Entscheidungsstichwort (Thema)
Anrechnung von Auslandsdividendensteuer auf die Körperschaftsteuer, Auslandsdividenden, Vollanrechnungsverfahren, Doppelbesteuerung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Vereinbarkeit einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, wonach eine Gesellschaft mit Sitz in einem Mitgliedstaat die Körperschaftsteuern, die von Dividenden ausschüttenden Kapitalgesellschaften in einem anderen Mitgliedstaat oder in einem Drittstaat entrichtet wurden, nicht anrechnen kann, weil diese Dividenden in dem erstgenannten Mitgliedstaat von der Steuer freigestellt sind, wenn sie aus Beteiligungen in Höhe von mindestens 10 % des Kapitals der ausschüttenden Gesellschaft hervorgegangen sind ‐ wobei im konkreten Fall die tatsächliche Beteiligung der die Dividenden erhaltenden Kapitalgesellschaft bei über 90 % liegt und die Empfängergesellschaft nach dem Recht eines Drittstaats gegründet worden ist ‐, mit dem Unionsrecht ist anhand der Art. 63 AEUV und 65 AEUV zu beurteilen.
2. Art. 63 AEUV ist dahin auszulegen, dass er nicht daran hindert, dass auf von Gesellschaften mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat oder einem Drittstaat ausgeschüttete Dividenden die Befreiungsmethode angewandt wird, während auf Dividenden, die von Gesellschaften ausgeschüttet werden, die ihren Sitz in demselben Mitgliedstaat haben wie die Empfängergesellschaft, die Anrechnungsmethode angewandt wird und die Anrechnungsmethode in dem Fall, dass diese Empfängergesellschaft Verluste verzeichnet, dazu führt, dass die von der gebietsansässigen ausschüttenden Gesellschaft gezahlte Steuer vollständig oder teilweise erstattet wird.
Normenkette
AEUV Art. 63, 65
Beteiligte
Verfahrensgang
Tatbestand
„Vorabentscheidungsersuchen ‐ Art. 49 AEUV und 54 AEUV ‐ Niederlassungsfreiheit ‐ Art. 63 AEUV und 65 AEUV ‐ Freier Kapitalverkehr ‐ Steuerrecht ‐ Körperschaftsteuer ‐ Regelung eines Mitgliedstaats zur Beseitigung der Doppelbesteuerung von Gewinnausschüttungen ‐ Anwendung der Anrechnungsmethode auf Dividenden, die von Gesellschaften ausgeschüttet werden, die ihren Sitz in demselben Mitgliedstaat wie die Empfängergesellschaft haben ‐ Anwendung der Befreiungsmethode auf Dividenden, die von Gesellschaften ausgeschüttet werden, die ihren Sitz in einem anderen Mitgliedstaat als die Empfängergesellschaft oder in einem Drittstaat haben ‐ Ungleichbehandlung der Verluste der die Dividenden beziehenden Gesellschaft“
In der Rechtssache C-47/12
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Finanzgericht Köln (Deutschland) mit Entscheidung vom 6. September 2011, beim Gerichtshof eingegangen am 31. Januar 2012, in dem Verfahren
Kronos International Inc.
gegen
Finanzamt Leverkusen
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano, der Richter A. Borg Barthet, J. L. da Cruz Vilaça und E. Levits (Berichterstatter) sowie der Richterin M. Berger,
Generalanwalt: P. Cruz Villalón,
Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 16. Mai 2013,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der Kronos International Inc., vertreten durch Rechtsanwälte W. Meilicke und D. Rabback,
‐ des Finanzamts Leverkusen, vertreten durch B. Hillebrand, K. Kusch, H. Brandenberg und M. Brombach-Krüger als Bevollmächtigte,
‐ der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und K. Petersen als Bevollmächtigte,
‐ der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch S. Ossowski als Bevollmächtigten im Beistand von S. Ford, Barrister,
‐ der Europäischen Kommission, vertreten durch W. Roels und W. Mölls als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 7. November 2013
folgendes
Urteil
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 49 AEUV und 54 AEUV über die Niederlassungsfreiheit sowie der Art. 63 AEUV und 65 AEUV über den freien Kapitalverkehr.
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Kronos International Inc. (im Folgenden: Kronos), einer nach dem Recht des Staates Delaware (Vereinigte Staaten von Amerika) gegründeten Gesellschaft, und dem Finanzamt Leverkusen (im Folgenden: Finanzamt) über die Anrechnung von Körperschaftsteuer, die Dividenden ausschüttende Tochtergesellschaften von Kronos im Ausland gezahlt haben, auf die deutsche Körperschaftsteuer für die Jahre 1991 bis 2001.
Rechtlicher Rahmen
Deutsches Recht
Rz. 3
Was die Jahre 1991 bis 2000 betrifft, wurde in § 49 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes (BGBl. 1991 I S. 638, im Folgenden: KStG 1991) für die Durchführung der Besteuerung von Körperschaften einschließlich der Anrechnung, Entrichtung und Vergütung der Körperschaftsteuer auf die Vorschriften des Einkommensteuergesetzes (BGBl. 1990 I S. 1898, im Folgenden: EStG 1990) verwiesen.
Rz. 4
§ 36 Abs. 2 Nr. 3 EStG 1990, der das sogenann...