Rz. 85a

Die Änderung des § 14 Abs. 2 ErbStG[1] ist als Reaktion des Gesetzgebers auf die Entscheidung des BFH[2]

zu sehen. Der 2. Senat hatte entschieden, dass eine geänderte Steuerfestsetzung für den Vorerwerb für sich allein gesehen kein rückwirkendes Ereignis ist, das die Änderung der Steuerfestsetzung für den nachfolgenden Erwerb zulässt. Dies begründete der BFH damit, dass § 14 Abs. 2 ErbStG a. F. keine Änderungsvorschrift darstelle, sondern nach dem klaren Wortlaut lediglich eine Regelung zur Bestimmung der Festsetzungsfrist für den späteren Erwerb sei. Diese Rspr. bedeutet, dass nach bisherigem Recht die Aufhebung oder Änderung der Steuerfestsetzung für den Vorerwerb keine Auswirkung auf die Steuerfestsetzung für den Nacherwerb hat. Vielmehr ist die Frage, ob die Voraussetzungen für eine Änderung der Steuerfestsetzung für den späteren Erwerb erfüllt sind, grundsätzlich eigenständig zu prüfen. Je nach Ergebnis können sich hieraus steuerliche Auswirkungen zuungunsten und zugunsten des Steuerpflichtigen ergeben.

 

Rz. 85b

Durch den neuen § 14 Abs. 2 S. 1 wird nach Ansicht des Gesetzgebers[3] für den Fall, dass die Steuerfestsetzung für einen Vorerwerb aufgrund eines rückwirkenden Ereignisses i. S. d. § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO geändert wird, eine Änderungsmöglichkeit zur Korrektur einer Steuerfestsetzung für den nachfolgenden Erwerb geschaffen. Im Ergebnis wird so (wieder) eine Gleichstellung von mehreren Erwerben im 10-Jahreszeitraum mit einem einheitlichen Erwerb auch bei einer nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO geänderten Steuerfestsetzung für den Vorerwerb erreicht.[4]

 

Rz. 85c

Durch den neuen § 14 Abs. 2 S. 2 wird sichergestellt, dass auch der erstmalige Erlass, die Änderung und die Aufhebung einer Steuerfestsetzung für einen Vorerwerb als rückwirkendes Ereignis i. S. d. § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO für die Steuerfestsetzung des nachfolgenden Erwerbs gelten und in solchen Fällen die Steuerfestsetzung für den Nacherwerb zutreffend geändert werden kann.

 

Rz. 85d

 
Praxis-Beispiel

Vater V überträgt auf seinen Sohn S zum 1.2.2020 ein Wertpapierdepot mit einem steuerlichen Wert von 450.000 EUR. Am 30.4.2020 verstirbt V und hinterlässt S als Alleinerben. Der Nachlass hat einen Wert von 400.000 EUR.

Das zuständige Erbschaftsteuer-Finanzamt nimmt mit Bescheiden vom 13.1.2021 folgende Steuerfestsetzungen vor:[5]

 
  Schenkung

Erwerb von Todes

wegen
Bereicherung 450.000 EUR 400.000 EUR
+ Vermögen aus Vorerwerben   450.000 EUR
./. persönlicher Freibetrag 400.000 EUR 400.000 EUR
= steuerpflichtiger Erwerb 50.000 EUR 450.000 EUR
x Steuersatz 7 % 15 %
= tarifliche Steuer 3.500 EUR 67.500 EUR
./. Steuer auf Vorerwerb 0 3.500 EUR
= festzusetzende Steuer 3.500 EUR 64.000 EUR
 

Rz. 85e

Mit Einspruch vom 31.1.2021 wendet sich S gegen den Schenkungsteuerbescheid und macht geltend, dass bei der Steuerfestsetzung die von ihm im Rahmen der Zuwendung übernommene Gegenleistung von 100.000 EUR zu Unrecht nicht berücksichtigt wurde. Den Erbschaftsteuerbescheid greift S nicht an. Er wird bestandskräftig.

Mit geändertem Schenkungsteuerbescheid vom 28.3.2021 hilft das FA dem Einspruch ab und setzt folgende Schenkungsteuer fest:

 
Bereicherung 350.000 EUR
./. persönlicher Freibetrag 400.000 EUR
= steuerpflichtiger Erwerb 0 EUR
festzusetzende Steuer 0 EUR

Wegen der Bestandskraft des Erbschaftsteuerbescheids ergibt sich für S eine um 11.500 EUR zu hohe Steuer.

Durch den neuen Satz 1 wird es künftig möglich sein, die im Beispielsfall um 11.500 EUR zu hohe Steuer zu korrigieren. Diese Korrektur kann sich – wie im Beispielsfall – zugunsten des Steuerpflichtigen auswirken. Sie kann aber auch zu einer höheren Steuerfestsetzung führen.

 

Rz. 85f

§ 14 Abs. 2 S. 3 ErbStG n. F. entspricht inhaltlich der bisherigen Regelung in § 14 Abs. 2 S. 2 ErbStG a. F.

[1] JStG 2020 v. 28.12.2020, BGBl I 2020, 3096.
[3] BR-Drs. 530/20, S. 200.
[4] Gleichlautende Erlasse v. 13.12.2021 betr. Anwendung der geänderten Vorschriften des ErbStG für Erwerbe mit einer Steuerentstehung nach dem 28.12.2020, BStBl I 2021, 1837, Tz. 5 mit Bsp.
[5] Bsp. nach BR-Drs. 503/20 v. 18.9.2020, 199 f.

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