Rz. 81

[Autor/Stand] Über die gem. § 392 Abs. 1 AO bezeichnete Verteidigungsbefugnis hinaus können die Angehörigen der steuerberatenden Berufe (s. Rz. 61) beim Übergang der Strafverfolgungskompetenz auf die StA sowie im gerichtlichen Verfahren mit Genehmigung des Gerichts nach § 392 Abs. 2 AO i.V.m. § 138 Abs. 2 StPO – und zwar verfahrensmäßig unbeschränkt – gewählt werden, da sie zu den "anderen Personen" i.S.d. § 138 Abs. 2 StPO gehören.[2] Zu den sonstigen Personen i.S.d. § 138 Abs. 2 StPO s. Rz. 126.

 

Rz. 82

[Autor/Stand] Diese Möglichkeit einer Alleinverteidigung durch steuerliche Berater besteht jedoch nur im Rahmen der Wahlverteidigung; liegt der Fall einer notwendigen Verteidigung vor, darf eine "andere Person" – also auch Steuerberater etc. – nur in Gemeinschaft mit einem Verteidiger i.S.d. § 138 Abs. 1 StPO – also Rechtsanwälte und Hochschullehrer – zugelassen werden (§ 138 Abs. 2 Halbs. 2 StPO).

 

Beispiel

Gegen den Stpfl. S wurde ein Ermittlungsverfahren wegen Steuerhinterziehung eingeleitet. S wird in diesem Verfahrensabschnitt von seinem Steuerberater St verteidigt, der die steuerlichen Vorgänge kennt. Nach Abschluss der Ermittlungen durch die BuStra werden die Akten der StA vorgelegt, die Anklage bei dem Amtsgericht erhebt. S beantragt bei dem Amtsgericht, St als Wahlverteidiger zuzulassen mit der Begründung, dieser habe im vorliegenden Fall besondere Sachkunde, da er in das Verfahren eingearbeitet sei. Siehe ferner das Beispiel in Rz. 112.

 

Rz. 83

[Autor/Stand] Die Entscheidung, ob eine entsprechende Genehmigung nach § 138 Abs. 2 StPO erteilt wird, steht im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts,[5] wobei für die Zulassung ein besonderes Interesse des Beschuldigten oder der Nachweis eines besonderen Ausnahmefalls nicht erforderlich ist.[6] Sofern die gewählte Person hinreichend sachkundig und vertrauenswürdig[7] erscheint, was bei Steuerberatern etc. i.S.d. § 392 AO regelmäßig der Fall ist, und auch im Übrigen keine konkreten Bedenken (z.B. keine notwendige Verteidigung [s. Rz. 31 ff.], Verbot der Mehrfachverteidigung, sonstige gerichtliche Ausschließungsvoraussetzungen [s. Rz. 381 ff.] oder Zeugenstellung[8][s. Rz. 746 f., 246 f.]) gegen die Übernahme der Verteidigung bestehen, muss das Gericht eine solche Genehmigung erteilen.[9]

 

Rz. 84

[Autor/Stand] Zuständiges Gericht ist das mit der Sache befasste Gericht und im Ermittlungsverfahren das für das Hauptverfahren zuständige Gericht (§ 141 Abs. 4 StPO analog), dagegen das Ermittlungsgericht, wenn es nur um die Mitwirkung bei einer richterlichen Zwangsmaßnahme i.S.d. § 162 StPO geht.[11]

 

Rz. 85

[Autor/Stand] Eine Ablehnung der Zulassung nach § 138 Abs. 2 StPO kann jedenfalls vom Beschuldigten mit der Beschwerde nach § 304 StPO angefochten werden; ob auch die abgelehnte "andere Person" ein Beschwerderecht hat, ist streitig.[13] Hat das Gericht die Genehmigung erteilt, stellt sich aber im weiteren Verfahren heraus, dass die "zugelassene" Person dem prozessualen Geschehen hilflos gegenübersteht, kann die Genehmigung zurückgenommen werden. Auch hiergegen besteht die Möglichkeit einer Beschwerde nach § 304 StPO.

 

Rz. 86

[Autor/Stand] Der Weg über § 138 Abs. 2 Halbs. 1 StPO ist für die Angehörigen der steuerberatenden Berufe in doppelter Hinsicht von Vorteil: Da die Vorschrift nicht auf das Steuerstrafverfahren beschränkt ist, können Steuerberater usw. als "andere Personen" mit Genehmigung des Gerichts theoretisch in jedem Strafverfahren tätig werden. In der Praxis wird das Gericht seine Genehmigung dann allerdings in besonderer Weise davon abhängig machen, ob deren Sachkunde auch für den konkreten – nicht steuerrechtlichen – Fall als gegeben angenommen werden kann; dies wird z.B. im Bereich der Sozialversicherungsbeiträge naheliegen. Auch bei einem eigenständig von der FinB geführten Steuerstrafverfahren kann es sich anbieten, für den Fall der Anklage bereits prophylaktisch eine Genehmigung als Verteidiger i.S.d. § 138 Abs. 2 StPO einzuholen.

 

Rz. 87– 90

[Autor/Stand] Einstweilen frei.

[Autor/Stand] Autor: Heerspink, Stand: 01.05.2020
[2] Rüping in HHSp, § 392 AO Rz. 28 (188. Lfg. 3/2006); Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt62, § 138 StPO Rz. 8.
[Autor/Stand] Autor: Heerspink, Stand: 01.05.2020
[Autor/Stand] Autor: Heerspink, Stand: 01.05.2020
[6] BayObLG v. 13.3.1978 – 1 Ob OWi 749/77, MDR 1978, 862; OLG Hamm v. 12.1.2006 – 2 Ws 9-11/06, NStZ 2007, 238 m.w.N.; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt62, § 138 StPO Rz. 13; Klaproth in Schwarz/Pahlke, § 392 AO Rz. 26 (169. Lfg. 3/2016).
[7] Verneint durch OLG Stuttgart v. 24.4.2015 – 4 Ws 117/15, StV 2016, 139, bei Rechtsanwalt dessen Zulassung aufgrund Straftat widerrufen wurde; vgl. auch OLG Celle v. 13.8.2012 – 2 Ws 195/12, NdsRpfl 2013, 24: Straftaten und Schmähkritik gegen Verfahrensbeteiligte.
[8] OLG Karlsruhe v. 16.1.2017 – 2 Ws 371/16, juris.
[9] BVerfG v. 27.2.2006 – 2 BvR 413/06, NJW 2006, 1503: Orientierung am Maßstab des § 43a BRAO; Schmitt in Meyer-Goßner/Sch...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Steuer Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge