Revision eingelegt (BFH III R 15/16)

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Zuständigkeit der Familienkassen für die Entscheidung über den Kindergeldanspruch in Auslandsfällen - Zu den Voraussetzungen eines Anspruchs auf "Differenzkindergeld" bei der Anrechnung ausländischer, hier französischer Sozialleistungen, die mit deutschem Kindergeld vergleichbar sind

 

Leitsatz (amtlich)

1. Sinn und Zweck der Vorschrift in § 72 Abs. 8 EStG ist es, den Familienkassen der Arbeitsagentur als sachlich zuständige Behörde die Bearbeitung aller schwierigen Auslandsfälle zuzuweisen.

2. Mit deutschem Kindergeld vergleichbar sind die französischen Sozialleistungen "allocations familiales" (Kindergeld) und "prestation d`acceuil du jeune enfant" (Kleinkindbeihilfe), nicht aber die Leistung "complement de libre choix d`activité" (Beihilfe zur freien Tätigkeitsentscheidung), dies selbst dann nicht, wenn diese Leistung aufgrund geänderter Einkommensverhältnisse erhöht gezahlt wird.

3. Auf der Grundlage des EU-rechtlichen Secundärrechts besteht ein Anspruch auf "Differenzkindergeld" und erfolgt entgegen dem Kumulationsverbot in § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG kein vollständiger Ausschluss des deutschen Kindergeldes.

4. Die Anrechnung französischer, mit deutschem Kindergeld vergleichbarer Sozialleistungen führt nicht zu einem Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot in Art. 3 Abs. 1 GG und verletzt nicht den Schutz der Familienrechte aus Art. 6 Abs. 1 u. Abs. 2 GG. Insbesondere ist der Staat nicht verpflichtet, jegliche die Familie treffende Belastung auszugleichen.

5. Eine differenzierte Anrechnung ausländischer Sozialleistungen auf nationale Förderungsansprüche verstößt nicht gegen die EU-rechtliche Gewährleistung von Grundrechten und Grundfreiheiten. Es besteht für Unionsbürger kein Anspruch auf höchstmögliche Sozialleistungen.

 

Normenkette

EStG §§ 31, 62-63, 65 Abs. 1 S. 1, § 72 Abs. 1, 8; AO §§ 16, 37 Abs. 2, § 127; EWGVO-1408/71 Art. 13; EGVO-883/2004 Art. 68 Abs. 1; GG Art. 3, 6

 

Tatbestand

Streitig ist die Anrechnung der (einkommensabhängigen) französischen Familienleistung für Kinder PAJE (prestation d`accueil du jeune enfant, "Kleinkindbeihilfe") auf den deutschen Kindergeldanspruch des Klägers, insbesondere ob die Anrechnung auch zu erfolgen hat, wenn die PAJE von der einkommensunabhängigen französischen Leistung CLCA (complement de libre choix d`activité, "Beihilfe zur freien Tätigkeitsentscheidung") "überdeckt" wird.

Der Kläger ist deutscher Staatsangehöriger und Beamter im deutschen Staatsdienst. Seine Anstellungsbehörde ist seit 1993 bis heute xxx. In der Zeit von 2004 bis 30.04.2009 war er zum Auswärtigen Amt (Berlin) abgeordnet und für dieses in Frankreich tätig. Von 01.05.2009 bis 13.06.2010 arbeitete er am inländischen Dienstsitz des xxx in aaa. Danach bereitete er sich am Dienstsitz des xxx in bbb auf die neue Auslandsverwendung vor und war vom 15.11.2010 bis zum 31.07.2015 zum Auswärtigen Amt (Berlin) abgeordnet und für dieses in Spanien tätig.

Seither ist er wieder in Deutschland in ccc beschäftigt. Die zuständige Besoldungsstelle war durchgängig das Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen.

Der Kläger war stets unbeschränkt Einkommensteuer pflichtig, während seines Aufenthalts im Ausland im Streitzeitraum gemäß § 1 Abs. 2 EStG.

Seit 19.04.2008 ist der Kläger mit der französischen Staatsangehörigen 1 A. verheiratet, von Beruf französische ...Beamtin. Sie befand sich ab der Geburt des zweiten Sohnes Y im April 2009 in Elternzeit nach französischem Recht, mit kurzer Unterbrechung von März bis September 2012 wegen des Mutterschaftsurlaubs zur Geburt der Tochter Z.

Der Kläger und seine Ehefrau 1 haben die gemeinsamen Kinder X (geb. xx.xx.2007), Y (geb. xx.04.2009) und Z (geb. xx.05.2012), die auch im Ausland zusammen im Haushalt des Klägers (zunächst in Frankreich, dann in Spanien) wohnten. Im Inland hatten der Kläger und seine Familie während der Zeiten der Abordnungen ins Ausland weder einen Wohnsitz noch einen gewöhnlichen Aufenthalt. Zwischen den Zeiten der Abordnungen nach Frankreich und Spanien wohnten der Kläger und seine Familie in D-00000 M. Die Ehefrau des Klägers hatte in dieser Zeit eine Anschrift in Frankreich beibehalten, zunächst in F-00000 L, danach in F-00000 K.

Auf den Antrag des Klägers vom 02.11.2007 setzte die Familienkasse aaa mit Bescheid vom 20.02.2008 Kindergeld für den Sohn X in Höhe von 154 € monatlich rückwirkend ab Juli 2007 fest. Die Zahlungen erfolgten bis einschließlich April 2009 zuzüglich des Kindergeldbonus von 100 €.

Wegen der Beendigung der Abordnung nach Frankreich im Mai 2009 erklärte sich nun die des Bundesverwaltungsamtes (BVA) in Köln für die Festsetzung des Kindergeldes zuständig. Dieses setzte auf den Antrag des Klägers vom 21.05.2009 Kindergeld für den Sohn X und für den am xx.04.2009 geborenen Sohn Y mit Bescheid vom 10.07.2009 jeweils in Höhe von monatlich 164 € fest. Für beide Söhne wurde bis September 2012 Kindergeld, zuletzt jeweils in Höhe von je 184 € ausbezahlt.

Den Antr...

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