Rz. 1085

[Autor/Stand] Hälftige Teilung des Einigungsbereichs. Wird nichts anderes glaubhaft gemacht, so ist zunächst auf den Mittelwert abzustellen. Eine solche hälftige Teilung des Einigungsbereichs ist nicht abwegig, zumal sie betriebswirtschaftlich der sog. Schiedsrichterlösung entspricht.[2] Auch die sog. Zinsurteile des BFH enthalten einen entsprechenden Lösungsvorschlag (Anm. 1081). In gleicher Weise geht die Rspr. zur Aufteilung von Standortvorteilen bei einem Lohnfertiger davon aus, dass Auftraggeber und Lohnfertiger den sich durch die Standortvorteile ergebenden Einigungsbereich hälftig teilen (Anm. 1082). Es ist zu begrüßen, dass diese Rspr. nun auch in das Gesetz eingeht.

 

Rz. 1086

[Autor/Stand] Widerlegbare Vermutung. Allerdings handelt es sich bei der hälftigen Teilung des Einigungsbereichs um eine widerlegbare Vermutung. Der Stpfl. muss hierzu glaubhaft machen, dass ein anderer Wert als der Mittelwert dem Fremdvergleichsgrundsatz mit "der höchsten Wahrscheinlichkeit" entspricht. Hierbei erfordert die Glaubhaftmachung ein herabgesetztes Beweismaß. Der Stpfl. muss darlegen, dass für die behauptete Tatsache – der behauptete Wert entspricht dem Fremdvergleichsgrundsatz mit der höchsten Wahrscheinlichkeit – "eine überwiegende Wahrscheinlichkeit gegeben ist", dh., das Bestehen der behaupteten Tatsache "wahrscheinlicher ist als ihr Nichtbestehen".[4]

Fraglich ist, wie diese tautologische Glaubhaftmachung mittels Wahrscheinlichkeiten in praxi bewerkstelligt werden kann. Denn innerhalb des Einigungsbereichs entspricht jeder Wert dem Fremdvergleichsgrundsatz, weil jeder dieser Werte – und zwar mit derselben Wahrscheinlichkeit – auch zwischen fremden Dritten (hypothetisch) vereinbart werden könnte. Insofern muss die Glaubhaftmachung mittels Wahrscheinlichkeiten – verstanden als Häufung einer (beobachtbaren) Ausprägung – im Rahmen des hypothetischen Fremdvergleichs scheitern, weil eine größere Häufung einer Ausprägung ebenso wie der hypothetische Fremdvergleich einem Denkprozess entspringen muss.[5]

Nach Auffassung der Finanzverwaltung in den VWG-Funktionsverlagerung[6] bleibt für die Glaubhaftmachung eines anderen Werts als des Mittelwerts die gesellschaftsrechtliche Verbundenheit der Transaktionspartner unberücksichtigt. Demgegenüber können als Kriterien für einen dem Fremdvergleichsgrundsatz mit der größten Wahrscheinlichkeit entsprechenden Wert die jeweiligen Marktpositionen, das jeweilige mit der Transaktion verbundene Interesse, die Kapitalausstattung und Ertragslage der Kontrahenten sowie die Entstehung von Synergieeffekten und Standortvorteilen herangezogen werden. Ferner sind – unter Verweis auf die Auffassung der OECD[7] – die Handlungsalternativen der Parteien zu beachten. Wichtig wird hier sein, dass die unternehmensseitig angelegten Kriterien bereits bei der Erfüllung der Dokumentationspflichten hinreichend dargelegt werden.[8]

 

Rz. 1087

[Autor/Stand] Schwierigkeiten des Gesetzgebers mit statistischen Begriffen. Die Schwierigkeiten des Gesetzgebers mit statistischen Begriffen werden auch bei dem Begriff "Mittelwert" deutlich. Es gibt nicht den einen Mittelwert; vielmehr wird in der Statistik im Hinblick auf den Mittelwert zwischen dem arithmetischen, dem geometrischen und dem harmonischen Mittelwert unterschieden. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Arten der Mittelwerte sind erheblich. Wenn zB durch den hypothetischen Fremdvergleich Einigungsbereiche iH von 400 und 800 festgestellt werden, so betragen:

  • der arithmetische Mittelwert: (400 + 800) : 2 = 600;
  • der geometrische Mittelwert: Quadratwurzel aus (400 * 800) = 566 und
  • der harmonische Mittelwert: 2 : (1 : 400 + 1 : 800) = 533.

In diesem Beispiel kann der Mittelwert also die Werte 600, 566 oder 533 annehmen, und zwar bei denselben Einigungsbereichen. Welcher Mittelwert allerdings steuerlich relevant sein soll, lässt der Gesetzgeber offen. Es dürfte auch Schwierigkeiten bereiten, die wirtschaftlich gebotene Art des Mittelwerts mit einer überzeugenden ökonomischen Begründung festzulegen. Jedenfalls ist die für die Anwendung eines Gesetzes erforderliche Klarheit hier wiederum nicht gegeben.

 

Rz. 1088

[Autor/Stand] Wahlrecht für einen abweichenden Wertansatz. Vor dem Hintergrund der Regelung des § 1 Abs. 3 Satz 7 Halbs. 2 ist fraglich, ob der Stpfl. verpflichtet ist, einen Wert innerhalb des Einigungsbereichs "glaubhaft" zu machen. Geht man – wie hier vertreten – von einer widerlegbaren Vermutung der hälftigen Teilung aus, wird – rationales Verhalten unterstellt – die Glaubhaftmachung eines anderen Werts innerhalb des Einigungsbereichs nur dann anzustreben sein, wenn hierdurch eine für den Stpfl. günstigere Aufteilung des Einigungsbereichs erreicht werden kann. Der Normwortlaut impliziert eine widerlegbare Vermutung bzw. ein Wahlrecht des Stpfl. ("kann"). Ebenso wenig lässt sich der Auffassung der Finanzverwaltung in den VWG-Funktionsverlagerung ein Hinweis darauf entnehmen, dass verwaltungsseitig von einer diesbezüglichen Verpflichtung ausgegang...

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