Leitsatz

1. Aus dem Umstand, dass es sich bei der Stromsteuer um eine auf Abwälzung angelegte Verbrauchsteuer handelt, folgt keine sachliche Unbilligkeit der Stromsteuererhebung in den Fällen, in denen dem als Steuerschuldner in Anspruch genommenen Stromversorger die Realisierung der Kaufpreisforderung infolge der Insolvenz oder des Todes des mit Strom belieferten Endverbrauchers nicht gelingt.

2. Die bei Stromversorgern erfahrungsgemäß bei einer bestimmten Anzahl von Stromkunden hinzunehmenden Forderungsausfälle bilden eine Fallgruppe und keine atypischen Einzelfälle, sodass auch aus diesem Grund ein Anspruch auf Erstattung oder Erlass der Steuer nach § 227 AO nicht in Betracht kommt.

3. Der für die Besteuerung von Energieerzeugnissen in § 60 EnergieStG getroffenen Sonderregelung lässt sich kein allgemeiner Grundsatz der Verbrauchsbesteuerung entnehmen, der auf die Stromsteuer übertragen werden müsste.

 

Normenkette

§ 227 AO, § 5 Abs. 2 StromStG, § 60 Abs. 1 EnergieStG, § 36 Abs. 1 EnWG, Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 14 GG

 

Sachverhalt

Ein Energieversorgungsunternehmen verlangt die Erstattung von Stromsteuerzahlungen mit der ­Begründung, die betreffenden Beträge hätten nicht auf seine Kunden abgewälzt werden können; diese seien teils zahlungsunfähig, teils verstorben. Das HZA lehnte den auf § 227 AO gestützten Antrag ab; die in § 60 Abs. 1 EnergieStG getroffene Entlastungsregelung könne nicht auf die Stromsteuer übertragen werden. Zudem seien etwaige persönliche Billigkeitsgründe beim Stromkunden keine sachlichen Billigkeitsgründe beim Schuldner der Stromsteuer.

 

Entscheidung

Der BFH hat das klageabweisende Urteil des FG (FG Hamburg, Urteil vom 20.1.2012, 4 K 51/10, Haufe-Index 2945010) bestätigt und die kühne Argumentation des Unternehmens zurückgewiesen, welches einen verfassungsrechtlichen Angriff wegen der fehlenden Ausweitung des § 60 EnergieStG auf die Stromsteuer entweder verschusselt oder – wahrscheinlicher – in weiser Einschätzung der Erfolglosigkeit desselben von vornherein unterlassen und darauf gehofft hatte, mit dem oftmals schlicht als "sanfter" empfundenen Weg einer Billigkeitsmaßnahme zu dem nämlichen Ergebnis gelangen zu können.

 

Hinweis

1.Nach § 227 AO können Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis erlassen und bereits entrichtete Beträge erstattet werden, wenn deren Entrichtung nach der Lage des einzelnen Falls unbillig wäre. Das ist der Fall, wenn die Erhebung – obgleich äußerlich gesetzeskonform – dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers widerspräche, weil angenommen werden muss, dass dieser die Steuererhebung nicht angeordnet hätte, wenn er die konkrete Situation des betreffenden Steuerpflichtigen bedacht hätte (vgl. statt aller BFH-Urteil vom 20.9.2012, IV R 29/10, BFHE 238, 518, BStBl II 2013, 505). Eine solche Billigkeitsentscheidung soll also und darf nur dann die gesetzliche Anordnung einer Steuererhebung korrigieren, wenn in dem konkreten Fall besondere Umstände vorliegen, die der Gesetzgeber bei seiner (notwendigerweise typisierenden) Regelung aufgrund ihrer Atypizität nicht bedacht hat und für die er aufgrund seiner Befugnis zur Typisierung auch nicht von Verfassungs wegen Vorsorge treffen musste. Denn anderenfalls – wenn es sich also nicht um eine Ungerechtigkeit aufgrund der besonderen Lage des einzelnen Falles handelt – ist die gesetzliche Regelung bzw. ist das Fehlen einer Ausnahmeregelung zu derselben verfassungswidrig. Folglich darf nicht durch Billigkeitsmaßnahmen der Verwaltung Abhilfe geschaffen werden, sondern es ist die gesetzliche Regelung – mit den dafür vorgesehenen Rechtsbehelfen – zu Fall zu bringen. § 227 AO bietet folglich keine Rechtsgrundlage, eine vom Gesetzgeber nicht gewollte Befreiungsvorschrift gleichsam im Verwaltungswege zu kreieren (vgl. BFH, Urteil vom 10.5.1972, II 57/64, BFHE 105, 458, BStBl II 1972, 649). Die Verwaltung würde sich nämlich sonst an die Stelle des Gesetzgebers bzw. des zu dessen Korrektur allein berufenen Bundesverfassungsgerichts setzen. Allerdings ist die Rechtsprechung in dieser Hinsicht mitunter wenig reflektiert oder zumindest nicht ganz gegen den Zweifel einer Überschreitung ihrer Kompetenzen gefeit, wenn sie durch Verpflichtung zu Billigkeitsmaßnahmen regelt, was genauer betrachtet nicht einen atyischen Einzelfall, sondern typische – wenn auch mitunter nicht sehr große – Fallgruppen betrifft. Die in diesem Zusammenhang erforderliche Abgrenzung, was seiner Typizität wegen der Gesetzgeber selbst regeln muss und was er als Problem des Einzelfalls der Verwaltung und den Fachgerichten überlassen darf, ist freilich auch nicht immer einfach und trennscharf vorzunehmen.

Kann aber, was den Streitfall angeht, ernstlich zweifelhaft sein, dass der gesetzliche Tatbestand der Steuerentstehung in der Person des Stromversorgers typischerweise mit sich bringt, dass dieser bei Forderungsausfällen die Steuer nicht an den betreffenden Kunden weiterreichen kann (ebenso wie er seine eigentliche Kaufpreisforderung dann nicht realisieren...

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