Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesellschaftsteuer, keine proportionale Registersteuer bei einer umgekehrten Fusion
Leitsatz (amtlich)
Unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens steht die Richtlinie 69/335/EWG des Rates vom 17. Juli 1969 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital in der Fassung der Richtlinien 73/80/EWG des Rates vom 9. April 1973 betreffend die Festsetzung gemeinsamer Sätze der Gesellschaftsteuer und 85/303/EWG des Rates vom 10. Juni 1985 einer proportionalen Registersteuer in Höhe von 1 % entgegen, die im Fall einer „umgekehrten“ Fusion ‐ d. h. einer Fusion durch Aufnahme, bei der die aufgenommene Gesellschaft sämtliche Anteile an der aufnehmenden Gesellschaft hält ‐ auf den Wert eines solchen Vorgangs erhoben wird.
Normenkette
EWGRL 335/69
Beteiligte
Ministero dell'Economia e delle Finanze |
Tatbestand
„Richtlinie 69/335 ‐ Indirekte Steuern auf die Ansammlung von Kapital ‐ Nationale Regelung, die bei einer ‘umgekehrten’ Fusion die Erhebung einer proportionalen Registersteuer in Höhe von 1 % des Wertes eines solchen Vorgangs vorsieht ‐ Einstufung als Gesellschaftsteuer ‐ Erhöhung des Gesellschaftskapitals ‐ Erhöhung des Gesellschaftsvermögens ‐ Erhöhung des Wertes der Gesellschaftsanteile ‐ Leistung eines Gesellschafters ‐ Von den Gesellschaftern des Gesellschafters gefasster Fusionsbeschluss“
In der Rechtssache C-46/04
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht von der Corte Suprema di Cassazione (Italien) mit Entscheidung vom 6. November 2003, beim Gerichtshof eingegangen am 6. Februar 2004, in dem Verfahren
Aro Tubi Trafilerie SpA
gegen
Ministero dell’Economia e delle Finanze
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann (Berichterstatter) sowie des Richters K. Schiemann, der Richterin N. Colneric und der Richter J. N. Cunha Rodrigues und E. Levits,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: R. Grass,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der Aro Tubi Trafilerie SpA, vertreten durch G. Bianco, avvocato,
‐ der italienischen Regierung, vertreten durch I. M. Braguglia als Bevollmächtigten im Beistand von G. De Bellis, avvocato dello Stato,
‐ der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch R. Lyal und M. Velardo als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 26. Mai 2005
folgendes
Urteil
1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft im Wesentlichen die Auslegung der Artikel 4, 7 und 10 der Richtlinie 69/335/EWG des Rates vom 17. Juli 1969 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital (ABl. L 249, S. 25) in der Fassung der Richtlinien 73/80/EWG des Rates vom 9. April 1973 betreffend die Festsetzung gemeinsamer Sätze der Gesellschaftsteuer (ABl. L 103, S. 15) und 85/303/EWG des Rates vom 10. Juni 1985 (ABl. L 156, S. 23) (im Folgenden: Richtlinie 69/335).
2
Dieses Ersuchen wurde im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Gesellschaft Aro Tubi Trafilerie SpA (im Folgenden: Aro Tubi, aufnehmende Gesellschaft) und dem Ministero dell’Economia e delle Finanze gestellt, der die Erhebung von Registersteuern in Zusammenhang mit einer doppelten Fusion betrifft, mit der Aro Tubi zwei Gesellschaften aufgenommen hat, und zwar zum einen ihre Tochtergesellschaft Aro Tubi Estrusi e Profilati SpA (im Folgenden: Aro Tubi Estrusi, aufgenommene Gesellschaft) und zum anderen ihre Muttergesellschaft Fratelli Gaggini SpA (im Folgenden: Fratelli Gaggini, aufgenommene Gesellschaft).
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsregelung
3
Mit der Richtlinie 69/335 soll, wie sich aus ihrer ersten und ihrer zweiten Begründungserwägung ergibt, der freie Kapitalverkehr, eine der für die Schaffung eines Binnenmarktes wesentlichen Grundfreiheiten, gefördert werden. Diese Richtlinie soll die steuerrechtlichen Hindernisse beseitigen, die auf dem Gebiet der Ansammlung von Kapital bestehen, insbesondere was Kapitalzuführungen anbelangt.
4
Zu diesem Zweck sehen die Artikel 1 bis 9 der Richtlinie 69/335 die Erhebung einer harmonisierten Abgabe auf Kapitalzuführungen (im Folgenden: Gesellschaftsteuer) vor.
5
Artikel 4 der Richtlinie 69/335 listet die Vorgänge auf, die die Mitgliedstaaten der Gesellschaftsteuer unterwerfen können oder müssen (im Folgenden: Kapitalzuführungen).
6
So bestimmt Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe c der Richtlinie, dass die Mitgliedstaaten Gesellschaftsteuer auf „die Erhöhung des Kapitals einer Kapitalgesellschaft durch Einlagen jeder Art“ erheben.
7
Gemäß Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe b der Richtlinie können die Mitgliedstaaten Gesellschaftsteuer erheben auf „die Erhöhung des Gesellschaftsvermögens einer Kapitalgesellschaft durch Leistungen eines Gesellschafters, die keine Erhöhung des Kapitals mit sich bringen, sondern ihren Gegenwert in einer Änderung der Gesellschaftsrechte finden oder geeignet sind, den Wert der Gesellschaftsanteile zu erhöhen“.
8
In Artikel 7 der Richtlinie 69/335 werden die Sätze ...