Rz. 6

§ 12 erfasst die Fälle, in denen Sitz und/oder Geschäftsleitung eines Körperschaftsteuersubjekts aus dem Inland ins Ausland verlegt wird. Die zivilrechtlichen Folgen einer solchen Maßnahme ergeben sich aus dem internationalen Gesellschaftsrecht, das darüber entscheidet, welche Rechtsordnung auf das Körperschaftsteuersubjekt anzuwenden ist. Problematisch ist jedoch, dass international keine einheitliche Regelung über die Bestimmung des Gesellschaftsstatuts besteht[1].

 

Rz. 6a

Nach der Gründungstheorie (vertreten im angloamerikanischen Rechtskreis, in Spanien, der Schweiz, Liechtenstein und den Niederlanden) ist die Rechtsordnung des Staates maßgebend, in dem die Körperschaft errichtet worden ist. Hat die Körperschaft nach dem Recht dieses Staates ihre Rechtsfähigkeit erlangt, behält sie diese, auch wenn sie Sitz und/oder Geschäftsleitung in einen anderen Staat verlegt.

Nach der Sitztheorie, der die Bundesrepublik Deutschland folgt, richtet sich das Gesellschaftsstatut, und damit die Rechtsfähigkeit, nach dem Recht des Staates des Sitzes der Gesellschaft. Sitz ist dabei nicht der in der Satzung festgelegte Sitz, sondern der Verwaltungssitz, d. h. der Ort, an dem die Verwaltung tatsächlich durchgeführt wird. Der Verwaltungssitz entspricht also dem steuerlichen Ort der Geschäftsleitung. Folge der Sitztheorie ist, dass die Körperschaft mit Verlegung des Verwaltungssitzes (der Geschäftsleitung) in das Ausland ihre (nach deutschem Recht) bestehende Rechtsfähigkeit (ihre rechtliche Existenz) verliert und daher aufgelöst ist. Behält sie nach dem Recht des ausländischen Staates des neuen Verwaltungssitzes ihre Rechtsfähigkeit (wie nach der Gründungstheorie), wird dies nach deutschem Recht als Neugründung im Ausland betrachtet. Weitergehend gilt Entsprechendes auch für die Verlegung des statutarischen Sitzes wegen der damit verbundenen Löschung im Handelsregister[2]. Im Ergebnis wird somit die Identität der Gesellschaft bei Wegzug ins Ausland nur ­gewahrt, wenn sowohl der Wegzug- als auch der Zuzugstaat der Gründungstheorie folgen. Da die Bundesrepublik der Sitztheorie folgt, bleibt im Verhältnis zur Bundesrepublik die Identität der Körperschaft sowohl bei Weg- als auch bei Zuzug nicht gewahrt..

Die Sitztheorie ist aus der Sicht des Europarechts erheblich in die Kritik geraten[3]. Sie verbietet es nämlich, dass eine Körperschaft ihren Sitz und ihre Geschäftsleitung in einen anderen Staat der EU verlegt. Dies wird als Verstoß gegen Art. 43 EGV (Niederlassungsfreiheit) angesehen. Der EuGH hat sich mit den mit der Sitzverlegung zusammenhängenden Fragen in drei Fällen auseinandergesetzt.

 

Rz. 6b

Zunächst[4] ging es darum, ob eine in Großbritannien gegründete Kapitalgesellschaft, deren Geschäftsleitung sich in Dänemark befand, in Dänemark eine Zweigniederlassung in das Handelsregister eintragen lassen konnte. Der EuGH hat dies bejaht. Diese Entscheidung ist in der Literatur umfangreich, vor allem unter steuerlicher Sicht des § 12, diskutiert worden[5]. Jedoch lässt sich aus der Entscheidung wenig für oder gegen die Geltung der Sitztheorie ableiten, schon gar nicht für ihre steuerlichen Folgen. Sie besagt lediglich, dass ein in einem Staat gegründetes wirtschaftliches Gebilde unabhängig von seiner Rechtsfähigkeit in einem anderen EU-Staat Zweigniederlassungen eröffnen kann. Das Unterhalten von Zweigniederlassungen ist unabhängig davon, ob Rechtsfähigkeit besteht oder nicht; so kann auch eine Personengesellschaft, die keine juristische Person ist, Zweigniederlassungen eröffnen. Die Centros-Entscheidung musste daher nicht dazu Stellung nehmen, ob die in Großbritannien gegründete Gesellschaft in Dänemark als juristische Person zu behandeln ist. Im deutschen Recht enthalten die §§ 13d — 13g HGB ausreichende Bestimmungen, um diese Fälle zu lösen.

 

Rz. 6c

Dagegen schafft der EuGH mit Urteil v.5.11.2002[6] jedenfalls handelsrechtlich mehr Klarheit[7]. Das Verfahren betraf die zivilprozessuale Frage, ob die niederländische Überseering BV in einem Baumängelprozess parteifähig war. Sämtliche Geschäftsanteile an der BV, die einer Kapitalgesellschaft entspricht, waren von zwei in Deutschland wohnenden deutschen Staatsangehörigen erworben worden. Das LG hatte festgestellt, dass sich der tatsächliche Verwaltungssitz der BV in Deutschland befand. Damit war eine Sitzverlegung eingetreten, die nach der Sitztheorie zum Verlust der Rechtsfähigkeit und damit auch der Prozessfähigkeit der BV führte. Der EuGH entschied, dass Deutschland der Überseering BV die Rechts- und Prozessfähigkeit zuerkennen muss.

Das Urteil ist weitgehend als Ende der Sitztheorie angesehen worden[8]. Damit wird die Tragweite des Urteils aber überschätzt. Der EuGH stellt wesentlich darauf ab, dass die Überseering BV keine Maßnahmen ergriffen hatte, aus denen sich erkennen ließ, dass sie ihren Sitz verlegen wollten. Die (angebliche) Sitzverlegung ergab sich nur aus der Interpretation der deutschen Gerichte; dies sah der EuGH als Fiktion an. Die Niederlande gingen davon aus, die ...

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