Leitsatz

Die Bildung einer Rücklage i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG ist auch im Fall des Regiebetriebs einer kommunalen Gebietskörperschaft zulässig. Mangels gesetzlicher Beschränkungen reicht für deren steuerliche Anerkennung jedes "Stehenlassen" der handelsrechtlichen Gewinne als Eigenkapital aus, sofern anhand objektiver Umstände nachvollzogen und überprüft werden kann, dass dem Regiebetrieb die entsprechenden Mittel weiterhin als Eigenkapital zur Verfügung stehen sollen.

 

Normenkette

§ 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b, § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7c, § 43a Abs. 1 Nr. 6, § 44 Abs. 1 und Abs. 6 EStG, § 167 Abs. 1 Satz 1 AO, § 4 KStG

 

Sachverhalt

Die Klägerin ist eine kommunale Gebietskörperschaft. Sie unterhielt als Regiebetrieb einen BgA "Schwimmbäder". Sie erstellte in ihrer kameralistischen Buchführung freiwillig Jahresabschlüsse für den Regiebetrieb. Die von dem BgA in den Streitjahren (2005 und 2006) erzielten Jahresüberschüsse wurden im jeweiligen Folgejahr als Gewinnvortrag ausgewiesen. Grundlage war eine schriftliche Festlegung des Magistrats der Klägerin, nach der die Jahresgewinne durch "Stehenlassen" in der Bilanz vorgetragen werden sollten, um Mittel zur Modernisierung und Sanierung der Bäder anzusammeln.

Da der BgA kein eigenes Bankkonto hatte, wurden dessen Einnahmen und Ausgaben auf einem Verrechnungskonto erfasst. Dieses schloss in den Streitjahren mit einem Forderungssaldo des BgA gegen die Klägerin. In der kameralistischen Buchführung der Klägerin waren hierfür keine entsprechenden Verbindlichkeiten ausgewiesen. Im Haushaltsplan der Klägerin war eine "Allgemeine Rücklage" ausgewiesen

Die Klägerin gab für die Streitjahre keine Anmeldungen zur Kapitalertragsteuer ab. Das FA gelangte nach einer Außenprüfung zu der Auffassung, dass die handelsrechtlichen Jahresüberschüsse des BgA gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG als an die Klägerin ausgeschüttet gelten. Dies hatte zur Folge, dass sie gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7c, § 43a Abs. 1 Nr. 6 EStG einer 10 %‐igen Kapitalertragsteuer unterlagen. Die im BMF-Schreiben vom 8.8.2005, IV B 7, S 2706a, 4/05 (BStBl I 2005, 831, Rz. 23) niedergelegten Voraussetzungen für die Anerkennung einer Zuführung zu den Rücklagen im Fall des Regiebetriebs lagen nicht vor. Insbesondere fehlte ein zeitnaher Nachweis der Investitionsabsicht. Hierfür reichte nach Auffassung des FA die Festlegung des Magistrats nicht aus.

Das FA erließ gegenüber der Klägerin als Entrichtungsschuldnerin den Nachforderungsbescheid über Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag. Einspruch und Klage hiergegen (Hessisches FG, Urteil vom 24.3.2015, 4 K 1187/11, Haufe-Index 8029435, EFG 2015, 1274) blieben ohne Erfolg.

 

Entscheidung

Der BFH hat der Revision der Klägerin stattgegeben, das FG-Urteil aufgehoben und den Nachforderungsbescheid dahin gehend geändert, dass die Kapitalertragsteuer wegen Einstellung der Gewinne in die Rücklagen auf 0 EUR festgesetzt wurde.

 

Hinweis

1. Der BFH hat mit dem vorliegenden Urteil geklärt, dass auch ein als Regiebetrieb geführter BgA Rücklagen bilden kann, sodass die Ausschüttungsfiktion des § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b Satz 1 EStG nicht greift. Nach dieser Regelung gehört zu den Einkünften aus Kapitalvermögen u.a. der nicht den Rücklagen zugeführte Gewinn eines BgA i.S.d. § 4 KStG ohne eigene Rechtspersönlichkeit. Weitere Voraussetzungen sind, dass der BgA nicht von der Körperschaftsteuer befreit ist und seinen Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich ermittelt oder mehr als 350.000 EUR Umsatz im Kalenderjahr oder mehr als 30.000 EUR Gewinn im Wirtschaftsjahr hat. Diese Voraussetzungen waren vorliegend erfüllt.

2. Durch die Ausschüttungsfiktion des § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EStG und die Fiktion des § 44 Abs. 6 Satz 1 EStG, nach der die Trägerkörperschaft als Gläubigerin der Kapitalerträge und der BgA als Schuldner der Kapitalerträge anzusehen ist, soll der BgA wie eine "virtuelle Kapitalgesellschaft" behandelt werden. Es sollen zwei Besteuerungsebenen geschaffen werden. Dieser Gedanke gilt sowohl für Eigen- als auch für Regiebetriebe und umfasst grundsätzlich auch die Möglichkeit, Rücklagen zu bilden. Diese lösen erst zum Zeitpunkt der späteren Auflösung die zweite Besteuerungsebene aus.

3. Die Problematik beim Regiebetrieb besteht darin, dass dessen Einnahmen unmittelbar in den Haushalt der Trägerkörperschaft fließen. Dagegen sind Eigenbetriebe finanzwirtschaftlich Sondervermögen der Trägerkörperschaft, deren Gewinn erst dann in den allgemeinen Haushalt der Trägerkörperschaft überführt wird, wenn dies das hierfür zuständige Gremium beschließt. Danach kann die Trägerkörperschaft bei Regiebetrieben im Gegensatz zu Eigenbetrieben unmittelbar über den Gewinn verfügen.

4. Dem Gesetz ist aber hinsichtlich der Zulässigkeit der Rücklagenbildung keine Differenzierung zwischen Eigen- und Regiebetrieben zu entnehmen. Vielmehr spricht das Ziel einer Gleichbehandlung sämtlicher BgA ohne eigene Rechtspersönlichkeit mit Kapitalgesellschaften dafür, dass Eigen- als auch Regiebetri...

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