häufigsten ist die Fallgruppe, in der für die Erhaltung einer positiven Rechtsfolge oder zur Vermeidung einer negativen Rechtsfolge eine Handlung innerhalb einer Frist zu erbringen ist. Die Bemerkungen der Lit. zur Fristwahrung beschränken sich daher meist auf diese Fallgruppe.

Die im Steuerrecht vorkommenden Fristen laufen mit ganz wenigen denkbaren Ausnahmen mit dem Ablauf eines Tages ab.[2] Damit sind alle bis 24 Uhr des letzten Tages geschehenen Handlungen der erforderlichen Art ausreichend für die Fristwahrung.[3] Eine volle Ausnutzung der Frist ist erlaubt, zumal die Frist dem Beteiligten regelmäßig eine begrenzte Zeit zum Überlegen und Entscheiden geben soll.

 

Rz. 12

Ist zur Fristwahrung ein Mitwirken der anderen Seite wie z. B. das Erstellen einer Niederschrift oder Annahme von Barzahlungsbeträgen erforderlich, so kann die Frist nur im Rahmen der gebotenen Mitwirkungsmöglichkeiten gewahrt werden. Das bedeutet grundsätzlich, dass die Frist nur bis zum Ende der üblichen Dienst-, Geschäfts- oder Bürozeiten der anderen Seite genutzt werden kann. Auch die Finanzbehörden sind nicht verpflichtet, über die normalen Dienstzeiten hinaus zur Mitwirkung bereite Bedienstete bereitzustellen. Im Übrigen haben die Behörden Vorkehrungen zu treffen, dass die Fristen voll ausgeschöpft werden können. Dazu gehört das Anbringen eines stets erreichbaren Briefkastens.[4] Ein Briefkasten hinter einer zeitweilig verschlossenen Tür ist ebensowenig ausreichend wie ein zu kleiner Briefkasten, der im Fall größeren Posteingangs keine ausreichenden Reserven bietet. Bei Fehlen eines (funktionierenden) Briefkastens müssen alle in der Nacht eingegangenen Schriftstücke mit dem Eingangsstempel des Vortages versehen werden.[5]

[1] Vgl. z. B. die Frist für den Beginn der Vollstreckung nach § 254 Abs. 1 S. 1 AO.
[2] Pahlke, in Schwarz/Pahlke, AO/FGO, § 108 AO Rz. 43.
[3] BVerfG v. 3.10.1979, 1 BvR 726/78, BVerfGE 52, 203; Koenig/Koenig, AO, 3. Aufl. 2014, § 108 Rz. 38 m. w. N.
[4] Söhn, in HHSp, AO/FGO, § 108 AO Rz. 165.
[5] Söhn, in HHSp, AO/FGO, § 108 AO Rz. 165.

2.2.1 Fristwahrung durch Einreichung eines Schriftstücks

 

Rz. 13

Ist ein Schriftstück einzureichen oder wählt der Beteiligte zur Fristwahrung den zugelassenen schriftlichen Weg, so reicht es für die Fristwahrung, wenn das Schriftstück bis 24 Uhr des letzten Tages der Frist in den Machtbereich des vorgesehenen richtigen Empfängers gelangt. Das ist auf Seiten der Behörde nicht erst dann der Fall, wenn es dem zuständigen Bediensteten vorliegt, sondern wenn es in den Verfügungsbereich der Behörde gelangt ist.[1] Zur Wahrung der Frist bei Einreichung eines Schriftstücks in fremder Sprache vgl. § 87 AO.

 

Rz. 14

Ein fristwahrendes Schriftstück kann auch im Telefaxverfahren übersendet werden. Die Übermittlung fristwahrender Schriftsätze per Telefax ist in allen Gerichtszweigen uneingeschränkt zulässig[2] und gilt auch für die Verwaltungsverfahren.[3] Wird der Zugang zum Adressaten (z. B. FA, FG) über ein Telefaxgerät eröffnet, so muss der Adressat auch nach Dienstschluss für seine Funktionsfähigkeit sorgen.[4] Zur Fristwahrung bei Nutzung des Telefaxverfahrens vgl. im Übrigen Rz. 24.

 

Rz. 15

Wird das Schriftstück bis 24 Uhr des letzten Tages in einen Briefkasten der Finanzbehörde geworfen, so ist die Frist gewahrt. Dies gilt für besondere Nachtbriefkästen ebenso wie für normale Hausbriefkästen, Postschließ- und Postabholfächer der Behörde oder des anderen Beteiligten.[5] Bei einfachen Hausbriefkästen der Behörde ist es deshalb belanglos, ob nach den Umständen mit der Leerung noch am Tag des Einwurfs zu rechnen ist.[6] Bei Postschließfächern und Postabholfächern ist der Einwurf in diese während der Frist maßgebend, nicht deren tatsächliche Leerungs- oder Abholzeit durch die Behörde oder den anderen Beteiligten.[7] Die auf die Leerungszeit abstellende Auffassung lässt den von der Empfängerentscheidung abhängigen, also einen willkürlichen Zeitpunkt maßgebend sein und steht damit im Widerspruch zu Rspr. des BVerfG.[8] Auch wenn die Postschließ- und Abholfächer für ihre Inhaber nicht stets erreichbar sind, ist dies doch kein ausreichender Grund für eine Behandlung dieser Fälle völlig abweichend von denen der Hausbriefkästen der FÄ.

Der Eingang bei einer gemeinsamen Eingangstelle mehrerer Behörden oder Gerichte reicht bei richtiger Adressierung ebenfalls aus, dass das Schriftstück in die tatsächliche Verfügungsmacht des Empfängers gelangt.[9]

[1] BVerfG v. 3.10.1979, 1 BvR 726/78, BVerfGE 52, 203; Koenig/Koenig, AO, 3. Aufl. 2014, § 108 Rz. 38 m. w. N.
[2] GmS-OBG 1/98, v. 5...

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