Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Aufrechnung mit Einkommensteuererstattungsansprüchen bei Freigabe eines Betriebs in der Insolvenz. Einkommensteuer keine von der Unternehmensfreigabe gem. § 35 Abs. 2 InsO betroffene Betriebssteuer

 

Leitsatz (redaktionell)

Anders als ein nach Freigabe eines Unternehmens i. S. d. § 35 Abs. 2 InsO nicht zur Insolvenzmasse rechnender und damit nicht dem Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO unterliegender Umsatzsteuervergütungsanspruch gehört ein auf überzahlten Vorauszahlungen beruhender nachinsolvenzlicher Einkommensteuererstattungsanspruch zur Insolvenzmasse, da er nicht Bestandteil des Vermögens aus der vom Insolvenzschuldner ausgeübten selbstständigen Tätigkeit i. S. d. § 35 Abs. 2 InsO ist. Die Einkommensteuer ist keine Betriebssteuer.

 

Normenkette

AO § 226 Abs. 1; InsO § 96 Abs. 1 Nr. 1, § 35 Abs. 2; AO § 218 Abs. 2, § 47; BGB § 387; EStG § 37

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 26.11.2014; Aktenzeichen VII R 32/13)

 

Tenor

Der Abrechnungsbescheid vom 19. April 2010 wird unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 29. Oktober 2010 dahingehend geändert, dass sich ein Guthaben i. H. v. 1.185,80 EUR ergibt.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.

Die Revision wird zugelassen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

 

Tatbestand

Herr B. war seit 2002 als Unternehmer tätig und erzielte jedenfalls im Jahr 2008 ausschließlich Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Seine Ehefrau, mit der er zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurde, erzielte in diesem Jahr keine Einkünfte. Herr B. leistete an den Beklagten Einkommensteuer-Vorauszahlungen. Mit Beschluss vom 29. Februar 2008 eröffnete das Amtsgericht C. das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Herrn B. und bestellte den Kläger zum Insolvenzverwalter. Dieser führte den Betrieb fort. Am 16. April 2008 gab er den Betrieb aus dem Insolvenzbeschlag frei. Auf Bl. 21 der Gerichtsakte wird verwiesen.

Angesichts dessen erließ der Beklagte am 1. Oktober 2009 einen Einkommensteuerbescheid 2008 (Bl. 97 der beigezogenen Einkommensteuerakte ab 2004) und errechnete aufgrund der geleisteten Einkommensteuer-Vorauszahlungen ein Guthaben in Höhe von insgesamt 1.420,40 EUR, welches i. H. v. 234,60 EUR auf die Zeit vor der Insolvenzeröffnung und i. H. v. 1.185,80 EUR auf die Zeit nach der Insolvenzeröffnung entfiel. Der Beklagte nahm eine Aufrechnung mit seinen, des Beklagten, Insolvenzforderungen vor, die er hinsichtlich der vorinsolvenzlichen Erstattungsbeträge gegenüber dem Kläger und hinsichtlich der nachinsolvenzlichen Erstattungsbeträge gegenüber dem Insolvenzschuldner erklärte. Auf Bl. 102 und 103 der beigezogenen Einkommensteuerakte ab 2004 wird verwiesen. Gegen die ihm gegenüber vorgenommene Aufrechnung wandte sich der Kläger mit Schreiben vom 26. Oktober 2009 (Bl. 104 der beigezogenen Einkommensteuerakte ab 2004). Am 19. April 2010 erließ der Beklagte einen Abrechnungsbescheid, auf den Bezug genommen wird (Bl. 6 der Gerichtsakte). Der dagegen eingelegte Einspruch, mit dem der Kläger die ihm gegenüber erklärte Aufrechnung mit dem Guthaben beanstandete, blieb ohne Erfolg. In der Einspruchsentscheidung vom 29. Oktober 2010, auf die Bezug genommen wird (Bl. 8 der Gerichtsakte), wies der Beklagte den Einspruch als unzulässig zurück und führte aus, dass der Kläger nicht befugt sei, Rechtsmittel einzulegen, weil er den Betrieb aus dem Insolvenzbeschlag freigegeben habe. Unabhängig davon wäre der Einspruch unbegründet. Der Aufrechnung stehe § 96 Abs. 1 Nr. 1 Insolvenzordnung – InsO – nicht entgegen, weil das Unternehmen des Schuldners aus der Insolvenzmasse freigegeben worden sei. Damit falle auch der Erstattungsanspruch nicht in die Insolvenzmasse. Unabhängig davon resultierten die dem Erstattungsanspruch zu Grunde liegenden Einkünfte nicht aus der Insolvenzmasse, sondern aus dem insolvenzfreien Vermögen. Aus diesem – wegen der Freigabe des Unternehmens insolvenzfreien – Vermögen habe der Schuldner ab dem II. Quartal die Vorauszahlungen geleistet. Auch das habe zur Folge, dass der Erstattungsanspruch die Insolvenzmasse nicht betreffe.

Mit der Klage macht der Kläger geltend, dass die vom Beklagten vorgenommene Aufrechnung gegen § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO verstoße, soweit diese das Guthaben betreffe, welches auf den Zeitraum nach der Insolvenzeröffnung entfalle. Daran ändere die Freigabe des Gewerbebetriebes nicht. Mit der Regelung in § 35 Abs. 2 InsO zur Freigabe von Vermögen, habe der Gesetzgeber eine Möglichkeit geschaffen, den Schuldner zur Selbstständigkeit zu motivieren und zugleich eine Gefährdung der Insolvenzmasse zu verhindern. Die Freigabe sei beschränkt auf das dem Gewerbe gewidmete Vermögen und somit auf die Betriebsausgaben und Betriebseinnahmen. Dazu gehöre das Guthaben aus der Einkommensteuerfestsetzung nicht;...

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