Entscheidungsstichwort (Thema)

Geschlechtsbezogene Benachteiligung durch Anforderungen an die Körpergröße für die Einstellung einer Zugbetreuerin. Entschädigungsklage einer Stellenbewerberin bei unerheblichen Darlegungen der Arbeitgeberin zur Nichtbedienbarkeit sicherheitsrelevanter Zugeinrichtungen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Durch Anforderungen an die Körpergröße als Einstellungsvoraussetzung werden Frauen gegenüber Männern mittelbar benachteiligt.

2. Die Anforderungen einer bestimmten Körpergröße für die Einstellung als Zugbegleiter/Zugbegleiterin ist nicht sachlich gerechtfertigt.

 

Normenkette

AGG §§ 1, 3 Abs. 2, § 6 Abs. 1 Sätze 1-2, § 7 Abs. 1, § 15 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Karlsruhe (Entscheidung vom 31.07.2015; Aktenzeichen 1 Ca 19/15)

 

Tenor

  • I.

    Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Karlsruhe vom 31. Juli 2015 - 1 Ca 19/15 - teilweise abgeändert und zur Klarstellung insgesamt neu gefasst:

    1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 4.077,12 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus ab 24. Januar 2015 zu zahlen.
    2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
  • II.

    Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

  • III.

    Die Kosten erster Instanz hat zu 13/14 die Klägerin und zu 1/14 die Beklagte zu tragen. Die Kosten der Berufung hat zu 1/3 die Klägerin und zu 2/3 die Beklagte zu tragen.

  • IV.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten noch über die Zahlung einer Entschädigung wegen einer Benachteiligung wegen des Geschlechts.

Die Klägerin bewarb sich auf eine Stellenausschreibung für Zugbetreuerinnen und Zugbetreuer im Fernverkehr bei der Beklagten, wobei die Anzeige von der hierzu von der Beklagten beauftragten M-AG (fortan: M-AG) geschaltet worden war. Die Stellenanzeige, für die eine Bewerbungsfrist bis 31. Oktober 2014 galt, lautet auszugsweise:

"Ihre Aufgaben: Beratung und Betreuung der Fahrgäste an Bord des Fernverkehrs - Informieren der Fahrgäste über Anschlussverbindungen und Unregelmäßigkeiten - Fahrscheinprüfung und Fahrscheinverkauf an Bord - Servieren von Getränken und Speisen am Platz - Bedienung Technische Einrichtungen zur Unterstützung der Zugfahrt

Ihr Profil: Erfolgreich abgeschlossene Berufsausbildung in einem kaufmännischen oder serviceorientierten Beruf - Erfahrungen im Service und Dienstleistungsbereich - sehr hohe Kunden - und Serviceorientierung - gepflegtes, freundliches Auftreten sowie ein hohes Maß an Einsatzbereitschaft - Belastbarkeit, die Fähigkeit und Bereitschaft zu regelmäßigem Schichtdienst - Bereitschaft Unternehmensbekleidung zu tragen - Gute Sprachkenntnisse in deutscher und englischer Sprache".

Mit Schreiben vom 15. November 2014 bewarb sich die Klägerin auf diese Stelle. Das Schreiben hatte folgenden Inhalt:

"Guten Tag Herr S.,

ein Leben ohne meine "Bahnerfamilie" ist wie ein Leben ohne Sonne. Für mich soll aber die Sonne wieder scheinen.

Vom 01.01.2013 bis 30.09.2013 befand ich mich in einer Ausbildung zur Lokführerin bei der D. S.. Dazu bin ich extra von B. nach W. gezogen.

Während meiner praktischen Ausbildung bin ich zu der Erkenntnis gekommen, dass dies nicht der richtige Beruf für mich ist. Das Kuppeln und Ein- und Aussteigen in der Abstellgruppe viel mir sehr schwer. Das liegt an meiner Körpergröße von 1,55 M. Aus diesem Grund habe ich das Arbeitsverhältnis mit der D. beendet ( bis auf die Fahrprüfung habe ich alle Prüfungen absolviert und im ersten Anlauf bestanden) und möchte aber wieder in einen Aufgabenbereich wechseln, der mir in Bezug im Umgang mit der Bahn sowie mit Menschen vertraut ist, aber trotzdem neue Herausforderungen an mich stellt.

Durch meine 17-jährige Tätigkeit als Hauswartin für 120 Mietparteien, eine Tätigkeit als Serviererin und Kantinenkraft sowie meine jetzige Anstellung im aktiven Verkauf im Einzelhandel bin ich den Umgang mit Menschen gewohnt und habe Freude daran.

Pünktlich- Zuverlässigkeit sowie freundliches Auftreten sind aufgrund meiner verantwortungsbewussten Grundhaltung selbstverständlich.

Ich bin flexibel, aufgeschlossen und teamfähig.

"

Aus dem beigefügten Lebenslauf ergab sich, dass die Klägerin eine Berufsausbildung zur Facharbeiterin für Fruchtsafttechnik abgeschlossen hatte. Bei dem Eintrag über die Englischkenntnisse fand sich der Zusatz "Volkshochschule". Die Bewerbung enthielt gerner verschiedene Nachweise und Zeugnisse über die nicht abgeschlossene Ausbildung als Triebfahrzeugführerin, ein Zeugnis über die Facharbeiterausbildung, ein Abschlusszeugnis über die Berufsausbildung und diverse Arbeitszeugnisse.

Die Klägerin erhielt von der M-AG unter dem 17. Dezember 2014 eine Absage mit folgendem Inhalt:

"Sehr geehrte Frau B1.,

eine Absage ist immer eine unschöne Angelegenheit, besonders in Fällen wie diesen: Ihr Lebenslauf und Ihre Erfahrungen sind eigentlich beste Voraussetzungen für das, was wir gesucht haben. Aber: Ein anderer Kandidat hatte leider an der einen oder anderen Stelle das Stückchen mehr Expertise, dass zu guter Letzt den Ausschlag gegeben hat. Die Entsch...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Steuer Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge