Entscheidungsstichwort (Thema)

Teilurteil. Anforderung an die Revisionsbegründung. sozialgerichtliches Verfahren. Aussetzungsbeschluss. Vorlagebeschluss an des BVerfG. Altersrente für langjährig Versicherte. Bewertung rentenrechtlicher Zeiten. Zugangsfaktor. Abschlag. Verfassungsmäßigkeit

 

Orientierungssatz

1. Die ständige Rechtsprechung des BSG fordert für die Revisionsbegründung, dass sorgfältig sowie nach Umfang und Zweck zweifelsfrei dargelegt werden muss, weshalb eine Vorschrift des materiellen Rechts vom LSG nicht oder nicht richtig angewandt worden ist (vgl BSG vom 24.7.2003 - B 4 RA 62/02 R, BSG vom 23.11.2005 - B 12 RA 10/04 R und BSG vom 6.3.2006 - B 13 RJ 46/05 R).

2. Ist § 236 Abs 2 S 1 Nr 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB 6), eingefügt durch Art 1 Nr 76 des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung (Rentenreformgesetz 1999 - RRG 1999) vom 12.12.1997 (BGBl I 1997, 2998), in Kraft getreten zum 1.1.2000, insoweit mit Art 14 Abs 1 S 2 GG iVm Art 3 Abs 1 GG vereinbar, als die Norm nur diejenigen vor dem 1.1.1942 geborenen Versicherten begünstigt, die 45 Jahre mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit (ohne versicherungspflichtige Bezugszeiten von Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe) haben, ohne auch diejenigen vor dem 1.1.1942 geborenen Versicherten in die Begünstigung mit einzubeziehen, a) die - unabhängig von der zeitlichen Dimension der 45 Jahre - eine gleiche Vorleistung zur gesetzlichen Rentenversicherung erbracht oder die b) die Versicherungszeit von 45 Jahren zwar nicht allein mit Pflichtbeiträgen, aber zusammen mit freiwilligen Beiträgen erfüllt haben?

3. Ist § 236 Abs 1 S 2 bis 4 SGB 6 iVm der Anlage 21 zum SGB 6 idF des Art 1 Nr 76 und 135 RRG 1999 iVm § 77 Abs 2 S 1 Nr 2 Buchst a SGB 6 idF des Art 1 Nr 22 des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (RRErwerbG) vom 20.12.2000 (BGBl I 2000, 1827), in Kraft getreten am 1.1.2001, mit Art 14 Abs 1 S 2 GG iVm Art 3 Abs 1 GG insoweit vereinbar, als diese gesetzliche Inhalts- und Schrankenbestimmung den Wert des Stammrechts auf Altersrente auch dann noch vermindert, wenn die individuellen Vorteile aus einer unterschiedlichen Rentenbezugsdauer durch einen Abschlag vom Zugangsfaktor ausgeglichen sind?

4. Az des BVerfG: 1 BvL 5/06.

 

Normenkette

SGB 6 § 236 Abs. 1 Fassung: 1997-12-16, Abs. 2 S. 1 Nr. 1 Fassung: 1997-12-16, Abs. 3 Fassung: 1997-12-16, Abs. 4 Fassung: 1997-12-16, Abs. 2 Nr. 1 Fassung: 1997-12-16; SGB 6 § 77 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Buchst. a Fassung: 2000-12-20; SGB 6 § 41; SGB 6 Anl 21 Fassung: 1997-12-16; SGG §§ 96, 164 Abs. 2 S. 3, § 171 Abs. 2; RRG 1999 Art. 1 Nrn. 76, 135; RRErwerbG Art. 1 Nr. 22; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 S. 2

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 08.12.2004; Aktenzeichen L 4 RA 19/04)

SG Speyer (Urteil vom 11.12.2003; Aktenzeichen S 2 RA 31/03)

 

Tatbestand

Gliederung:

Gründe I:

Sachverhalt und Prozessgeschichte

Gründe II:

Begründung der Entscheidungen

A.

Teilurteil

B.

Vorlagebeschluss

1. Teil:

Entwicklung der Gesetzestexte mit Gesetzesmaterialien

1. Abschnitt:

Rechtslage unter Geltung des AVG bzw der RVO

I.

Zur Rechtslage vor 1973

II.

Zur Rechtslage ab 1. Januar 1973 nach dem RRG 1972

1.

Gesetzestexte

2.

Gesetzesmaterialien

III.

Zur Rechtslage ab 31. Dezember 1978 nach dem 5. RVÄndG

IV.

Keine weiteren hier relevanten Rechtsänderungen bis zum 31. Dezember 1991

2. Abschnitt:

Rechtslage nach Inkrafttreten des SGB VI

I.

Zur Rechtslage ab 1. Januar 1992 nach dem RRG 1992

1.

Gesetzestexte

2.

Gesetzesmaterialien

II.

Zur Rechtslage ab 1. August 1996 nach dem RuStFöG

III.

Zur Rechtslage ab 1. Januar 1997 nach dem WFG

1.

Gesetzestexte

2.

Gesetzesmaterialien

IV.

Zur Rechtslage ab 1. Januar 2000 nach dem RRG 1999

1.

Gesetzestexte

2.

Gesetzesmaterialien

V.

Zur Rechtslage ab 1. Januar 2001 nach dem EM-ReformG

VI.

Zur Rechtslage ab 1. August 2004 nach dem RVNG

VII.

Zur Rechtslage ab 1. Januar 2005 nach dem 5. SGB VI-ÄndG

2. Teil:

Rechtsprechung des BVerfG zur Ausgestaltung des Zugangsfaktors

3. Teil:

Abweisungsreife der Revision bei Verfassungsgemäßheit des Gesetzes

1. Abschnitt:

Revision, Berufung und Klagen sind statthaft und zulässig

I.

Die Revision ist statthaft und zulässig

II.

Die Berufung ist statthaft und zulässig

III.

Die vor dem SG erhobenen Klagen sind statthaft und zulässig

IV.

Die vor dem LSG noch anhängigen Klagen gegen die Rentenhöchstwertfeststellung vom 27. April 2004 stehen einer Sachprüfung im Revisionsverfahren für Rentenbezugszeiten auch ab 1. Juli 2003 nicht entgegen

2. Abschnitt:

Die Entscheidungen der Beklagten sind gesetzmäßig

3. Abschnitt:

Keine Verletzung rentenversicherungsrechtlicher subjektiver Rechte durch Gesetzesänderungen (RRG 1992; WFG; RRG 1999)

I.

Keine Beeinträchtigung von vermögenswerten subjektiven Rechten, die durch Art 14 Abs 1 GG geschützt werden

1.

Keine Beeinträchtigung von direkten Gewährleistungsgehalten des Art 14 Abs 1 GG

2.

Mangels Rechtsbeeinträchtigung ist weder das im Dezember 2001 entstandene Vollrecht noch das Gestaltungsrecht auf Begründung des Vollrechts noch ein vor Entstehung des Vollrechts gegebenes sonstiges subjektives Recht verletzt

a)

Keine Beeinträchtigung des Vollrechts auf Altersrente

b)

Keine Beeinträchtigung einer Rentenanwartschaft auf das Vollrecht

aa)

Zum Bestand der Rentenanwartschaft

bb)

Zum Schutzbereich (Gewährleistungsgehalt) der Rentenanwartschaft

cc)

Die Anwartschaft ist kein vermögenswertes Recht und unterfällt daher nicht dem Schutzbereich des Art 14 Abs 1 GG

dd)

Die fehlende Rechtsbeeinträchtigung schließt im Übrigen von vornherein einen Eingriff in den Schutzbereich von Freiheitsgrundrechten aus

c)

Keine Beeinträchtigung des Rentenanwartschaftsrechts auf das Vollrecht

aa)

Zum Bestand des Rentenanwartschaftsrechts

bb)

Zum Schutzbereich (Gewährleistungsgehalt) des Rentenanwartschaftsrechts

cc)

Keine Beeinträchtigung des Vermögenswertes eines Anwartschaftsrechts

d)

Keine Beeinträchtigung des Gestaltungsrechts auf Altersrente

e)

Keine Beeinträchtigung der Anwartschaft oder des Anwartschaftsrechts auf das Gestaltungsrecht

f)

Keine Beeinträchtigung eines "Anrechts" auf eine Rentenanwartschaft

II.

Keine Beeinträchtigung der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art 2 Abs 1 GG)

III.

Kein Recht auf Unterlassen von Gesetzesänderungen

4. Abschnitt:

Keine gleichheitswidrige gesetzliche Ausgestaltung des Geldwertes des Vollrechts (Stammrechts), abgesehen von den Vorlagefragen

I.

Zur Möglichkeit einer Gleichheitsverletzung

II.

Keine Verfassungswidrigkeit der Einführung von Abschlägen mit Wirkung zum 1. Januar 2000 für eine Übergangszeit und der Neugestaltung der Altersrente für langjährig Versicherte ab 2004

1.

Zur Systemwidrigkeit einer abschlagsfreien Altersrente vor Vollendung des 65. Lebensjahres

2.

Zum Gebot der Einführung von Abschlägen und zur Neugestaltung der Al-tersrente für langjährig Versicherte

3.

Die Altersrente für langjährig Versicherte weist keine rechtlichen Besonderheiten auf, die ein Festhalten an der abschlagsfreien Rente geboten hätten

4.

Zur verfassungsrechtlich nicht erforderlichen, aber vertretbaren Billigkeitsregelung für die Übergangszeit vom 1. Januar 2000 bis 31. Dezember 2003

III.

Zur vermögensrechtlichen Besserstellung der "frühzeitigen", aber "nicht vor-zeitigen" Rentner

IV.

Zu den Differenzierungen unter den "vorzeitigen" Rentnern und gegenüber  den sonstigen frühzeitigen Rentnern

1.

Zur Rechtfertigung der abgestuften Ungleichbehandlung

2.

Anlage 21 zum SGB VI ist in sich nicht gleichheitswidrig ausgestaltet

3.

Grundsätzlich gleichheitsgemäße Ausgestaltung des § 236 Abs 2 SGB VI (vorbehaltlich der in den Vorlagenfragen angesprochenen Themen)

5. Abschnitt:

Resümee

4. Teil:

Zur Vorlagepflicht nach Art 100 Abs 1 GG

1. Abschnitt:

Zu den Vorlagefragen 1

I.

Zur Vorlagefrage 1 Buchst a

1.

Zur Ausgestaltung der "45-Jahre-Klausel", "Gesetzesmaterialien" und zu ihren empirischen Grundlagen

a)

Rechtliche Vorgaben

b)

"Schweigen" der Gesetzesmaterialien

c)

Zu den empirischen und versicherungsmathematischen Grundlagen

2.

Zur rechtlichen Bedeutung der "45-Jahre-Klausel"

a)

Keine Wartezeit, sondern Begünstigungsgrenze

b)

Die "Vorzeitigkeitsgrenze" bestimmt die Unbeachtlichkeit erbrachter Vorleistungen

3.

Zur Gleichheitswidrigkeit der "45-Jahre-Klausel"

a)

Ungerechtfertigte Benachteiligung von Versicherten mit höherer Vorleistung

b)

Ungerechtfertigte Benachteiligung der 63-jährigen "vorzeitigen" Altersrentner

4.

Zur objektiven besonderen Benachteiligung von Rentnern, die Kinder erzogen haben

5.

Zur Unmöglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung

II.

Zur Vorlagefrage 1 Buchst b

1.

Zur zulässigen zukunftsorientierten Differenzierung zwischen freiwilligen Bei-trägen und Pflichtbeiträgen

a)

Differenzierung beim Rechtserwerb

b)

Differenzierung bei der Bewertung von Vorleistungen

c)

Resümee

2.

Gleichheitswidrige Differenzierung zwischen freiwilligen Beiträgen und Pflichtbeiträgen bei der rückschauenden Bewertung eines abgeschlossenen Versicherungslebens in § 236 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB VI

3.

Zur Unmöglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung

III.

Zur Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen 1 Buchst a und b

2. Abschnitt:

Zur Vorlagefrage 2

I.

Zum Prinzip der Anrechnung des vollen Wertes der Vorleistung

1.

Der Vorleistungswert bestimmt die individuelle Rentenhöhe

2.

Der Vermögensvorteil des "vorzeitigen Rentners" und die Abschmelzung

II.

Zum Entzug von Renteneigentum nach Ausgleich des individuell erlangten Vermögensvorteils

1.

Zur lebenslangen Rentenabschmelzung

2.

Unmittelbare und gegenwärtige Betroffenheit des "vorzeitigen" Rentners durch Anordnung der "lebenslangen" Rentenkürzung

III.

Zur Gleichheitswidrigkeit der Rentenkürzung nach dem Ende des Vorteilsausgleichs

1.

Zur Ungleichbehandlung mit RAR-Rentnern und nicht "vorzeitigen" Rentnern nach Rückzahlung des Vermögensvorteils

2.

Keine Rechtfertigung des weiteren individuellen Rentenentzugs aus einer Kollektivhaftung der "vorzeitigen" Rentner

3.

Zur Ungleichbehandlung mit "vorzeitigen" Rentnern, die vor Ablauf von 27 Jahren und zehn Monaten nach Rentenbeginn sterben

4.

Zur Ungleichbehandlung von Frauen gegenüber Männern

5.

Zum Gestaltungsspielraum der Gesetzgebung und dessen Grenzen

IV.

Keine verfassungskonforme Auslegung möglich

V.

Zur Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage 2

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte bei der Feststellung des Höchstwerts des Rechts auf Altersrente, sei es auf der Rechtsgrundlage einer Altersrente nach Altersteilzeitarbeit oder auf der Rechtsgrundlage einer Altersrente für langjährig Versicherte, für den Zeitraum vom 1. Januar 2002 bis 30. Juni 2003 sowie ab 1. Juli 2003 auf der Rechtsgrundlage einer Altersrente für schwerbehinderte Menschen einen niedrigeren Höchstwert des Rechts dadurch feststellen durfte, dass sie einen geminderten Zugangsfaktor in die Rentenformel eingestellt hat.

Der am 28. Dezember 1938 geborene Kläger hat von Februar 1955 bis Januar 1965 und von Juli 1965 bis Dezember 1965 insgesamt 126 Kalendermonate an Pflichtbeitragszeiten in der Angestelltenversicherung erworben. Von Februar 1965 bis Juni 1965 und von Januar 1966 bis Dezember 1967 war er wegen Überschreitens der Pflichtversicherungsgrenze von der Versicherungspflicht befreit. Er entrichtete in diesen Zeiten wirksame freiwillige Beiträge zur Angestelltenversicherung. Bei Einführung der uneingeschränkten Pflichtversicherung auch für Angestellte zum 1. Januar 1968 wurde er auf Antrag von der Versicherungspflicht befreit. Er entrichtete in der Folgezeit weiterhin freiwillige Beiträge bis Ende 2000 (insgesamt für 422 Kalendermonate). Mit seinem Arbeitgeber vereinbarte er am 5. Januar 2000, sein bisheriges Dienstverhältnis als Altersteilzeitarbeitsverhältnis für die Zeit vom 1. Januar 2000 bis 31. Dezember 2001 fortzuführen und mit Ablauf dieses Zeitraums zu beenden.

Den im August 2001 gestellten Antrag des Klägers, ihm das Recht auf Altersrente nach Altersteilzeitarbeit ab 1. Januar 2002 zuzuerkennen, lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 19. November 2001), weil der Kläger in den letzten zehn Jahren vor Rentenbeginn keine acht Jahre mit Pflichtbeiträgen belegt habe. Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, ihm sei 1967, als er seinen Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht gestellt habe, von Mitarbeitern der Beklagten versichert worden, dass seine künftigen freiwilligen Beiträge hinsichtlich "Anspruch" und "Anspruchshöhe" genauso behandelt würden wie Pflichtbeiträge. Gleichzeitig beantragte er, ihm ab 1. Januar 2002 Altersrente für langjährige Versicherte ohne Abschläge zu zahlen.

Im Bescheid vom 5. Februar 2002 lehnte die Beklagte es ab, die Altersrente für langjährig Versicherte ohne Abschläge "zu berechnen". Ferner erkannte sie dem Kläger im Bescheid vom 12. Februar 2002 das Recht auf Altersrente für langjährig Versicherte zu. Bei dessen Wertfeststellung ermittelte sie auf Grund der mit Pflichtbeiträgen und freiwilligen Beiträgen belegten Zeiten insgesamt 59,4513 Entgeltpunkte (EP). Wegen der vorzeitigen Inanspruchnahme der Rente vor Vollendung des 65. Lebensjahres minderte sie den Zugangsfaktor für 24 Kalendermonate um jeweils 0,003, also um 0,072 (Minderung von 7,2 vH), sodass sie einen gekürzten Zugangsfaktor von 0,928 und damit persönliche EP von 55,1708 (59,4513 EP x 0,928) in die Rentenformel einstellte. Unter weiterer Zugrundelegung eines aktuellen Rentenwerts von 25,31406 € und eines Rentenartfaktors von 1,0 stellte sie den monatlichen Wert des Rechts auf Altersrente ab Rentenbeginn mit 1.396,60 € fest. Ohne Kürzung des Zugangsfaktors hätte der monatliche Wert 1.504,95 € (59,4513 EP x 25,31406 €) betragen (Differenz: 1.504,95 € ./. 1.396,60 € = 108,35 €).

In den weiteren Bescheiden vom 27. und 28. Februar 2002 bestimmte die Beklagte den monatlichen Auszahlungsbetrag der Rente unter Berücksichtigung eines dem Kläger zuerkannten Zuschusses zur Kranken- und Pflegeversicherung sowie der von ihm zu tragenden Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung neu. Gegen alle Entscheidungen der Beklagten erhob der Kläger Widerspruch.

Mit Widerspruchsbescheid vom 17. Januar 2003 wies die Beklagte die Widersprüche gegen die Bescheide vom 19. November 2001, 5. Februar 2002, 12. Februar 2002 und 27. sowie 28. Februar 2002 zurück. Zur Begründung führte sie aus, dem Begehren des Klägers, die Altersrente für langjährig Versicherte ab 1. Januar 2002 ohne Abschlag zu zahlen, könne nicht entsprochen werden. Gemäß § 236 Abs 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) werde die Altersgrenze von 63 Jahren für Versicherte, die nach dem 31. Dezember 1936 geboren seien, angehoben. Eine vorzeitige Inanspruchnahme sei möglich, jedoch ergebe sich dadurch im Fall des Klägers entsprechend der Anlage 21 zum SGB VI eine Anhebung der Altersgrenze um 24 Monate. Eine Reduzierung der Anhebung auf Grund der Vertrauensschutzregelung des § 236 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB VI entfalle, weil der Versicherungsverlauf keine 45 Jahre mit Pflichtbeiträgen aufweise. Demzufolge habe mit Bescheid vom 5. Februar 2002 der Antrag auf Berechnung der Altersrente für langjährig Versicherte ab 1. Januar 2002 ohne Abschlag abgelehnt werden müssen.

Im Klageverfahren hat der Kläger vor dem Sozialgericht (SG) die Aufhebung der Bescheide vom 19. November 2001, 5., 12., 27. und 28. Februar 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Januar 2003 sowie die Verurteilung der Beklagten beantragt, die Altersrente für langjährig Versicherte ohne Abschlag zu zahlen. Das SG hat die Klagen mit der Begründung abgewiesen, der Kläger habe weder Anspruch auf Zahlung der Altersrente nach Altersteilzeitarbeit und Vollendung des 60. Lebensjahres gemäß § 237 SGB VI noch einen Anspruch auf Altersrente für langjährig Versicherte ohne Abschlag gemäß § 236 SGB VI (Urteil vom 11. Dezember 2003).

Vor dem Landessozialgericht (LSG) hat der Kläger beantragt, das Urteil des SG und die Bescheide der Beklagten vom 19. November 2001, 5., 12., 27. und 28. Februar 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Januar 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Altersrente nach "Altersteilzeit" bzw Altersrente für langjährig Versicherte ohne Abschlag zu zahlen. Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 8. Dezember 2004). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, der Kläger erfülle nicht die Voraussetzungen für den Bezug einer Altersrente nach Altersteilzeit(arbeit), weil für ihn in den letzten zehn Jahren vor Rentenbeginn keine acht Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung entrichtet worden seien. Ob ihm anlässlich der Befreiung von der Versicherungspflicht in den 60er Jahren zugesichert worden sei, freiwillige Beiträge würden genauso behandelt wie Pflichtbeiträge, könne dahingestellt bleiben. Denn hierbei handele es sich weder um eine formgerechte und damit rechtlich wirksame Zusicherung iS des § 34 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) noch könne der Kläger einen Anspruch auf Gewährung einer Altersrente nach Altersteilzeit(arbeit) bzw auf eine Rentengewährung ohne Abschlag aus einem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch herleiten. Im Übrigen habe der Kläger keinen Anspruch auf Gewährung einer Altersrente für langjährig Versicherte ohne Abschlag ab 1. Januar 2002. Die entsprechenden rechtlichen Vorschriften seien nicht verfassungswidrig.

Das LSG hat im Urteil vom 8. Dezember 2004 nicht über die neuen Rentenwertfeststellungen in den Bescheiden vom 23. Februar 2004 und 27. April 2004 befunden, weil die Beteiligten das Berufungsgericht vom Erlass dieser Bescheide nicht in Kenntnis gesetzt hatten. Im Bescheid vom 23. Februar 2004 hatte die Beklagte einen neuen dynamisierbaren Rentenwert in Höhe von 1.460,25 € für Bezugszeiten ab 1. September 2003 festgestellt. Im Bescheid vom 27. April 2004 teilte sie dem Kläger - wie schon im vorangegangenen Bescheid - mit, dass er auf seinen Antrag vom 26. September 2003 an Stelle der bisherigen Rente ab 1. Juli 2003 Altersrente für schwerbehinderte Menschen erhalte. Den monatlichen Rentenwert setzte sie ab diesem Änderungszeitpunkt neu fest. Hierbei bestimmte sie - wie in der vorangegangenen Wertfeststellung - die Summe der EP wiederum mit 59,4513 EP. Den im Bescheid vom 12. Februar 2002 zu Grunde gelegten Zugangsfaktor von 0,928 erhöhte sie für jeden Kalendermonat, für den die Rente nicht mehr vorzeitig in Anspruch genommen wurde, um 0,003, also für sechs Monate (1. Juli bis 31. Dezember 2003) um 0,018 auf 0,946 (es verblieb somit bei einem Abschlag von 0,054, also einer Rentenabschmelzung von 5,4 vH). Demzufolge stellte sie die persönlichen EP mit 56,2409 in die Rentenformel ein (59,4513 EP x 0,946). Unter weiterer Zugrundelegung eines angepassten aktuellen Rentenwertes von 26,13 € und eines Rentenartfaktors von 1,0 setzte sie den monatlichen Wert des Rechts auf Altersrente ab 1. Juli 2003 mit 1.469,57 € fest. Ohne Kürzung des Zugangsfaktors hätte der monatliche Wert 1.553,46 € (59,4513 EP x 26,13 €) betragen (Differenz: 1.553,46 € ./. 1.469,57 € = 83,89 €).

In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 16. Mai 2006 hat der Kläger seine Klagen gegen die Regelungen in den Bescheiden vom 19. November 2001 und 5., 27. und 28. Februar 2002 nicht mehr aufrechterhalten. Ferner haben die Beteiligten einen Teilvergleich geschlossen, wonach sie übereinstimmen, dass der Geldwert des Rechts auf Altersrente des Klägers ab 1. Juli 2003 entgegen dem Urteil des LSG vom 8. Dezember 2004 wenigstens dynamisierbare 1.469,57 € beträgt.

Mit seiner Revision rügt der Kläger, das anzuwendende materielle Recht verletze Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG) und Art 14 Abs 1 GG. Er trägt vor, es könne dahinstehen, ob die ihm 1966 erteilte Auskunft eine Zusicherung iS des SGB X darstelle. Denn hinsichtlich der hier allein noch streitgegenständlichen Altersrente für langjährig Versicherte ohne Abschlag entspreche die Auskunft der damaligen wie auch jahrelang danach bestehenden Rechtslage. Erst durch das am 1. Januar 2000 in Kraft getretene Rentenreformgesetz 1999 seien die Anspruchsvoraussetzungen geändert und erstmals eine unterschiedliche Behandlung von Pflichtversicherten und freiwillig Versicherten hinsichtlich der hier in Rede stehenden Rentenart eingeführt worden. Die Gesetzesänderung habe zur Folge, dass er nunmehr seine Rente mit Abschlag nur deshalb erhalte, weil er freiwillige Beiträge und nicht Pflichtbeiträge gezahlt habe. Angesichts seiner langen Versicherungszeit und einer über 43 Jahre unveränderten Gesetzeslage sei ein Anwartschaftsrecht auf ungekürzte Altersrente entstanden, dessen Entziehung Art 14 Abs 1 GG verletze. Dies habe das LSG ebenso verkannt wie die Verletzung des Willkürverbots aus Art 3 Abs 1 GG.

Der Kläger beantragt,

die Urteile des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 8. Dezember 2004 und des Sozialgerichts Speyer vom 11. Dezember 2003 sowie die Rentenhöchstwertfeststellung im Bescheid der Beklagten vom 12. Februar 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Januar 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ab 1. Januar 2002 den dynamisierbaren Geldwert des Rechts auf Altersrente mit 1.504,95 € festzustellen, und die Beklagte zu verurteilen, entsprechend höhere monatliche Geldbeträge zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie trägt vor, Gegenstand des Rechtsstreits seien die Bescheide vom 19. November 2001 über die Altersrente nach Altersteilzeitarbeit sowie vom 12. Februar 2002 über die Gewährung einer Altersrente für langjährig Versicherte mit Abschlägen. Der Bescheid vom 27. April 2004 sei dem LSG nicht vorgelegt und demgemäß nicht bei dessen Urteilsfindung berücksichtigt worden. Demzufolge dürfe das Revisionsgericht nicht über diesen Bescheid und die damit verbundenen Rechtsfragen zu § 77 Abs 3 SGB VI entscheiden. Im Übrigen hätten SG und LSG zu Recht dem Begehren des Klägers nicht stattgegeben.

 

Entscheidungsgründe

A. Teilurteil

Der Kläger hat den prozessualen Anspruch gegenüber seinem Begehren in den Vorinstanzen eingeschränkt und im Revisionsverfahren nicht mehr die Aufhebung der Regelungen in den Bescheiden vom 19. November 2001, 5., 27. und 28. Februar 2002 beantragt. Gegenstand der revisionsgerichtlichen Überprüfung ist der wertfeststellende Verwaltungsakt im Bescheid vom 12. Februar 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Januar 2003. Insoweit begehrt der Kläger die Aufhebung des Urteils des LSG, mit dem es seine Berufung gegen das klageabweisende Urteil des SG zurückgewiesen und damit bestätigt hat, die Beklagte habe auf der Rechtsgrundlage einer Altersrente für langjährig Versicherte den monatlichen Geldwert des Rentenrechts ua unter Einstellung eines Zugangsfaktors von 0,928 zutreffend mit 1.396,60 € festgestellt.

Sein Begehren, ihm eine - höhere - "abschlagsfreie Rente" zu zahlen, hätte nur Erfolg, wenn die Wertfeststellung auf der Rechtsgrundlage einer Altersrente nach Altersteilzeitarbeit erfolgen müsste; denn nur dann hätte in die Rentenformel der Zugangsfaktor 1,0 eingestellt werden müssen, weil der Kläger die Rente nicht nach Vollendung des 60., sondern erst nach Vollendung des 63. Lebensjahres in Anspruch genommen hätte (§ 237 Abs 3 Satz 2 SGB VI iVm der Anlage 19 zum SGB VI). Demzufolge wäre ab 1. Januar 2002 - wie von ihm beantragt - der monatliche Geldwert mit 1.504,95 € festzustellen.

Ist dagegen der Wert des Rentenrechts ab 1. Januar 2002 auf der Rechtsgrundlage einer Altersrente für langjährig Versicherte, auf die der Kläger sich auch bezogen hat, festzustellen, hätte er nach der Überzeugung des Senats keinen Erfolg, soweit er die Anhebung der Grenzen für eine abschlagsfreie Altersrente für langjährig Versicherte grundsätzlich für verfassungswidrig ansieht und auch im Rahmen dieser Wertfeststellung eine "abschlagsfreie Rente" begehrt. Dagegen hätte er teilweise Erfolg, wenn die von ihm geltend gemachte Billigkeitsregelung des § 236 Abs 2 Nr 1 SGB VI zur Anwendung käme; denn nach der dort abgedruckten Tabelle wäre die Altersgrenze nur um drei Monate anzuheben und damit der Zugangsfaktor um 3 x 0,003 auf 0,991 zu mindern, sodass der monatliche Rentenwert ab Rentenbeginn mit 1.491,41 € festzustellen wäre (an Stelle von 1.396,60 €, wie von der Beklagten festgesetzt). Das Vorbringen des Klägers ist somit dahin zu interpretieren, dass er primär die Feststellung des Geldwerts unter Einstellung des Zugangsfaktors 1,0 (abschlagsfreie Altersrente), mindestens aber unter Einstellung des Zugangsfaktors 0,991 beantragt.

Die Revision ist mangels hinreichender Begründung unzulässig (§ 164 Abs 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫), soweit der Kläger die Feststellung des Geldwerts seines Rechts auf Altersrente unter Einstellung des Zugangsfaktors 1,0 auf der Rechtsgrundlage einer Altersrente nach Altersteilzeitarbeit begehrt.

Sein ursprüngliches Begehren, ihm das subjektive Recht (Stammrecht) auf Altersrente auf der Rechtsgrundlage einer Altersrente nach Altersteilzeitarbeit zuzuerkennen, hat der Kläger im Revisionsverfahren nicht weiter verfolgt; insoweit hat er seine Klagen gegen die ablehnende Entscheidung der Beklagten im Bescheid vom 19. November 2001 nicht mehr aufrechterhalten. Es ist daher nicht weiter darauf einzugehen, dass diese Klagen ohnehin unzulässig waren, nachdem die Beklagte im Bescheid vom 12. Februar 2002 das Entstehen und Bestehen eines (subjektiven) Rechts auf Altersrente, wenn auch auf einer anderen Rechtsgrundlage (Altersrente für langjährig Versicherte), bindend festgestellt hat. Dies schließt nicht aus, dass der Senat im Rahmen der Wertfeststellung dieses Rechts alle Rechtsgrundlagen prüfen muss, die dem Kläger die Zahlung der begehrten "abschlagsfreien Rente" gewährleistet hätten, also auch die Möglichkeit einer Wertfeststellung auf der Grundlage der Vorschriften über eine Altersrente nach Altersteilzeitarbeit. Voraussetzung ist jedoch, dass die Revision bezüglich dieser möglichen Rechtsgrundlage zulässig ist. Dies ist zu verneinen, weil der Kläger sich insoweit in der Revisionsbegründung nicht hinreichend mit der ablehnenden Entscheidung des LSG und der einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung auseinander gesetzt hat.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) muss in der Revisionsbegründung sorgfältig sowie nach Umfang und Zweck zweifelsfrei dargelegt werden, weshalb die Vorinstanz eine Vorschrift des materiellen Rechts nicht oder nicht richtig angewandt hat (stellvertr: BSG, Urteil vom 24. Juli 2003, B 4 RA 62/02 R; Urteil vom 23. November 2005, B 12 RA 10/04 R; Beschluss vom 6. März 2006, B 13 RJ 46/05 R). Die Angabe der verletzten Norm ist notwendig, aber allein noch nicht ausreichend. Darüber hinaus ist darzulegen, warum die Rechtsansicht der Vorinstanz nicht geteilt wird; dies kann nur mit rechtlichen Erwägungen geschehen. Die Revisionsbegründung muss sich deshalb - zumindest kurz - mit den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils auseinandersetzen und erkennen lassen, dass und warum das LSG die als verletzt gerügte Vorschrift des materiellen Rechts, und zwar unter Beachtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung, nicht oder nicht richtig angewandt hat. Diesen Anforderungen genügt die Revisionsbegründung des Klägers nicht.

Der Kläger setzt sich rechtlich nur insoweit mit dem Urteil des LSG auseinander, als dieses die von der Beklagten (im Bescheid vom 12. Februar 2002) vorgenommene Festsetzung des Werts seines Rechts auf der Rechtsgrundlage einer Altersrente für langjährig Versicherte unter Zugrundelegung einer Minderung des Zugangsfaktors für rechtmäßig und die entsprechenden Normen des SGB VI nicht für verfassungswidrig angesehen hat. Ausdrücklich betont er, dass "hinsichtlich der hier allein noch streitgegenständlichen Altersrente für langjährig Versicherte ohne Abschlag" die ihm früher erteilte Auskunft der damaligen und sodann jahrelangen Rechtslage entsprochen habe. Demgemäß beziehen sich seine Ausführungen zur Wertfeststellung auf die Rechtsgrundlage einer Altersrente für langjährig Versicherte. Zwar erwähnt er beiläufig auch die Altersrente nach Altersteilzeitarbeit und die "Ablehnung der beantragten Rente", ohne jedoch deutlich zu machen, welche rechtliche Bedeutung diesen Bemerkungen zukommen könnte, nachdem er selbst die Altersrente für langjährig Versicherte als die allein streitige bezeichnet hat.

Im Übrigen setzt er sich auch nicht ansatzweise damit auseinander, dass das LSG die Voraussetzungen einer Altersrente nach Altersteilzeitarbeit deshalb nicht als erfüllt angesehen hat, weil er in den letzten zehn Jahren vor Rentenbeginn keine acht Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung habe. Weshalb er diese Rechtsauffassung des LSG nicht teilt und welche Norm des materiellen Rechts das LSG insoweit verletzt haben könnte, legt er nicht dar. Darüber hinaus geht er nicht darauf ein, dass das BSG entschieden hat, dass die durch das Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetz (AFKG) vom 22. Dezember 1981 (BGBl I 1497) mit Wirkung zum 1. Januar 1982 eingeführte versicherungsrechtliche Voraussetzung einer 8/10- bzw 4/5-Belegung in § 25 Abs 2 Satz 2 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) und deren Übernahme am 1. Januar 1992 in § 38 Nr 2 SGB VI bzw ab 1. Januar 2000 in § 237 Abs 1 Nr 4 SGB VI verfassungsgemäß ist (BSG, Urteil vom 13. Oktober 1992, SozR 3-2200 § 1248 Nr 7; dazu näher: 4. Teil 1. Abschnitt Ziff II 1 Buchst a, aa). Schließlich hat er sich nicht damit auseinandergesetzt, dass das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) und das BSG die Differenzierung zwischen freiwilligen und Pflichtbeiträgen in der gesetzlichen Rentenversicherung ua für den Rechtserwerb für verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen haben (dazu: 4. Teil 1. Abschnitt Ziff II 1). Seine Revisionsbegründung genügt daher nicht den Anforderungen des § 164 Abs 2 Satz 3 SGG, soweit er die Feststellung des Geldwerts seines Rechts auf Altersrente auf der Rechtsgrundlage der Vorschriften über eine Altersrente nach Altersteilzeitarbeit begehrt.

B. Vorlagebeschluss

Der Senat kann nicht abschließend entscheiden, ob dem Kläger für Bezugszeiten ab 1. Januar 2002 ein höherer Rentenhöchstwert auf der Rechtsgrundlage einer Altersrente für langjährig Versicherte zusteht. Er ist davon überzeugt, dass die Anhebung der Altersgrenzen für langjährig Versicherte gemäß § 236 Abs 1 Satz 2 bis 4 SGB VI iVm der Anlage 21 zum SGB VI idF des RRG 1999 grundsätzlich verfassungskonform ist, hält die Regelungen aber insoweit für verfassungswidrig, als diese gesetzliche Inhalts- und Schrankenbestimmung den Wert des Stammrechts auf Altersrente auch dann noch vermindert, wenn die individuellen Vorteile aus einer unterschiedlichen Rentenbezugsdauer durch einen Abschlag vom Zugangsfaktor ausgeglichen sind (Vorlagefrage 2, dazu näher: 4. Teil 2. Abschnitt).

Ferner ist er überzeugt, dass § 236 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB VI idF des RRG 1999 insoweit verfassungswidrig ist, als die Norm nur diejenigen vor dem 1. Januar 1942 geborenen Versicherten begünstigt, die 45 Jahre mit Pflichtbeiträgen für eine Beschäftigung oder versicherte Tätigkeit (ohne versicherungspflichtige Bezugszeiten von Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe) haben, ohne auch diejenigen vor dem 1. Januar 1942 geborenen Versicherten in die Begünstigung mit einzubeziehen, die die Versicherungszeit von 45 Jahren zwar nicht allein mit Pflichtbeiträgen, aber zusammen mit freiwilligen Beiträgen erfüllt oder - unabhängig von der zeitlichen Dimension der 45 Jahre - eine gleiche Vorleistung zur gesetzlichen Rentenversicherung erbracht haben (Vorlagefrage 1 Buchst a und b; dazu näher: 4. Teil 1. Abschnitt). Zwar kann der Kläger auch bei Anwendung des § 236 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB VI und der dort angefügten Tabelle für die Zeit ab 1. Januar 2002 keine völlig abschlagsfreie Rente beanspruchen, sondern müsste noch eine Minderung des Zugangsfaktors für drei Monate um 0,003, also insgesamt um 0,009, hinnehmen; dies würde jedoch bedeuten, dass er dennoch einen höheren Rentenhöchstwert beanspruchen könnte, als die Beklagte im Bescheid vom 12. Februar 2002 festgestellt hat. Der Ausgang des Rechtsstreits hängt somit davon ab, wie das BVerfG die Vorlagefragen 1 Buchst a und b sowie 2 beantwortet; der Senat hat deshalb das Verfahren gemäß Art 100 Abs 1 GG ausgesetzt.

1. Teil: Entwicklung der Gesetzestexte mit „Gesetzesmaterialien"

1. Abschnitt: Rechtslage unter Geltung des AVG bzw der RVO

I. Zur Rechtslage vor 1973

Auf die Darstellung der Gesetzesentwicklung seit Inkrafttreten der gesetzlichen Rentenversicherung zum 1. Januar 1891 bis Ende 1972 wird verzichtet. Insoweit wird auf die Vorlagebeschlüsse des Senats vom 28. Oktober 2004 (vgl stellvertr: B 4 RA 7/03 R, Umdruck S 11 f) und 23. August 2005 (B 4 RA 28/03 R, Umdruck S 11 f) verwiesen. Es wird lediglich daran erinnert, dass die Rentenreform 1957 in § 25 Abs 1 AVG für den Bezug eines Altersruhegeldes (ARG) - ab 1992 wurde wieder der frühere Ausdruck "Altersrente" eingeführt - eine einheitliche Altersgrenze (Vollendung des 65. Lebensjahres) für weibliche und männliche Versicherte eingeführt hatte (von 1942 bis 1956 galt eine besondere Altersgrenze von 55 Jahren für eine bestimmte Gruppe von Frauen; dazu: Vorlagebeschluss vom 23. August 2005, aaO, S 11 des Umdrucks). Darüber hinaus wurden in § 25 AVG (ebenso in der Arbeiterrentenversicherung in § 1248 Reichsversicherungsordnung ≪RVO≫) erstmals zwei Tatbestände eines vorzeitigen ARG jeweils ab Vollendung des 60. Lebensjahres eingeführt, und zwar in Abs 2 ein ARG für Arbeitslose sowie in Abs 3 ein sogenanntes Frauen-ARG. Zur - plakativen - Abgrenzung von diesen beiden Formen eines frühzeitigen ARG wurde das ARG wegen Vollendung des 65. Lebensjahres des damaligen § 25 Abs 1 AVG auch als "Regel-ARG" bezeichnet.

II. Zur Rechtslage ab dem 1. Januar 1973 nach dem RRG 1972

1. Gesetzestexte

Einer der Schwerpunkte des Gesetzes zur weiteren Reform der gesetzlichen Rentenversicherung (Rentenreformgesetz 1972 - RRG 1972) vom 16. Oktober 1972 (BGBl I 1965) war die Einführung des sogenannten flexiblen ARG. Dieses wurde in der Angestelltenversicherung in § 25 Abs 1 AVG ausgestaltet (in der Arbeiterrentenversicherung in § 1248 Abs 1 RVO). Die Voraussetzungen für das Regel-ARG bestimmte nunmehr § 25 Abs 5 AVG (ebenso § 1248 Abs 5 RVO). Während der Regierungsentwurf (BT-Drucks VI/2916) nur die Einführung eines (flexiblen) ARG für langjährig Versicherte vorsah (Voraussetzungen: Wartezeit von 35 Versicherungsjahren und Vollendung des 63. Lebensjahres), sind im Verlauf der Ausschussberatungen die Tatbestände eines ARG für schwerbehinderte, berufs- oder erwerbsunfähige Versicherte (ab Vollendung des 62. Lebensjahres) hinzugefügt worden (BT-Drucks VI/3767). Der mit Wirkung vom 1. Januar 1973 in Kraft getretene § 25 Abs 1 AVG (ebenso: § 1248 Abs 1 RVO) lautete:

Altersruhegeld erhält auf Antrag der Versicherte, der das 63. Lebensjahr vollendet hat oder der das 62. Lebensjahr vollendet hat und in diesem Zeitpunkt anerkannter Schwerbeschädigter im Sinne des § 1 des Schwerbeschädigtengesetzes oder berufsunfähig (§ 23 Abs 2) oder erwerbsunfähig (§ 24 Abs 2) ist, wenn die Wartezeit nach Abs 7 Satz 1erfüllt ist.

Zur Wartezeit traf Abs 7 Satz 1 folgende Regelung:

Die Wartezeit für das Altersruhegeld nach Absatz 1 ist erfüllt, wenn fünfunddreißig anrechnungsfähige Versicherungsjahre, in denen mindestens eine Versicherungszeit von einhundertachtzig Kalendermonaten enthalten ist, zurückgelegt sind.

§ 25 Abs 4 AVG (ebenso § 1248 Abs 4 RVO) bestimmte in seiner rückwirkend zum 1. Januar 1973 durch Art 1 § 2 Nr 1 des Vierten Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes vom 30. März 1973 (BGBl I 257) geänderten Fassung, dass durch eine Beschäftigung oder Tätigkeit nur in begrenztem Umfang ein "rentenunschädlicher" Hinzuverdienst erzielt werden konnte; auf die Wiedergabe der Gesetzestexte und auf nachfolgende Gesetzesänderungen wird hier verzichtet, da die Problematik eines Hinzuverdienstes im vorliegenden Rechtsstreit ohne Bedeutung ist.

2. Gesetzesmaterialien

Im Regierungsentwurf (BT-Drucks VI/2916, S 37 f) wurde die Einführung des flexiblen ARG damit begründet, dass die vor Jahrzehnten eingeführte und immer noch geltende Altersgrenze von 65 Jahren der unterschiedlichen Leistungsfähigkeit der älteren Versicherten nur unzulänglich Rechnung trage (wobei die Besonderheiten für Frauen in der Zeit von 1942 bis 1956 außer Betracht gelassen wurden); die Leistungskurve des Menschen hänge nicht nur von seinem Alter ab, sondern verlaufe je nach körperlich-geistig-seelischer Konstitution und den an ihn gestellten Berufsanforderungen sehr unterschiedlich. Daher sei es notwendig, die bisherige starre Altersgrenze durch eine flexible Regelung zu ersetzen, die dem Einzelnen größere Freiheit und mehr Selbstbestimmung in Bezug auf seinen Lebensabend einräume. Wie eine demoskopische Umfrage gezeigt habe, hätten sich über 80 vH aller Befragten für eine Regelung ausgesprochen, nach der jeder Versicherte bereits vor Vollendung des 65. Lebensjahres ARG beziehen könne. Allerdings hänge die Entscheidung des Einzelnen maßgebend davon ab, wie hoch seine Rente sein werde und in welchem Umfang er neben dem Rentenbezug noch weiterarbeiten und Arbeitsentgelt beziehen könne. Der Gesetzentwurf berücksichtige neben den Ergebnissen der Meinungsumfrage die arbeitsmarktpolitischen, volkswirtschaftlichen und finanziellen Notwendigkeiten und Möglichkeiten zu einer flexibleren Gestaltung der Altersgrenze. Er sehe vor, dass alle Versicherten, die eine Vorversicherungszeit von 35 anrechnungsfähigen Versicherungsjahren zurückgelegt hätten, von der Vollendung des 63. Lebensjahres an entsprechend ihrem Leistungsvermögen und ihren persönlichen Verhältnissen frei entscheiden könnten, ob sie ARG beziehen oder weiterarbeiten wollten. Durch die Voraussetzung einer 35jährigen Vorversicherungszeit werde erreicht, dass gerade die Versicherten von dieser Möglichkeit Gebrauch machen könnten, die einerseits ein erfülltes Arbeitsleben zurückgelegt hätten und der Solidargemeinschaft der Versicherten schon lange angehörten, andererseits ein ARG in ausreichender Höhe erhalten würden. Von der Vollendung des 65. Lebensjahres an könnten die Versicherten wie bisher bestimmen, ob sie ARG beziehen und daneben ganz oder teilweise arbeiten oder ob sie unter Verzicht auf das ARG weiterarbeiten und dadurch zusätzliche Versicherungszeiten erwerben wollten.

Im Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung wird die Begründung im Regierungsentwurf ua wie folgt ergänzt (zu BT-Drucks VI/3767, S 5 ff): Die Beratungen des Ausschusses und ganz besonders die Anhörung von Sachverständigen hätten deutlich gemacht, dass die Einführung der flexiblen Altersgrenze in der heutigen Leistungsgesellschaft eine Forderung sei, deren Berechtigung niemand bezweifele. Es habe Einmütigkeit darüber bestanden, dass künftig kein Versicherter mehr gezwungen sein solle, nach einem erfüllten Arbeitsleben bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres arbeiten zu müssen, um ARG beziehen zu können, wenn er sich physisch oder psychisch den Anforderungen des täglichen Arbeitslebens nicht mehr gewachsen fühle. Um der unterschiedlichen Leistungsfähigkeit im Alter Rechnung zu tragen, solle dem einzelnen Versicherten die Entscheidung über den Termin seines Ausscheidens aus dem Erwerbsleben überlassen bleiben.

Während der Ausschussberatungen hatte sich der Sachverständige Dr. Eichler von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände für die Einführung versicherungsmathematischer Abschläge bei einem Rentenbeginn vor Vollendung des 65. Lebensjahres ausgesprochen (Ausschussprotokoll 80/13). Der Sachverständige Laskowski hatte einen Abschlag von 8 vH bei einem Rentenbezug ab Vollendung des 63. Lebensjahres empfohlen (Ausschussprotokoll 80/36, 39). Der Ausschuss ist diesen Vorschlägen nicht gefolgt, weil er solche Abschläge sozialpolitisch nicht für vertretbar hielt.

Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Arendt, führte in der 160. Sitzung des Deutschen Bundestages am 16. Dezember 1971 (6. Wahlperiode, S 9234 D, 9235 A) aus, dass soziale Gerechtigkeit auch die Berücksichtigung der Finanzlage erfordere; die für die Reform der Rentenversicherung notwendigen finanziellen Mittel müssten erst noch erarbeitet werden, und zwar von den Beitragszahlern. Besondere versicherungsmathematische Abschläge solle es nicht geben, weil sie zu erheblichen Rentenkürzungen führen würden. Viele Versicherte, die im Alter allein auf die Rente angewiesen seien, wären dann von vornherein von den Vorteilen der flexiblen Altersgrenze ausgeschlossen; sie müssten weiterarbeiten, weil sie für ihren Lebensunterhalt auf den ihnen entgehenden Teil der Rente nicht verzichten könnten. In derselben Sitzung trug der Abgeordnete Bredl vor (S 9294 D), die flexible Altersgrenze habe auch einen weiteren sehr beachtlichen sozialen gesundheitspolitischen Hintergrund, nämlich den Charakter einer Wiedergutmachung; denn diese älteren Arbeitnehmer seien es gewesen, die die volle Last des Krieges und vor allen Dingen die Last des Wiederaufbaus der deutschen Wirtschaft getragen hätten. In der 198. Sitzung des Deutschen Bundestages teilte der Abgeordnete Schmidt (Kempten) mit (6. Wahlperiode, S 11709 D), der Grundgedanke sei nicht eine generelle Herabsetzung der Altersgrenze gewesen, sondern es sollte aus gesundheitlichen Gründen demjenigen, der es wünsche, ein früheres teilweises oder volles Ausscheiden aus dem Erwerbsleben ermöglicht werden.

III. Zur Rechtslage ab 31. Dezember 1978 nach dem 5. RVÄndG

Durch Art 1 des Gesetzes zur Herabsetzung der flexiblen Altersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung für Schwerbehinderte (Fünftes Rentenversicherungs-Änderungsgesetz - 5. RVÄndG) vom 6. November 1978 (BGBl I 1710) wurde die Altersgrenze für Schwerbehinderte in § 25 Abs 1 AVG (ebenso in § 1248 Abs 1 RVO) mit Wirkung vom 31. Dezember 1978 auf das vollendete 60. Lebensjahr herabgesetzt. Die Regelungen zur Altersrente für langjährig Versicherte blieben unverändert.

IV. Keine weiteren hier relevanten Rechtsänderungen bis zum 31. Dezember 1991

Die durch das AFKG vom 22. Dezember 1981 (BGBl I 1497), das Haushaltsbegleitgesetz 1984 (HBegleitG) vom 22. Dezember 1983 (BGBl I 1532), das Gesetz zur Erleichterung des Übergangs vom Arbeitsleben in den Ruhestand vom 13. April 1984 (BGBl I 601) und durch das Gesetz über die Anpassung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung und der Geldleistungen der gesetzlichen Unfallversicherung im Jahre 1986 vom 13. Mai 1986 (BGBl I 697) in § 25 AVG (ebenso in § 1248 RVO) eingefügten Änderungen betrafen nicht dessen Abs 1.

2. Abschnitt: Rechtslage nach Inkrafttreten des SGB VI

I. Zur Rechtslage ab 1. Januar 1992 nach dem RRG 1992

1. Gesetzestexte

a) Das am 1. Januar 1992 in Kraft getretene SGB VI idF des Art 1 des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung (Rentenreformgesetz 1992 - RRG 1992) vom 18. Dezember 1989 (BGBI I 2261) ersetzte die rentenrechtlichen Vorschriften des AVG bzw der RVO und gestaltete die jeweiligen Rechtsgrundlagen nicht mehr in einer, sondern verschiedenen Normen aus. Hierbei bestimmte § 36 SGB VI die Tatbestandsvoraussetzungen, bei deren Vorliegen ein Gestaltungsrecht des langjährig Versicherten bestand, die Altersrente schon vor Vollendung des 65. Lebensjahres in Anspruch nehmen zu können; er lautete:

Versicherte haben Anspruch auf Altersrente, wenn sie

1.

das 63. Lebensjahr vollendet und

2.

die Wartezeit von 35 Jahren erfüllt haben.

b) Zugleich bestimmte § 41 SGB VI bei einem Rentenbeginn ab 2001 eine "Anhebung der Altersgrenze", in Abs 1 für die Altersrenten wegen Arbeitslosigkeit (ausgestaltet in § 38 SGB VI) und für Frauen (ausgestaltet in § 39 SGB VI) und in Abs 2 für die von langjährig Versicherten. Für diese Gruppe wurde die Altersgrenze von 63 Jahren für Versicherte, die nach dem 31. Dezember 1937 geboren waren, angehoben. Die Anhebung war in Drei-Monatsschritten pro Kalenderjahr (jeder Schritt umfasste vier Monate) vorgesehen. Für die Gruppe der Versicherten, der der Kläger zuzuordnen ist, also für im Dezember 1938 geborene Versicherte, erfolgte daher die Anhebung um drei Monate auf 63 Jahre und drei Monate, sodass bei Inanspruchnahme ab 1. Januar 2002 der Zugangsfaktor um 0,003 je Monat gemindert wurde (dazu sogleich unter Buchst c und d). Demzufolge konnten diese Versicherten die Rente erst ab 1. April 2002 "abschlagsfrei" in Anspruch nehmen.

Im Einzelnen bestimmte § 41 Abs 2 SGB VI (idF des RRG 1992) folgende stufenweise Anhebung:

(2) Die Altersgrenze von 63 Jahren wird für Versicherte, die nach dem 31. Dezember 1937 geboren sind, wie folgt angehoben:

 Versicherte

Geburtsjahr

Geburtsmonat

Anhebung

um

... Monate

auf Alter

vorzeitige Inanspruchnahme möglich ab Alter

Jahr

Monat

Jahr

Monat

1938

Januar - April

Mai - August

September - Dezember

1

2

3   

63

63

63

1

2

3   

63

63

63

0

0

0   

1939

Januar - April

Mai - August

September - Dezember

4

5

6   

63

63

63

4

5

6   

63

63

63

0

0

0   

1940

Januar - April

Mai - August

September - Dezember

7

8

9   

63

63

63

7

8

9   

63

63

63

0

0

0   

1941

Januar - April

Mai - August

September - Dezember

10

11

12

63

63

64

10

11

0

63

63

63

0

0

0   

1942

Januar - Februar

März - April

Mai - Juni

Juli - August

September - Oktober

November - Dezember

13

14

15

16

17

18

64

64

64

64

64

64

1

2

3

4

5

6

63

63

63

63

63

63

0

0

0

0

0

0

1943

Januar - Februar

März - April

Mai - Juni

Juli - August

September - Oktober

November - Dezember

19

20

21

22

23

24

64

64

64

64

64

65

7

8

9

10

11

0

63

63

63

63

63

63

0

0

0

0

0

0

1944

und später

24   

65   

0       

62   

0       

Ferner bestimmte § 41 Abs 3 SGB VI:

(3) Versicherte können vom 1. Januar 2013 an die Altersrente bis zu drei Jahren vor der nach Absatz 1 und 2 erhöhten Altersgrenze vorzeitig in Anspruch nehmen. Die Möglichkeit der vorzeitigen Inanspruchnahme bis zum 31. Dezember 2012 bestimmt sich nach den Absätzen 1 und 2.

Dadurch wurde die Altersgrenze für langjährig Versicherte auf 62 Jahre gesenkt (nicht: angehoben).

c)Gleichzeitig wurde der Begriff der "vorzeitigen Inanspruchnahme einer Rente" in die erstmals in der Rentenversicherung enthaltene Regelung zum Zugangsfaktor in § 63 Abs 5 SGB VI (idF des RRG 1992) aufgenommen:

Bei vorzeitiger Inanspruchnahme einer Altersrente oder bei Verzicht auf eine Altersrente nach dem 65. Lebensjahr werden Vorteile oder Nachteile einer unterschiedlichen Rentenbezugsdauer durch einen Zugangsfaktor vermieden .

d) Wie dieser Zugangsfaktor bestimmt wird, war für die Altersrenten in § 77 Abs 1 und 2 SGB VI (idF des RRG 1992) geregelt:

(1)

Der Zugangsfaktor richtet sich nach dem Alter der Versicherten bei Rentenbeginn und bestimmt, in welchem Umfang Entgeltpunkte bei der Ermittlung des Monatsbetrags der Rente zu berücksichtigen sind. Entgeltpunkte werden

1.

bei den Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit,

2.

bei den Renten wegen Todes,

3.

bei den Renten wegen Alters, die mit Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 65. Lebensjahres oder eines für den Versicherten maßgebenden niedrigeren Rentenalters beginnen,

in vollem Umfang berücksichtigt (Zugangsfaktor 1,0), es sei denn, sie waren bereits Grundlage von persönlichen Entgeltpunkten einer vorzeitig in Anspruch genommenen Rente wegen Alters oder nach Vollendung des 65. Lebensjahres noch nicht Grundlage von persönlichen Entgeltpunkten.

(2)

Der Zugangsfaktor ist bei Entgeltpunkten, die noch nicht Grundlage von persönlichen Entgeltpunkten einer Rente wegen Alters waren, für jeden Kalendermonat, für den Versicherte

1.

eine Rente wegen Alters vorzeitig in Anspruch nehmen, um 0,003 niedriger,

2.

nach Vollendung des 65. Lebensjahres eine Rente wegen Alters trotz erfüllter Wartezeit nicht in Anspruch nehmen, um 0,005 höher als 1,0.

e) Damit wurde durch die Festlegung der individuellen Altersgrenzen in § 41 Abs 2 SGB VI und die Regelungen zum Zugangsfaktor in §§ 63 Abs 5, 77 Abs 2 Nr 1 SGB VI für die nach dem 31. Dezember 1937 geborenen Jahrgänge die vorzeitige Inanspruchnahme der Altersrente für langjährig Versicherte erstmals mit einer Minderung der Rentenhöhe verknüpft (Vergleichbares galt für die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder für Frauen).

2. Gesetzesmaterialien

a) Allgemeine Begründung

Die sogenannte "Heraufsetzung der Altersgrenzen", dh die Einführung von Abschlägen bei einem Teil der frühzeitigen Renten, die vor Vollendung des 65. Lebensjahrs bezogen werden, wegen "vorzeitiger" Inanspruchnahme der Rente wurde im Regierungsentwurf (vgl BR-Drucks 120/89, S 136) bzw gleichlautend im Entwurf der Fraktionen CDU/CSU, SPD und F.D.P. (BT-Drucks 11/4124, S 136) damit begründet, dass sich das Rentenzugangsalter deutlich vorverlagert habe und die normale Altersgrenze von 65 Jahren innerhalb von 15 Jahren beinahe zum Ausnahmefall für den Rentenbeginn geworden sei; dies schlage sich in längeren Rentenlaufzeiten und einer höheren Anzahl der Rentner nieder. Zudem sei auch die Lebenserwartung seit Beginn des Jahrhunderts ständig gestiegen; mit einer weiteren Steigerung sei zu rechnen. Weiter heißt es (BR-Drucks 120/89, S 144 und BT-Drucks 11/4124, S 144), die stufenweise Anhebung der Altersgrenzen solle bereits jetzt gesetzlich festgelegt werden, damit sich die Versicherten in ihrer Lebensplanung hierauf einstellen könnten. Mit dem Jahre 2001 sollten die Altersgrenzen von 60 und 63 Jahren für vorzeitige Altersrenten gleichzeitig bis zur Regelaltersgrenze angehoben werden. Bis zum Jahre 2004 solle die Anhebung jährlich in Drei-Monats-Schritten und anschließend in Sechs-Monats-Schritten erfolgen. Für die Altersgrenze von 63 Jahren werde die Regelaltersgrenze von 65 Jahren im Jahre 2006 und von 60 Jahren im Jahre 2012 erreicht sein. Durch eine Flexibilisierung und Verlängerung der Lebensarbeitszeit könne das zahlenmäßige Verhältnis zwischen Beitragszahlern und Rentnern verbessert und damit die demographisch bedingten Belastungen gemindert werden. Die Altersgrenzen sollten in der Weise flexibilisiert werden, dass die Versicherten bis zu drei Jahre vor der jeweils für sie maßgebenden Altersgrenze eine Altersrente beziehen können. Dabei solle wegen der sonst entstehenden Vorfinanzierungskosten ein Rentenbezug vor den heute geltenden Altersgrenzen grundsätzlich nicht möglich sein. Die durch das Vorziehen bedingte längere Rentenlaufzeit solle durch einen Zugangsfaktor ausgeglichen werden, sodass aus einem vorzeitigen Rentenbezug im Vergleich zu anderen kein Vorteil mehr entstehe. Außerdem könnten die Versicherten für Zeiten nach Vollendung des 65. Lebensjahres auf die Inanspruchnahme ihrer Altersrente verzichten. Der Zugangsfaktor werde die dadurch bedingte kürzere Rentenlaufzeit zu Gunsten der Versicherten ausgleichen. Der Zugangsfaktor bewirke, dass sich die Rente über ihre gesamte Rentenlaufzeit für jedes Jahr des Vorziehens um 3,6 vH mindere und für jedes Jahr des Verzichts um 6 vH erhöhe.

b) Begründung zu § 41 SGB VI

In der Begründung zu § 41 SGB VI (BR-Drucks 120/89, S 163 und BT-Drucks 11/4124, S 163) heißt es: "Diese Vorschrift, deren Zielsetzung in der allgemeinen Begründung dargestellt ist, regelt die gleichzeitige stufenweise Anhebung der Altersgrenzen (von 60 Jahren wegen Arbeitslosigkeit und für Frauen sowie) von 63 Jahren für langjährig Versicherte für die Altersrenten, die unter besonderen Voraussetzungen bereits vor Vollendung des 65. Lebensjahres in Anspruch genommen werden können. ... Einer sofortigen Herabsetzung des frühestmöglichen Rentenalters stehen die nicht unerheblichen Vorfinanzierungskosten für den längeren Rentenbezug entgegen. Allerdings ist künftig bei einer vorzeitigen Inanspruchnahme, die vor der angehobenen Altersgrenze erfolgt, der zum Ausgleich des längeren Rentenbezugs eingeführte Zugangsfaktor zu beachten. ..."

c) Begründung zu § 77 SGB VI

In der Begründung zu § 76 (dem heutigen § 77 SGB VI) des Gesetzentwurfs (BR-Drucks 120/89, S 172 und BT-Drucks 11/4124, S 172) wird ausgeführt: "Die Vorschrift regelt den Zugangsfaktor, durch den das Alter des Versicherten beim Rentenzugang in die Rentenberechnung einfließt. Durch den Zugangsfaktor werden die Entgeltpunkte in persönliche Entgeltpunkte umgewandelt und damit zur Grundlage der Ermittlung des Monatsbetrags der Rente gemacht. Der Zugangsfaktor ist grundsätzlich 1,0. Er ist kleiner, wenn der Versicherte eine Altersrente vor der für ihn maßgeblichen Altersgrenze in Anspruch nimmt, er ist größer beim Hinausschieben einer möglichen Altersrente über das 65. Lebensjahr hinaus. ..."

d) Stellungnahmen von Sachverständigen und Verbänden zu den "Abschlägen"

Bei der Anhörung im Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (11. Wahlperiode, Protokoll der 85. Sitzung vom 28. April 1989) wurde der Sachverständige Prof. Dr. Ruland zur Höhe des Abschlags bei vorzeitigem Rentenbeginn befragt (Protokoll, S 75): "Die nächste Frage, ob die vorgesehenen Änderungen der Zugangsfaktoren ausreichend sind, um die Mehrkosten eines früheren Rentenbeginns in etwa auszugleichen, müsste ich eher an den Mathematiker weitergeben, der das berechnet. Ich weiß aber, dass bei dieser Berechnung eine Reihe von Annahmen gemacht werden müssen, und wie es so bei Annahmen ist, kann ich sie so oder so gestalten. Die Grenze, die der Gesetzgeber gewählt hat mit den 0,3 % je Monat, ist für die Versicherten, ich würde sagen, eine relativ günstige Regelung. Versicherungsmathematisch hätte der Abschlag auch etwas höher gesetzt werden können."

In ihrer Stellungnahme zum Gesetzentwurf von April 1989 (A Drs 1102, Protokolle Bd 3, S 19) führt die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände zur Höhe des Zugangsfaktors aus: "Der vorgesehene Abschlag (Rentenzugangsfaktor) ist jedoch mit 0,3 vH pro Monat versicherungsmathematisch zu niedrig angesetzt, um die längere Rentenlaufzeit finanziell auszugleichen. Nach bisherigen Berechnungen müsste der Abschlag höher sein und bei 0,5 bis 0,6 vH pro Monat liegen. Ohne Abschläge in einer solchen Größenordnung käme es über die in der Begründung des Gesetzentwurfs (S 144, 163) erwähnten Vorfinanzierungskosten hinaus zu dauerhaften Belastungen der gesetzlichen Rentenversicherung. Versicherte, die sich für einen früheren Bezug der Altersrente entscheiden, würden dies - nur etwas gemildert gegenüber dem geltenden Recht - auf Kosten der übrigen Versicherten tun."

e) Keine weiteren Begründungen

Weitere Aussagen finden sich in den "Materialien" über die Ausgestaltung des Zugangsfaktors bzw die Höhe des Abschlags bei vorzeitigem Rentenbeginn nicht.

II. Zur Rechtslage ab 1. August 1996 nach dem RuStFöG

Das Gesetz zur Förderung eines gleitenden Übergangs in den Ruhestand (RuStFöG) vom 23. Juli 1996 (BGBl I 1996, 1078), in Kraft getreten am 1. August 1996, nahm keine Veränderungen in den für langjährig Versicherte bestimmenden §§ 36 und 41 Abs 2 SGB VI vor. Es erweiterte in § 38 SGB VI den Tatbestand der Altersrente wegen Arbeitslosigkeit um die Variante "oder nach Altersteilzeitarbeit" und regelte die Anhebung der Altersgrenze für diese Rente nicht mehr in § 41 Abs 1 SGB VI, sondern in dessen neuen Abs 1a; ferner zog es die im RRG 1992 angeordnete Anhebung ab 2001 auf das Rentenzugangsjahr 1997 vor. § 41 Abs 1 SGB VI regelte weiterhin die Anhebung der Altersgrenzen ab 2001 für die Altersrente für Frauen und dessen Abs 2 - wie bisher - für langjährig Versicherte.

III. Zur Rechtslage ab 1. Januar 1997 nach dem WFG

1. Gesetzestexte

Das Gesetz zur Umsetzung des Programms für mehr Wachstum und Beschäftigung in den Bereichen der Rentenversicherung und Arbeitsförderung ( Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz - WFG) vom 25. September 1996 (BGBl I 1461), in Kraft getreten am 1. Januar 1997, ließ § 36 SGB VI unverändert. Durch Art 1 Nr 10 nahm das Gesetz in § 41 SGB VI zum einen eine redaktionelle Änderung vor. Dessen Abs 1 regelte die Anhebung der Altersgrenzen bei der Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit und Abs 2 bei der Altersrente für Frauen (Abs 1a wurde aufgehoben). Die im bisherigen Abs 2 geregelte Anhebung der Altersgrenzen bei der Altersrente für langjährig Versicherte wurde nunmehr in Abs 3 übernommen.

Im Übrigen wurde die Anhebung der Altersgrenzen bei der Altersrente für Frauen vom Jahr 2001 auf das Jahr 1997, dagegen bei der Altersrente für langjährig Versicherte "nur" um ein Jahr auf den 1. Januar 2000 vorgezogen. Nunmehr müssen nicht erst langjährig Versicherte, die nach dem 31. Dezember 1937, sondern bereits nach dem 31. Dezember 1936 geboren sind, bei vorzeitiger Inanspruchnahme der Rente Abschläge hinnehmen. Die Anhebung erfolgte für die am 1. Januar 1937 und später geborenen Versicherten nicht mehr - wie bisher - in zunächst Drei-Monats-Schritten pro Jahr, sondern in Monatsschritten, sodass die Anhebung auf das 65. Lebensjahr nach 24 Kalendermonaten Ende 2001 abgeschlossen ist. Die volle Anhebung um 24 Monate wirkt sich daher erstmals für Versicherte aus, die - wie der Kläger - im Dezember 1938 geboren sind. Die Tabelle für die Anhebung der Altersgrenze ist nicht mehr Bestandteil des neuen § 41 Abs 3 SGB VI, sondern der neuen Anlage 21 zum SGB VI.

§ 41 Abs 3 SGB VI wurde wie folgt gefasst:

Die Altersgrenze von 63 Jahren wird für Versicherte, die nach dem 31. Dezember 1936 geboren sind, angehoben. Die vorzeitige Inanspruchnahme der Altersrente ist möglich. Die Anhebung der Altersgrenze und die Möglichkeit der vorzeitigen Inanspruchnahme der Altersrente bestimmen sich nach Anlage 21.

Anlage 21

Anhebung der Altersgrenze von 63 Jahren

 Versicherte

Geburtsjahr

Geburtsmonat

Anhebung

um

... Monate

auf Alter

vorzeitige Inanspruchnahme möglich ab Alter

Jahr

Monat

Jahr

Monat

1937

Januar

Februar

März

April

Mai

Juni

Juli

August

September

Oktober

November

Dezember

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

63

63

63

63

63

63

63

63

63

63

63

64

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

0

63

63

63

63

63

63

63

63

63

63

63

63

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

1938

Januar

Februar

März

April

Mai

Juni

Juli

August

September

Oktober

November

Dezember

13

14

15

16

17

18

19

20

21

22

23

24

64

64

64

64

64

64

64

64

64

64

64

65

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

0

63

63

63

63

63

63

63

63

63

63

63

63

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

1939

und später

24   

65   

0       

63   

0       

2. Gesetzesmaterialien

In der Begründung zum WFG (BT-Drucks 13/4610, S 18) wird die Änderung der rentenrechtlichen Vorschriften vor allem mit der sich seit dem 2. Halbjahr 1995 verschlechternden Finanzsituation der Rentenversicherung gerechtfertigt. Ziel sei es, die Lebensarbeitszeit zu verlängern, indem die mit dem RRG 1992 bereits beschlossene stufenweise Anhebung der vorgezogenen Altersgrenzen für eine Altersrente zeitlich vorgezogen und beschleunigt wird. Weiterhin heißt es (BT-Drucks 13/4610, S 19), über die im RuStFöG beschlossenen Maßnahmen hinaus seien weitere Maßnahmen zur Einflussnahme auf das tatsächliche Renteneintrittsalter erforderlich. Dieses liege heute unter 60 Jahren und damit mehr als drei Jahre unter der gesetzlichen Altersgrenze für langjährig Versicherte. Daher solle die Altersgrenze für diese Altersrente von Januar 2000 bis Dezember 2001 in Monatsschritten auf das vollendete 65. Lebensjahr angehoben werden.

IV. Zur Rechtslage ab 1. Januar 2000 nach dem RRG 1999

1. Gesetzestexte

Gemäß Art 1 Nr 76 des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung (Rentenreformgesetz 1999 - RRG 1999) vom 16. Dezember 1997 (BGBl I 2998) gilt der bisherige § 36 SGB VI mit Wirkung zum 1. Januar 2000 als § 236 SGB VI fort. Das Gestaltungsrecht "Altersrente für langjährig Versicherte" fällt künftig nicht weg. § 36 SGB VI idF durch Art 1 Nr 14 des RRG 1999 ermöglicht nunmehr den Jahrgängen ab 1948, durch Absenkung des Rentenalters die Rente vorzeitig sogar schon ab dem 62. Lebensjahr mit entsprechenden Abschlägen in Anspruch zu nehmen. Der persönliche Anwendungsbereich des § 236 Abs 1 SGB VI beschränkt sich auf Versicherte, die vor dem 1. Januar 1948 geboren sind. Wenn sie zudem nach dem 31. Dezember 1936 geboren sind, wird die "Vorzeitigkeitsgrenze" grundsätzlich nach Anlage 21 des SGB VI in 24 Monatsschritten angehoben; sie wirkt sich daher in vollem Umfang erstmals für die im Dezember 1938 geborenen Versicherten aus. Ferner enthält die Anlage 21 für die Jahrgänge 1948 und 1949, denen das Gestaltungsrecht infolge der Absenkung des Rentenalters erstmals schon mit 62 Jahren zusteht, eine Übergangsregelung, wie § 236 Abs 3 SGB VI anordnet. § 236 Abs 2 SGB VI hat "vertrauensschützend" für zwei Gruppen von Versicherten die ursprünglich in § 41 SGB VI vorgesehene Übergangsregelung auch für langjährig Versicherte in Kraft gesetzt, die günstiger als die Anlage 21 des SGB VI ist.

Ferner hat das RRG 1999 mit Wirkung zum 1. Januar 2000 durch Einfügung des § 236a SGB VI erstmals eine "Vorzeitigkeitsgrenze" auch beim Gestaltungsrecht "Altersrente für Schwerbehinderte" (§ 37 SGB VI) eingeführt. Erfasst wurden Versicherte, die nach dem 31. Dezember 1939 geboren sind nach Maßgabe der Anlage 22 zum SGB VI, die durch eine "vertrauensschützende" Regelung für zwei Versichertengruppen verdrängt wurde. Das Gesetz erhielt seine heutige Fassung durch das Gesetz zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte vom 19. Dezember 1998 (BGBl I 3843) mit Wirkung ab 1. Januar 2001. Danach können die Jahrgänge ab 1951 ab Vollendung des 63. Lebensjahres unter den Voraussetzungen des § 37 SGB VI diese Altersrente frühzeitig und ohne Abschläge, zuvor ab dem 60. Lebensjahr mit entsprechenden Abschlägen, in Anspruch nehmen. Da nach Auslaufen einer Übergangsphase ein Wegfall der "Altersrenten wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit" (dazu stellvertr: Vorlagebeschluss des Senats vom 28. Oktober 2004, B 4 RA 7/03 R, Umdruck S 25) und der "Altersrente für Frauen" (dazu: Vorlagebeschluss des Senats vom 23. August 2005, B 4 RA 28/03 R, Umdruck S 22) vorgesehen ist, werden als frühzeitige Altersrenten nur noch die - dann stets "vorzeitige" - Altersrente für langjährig Versicherte und die Altersrente für schwerbehinderte Menschen - diese von 60 bis 62 Jahren als "vorzeitige" - bestehen. Ferner gibt es dann noch eine frühzeitige Renteninanspruchnahme (ohne Abschläge) für Knappschaftsversicherte, nämlich die "Altersrente für langjährig unter Tage beschäftigte Bergleute" (§ 40 SGB VI); die Besonderheiten der Knappschaftsversicherung können hier jedoch außer Acht gelassen werden.

Maßgebliche Rechtsgrundlage für den Kläger ist § 236 SGB VI. Sein Abs 1 übernimmt inhaltlich die bisherigen Regelungen der §§ 36, 41 Abs 3 SGB VI alter Fassung. Erstmals hat das RRG 1999 in dessen Abs 2 eine Billigkeitsregelung eingeführt, wie sie vorher schon für die Altersrente für Arbeitslose und Frauen bestand. Zweck der Regelung ist es, den langjährig Versicherten, die im Jahre 1996 und damit bei Inkrafttreten der Neuregelung am 1. Januar 1997 bereits das 55. Lebensjahr vollendet hatten, den Status zu erhalten, den sie auf Grund des RRG 1992 erlangt hatten. Begünstigt werden alle Versicherten, die vor dem 1. Januar 1942 geboren sind (und 45 Jahre mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben). Für den im Dezember 1938 geborenen Kläger hätte eine Anwendung der Billigkeitsregelung zur Folge, dass er - wie nach dem RRG 1992 - nur eine Kürzung des Zugangsfaktors für drei Kalendermonate (= um 0,009) hinnehmen müsste. Die weitere Billigkeitsregelung, die bis zum 14. Februar 1941 geborene Versicherte erfasst, die am 14. Februar 1996 Vorruhestandsgeld oder Überbrückungsgeld der Seemannskasse bezogen haben, wird im vorliegenden Fall nicht relevant.

§ 236 SGB VI wurde durch das RRG 1999 wie folgt gefasst:

"(1)

Versicherte, die vor dem 1. Januar 1948 geboren sind, haben Anspruch auf eine Altersrente, wenn sie

1.

das 63. Lebensjahr vollendet und

2.

die Wartezeit von 35 Jahren erfüllt

haben. Die Altersgrenze von 63 Jahren wird für Versicherte, die nach dem 31. Dezember 1936 geboren sind, angehoben. Die vorzeitige Inanspruchnahme der Altersrente ist möglich. Die Anhebung der Altersgrenze und die Möglichkeit der vorzeitigen Inanspruchnahme bestimmen sich nach Anlage 21.

(2)

Die Altersgrenze von 63 Jahren wird für Versicherte, die

1.

vor dem 1. Januar 1942 geboren sind und 45 Jahre mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben oder

2.

bis zum 14. Februar 1941 geboren sind und am 14. Februar 1996 Vorruhestandsgeld oder Überbrückungsgeld der Seemannskasse bezogen haben,

wie folgt angehoben:

 Versicherte

Geburtsjahr

Geburtsmonat

Anhebung

um

... Monate

auf Alter

vorzeitige Inanspruchnahme möglich ab Alter

Jahr

Monat

Jahr

Monat

vor 1938

0       

63   

0       

63   

0       

1938

Januar - April

Mai - August

September - Dezember

1

2

3   

63

63

63

1

2

3   

63

63

63

0

0

0   

1939

Januar - April

Mai - August

September - Dezember

4

5

6   

63

63

63

4

5

6   

63

63

63

0

0

0   

1940

Januar - April

Mai - August

September - Dezember

7

8

9   

63

63

63

7

8

9   

63

63

63

0

0

0   

1941

Januar - April

Mai - August

September - Dezember

10

11

12

63

63

64

10

11

0

63

63

63

0

0

0   

§ 55 Abs 2 ist nicht für Zeiten anzuwenden, in denen Versicherte wegen des Bezugs von Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe versicherungspflichtig waren.

(3) Für Versicherte, die in der Zeit vom 1. Januar 1948 bis zum 31. Oktober 1949 geboren sind, bestimmt sich die Altersgrenze für die vorzeitige Inanspruchnahme der Altersrente nach Anlage 21."

Die Modifikation der Anlage 21 hat für die schon bisher erfassten Jahrgänge und damit auch für den Kläger keine Änderung gebracht. Sie betrifft entsprechend der Neufassung des § 236 SGB VI die Jahrgänge 1937 bis einschließlich 1947 und enthält eine Übergangsregelung für die Jahrgänge 1948 und 1949. Sie hat nunmehr folgende Fassung:

 Versicherte

Geburtsjahr

Geburtsmonat

Anhebung

um

... Monate

auf Altersgrenze

vorzeitige Inanspruchnahme möglich ab Alter

Jahr

Monat

Jahr

Monat

vor 1937

0       

63   

0       

63   

0       

1937

Januar

Februar

März

April

Mai

Juni

Juli

August

September

Oktober

November

Dezember

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

63

63

63

63

63

63

63

63

63

63

63

64

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

0

63

63

63

63

63

63

63

63

63

63

63

63

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

1938

Januar

Februar

März

April

Mai

Juni

Juli

August

September

Oktober

November

Dezember

13

14

15

16

17

18

19

20

21

22

23

24

64

64

64

64

64

64

64

64

64

64

64

65

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

0

63

63

63

63

63

63

63

63

63

63

63

63

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

0

Januar 1939 bis

Dezember 1947

63   

0       

1948

Januar bis Februar

März bis April

Mai bis Juni

Juli bis August

Sep. bis Oktober

Nov. bis Dezember

65

65

65

65

65

65

0

0

0

0

0

0

62

62

62

62

62

62

11

10

9

8

7

6

1949

Januar bis Februar

März bis April

Mai bis Juni

Juli bis August

Sep. bis Oktober

Nov. bis Dezember

65

65

65

65

65

65

0

0

0

0

0

0

62

62

62

62

62

62

5

4

3

2

1

0

2. Gesetzesmaterialien

Der Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. (BT-Drucks 13/8011, S 47 f) betont, dass die Reform der Rentenversicherung innerhalb des Systems erfolgen solle, das sich in mehr als einhundert Jahren seines Bestehens bewährt und alle Krisensituationen und gesellschaftlichen Veränderungen bewältigt habe. Dieses System sei geprägt durch das Prinzip der Lohn-, Leistungs- und "Beitragsbezogenheit" der Renten (zur Fehlvorstellung einer "Beitragsbezogenheit" der Renten siehe unten 4. Teil 2. Abschnitt Ziff I 1). An diesen Prinzipien werde festgehalten, weil es zu ihnen keine sozialpolitisch und finanziell akzeptablen Alternativen gebe. Die mit dem RuStFöG und dem WFG in Zusammenhang mit der "Anhebung der Altersgrenzen" für die Altersrenten an Arbeitslose, Frauen und langjährig Versicherte geschaffene "Vertrauensschutzregelung" (Anm: es handelt sich um Billigkeitsregelungen ≪dazu im 3. Teil 4. Abschnitt Ziff III≫, die für langjährig Versicherte erst durch das RRG 1999 eingeführt worden sind) sollten erweitert werden, und zwar auf alle Versicherten der Geburtsjahrgänge vor 1942, die mindestens 45 Jahre mit Pflichtbeitragszeiten hätten. Um hierdurch allerdings keine neuen Gestaltungsmöglichkeiten in Richtung von Frühverrentungen zu Lasten der Sozialversicherung zu eröffnen, sollten auf die Pflichtbeitragszeiten Beitragszeiten wegen Bezugs von Lohnersatzleistungen der Bundesanstalt für Arbeit (Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe) nicht angerechnet werden. Vom Jahre 2012 an solle die Möglichkeit der vorzeitigen Inanspruchnahme nur noch für Versicherte bestehen, die 35 Jahre mit rentenrechtlich relevanten Zeiten hätten. Die besonderen Altersrenten für Frauen sowie für Arbeitslose und nach Altersteilzeit(arbeit) gäbe es von diesem Zeitpunkt an nicht mehr.

V. Zur Rechtslage ab 1. Januar 2001 nach dem EM-ReformG

Durch Art 1 Nr 17 des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (EM-ReformG) vom 20. Dezember 2000 (BGBl I 1827) wurde mit Wirkung zum 1. Januar 2001§ 63 Abs 5 SGB VI wie folgt geändert:

" Vorteile und Nachteile einer unterschiedlichen Rentenbezugsdauer werden durch einen Zugangsfaktor vermieden."

Zugleich wurde durch Art 1 Nr 22 des EM-ReformG auch § 77 SGB VI neu gefasst und ergänzt, ohne dass die Regelungen für Renten wegen Alters, die vorzeitig in Anspruch genommen werden, inhaltlich geändert wurden.

Die Rechtslage blieb insgesamt bezüglich der Altersrente für langjährig Versicherte unverändert.

VI. Zur Rechtslage ab 1. August 2004 nach dem RVNG

Das Gesetz zur Sicherung der nachhaltigen Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung (RVNG) vom 21. Juli 2004 (BGBl I 1791) hat keine Änderungen in den §§ 236, 63 Abs 5 und 77 SGB VI vorgenommen.

VII. Zur Rechtslage ab 1. Januar 2005 nach dem 5. SGB VI-ÄndG

Durch Art 1 Nr 7 des Fünften Gesetzes zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (5. SGB VI-ÄndG) vom 4. Dezember 2004 (BGBl I 3183) wurden mit Wirkung zum 1. Januar 2005 in § 236 Abs 2 Satz 2 SGB VI nach dem Wort "Arbeitslosengeld" das "oder" durch ein Komma ersetzt und nach dem Wort "Arbeitslosenhilfe" die Worte "oder Arbeitslosengeld II" (Alg II) eingefügt. Es handelt sich um eine Folgeänderung zur Einführung des Alg II durch das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt. Sie ist für den vorliegenden Fall ohne Bedeutung.

2. Teil: Rechtsprechung des BVerfG zur Ausgestaltung des Zugangsfaktors

Das BVerfG hat über die Frage der Ausgestaltung des Zugangsfaktors noch nicht entschieden.

In einer Kammerentscheidung vom 3. Februar 2004 (Az: 1 BvR 2491/97, SozR 4-2600 § 237a Nr 1) hat das BVerfG die Verfassungsbeschwerde gegen die Regelung des § 41 Abs 2 SGB VI idF des WFG (Altersrente für Frauen) nicht zur Entscheidung angenommen und ausgeführt (RdNr 16 f): Es sei nicht zu prüfen, ob die im RRG 1992 getroffene Entscheidung des Gesetzgebers, den Regelzugang zur Altersrente für Mann und Frau gleichermaßen auf das vollendete 65. Lebensjahr festzulegen und eine Anhebung des Renteneintrittsalters für Frauen schrittweise ab dem Geburtsjahrgang 1941 vorzunehmen, im Einklang mit dem GG stehe. Die Kammer brauche auch nicht zu entscheiden, ob die gesetzliche Gewährung einer ungeminderten Altersrente bei Vollendung eines bestimmten Lebensalters zur grundrechtlich geschützten Rentenanwartschaft zähle. Selbst wenn dies bejaht würde, stelle die angegriffene Regelung eine verfassungsgemäße Inhalts- und Schrankenbestimmung iS des Art 14 Abs 1 Satz 2 GG dar.

Soweit ersichtlich, waren auch die ähnlich ausgestalteten Regelungen des § 14 Abs 3 Beamtenversorgungsgesetz noch nicht Gegenstand einer verfassungsrechtlichen Überprüfung durch das BVerfG.

3. Teil: Abweisungsreife der Revision bei Verfassungsgemäßheit des Gesetzes

Falls die Vorlagefragen zu bejahen sind, ist die Revision des Klägers gegen das Urteil des LSG vom 8. Dezember 2004 zurückzuweisen, soweit sie nicht bereits als unzulässig zu verwerfen war.

1. Abschnitt: Revision, Berufung und Klagen sind statthaft und zulässig

I. Die Revision ist statthaft und zulässig

1. Die Revision des Klägers ist statthaft, weil das LSG sie im Urteil vom 8. Dezember 2004 zugelassen hat (§ 160 Abs 1 SGG).

2. Die Revision ist zulässig.

Gegen das ihm am 28. Dezember 2004 zugestellte Urteil des LSG hat der Kläger fristgerecht am 20. Januar 2005 Revision eingelegt (§ 164 Abs 1 Satz 1 SGG). Er hat die Revision am 30. Juni 2006 und damit innerhalb der bis zu diesem Zeitpunkt verlängerten Frist begründet (§ 164 Abs 2 Satz 1 und 2 SGG).

Die Revisionsbegründung genügt den gesetzlichen Anforderungen des § 164 Abs 2 Satz 3 SGG, soweit sie die Feststellung des Werts des Rechts auf Altersrente auf der Rechtsgrundlage der Vorschriften über eine "Altersrente für langjährig Versicherte" betrifft. Der Kläger hat insoweit einen aus sich heraus verständlichen Sachantrag gestellt. In der Revisionsbegründung benennt er zwar nicht - wie § 164 Abs 2 Satz 2 SGG vorschreibt - die verletzte Norm, sondern beschränkt sich auf die Rüge, das angefochtene Urteil verletze materielles Bundesrecht, insbesondere Art 3 Abs 1 und Art 14 Abs 1 GG; durch Anwendung welcher Norm das Urteil gegen die benannten Verfassungsnormen verstößt, gibt er nicht an. Sein Vorbringen lässt aber noch hinreichend deutlich erkennen, welche Normen des SGB VI er für verfassungswidrig ansieht.

Der Kläger trägt vor, streitgegenständlich sei allein noch die Altersrente für langjährig Versicherte ohne Abschlag und er habe ein Anwartschaftsrecht auf "ungekürzte" bzw "abschlagsfreie Rente" erworben. Da diese Rentenart für den Personenkreis, dem der Kläger zuzuordnen ist (ua für den Jahrgang 1938), seit Inkrafttreten der Neuregelungen durch das RRG 1999 in § 236 SGB VI geregelt ist, zeigt er an, dass er Regelungen in dieser Norm für verfassungswidrig hält. Insoweit macht er ua geltend, durch das RRG 1999 werde er von der Versichertengemeinschaft abgekoppelt; man habe ihn zu einem Versicherten zweiter Klasse gemacht, indem seine freiwillig geleisteten Beiträge nun plötzlich weniger wert seien. Mit diesem Vortrag zielt er auf § 236 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB VI, dessen Text nur Versicherte begünstigt, die 45 Jahre mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und damit anordnet, dass durch Zahlung freiwilliger Beiträge die Anwendungsvoraussetzungen nicht erfüllt werden können. Darüber hinaus ist seinem Vorbringen, angesichts seiner langen Versicherungszeit und der vom Ergebnis her unveränderten Gesetzeslage über 43 Jahre sei ihm eine "abschlagsfreie Rente" zu zahlen, zu entnehmen, dass er die Anhebung der Altersgrenze und die Minderung des Zugangsfaktors grundsätzlich und damit § 236 Abs 1 Satz 2 bis 4 SGB VI für verfassungswidrig hält; denn nur durch eine Anwendung des § 236 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB VI und der dort abgedruckten Tabelle könnte er keine abschlagsfreie Rente beanspruchen, sondern er müsste immer noch eine Minderung des Zugangsfaktors, wenn auch nur für drei Monate, hinnehmen (dazu sogleich im 2. Abschnitt).

Im Übrigen setzt er sich mit dem Urteil des LSG hinreichend auseinander und legt dar, warum er die Entscheidung nicht für zutreffend hält. Die Revisionsbegründung genügt jedenfalls insoweit den gesetzlichen Anforderungen, als er die Feststellung eines höheren Geldwerts seines Rechts auf Altersrente auf der Rechtsgrundlage der Vorschriften über eine Altersrente für langjährig Versicherte begehrt.

Der Kläger wird durch das Urteil des LSG formell beschwert. Indem das LSG seine Berufung zurückgewiesen hat, hat es das klageabweisende Urteil des SG bestätigt und entschieden, dass die im Bescheid vom 12. Februar 2002 getroffene Wertfeststellung rechtmäßig ist und der Kläger die Feststellung eines höheren Geldwerts seines Rechts auf Altersrente nicht beanspruchen kann. Er hat demzufolge mit seinem vor dem LSG gestellten Sachantrag keinen Erfolg gehabt.

II. Die Berufung ist statthaft und zulässig

Die Berufung ist gemäß § 143 SGG statthaft. Sie bedurfte schon deshalb nicht der Zulassung, weil sie wiederkehrende Leistungen für mehr als ein Jahr betraf (§ 144 Abs 1 Satz 2 SGG). Sie war im Übrigen zulässig. Der Kläger hat sie am 5. März 2004 gegen das am 9. Februar 2004 zugestellte Urteil des SG schriftlich und damit form- und fristgerecht eingelegt (§ 151 Abs 1 SGG). Er ist durch das Urteil des SG formell beschwert, weil dieses seinen Klageantrag in vollem Umfang abgewiesen hat.

III. Die vor dem SG erhobenen Klagen sind statthaft und zulässig

Klagegegenstand vor dem SG ist der wertfeststellende Verwaltungsakt im Bescheid vom 12. Februar 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Januar 2003 gewesen. Gegen ihn hat der Kläger am 5. Februar 2003 schriftlich und damit form- und fristgerecht Klage erhoben (§ 87 Abs 1 Satz 1 iVm Abs 2 sowie § 90 SGG). Streitgegenstand ist sein Begehren, den Wert seines Rechts auf Altersrente ohne Abschlag bzw Minderung des Zugangsfaktors und damit einen höheren monatlichen Geldwert seines Rechts festzustellen. Er hat allein die mit der Wertfeststellung verbundene Höchst-, nicht aber Mindestwertfeststellung (dazu sogleich im 2. Abschnitt) beanstandet. Sein Begehren hat er in einer Kombination verschiedener Klagearten verfolgt, nämlich einer Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG) gegen die Rentenhöchstwertfestsetzung vom 12. Februar 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Januar 2003, einer Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG) auf Festsetzung eines höheren Werts des Rechts auf Altersrente unter Einstellung eines Zugangsfaktors von 1,0, mindestens aber 0,991 sowie einer Leistungsklage auf Zahlung eines höheren monatlichen Geldbetrags, wobei diese sogenannte unechte Leistungsklage die Verpflichtungsklage konsumiert hat (§ 54 Abs 4 SGG).

Der Kläger ist durch den angefochtenen Verwaltungsakt formell beschwert (§ 54 Abs 1 Satz 2 SGG), dh klagebefugt. Ohne nähere Prüfung in der Sache besteht die Möglichkeit, dass er höhere Altersrente verlangen kann. Er behauptet, durch die - auch nach seiner Ansicht - gesetzmäßige Rentenhöchstwertfestsetzung deshalb in einem ihm nach dem SGB VI zustehenden subjektiv-öffentlichen Recht verletzt worden zu sein, weil seine Vorleistung für die gesamte Rentenbezugsdauer in einem verfassungswidrigen Umfang nicht berücksichtigt werde. Es liegt jedenfalls nicht auf der Hand, dass ihm solche subjektiv-öffentlichen Rechte nach materiellem Rentenversicherungsrecht nicht zustehen oder durch die umstrittenen Gesetzesänderungen nicht verletzt sein können. Da auch das Widerspruchsverfahren erfolglos durchgeführt worden ist, liegen - wie das SG und das LSG zutreffend gesehen haben - alle Sachentscheidungsvoraussetzungen vor.

IV. Die vor dem LSG noch anhängigen Klagen gegen die Rentenhöchstwertfeststellung vom 27. April 2004 stehen einer Sachprüfung im Revisionsverfahren für Rentenbezugszeiten auch ab 1. Juli 2003 nicht entgegen

Dieser Verwaltungsakt hat für Bezugszeiten ab 1. Juli 2003 die Wertfeststellungen in den vorangegangenen Bescheiden vom 23. Februar 2004 und 12. Februar 2002 ersetzt; in ihm hat die Beklagte auf der Rechtsgrundlage einer Altersrente für schwerbehinderte Menschen den dynamisierbaren monatlichen Geldwert des Rentenrechts mit 1.469,57 € festgesetzt. Der Verwaltungsakt vom 27. April 2004 ist Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden (§ 153 Abs 1 SGG iVm § 96 SGG). Es handelt sich um eine gesetzlich fingierte Klage mit der Folge, dass das Vorverfahren und das Klageverfahren vor dem SG entfallen; über sie entscheidet das LSG in Abweichung von § 29 SGG ausnahmsweise als erstinstanzliches Gericht (BSG, Urteil vom 30. Januar 1963, BSGE 18, 231, 234). Einzige Voraussetzung für die Einbeziehung eines solchen ersetzenden Verwaltungsaktes und damit für die Statthaftigkeit und Zulässigkeit der fingierten Klage ist, dass die Berufung, gleich von welchem der Beteiligten, wirksam eingelegt worden ist. Diese Voraussetzung ist erfüllt.

Im Wege der Fiktion ist damit sowohl eine Anfechtungs- als auch eine (unechte) Leistungsklage vor dem LSG anhängig geworden, wobei die letztere wiederum die Verpflichtungsklage konsumiert hat. Über diese Klagen hat das LSG nicht entschieden. Da ihm der Erlass des Verwaltungsakts vom 27. April 2004 nicht bekannt war, kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass es insoweit konkludent über diesen Akt befunden hat (vgl BSG, Urteil vom 25. Oktober 1994, SozR 3-2500 § 57 Nr 4; Urteil vom 9. Februar 1995, SozR 3-4100 § 44 Nr 11).

Der Kläger hat sich im Berufungsverfahren nicht gegen die Einbeziehung des Verwaltungsakts vom 27. April 2004 gewandt. Zwar hat er vor dem LSG nicht dessen Aufhebung beantragt, sondern ihn nicht einmal in seinem Vorbringen in Bezug genommen; allein aus seinem Schweigen folgt jedoch noch nicht, dass er der Einbeziehung dieses Verwaltungsakts in das Berufungsverfahren widersprechen wollte. Die Fiktion der Klage dient dem Schutz des nicht rechtskundigen Bürgers, der es möglicherweise wegen eines vor dem SG oder LSG schon anhängigen Verfahrens unterlassen könnte, einen den bisherigen Klagegegenstand abändernden oder ersetzenden Verwaltungsakt anzufechten, sodass dieser bindend würde. Dieser Schutzgedanke erfordert es, dass sein Wille, einen solchen weiteren Verwaltungsakt nicht in das Verfahren einbeziehen zu wollen, zweifelsfrei erkennbar ist. Eine solche Willensäußerung des Klägers fehlt.

Wie das Revisionsgericht in einem solchen Fall zu verfahren hat, ergibt sich nicht unmittelbar aus dem Gesetz. § 171 Abs 2 SGG regelt nur die Fälle, in denen ein ersetzender oder abändernder Verwaltungsakt während des Revisionsverfahrens ergeht, nicht aber, wenn die Vorinstanz, aus welchen Gründen auch immer, über eine dort anhängig gewordene fingierte Klage nicht entschieden hat, gegen deren Entscheidung im Übrigen aber Revision eingelegt worden ist. Diese Regelungslücke ist durch eine entsprechende Anwendung des § 171 Abs 2 SGG iVm den §§ 153 Abs 1, 96 SGG zu schließen.

§ 171 Abs 2 SGG ist eine besondere Ausgestaltung des § 96 SGG für das Revisionsverfahren. Beide Normen bezwecken den Schutz des Rechtsuchenden, indem sie ausschließen, dass während des Streitverfahrens ergehende Verwaltungsakte, die den bisherigen Klagegegenstand abändern oder ersetzen, zu seinem Nachteil bindend werden. Diesem Schutzgedanken ist durch eine entsprechende Anwendung des § 171 Abs 2 SGG iVm § 96 SGG Rechnung zu tragen. Soweit die Entscheidung des Revisionsgerichts dem Klagebegehren genügt, wird die noch beim LSG anhängige Klage gegenstandslos; denn der Kläger wird insoweit klaglos gestellt und ist nicht mehr klagebefugt. Soweit das Revisionsgericht mit seinem Urteilsausspruch unterhalb des Klagebegehrens bleibt, ist der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG über die dort insoweit noch anhängigen ("Rest"-)Klagen zurückzuverweisen.

Durch den wertfeststellenden Verwaltungsakt vom 27. April 2004 wird die Prüfungskompetenz des Senats nicht begrenzt. Die vor dem SG anhängig gewesenen Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklagen sind durch diesen Verwaltungsakt für Zeiten ab 1. Juli 2003 nicht gegenstandslos geworden. Er hat lediglich einen neuen Mindestwert und insoweit auch einen neuen Höchstwert festgestellt. Damit hat er jedoch die ablehnende Entscheidung der Beklagten im Bescheid vom 12. Februar 2002, den Geldwert durch Einstellung eines Zugangsfaktors von 1,0, mindestens aber von 0,991, festzustellen, nicht ersetzt oder abgeändert. Vielmehr ist es insoweit bei der ursprünglichen ablehnenden Entscheidung geblieben. Über dieses Anfechtungsbegehren hat - ablehnend - auch das LSG entschieden, sodass es Gegenstand des Revisionsverfahrens geworden ist.

Zugleich hat das LSG auch über das schon vor dem SG anhängig gewesene Verpflichtungs- und Leistungsbegehren des Klägers entschieden; denn es hat dessen Antrag für unbegründet angesehen, die Beklagte zu verpflichten, den Geldwert unter Einstellung eines Zugangsfaktors von 1,0, mindestens aber von 0,991, dauerhaft, also auch für Zeiten ab 1. Juli 2003, festzustellen, sowie sie zu verurteilen, entsprechende monatliche Geldbeträge zu zahlen. Auch dieses Verpflichtungs- und Leistungsbegehren ist damit Gegenstand des Revisionsverfahrens geworden. Soweit das LSG zugleich entschieden hat, für Zeiten ab 1. Juli 2003 stehe dem Kläger nicht der höhere Rentenmindestwert aus dem Bescheid vom 27. April 2004 zu, sind das Urteil des Berufungsgerichts und das klageabweisende Urteil des SG durch den vor dem BSG abgeschlossenen Teilvergleich gegenstandslos geworden.

Über das Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsbegehren des Klägers wird der Senat nach Abschluss des Vorlageverfahrens befinden. Je nach Urteilsausspruch, der von der Entscheidung des BVerfG abhängt, wird dann die noch vor dem LSG anhängig gebliebene (fingierte) Klage gegenstandslos werden oder wird das BSG den Rechtsstreit zur Verhandlung und Entscheidung über diese Klagen an das LSG zurückzuverweisen haben. Die Zulässigkeit des Vorlageverfahrens wird hiervon nicht berührt.

2. Abschnitt: Die Entscheidungen der Beklagten sind gesetzmäßig

Gegenstand der revisionsgerichtlichen Prüfung ist die Rentenhöchstwertfeststellung der Beklagten ab Rentenbeginn (1. Januar 2002). Diese entspricht dem sogenannten einfachen Gesetz.

Im Bescheid vom 12. Februar 2002 hat die Beklagte vier Entscheidungen/Regelungen im Sinne von Verwaltungsakten (§ 31 SGB X) getroffen. Die verlautbarten Verwaltungsakte über Rentenart (Feststellung des Entstehens des subjektiven Rechts auf Altersrente), Rentenbeginn (1. Januar 2002) und Rentendauer (unbefristet) sind nicht angefochten. Mit seiner Anfechtungsklage wendet sich der Kläger allein gegen den wertfeststellenden Verwaltungsakt in diesem Bescheid. Für einen solchen Verwaltungsakt ist eine rechtliche Doppelnatur kennzeichnend: Zum einen setzt er einen Mindestwert des Rentenrechts fest, besagt also, dass der Versicherte eine monatliche Geldzahlung mindestens in der festgestellten Höhe beanspruchen kann. Zum anderen bestimmt er, dass der Versicherte auch nicht mehr verlangen kann, setzt also zugleich einen Höchstwert fest. Die getroffene Mindestwertfeststellung im Bescheid vom 12. Februar 2002 greift der Kläger nicht an. Diese ist bindend geworden; die allein strittige Höchstwertfeststellung ist gesetzmäßig (zur Mindest- und Höchstwertfeststellung vom 27. April 2004 sogleich).

In der gesetzlichen Rentenversicherung gab und gibt es der Art nach nur ein (subjektives) Recht auf Altersrente, dessen Entstehen und Wert allerdings auf verschiedenen Rechtsgrundlagen beruhen kann (dazu stellvertr: BSG, Urteile vom 2. August 2000, SozR 3-2600 § 99 Nr 5 und § 100 Nr 1). Nachdem die Revision des Klägers als unzulässig verworfen werden musste, soweit er eine Wertfeststellung auf der Grundlage einer "Altersrente nach Altersteilzeitarbeit" (§ 237 SGB VI) begehrt hat, steht bindend fest, dass er die Voraussetzungen für eine Anwendung dieser Rechtsgrundlage nicht erfüllt. Für Bezugszeiten ab Rentenbeginn kommt nur eine Feststellung der Rentenhöhe auf der Rechtsgrundlage der Vorschriften über eine "Altersrente für langjährig Versicherte" (§ 236 SGB VI) in Betracht. Denn der Kläger ist erst mit Wirkung vom 1. Juli 2003 als Schwerbehinderter anerkannt worden, sodass die Regelungen über die "Altersrente für schwerbehinderte Menschen" (§ 236a SGB VI) für vorhergehende Bezugszeiten nicht anwendbar sind.

Auf Grund des vom LSG festgestellten Sachverhalts, an den das Revisionsgericht gebunden ist (§ 163 SGG), hat die Beklagte im Bescheid vom 12. Februar 2002 zutreffend gemäß § 236 Abs 1 Satz 2 bis 4 SGB VI iVm der Anlage 21 zum SGB VI und § 77 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI entschieden, dass wegen der vorzeitigen Inanspruchnahme der Altersrente die Altersgrenze von 63 Jahren um 24 Kalendermonate anzuheben und damit der Zugangsfaktor von 1,0 um 0,072 (0,003 x 24) auf 0,928 abzusenken ist. Nach der sog Rentenformel für den Monatsbetrag der Rente (§ 64 SGB VI), dh für den Geldwert des Stammrechts auf Rente bei Rentenbeginn, hat sie gemäß § 66 SGB VI die vom Kläger in 548 Beitragsmonaten erzielten 59,4513 EP mit 0,928 multipliziert und deshalb nur 55,1708 "persönliche EP" nach § 64 Nr 1 SGB VI in die "Formel" eingestellt; ferner hat sie zutreffend den Rentenartfaktor mit 1,0 (dieser beschreibt das Sicherungsziel der Altersrente im Sinne des vollen Ausgleichs) und den aktuellen Rentenwert bei Rentenbeginn mit 25,31406 € angesetzt, sodass sich ein dynamisierbarer Geldwert von 1.396,60 € ergab.

Einen geringeren Abschlag beim Zugangsfaktor kann der Kläger nach der Billigkeitsregelung des § 236 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB VI nicht beanspruchen (Nr 2 aaO ist offenkundig nicht einschlägig). Zwar ist er vor dem 1. Januar 1942 geboren, jedoch weist sein Versicherungsverlauf nicht 45 Jahre bzw 540 Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen für eine "versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit" auf. Er hat nur 126 Kalendermonate für eine versicherte Beschäftigung. Die für 422 Kalendermonate entrichteten freiwilligen Beiträge bleiben unberücksichtigt; der insoweit nicht auslegbare Text erlaubt keine Gleichstellung der freiwilligen Beiträge mit Pflichtbeiträgen, auch nicht im Wege einer verfassungskonformen Auslegung.

Dies entspricht ständiger Rechtsprechung. Bereits in der Entscheidung des BSG vom 22. Juni 1988 (BSGE 63, 246 = SozR 2400 § 25 Nr 1) zum sogenannten Frauen-ARG nach § 25 Abs 3 AVG ist ausgeführt, dass seit 1968 (Aufhebung der Jahresarbeitsverdienstgrenze ≪JAV-Grenze≫ in der Angestelltenversicherung und Einführung der generellen Versicherungspflicht für beschäftigte Angestellte) mit freiwilligen Beiträgen belegte Beschäftigungszeiten einer "rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung" nicht gleichstehen. Art 2 § 7a Abs 1 Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz (AnVNG) vom 23. Februar 1957 (BGBl I 88), und zwar hier in der seit dem 1. Januar 1984 geltenden Fassung durch das HBegleitG 1984, nehme eine solche Gleichstellung nur für eine mit freiwilligen Beiträgen belegte Beschäftigung oder Tätigkeit bis zum 31. Dezember 1967 vor, soweit die Versicherte während dieser Zeiten ua wegen Überschreitens der JAV-Grenze versicherungsfrei gewesen sei. Eine analoge Anwendung des Art 2 § 54a AnVNG, nach dem ua durch freiwillige Beiträge, die von den von der Versicherungspflicht auf Antrag befreiten Angestellten ab 1968 entrichtet worden waren, die erforderliche sogenannte Halbbelegung für die Anrechenbarkeit von Ausfallzeiten (§ 36 Abs 3 Satz 1 AVG) erfüllt werden konnte, komme mit Blick auf den klaren Wortlaut, die Rechtsentwicklung und den Normzweck des § 25 Abs 3 AVG nicht in Betracht. Schon zu dessen ursprünglicher Fassung durch das AnVNG 1957 habe das BSG entschieden, dass die Ausübung einer "an sich" rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit nicht ausreiche; vielmehr müsse diese konkret mit der gesetzlichen Pflicht zur Beitragsleistung verbunden sein (vgl hierzu: BSG, Urteile vom 29. März 1962, BSGE 16, 284, 285 ff; vom 14. Juni 1962, BSGE 17, 110, 112 f; vom 3. März 1964, BSGE 20, 231, 232 f; zu § 25 Abs 3 idF des RVÄndG 1965: BSG, Urteil vom 30. März 1967, SozR Nr 44 zu § 1248 RVO). Die Gleichstellung der bis Ende 1967 entrichteten freiwilligen Beiträge mit Pflichtbeiträgen in Art 2 § 7a AnVNG sei allein deswegen erfolgt, weil Angestellte während dieser Zeiten wegen Überschreitens der JAV-Grenze kraft Gesetzes an der Pflichtbeitragsleistung gehindert gewesen seien. Die Verfassungsbeschwerde gegen dieses Urteil hat das BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen (Kammerbeschluss vom 6. Juli 1989, 1 BvR 1171/88, SozR 5755 Art 2 § 7a Nr 2) und dabei auf die alleinige Auslegungskompetenz der Fachgerichte hingewiesen.

In gleicher Weise hat das BSG § 25 Abs 2 AVG (= § 1248 Abs 2 RVO) in der ab 1. Januar 1982 geltenden Fassung durch das AFKG ausgelegt; diese Vorschrift sah ein ARG für Arbeitslose ua dann vor, wenn diese in den letzten zehn Jahren mindestens acht Jahre eine "rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit" ausgeübt hatten (vgl Urteil vom 13. Oktober 1992, 4 RA 10/92, SozR 3-2200 § 1248 Nr 7; die Verfassungsbeschwerde gegen dieses Urteil hat das BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen: Kammerbeschluss vom 24. Januar 1994, 1 BvR 10/93, NZS 1994, 226 = SozVers 1994, 140; vgl ferner auch Urteil des BSG vom selben Tage, 4 RA 29/91). Anhaltspunkte dafür, der Begriff der "versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit" in § 236 Abs 2 Nr 1 SGB VI könne anders zu verstehen sein, sind nicht ersichtlich. Dies folgt auch nicht daraus, dass die Norm nicht auf eine "rentenversicherungspflichtige", sondern nur auf eine "versicherungspflichtige" Beschäftigung oder Tätigkeit abstellt. Auch hierbei muss es sich immer um eine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung handeln. Nach dem Gesetzestext scheidet eine Anwendung dieser Billigkeitsregelung aus.

Die Rentenhöchstwertfestsetzung vom 12. Februar 2002 war somit im Zeitpunkt ihres Erlasses gesetzmäßig. Ab 1. Juli 2003 erfüllt der Kläger die Voraussetzungen einer Altersrente für schwerbehinderte Menschen, sodass die Beklagte im Bescheid vom 27. April 2004 zu Recht ab diesem Zeitpunkt den Wert des Rechts auf Altersrente nach dieser Rechtsgrundlage festgestellt hat; denn gemäß § 89 Abs 1 SGB VI bestimmt sich bei einer Rechtsgrundlagenkonkurrenz der Wert des Rentenrechts immer nach der "höchsten Rente", also nach der Rechtsgrundlage, die den höchsten Rentenwert vermittelt (vgl BSG, Urteil vom 31. Oktober 2002, SozR 3-2600 § 101 Nr 2; Urteil vom 9. April 2002, SozR 3-2600 § 89 Nr 2; Urteil vom 30. September 1997, 4 RA 106/95). Der höchste Rentenwert ergibt sich für den Kläger ab 1. Juli 2003 aus der Altersrente für schwerbehinderte Menschen, die durch das RRG 1999 seit dem 1. Januar 2000 in § 236a SGB VI ausgestaltet ist. Gemäß Satz 2 bis 4 aaO iVm der Anlage 22 zum SGB VI wird die Altersgrenze für die Jahrgänge bis 1950 von 60 Jahren auf 63 Jahre angehoben (für Jahrgänge ab 1951 regelt § 37 SGB VI die weiterhin mögliche Inanspruchnahme dieser Rente ab Vollendung des 63. Lebensjahres). Von der Anhebung sind allerdings nur Versicherte betroffen, die nach dem 31. Dezember 1940 geboren sind, sodass der Kläger grundsätzlich eine "abschlagsfreie Rente" hätte beanspruchen können.

Unerheblich ist in diesem Zusammenhang der durch das RVNG mit Wirkung zum 1. August 2004 neu gefasste § 34 Abs 4 SGB VI. Er schreibt vor, dass nach bindender Bewilligung einer Rente wegen Alters der Wechsel in eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, in eine Erziehungsrente oder in eine andere Rente wegen Alters ausgeschlossen ist. Die Beklagte hat zu Recht im Zeitpunkt des Erlasses der neuen Wertfeststellung vom 27. April 2004 das damals gültige Recht angewandt und ausschließlich die - weiterhin maßgebliche - Anordnung des § 89 Abs 1 SGB VI beachtet, wonach bei einer Rechtsgrundlagenkonkurrenz sich der Wert des Rechts nach der für den Versicherten günstigsten Rechtsgrundlage bestimmt. Auf den möglicherweise entstandenen Norm-Widerspruch zwischen § 34 Abs 4 SGB VI und dem weiterhin geltenden § 89 SGB VI ist hier schon wegen des Teilvergleichs nicht einzugehen.

Zu Lasten des Klägers musste die Beklagte jedoch beachten, dass er bereits ab 1. Januar 2002 eine Altersrente auf der Rechtsgrundlage einer solchen für langjährig Versicherte bezogen hatte, für die - wie dargelegt - ein geminderter Zugangsfaktor einzustellen war. In einem solchen Fall ist auch im Rahmen der "abschlagsfreien Rechtsgrundlage" grundsätzlich der bisherige geminderte Zugangsfaktor zu übernehmen, allerdings ist er gemäß § 77 Abs 3 Satz 3 Nr 1 SGB VI um 0,003 je Kalendermonat zu erhöhen, in dem die Rente wegen Alters nicht mehr vorzeitig in Anspruch genommen wird. Auf der Rechtsgrundlage einer Altersrente für langjährig Versicherte war ein Abschlag beim Zugangsfaktor für 24 Kalendermonate vorzunehmen. Da der Kläger bis zum 30. Juni 2003 die Rente nicht für 24 Monate, sondern nur für 18 Monate in Anspruch genommen hatte, musste die Beklagte (nur) den bisherigen geminderten Zugangsfaktor von 0,928 für sechs Monate um je 0,003, also um 0,018, erhöhen und ab 1. Juli 2003 einen Zugangsfaktor von 0,946 einstellen sowie eine entsprechende neue Wertfeststellung vornehmen.

Für Bezugszeiten ab 1. Januar 2002 und 1. Juli 2003 entsprechen die Wertfeststellungen der sogenannten einfachen Gesetzeslage. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, der Beklagten könnten Zuständigkeits-, Form- oder Verfahrensfehler oder bei der Anwendung des Gesetzes auf den Kläger selbstständige Verfassungsverstöße unterlaufen sein.

3. Abschnitt: Keine Verletzung rentenversicherungsrechtlicher subjektiver Rechte durch Gesetzesänderungen (RRG 1992; WFG; RRG 1999)

Der 4. Senat des BSG hält an seiner ständigen Rechtsprechung fest, dass die - irreführend genannte - "Anhebungen der Altersgrenzen", bei denen es sich rechtlich um einen Teilabbau der Vermögensvorteile aus der frühzeitigen Inanspruchnahme von Altersrente handelt, rentenversicherungsrechtliche subjektive Rechte der Versicherten nicht beeinträchtigt (vgl zur insoweit vergleichbaren Rechtsproblematik bei der Altersrente für Arbeitslose: Vorlagebeschlüsse vom 28. Oktober 2004, B 4 RA 42/02 R, B 4 RA 64/02 R, B 4 RA 3/03 R, B 4 RA 7/03 R und B 4 RA 50/03 R; bei der Altersrente für Frauen: Vorlagebeschluss vom 23. August 2005, B 4 RA 28/03 R; vgl zu dieser Problematik ferner: BSG 5. Senat, Urteil vom 25. Februar 2004, B 5 RJ 44/02 R, BSGE 92, 206 = SozR 4-2600 § 237 Nr 1; Urteile des 8. Senats vom 7. Juli 2004, B 8 KN 3/03 R und B 8 KN 7/03 R, SozR 4-2600 § 237 Nr 3 u. 4; Urteile des 13. Senats vom 5. August 2004, B 13 RJ 10/03 R, SozR 4-2600 § 77 Nr 1 und B 13 RJ 40/03 R, SozR 4-2600 § 237 Nr 6; Urteil des 5. Senats vom 20. Oktober 2004, B 5 RJ 3/04 R, SozR 4-2600 § 237 Nr 7; vgl auch schon BSG, Urteil vom 30. Oktober 2001, B 4 RA 15/00 R, SozR 3-2600 § 237 Nr 1 und Urteil des 4. Senats vom 28. Oktober 2004, B 4 RA 60/03 R sowie Urteile des 4. Senats vom 5. Juli 2005, B 4 RA 45/04 R, SozR 4-2600 § 237a Nr 3 und § 237 Nr 9, B 4 RA 46/04 R, veröffentlicht in JURIS und B 4 RA 5/03 R, SozR 4-2600 § 237 Nr 8 vorgesehen; Brall , Zur Verfassungsmäßigkeit der vorgezogenen Anhebung der Altersgrenze bei der Rente wegen Arbeitslosigkeit, DRV 2003 S 133 bis 145; O'Sullivan , Zur Verfassungsmäßigkeit der Anhebung des Renteneintrittsalters, SGb 2004 S 209 bis 214; Wenner , Kein schutzwürdiges Vertrauen auf gesetzliche Übergangsregelungen, SozSich 2004 S 177 bis 180; aA Fuchs/Köhler , Ist die zum 1. Januar 1997 erfolgte vorgezogene Anhebung der Altersgrenze bei der Altersrente wegen Arbeitslosigkeit verfassungsgemäß?, Rechtsgutachten, erstattet im Auftrag der IG Metall).

Der 4. Senat des BSG legt - weiterhin - folgende Prüfungsmaßstäbe zu Grunde:

Bloß objektives Recht darf die Gesetzgebung jederzeit ändern. Insoweit unterliegt sie keiner "fachgerichtlichen" Kontrolle. Gestufte Bindungen erfassen sie bei Beeinträchtigungen von subjektiven Rechten der Bürger, die dagegen die Gerichte anrufen können. Diese dürfen dann prüfen, ob eine Rechtsbeeinträchtigung vorliegt und ob ggf das Gesetz verfassungsgemäß (und verfassungsgemäß angewandt worden) ist.

An der Änderung bloß einfachgesetzlich geschützter subjektiver Rechte durch eine lex posterior ist die gesetzgebende Gewalt nur gehindert, wenn sie dabei gegen die verfassungsmäßige Ordnung iS von Art 20 Abs 3 GG, insbesondere gegen die Kerngarantien des "Rechtsstaats" (Willkürverbot, Rückwirkungsverbot, Vertrauensschutz, Verhältnismäßigkeitsgebot) verstößt oder wenn sie, gemessen an den Schrankenregelungen der Grundrechte, rechtswidrig in Grundrechte eingreift (Art 1 Abs 3 GG). Da Art 2 Abs 1 GG neben der natürlichen Handlungsfreiheit auch den im jeweiligen Gesetz ggf ausgeprägten Freiheitsbereich der einfachgesetzlich gewährten subjektiven Rechte schützt, gewährt er iVm dem "Rechtsstaatsprinzip" insoweit einen grundrechtlichen Schutz auch dieses Freiheitsgehalts ua gegen die Gesetzgebung. Greift diese in bestehende subjektive Rechte ein, bedarf sie eines hinreichenden Rechtfertigungsgrundes. Ob ein solcher vorliegt, ist unter Beachtung von Art und Intensität des Eingriffs anhand der sog Schrankentrias (Rechte anderer, verfassungsmäßige Ordnung, Sittengesetz) zu prüfen. Ein Eingriff in ein (nur) durch Art 2 Abs 1 GG grundrechtlich geschütztes einfachgesetzlich gewährtes subjektives Recht ist demgemäß nur dann verfassungsgemäß, wenn der Eingriff dem Übermaßverbot genügt, also einen verfassungsmäßigen Zweck verfolgt, zur Zweckerfüllung geeignet und erforderlich ist, dh den Betroffenen sowie die Allgemeinheit am wenigsten belastet, und wenn die Verhältnismäßigkeit zwischen dem angestrebten Zweck und der Art und Intensität des Grundrechtseingriffs gegeben ist. Ferner sind auch das grundrechtliche Rückwirkungsverbot, der Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG auf seiner jeweils einschlägigen Stufe und die Wechselwirkung zwischen dem Grundrecht und dem grundrechtseinschränkenden Gesetz zu beachten. Dies gilt erst recht, wenn die Existenz und der Schutzbereich eines Individualgrundrechts überhaupt erst durch die den Grundrechtsinhalt bestimmenden und die Schranken des Grundrechts regelnden Gesetze festgelegt werden, wie zB bei Art 14 Abs 1 GG. Hierbei ist stets zu beachten, dass es "Staatsräson des GG" ist, dem Grundrechtsschutz rechtlich und faktisch grundsätzlichen Vorrang vor sonstigen Zielen vermeintlicher "Staatsräson" einzuräumen. Die Verfassungsmäßigkeit eines förmlichen Bundesgesetzes kann daher "fachgerichtlich" nur geprüft werden, wenn geklärt ist, welches subjektive Recht des Klägers, ggf mit welcher Intensität und in welchem Ausmaß, durch das Gesetz beeinträchtigt wurde.

Die vorgenannten Gesetzesänderungen haben aber (außerhalb der Thematik der Vorlagefragen, die vor allem Art 3 Abs 1 GG betreffen, und, falls diese bejaht werden, überhaupt) keine subjektiven (Freiheits-)Rechte des Klägers beeinträchtigt, auch Art 2 Abs 1 GG und Art 14 Abs 1 GG in deren Schutzbereich nicht tangiert. Das BSG ist daher nicht befugt, im Wege einer "abstrakten Normenkontrolle" die Verfassungsmäßigkeit jener Regelungen zu thematisieren.

Dies gilt auch dann, wenn man - entgegen dem einfachen Gesetzesrecht des SGB VI - auch schon die Vorstufen eines Vollrechts auf Regelaltersrente (RAR) und eines Anwartschaftsrechts hierauf, nämlich die subjektiv-öffentlichen Rechte der Rentenanwartschaft oder des ihr vorgelagerten Anrechts, bereits als "vermögenswerte" subjektive Rechte des einzelnen Versicherten bewerten dürfte und als grundrechtliches Eigentum unter den Schutz des Art 14 Abs 1 GG stellt. Denn wenn das ändernde Gesetz bereits bestehende rentenversicherungsrechtliche subjektive vermögenswerte Rechte nicht beeinträchtigt, kann der Eigentümer nicht in seinem Renteneigentum verletzt sein. Wenn man freilich eine Beeinträchtigung des Renteneigentums annähme (so wohl BVerfG, Kammerbeschluss vom 3. Februar 2004, SozR 4-2600 § 237a Nr 1), wäre die Rechtfertigungsprüfung nach bislang anerkannter Grundrechtsdogmatik anhand erheblich strengerer Maßstäbe durchzuführen als bei einer Beeinträchtigung des Art 2 Abs 1 GG, da die Grundrechtsgarantien aus Art 2 Abs 1 und Art 14 Abs 1 und demgemäß auch die Anforderungen an die Rechtfertigung sich erheblich unterscheiden. Es liegt aber - wie sogleich aufzuzeigen ist - keine Beeinträchtigung des Gewährleistungsgehalts eines rentenversicherungsrechtlichen subjektiven Rechts vor. Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob eine Verletzung des Grundrechts auf Gleichbehandlung aus Art 3 Abs 1 GG vorliegt, wenn die Gesetzgebung inhaltsbestimmende Gesetze iS von Art 14 Abs 1 Satz 2 GG gleichheitswidrig ausgestaltet (siehe dazu unten 4. Teil).

I. Keine Beeinträchtigung von vermögenswerten subjektiven Rechten, die durch Art 14 Abs 1 GG geschützt werden

Art 14 Abs 1 GG ist weder direkt verletzt noch ein unter seinen Schutzbereich fallendes subjektives Recht des Klägers beeinträchtigt worden.

1. Keine Beeinträchtigung von direkten Gewährleistungsgehalten des Art 14 Abs 1 GG

Soweit der Kläger geltend macht, er habe schon vor Entstehung des Vollrechts auf Altersrente Renteneigentum iS von Art 14 Abs 1 GG gehabt, weist dies in das einfache Gesetzesrecht zurück. Denn nach Art 14 Abs 1 Satz 2 GG werden Inhalt und Schranken des Eigentums durch das einfache Gesetz bestimmt. Art 14 Abs 1 GG schützt (abgesehen von der sog Institutsgarantie) nur - unter weiteren Voraussetzungen - die durch das einfache Gesetz begründeten subjektiven vermögenswerten Rechte, also nur das durch ein Gesetz begründete Renteneigentum. Er schafft nicht selbst Renteneigentum. Eine mögliche Rechtsbeeinträchtigung und damit Rechtsverletzung beurteilt sich somit nach der einfach-gesetzlichen Ausgestaltung der subjektiv-öffentlichen Rechtspositionen.

2. Mangels Rechtsbeeinträchtigung ist weder das im Dezember 2001 entstandene Vollrecht noch das Gestaltungsrecht auf Begründung des Vollrechts noch ein vor Entstehung des Vollrechts gegebenes sonstiges subjektives Recht verletzt

Der Kläger beansprucht in erster Linie eine "abschlagsfreie Rente" ab 1. Januar 2002. Deshalb ist davon auszugehen, dass er nicht nur die am 1. Januar 1997 und 1. Januar 2000 durch das WFG und RRG 1999, sondern auch schon die durch das RRG 1992 für Bezugszeiten ab 1. Januar 1992 gestaltete Rechtslage beanstandet. Wie dargelegt, musste er nicht nur auf Grund der am 1. Januar 1997 und 1. Januar 2000 neu gestalteten Rechtslage durch das WFG und RRG 1992 bei Rentenbeginn Abschläge bei Inanspruchnahme einer Altersrente für langjährig Versicherte hinnehmen, sondern Abschläge hätten (für drei Monate) bereits auf Grund der durch das RRG 1992 geschaffenen Gesetzeslage vorgenommen werden müssen. Sein Sachantrag und Vorbringen ist somit dahin zu verstehen (§ 123 SGG), dass er die Einführung der Minderung des Zugangsfaktors seit dem 1. Januar 1992 für verfassungswidrig hält.

Der Kläger hat kein subjektiv-öffentliches Recht gegen die Beklagte auf Feststellung des begehrten Geldwerts seines Rechts auf Altersrente auf Grund eines öffentlich-rechtlichen Vertrags oder eines wirksamen Verwaltungsaktes; demzufolge kommen als möglicherweise verletzte subjektive Rechte nur solche des materiellen Gesetzesrechtes in Betracht. Hierbei sind nach dem Gesetz folgende "Stufen" auf dem Weg zum Erwerb des Vollrechts zu beachten (vgl hierzu: Urteil vom 29. April 1997, SozR 3-5060 Art 6 § 4 Nr 3 ≪S 21 f≫; Urteil vom 29. Januar 2004, B 4 RA 29/03 R, BSGE 92, 113, 125 = SozR 4-2600 § 46 Nr 1; Vorlagebeschlüsse vom 16. Dezember 1999, B 4 RA 18/99 R, S 32 f, 35 f, 40 und 63 des Umdrucks sowie B 4 RA 11/99 R, S 19 f des Umdrucks; Vorlagebeschluss vom 16. November 2000, B 4 RA 3/00 R, S 26 bis 30 des Umdrucks; Vorlagebeschluss vom 30. März 2004, B 4 RA 24/02 R, S 22 bis 24 des Umdrucks; Urteil vom 14. März 2006, B 4 RA 55/04 R, zur Veröffentlichung vorgesehen):

(1) Die erste und unterste Stufe subjektiver Berechtigungen in der Altersrentenversicherung ist das "Anrecht" auf eine Anwartschaft auf RAR, das mit der Begründung eines Rentenversicherungsverhältnisses - mit oder ohne eigene Beitragszahlung oder -tragung - entsteht.

(2) Die zweite Stufe bildet die Anwartschaft auf RAR, die der Versicherte erlangt hat, sobald er die allgemeine Wartezeit erfüllt hat, also das Entstehen des Vollrechts nur noch von der Vollendung des 65. Lebensjahres abhängt. Dieser Stufe ist auch die Anwartschaft auf das Gestaltungsrecht auf (vorzeitige) Altersrente zuzuordnen, wobei allerdings neben der allgemeinen Wartezeit noch zusätzliche Voraussetzungen erfüllt sein müssen.

(3) Die dritte Stufe wird durch das Anwartschaftsrecht auf RAR geprägt, bei dem es sich - anders als bei der Anwartschaft - um ein vermögenswertes Recht handelt, das Eigentumsschutz genießt. Auf dieser Stufe ist auch das Anwartschaftsrecht auf das Gestaltungsrecht auf (vorzeitige) Altersrente angesiedelt.

(4) Die vierte und letzte Stufe bildet das Vollrecht, als dessen Rechtsfrüchte die monatlichen Zahlungsansprüche (Einzelansprüche) entstehen.

Die am 1. Januar 1992 neu gestaltete Gesetzeslage und die nachfolgenden Gesetzesänderungen am 1. Januar 1997 und am 1. Januar 2000 haben den Kläger schon in keinem dieser subjektiv-öffentlichen Rechte beeinträchtigt und damit keines seiner subjektiven Rechte verletzt. Der Schutzbereich des Art 14 Abs 1 Satz 2 GG wird daher von vornherein nicht berührt, sodass es auf "Rechtfertigungsgründe" nicht ankommt.

a) Keine Beeinträchtigung des Vollrechts auf Altersrente

Das Vollrecht (das sogenannte Stammrecht) des am 28. Dezember 1938 geborenen Klägers auf Altersrente (hier auf der Rechtsgrundlage der Rente für langjährig Versicherte) ist nach wirksamer Ausübung des Gestaltungsrechts mit Ablauf des 27. Dezember 2001 (Vollendung des 63. Lebensjahres bei erfüllter Wartezeit) entstanden, und zwar mit dem zum Ersten des Kalendermonats nach Eintritt des Versicherungsfalls gegebenen Geldwert (vgl dazu ua: BSG, Urteil vom 23. August 2005, SozR 4-8570 § 4 Nr 4 ≪S 8 f≫), hier also zum 1. Januar 2002. Die von dem Kläger angegriffenen gesetzlichen Regelungen können schon deshalb keinen Substanzeingriff in den Zuweisungsgehalt (Gewährleistungsgehalt) dieses Vollrechts enthalten, weil dieses subjektive Recht erst unter ihrer Geltung entstanden ist. Sie sind die materiell-rechtlichen Regelungen, die erstmals den Geldwert dieses Vollrechts festgelegt haben. Das Gesetz, das dem Bürger ein subjektiv-öffentliches Recht zuerkennt, kann als erstes rechtsbegründendes Gesetz nicht selbst durch eine bestimmte Regelung (hier: Zuweisung eines bestimmten Zugangsfaktors) Rechtsmacht zuweisen und zugleich selbst in diese eingreifen. Schon deshalb liegt kein gesetzlicher Eingriff in den durch dasselbe Gesetz zugeordneten Vermögenswert vor.

b) Keine Beeinträchtigung einer Rentenanwartschaft auf das Vollrecht

Der Versicherte erwirbt eine Rentenanwartschaft, wenn er die allgemeine Wartezeit für eine RAR erfüllt hat.

Der am 28. Dezember 1938 geborene Kläger hatte bei Inkrafttreten des SGB VI am 1. Januar 1992 zwar noch kein Anwartschaftsrecht auf Altersrente, weil er zu diesem Zeitpunkt noch nicht das 54. Lebensjahr vollendet hatte (dazu sogleich unter Buchst c, bb), jedoch eine Rentenanwartschaft hierauf. Die Rentenanwartschaft ist ein subjektiv-öffentliches Recht, das dem Versicherten im Versicherungsverhältnis mit dem Versicherungsträger bereits im Vorleistungsstadium kraft Gesetzes zusteht, also bevor ein Versicherungsfall eintritt und infolgedessen ein Stammrecht (Vollrecht) auf Rente mit der Pflicht des Versicherungsträgers entsteht, die geschuldeten Versicherungsleistungen zu erbringen.

aa) Zum Bestand der Rentenanwartschaft

Dem Kläger stand am 1. Januar 1992 eine Rentenanwartschaft zu, weil er die allgemeine Wartezeit erfüllt hatte (zusammenfassend zur Rentenanwartschaft als subjektiv-öffentliches Recht: BSG, Urteil vom 29. Januar 2004, BSGE 92, 113, 125 ff, 130 ff).

Das rentenversicherungsrechtliche Sozialversicherungsverhältnis zwischen dem Versicherten und dem Versicherungsträger ist ein Dauerrechtsverhältnis und ein bedingtes Austauschverhältnis. Der Versicherte muss über eine Mindestzeit (sog Wartezeit) die gesetzlich vorgesehene Vorleistung (durch Erfüllung von Tatbeständen sog rentenrechtlicher Zeiten) erbringen; die (Gegen-)Leistungspflicht des Versicherungsträgers ist jedoch bedingt durch den Eintritt des jeweiligen Versicherungsfalles; er muss die gesetzlich versprochenen Versicherungsleistungen nur erbringen, wenn der Versicherungsfall eingetreten und damit das Vollrecht des Versicherten entstanden ist. Das bedeutet für den Versicherten in der Vorleistungsphase vor Eintritt des Versicherungsfalles jedoch nicht, dass ihm im Blick auf die von ihm später möglicherweise beanspruchbaren Versicherungsleistungen noch kein subjektiv-öffentliches Recht - außer Nebenrechten auf Beratung, Auskunft etc - zustünde.

bb) Zum Schutzbereich (Gewährleistungsgehalt) der Rentenanwartschaft

Im Kernsystem der pflichtversicherten Beschäftigten (§ 2 Abs 2 Viertes Buch Sozialgesetzbuch) und ggf der Selbstständigen bewertet das Gesetz materiell-rechtlich kalenderjährlich die Vorleistung des Versicherten in ihrem relativen Wert zur durchschnittlichen Vorleistung der pflichtversicherten Arbeitnehmer und bemisst sie in der "Kunstwährung der EP"; die Werte der Vorleistungen stehen jedenfalls in ihrem Mindestwert in jedem Kalenderjahr fest und werden Jahr für Jahr zusammengezählt (addiert). So wächst die Summe dieser rein relativen Vorleistungswerte im Vergleich zu den zeitgleich Versicherten Kalenderjahr für Kalenderjahr an. Sie drückt das Verhältnis aus, in dem der Versicherte im Vergleich zum Durchschnitt der Arbeitnehmer zur Erwirtschaftung der Erträge der Unternehmen beigetragen hat, aus denen in jedem Kalenderjahr jeweils die Rentenversicherungsträger durch Beiträge der Arbeitgeber und der Selbstzahler ua die Renten an die Rentner bezahlt haben (hierzu: BSG, Urteil vom 29. Juni 2000, BSGE 86, 262, 270 ff, Urteil vom 29. Januar 2004, BSGE 92, 113, 128 ff; siehe auch unten 4. Teil 2. Abschnitt Ziff I ).

Da die Vorleistung dem Versicherten im Kernsystem der gesetzlichen Rentenversicherung, die eine Zwangsversicherung ist, nicht als rein fremdnütziges Sonderopfer auferlegt werden darf, muss dem Einzelnen rechtlich garantiert werden, dass seine Vorleistung später nach denselben Grundsätzen berücksichtigt wird, die während der Vorleistungsphase für die Versicherungsleistungen an die Rentner galten (Systemversprechen).

Dies bedeutet gerade keine - systemwidrige - Festschreibung der einzelnen Versicherungsleistungen nach Art und Höhe, wie sie jeweils in der Vorleistungsphase bestanden haben, sondern allein die Fortführung der systemprägenden Grundsätze, wie sie für die jeweiligen Sparten der gesetzlichen Rentenversicherung kennzeichnend sind. Dazu gehören jedenfalls für die Mitglieder des Kernsystems (für freiwillige Beitragszahler dagegen nur eingeschränkt, dazu unten 4. Teil 1. Abschnitt Ziff III 1 Buchst b und 2) ua ein ausreichender Versicherungsschutz bei krankheits- oder behinderungsbedingter Minderung der Erwerbsfähigkeit in der Erwerbsminderungsversicherung, ein Versicherungsschutz bei altersbedingter Unzumutbarkeit des weiteren Einsatzes vorhandener Erwerbsfähigkeit in der Altersversicherung und eine Lebensversicherung des Versicherten auf den eigenen Todesfall zu Gunsten des Ehegatten und der unterhaltsberechtigten Kinder in der Hinterbliebenenversicherung. Ferner werden die Systemgrundsätze durch das Rentnerlohnprinzip geprägt, das den Rentnern eine Rentenhöhe in der Nähe der aktiven Versicherten gewährleistet, die im Wesentlichen von den relativen Vorleistungswerten des einzelnen Rentners sowie dynamisch von dem Arbeitsverdienst der aktuell Beschäftigten abhängt. Demgemäß betonen (derzeit) ua die §§ 34, 63 Abs 1 bis 3 SGB VI den engen Zusammenhang zwischen der kalenderjährlich für eine Mindestzeit (Wartezeit) erbrachten relativen Vorleistung mit dem nur unter der Bedingung des Eintritts des Versicherungsfalles ggf entstehenden Stammrecht auf Rente und dessen Geldwert.

Hieraus wird ersichtlich, dass das Gesetz dem Versicherten schon in der Vorleistungsphase nach Ablauf der Mindestversicherungszeit (allgemeinen Wartezeit), nach der die Entstehung eines Stammrechts bei Eintritt eines Versicherungsfalls möglich ist, die Befugnis zuerkennt, seine Lebensführung und Lebensplanung auf das Systemversprechen einzustellen. Denn es ist - anders als im Fürsorgerecht - gerade Aufgabe der gesetzlichen Rentenversicherung, den - ggf um Beitragszahlungen bei Selbstzahlern und unter Umständen um sogenannte Beitragsabzüge bei Beschäftigten verminderten - Arbeitsverdienst von weiteren Vorsorgekosten für krankheitsbedingte/behinderungsbedingte Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit, Alter und im Falle des Todes für den Unterhalt des Ehegatten und der Kinder nach Maßgabe der Systemgrundsätze freizustellen, die in der Vorleistungsphase galten. In diesem Sinne wird ihm ein Teilhaberecht zugeordnet, dessen Wert nicht in Geldbeträgen, sondern in Verhältniswerten (EP) bemessen ist, und ihm gewährleistet, nach Eintritt eines Versicherungsfalls einen "Rentnerlohn" in einem entsprechenden Verhältnis zum Durchschnittseinkommen der dann aktiven Arbeitnehmer zu erhalten, und ihn deshalb vor nachträglichen Entwertungen der bereits kraft Gesetzes erlangten Rangstelle schützt.

Schon in dieser Vorstufe zum Erwerb des Vollrechts liegt somit eine in EP bemessene "Rangstelle" innerhalb der Versichertengemeinschaft vor (so schon BVerfG, Beschluss vom 26. März 1980, BVerfGE 54, 11, 28), die einen Mindestwert an Teilhabeberechtigung bei Entstehung des Vollrechts gibt. Diese für den Inhaber nur rein abstrakt vermögenswerte "Anwartschaft" ist noch kein mit individuellem Vermögenswert ausgestattetes "Anwartschaftsrecht", das die dritte und letzte Vorstufe auf dem Weg zum Erwerb des Vollrechts kennzeichnet (dazu sogleich unter Buchst c). Ein solches Recht erfordert einen gewissen Grad der Verfestigung und Konkretisierung, damit es als gesicherte Vermögensposition Grundlage von konkreten Dispositionen des Berechtigten sein kann. Dies ist im Stadium der Anwartschaft noch nicht der Fall. Denn generalisierend und typisierend betrachtet, dh abstellend auf ein "normales" Versicherungsleben, können Versicherte, die früher mit dem 14., heute mit dem 17. Lebensjahr (vgl § 72 Abs 2 SGB VI) ins Erwerbsleben eintraten bzw treten, bereits mit Vollendung des 19. bzw 22. Lebensjahres die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren erfüllt haben. Zu diesem Zeitpunkt ist aber noch keine Position erreicht, die von ihrem konkret abschätzbaren wirtschaftlichen Gewicht her Schlüsse auf das Maß der mit dem Erwerb des Vollrechts verbundenen Alterssicherung zulässt und auf diese Weise selbst schon als Vorstufe hierzu einen Vermögenswert gibt, der Grundlage für weitere Vermögensdispositionen gerade im Blick auf die Alterssicherung sein kann. Dies erfolgt erst in einem deutlich späteren Alter (vgl dazu nachfolgend Buchst c, bb). Im Stadium der Anwartschaft weist das Gesetz dem Versicherten somit lediglich einen abstrakten, also noch keinen konkreten (Mindest-)Vermögenswert zu.

cc) Die Anwartschaft ist kein vermögenswertes Recht und unterfällt daher nicht dem Schutzbereich des Art 14 Abs 1 GG

Der Kläger hatte bei Inkrafttreten der erstmals durch das RRG 1992 eingeführten Abschlagsregelung, also am 1. Januar 1992, die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren mit Beitragszeiten für eine RAR (§ 35 SGB VI iVm den §§ 50 Abs 1 Nr 1, 51 Abs 1 und 4 aaO) erfüllt und somit eine Rentenanwartschaft auf das Vollrecht. Der Schutzbereich dieser Anwartschaft ist durch die Gesetzesänderung (wie auch die nachfolgenden Änderungen) nicht beeinträchtigt worden.

Der (bloß) abstrakte Vermögenswert der Anwartschaft besteht darin, dass seine Inhaber nach Maßgabe des Systemversprechens von weiteren Vorsorgeaufwendungen aus ihrem Arbeitsverdienst aus versicherter Beschäftigung oder Tätigkeit absehen können. Diese abstrakte wirtschaftliche Nützlichkeit vermittelt dem Einzelnen noch keine der Vermögensfreiheit unterfallenden konkreten Befugnisse. Die Anwartschaft ist daher kein vermögenswertes Recht und begründet noch kein vom Schutzbereich des Art 14 Abs 1 GG erfasstes Renteneigentum (vgl hierzu näher: Vorlagebeschlüsse des Senats vom 16. Dezember 1999, B 4 RA 49/98 R, S 30, 40 f des Umdrucks; B 4 RA 11/99 R, S 17 bis 19 des Umdrucks; B 4 RA 18/99 R, S 39 bis 41 des Umdrucks; B 4 RA 49/99 R, S 39 bis 42 des Umdrucks; Vorlagebeschluss vom 16. November 2000, B 4 RA 3/00 R, S 28 bis 31 des Umdrucks; Vorlagebeschluss vom 30. März 2004, B 4 RA 24/02 R, S 23 bis 25 des Umdrucks; offen gelassen in den Vorlagebeschlüssen des Senats vom 28. Oktober 2004, B 4 RA 42/02 R, B 4 RA 64/02 R, B 4 RA 3/03 R, B 4 RA 50/03 R sowie im Vorlagebeschluss vom 23. August 2005, B 4 RA 28/03 R, weil selbst bei Annahme eines der nächsten Stufe zuzuordnenden Anwartschaftsrechts dieses nicht in seinem Vermögenswert beeinträchtigt ist, dazu sogleich unter Buchst c, cc).

dd) Die fehlende Rechtsbeeinträchtigung schließt im Übrigen von vornherein einen Eingriff in den Schutzbereich von Freiheitsgrundrechten aus

Die Anwartschaft unterfällt nicht dem Schutzbereich des Art 14 Abs 1 GG, wohl aber dem des Art 2 Abs 1 GG (dazu: BSG, Urteil vom 14. März 2006, B 4 RA 55/04 R, zur Veröffentlichung vorgesehen). Auch der Schutzbereich des Art 2 Abs 1 GG ist nicht beeinträchtigt. Dieses würde im Übrigen auch gelten, wenn man wegen der abstrakten wirtschaftlichen Nützlichkeit der Anwartschaft deren Grundrechtsschutz aus Art 14 Abs 1 GG annähme.

Die Rechtsbeeinträchtigung ist vorliegend allerdings nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil eine Rentenanwartschaft eine bloße Aussicht auf Sonderrechte (Gestaltungsrechte auf Begründung eines Rechts auf Altersrente vor Vollendung des 65. Lebensjahres) nicht schützt. Anders als in den Fallgestaltungen, die den Vorlagebeschlüssen vom 28. Oktober 2004 (B 4 RA 42/02 R, B 4 RA 64/02 R, B 4 RA 3/03 R, B 4 RA 7/03 R und B 4 RA 50/03 R), die die Altersrente für Arbeitslose betrafen, und im Vorlagebeschluss vom 23. August 2005 (B 4 RA 28/03 R), der die Frauenaltersrente betraf, zu Grunde lagen, hatte der Kläger die - über die Erfüllung der allgemeinen Wartezeit hinausgehende - (einzige) Zusatzvoraussetzung für das Sonderrecht, ein Recht auf Altersrente wegen langjähriger Versicherung zu begründen, nämlich eine Wartezeit von 35 Jahren mit rentenrechtlichen Zeiten, im April 1990 erfüllt. Er hatte am 1. Januar 1992 somit nicht nur eine bloße Aussicht auf das Sonderrecht; seine Anwartschaft umfasste auch eine solche auf das Gestaltungsrecht. Eine Beeinträchtigung dieser Anwartschaft ist jedoch nicht gegeben, weil er das Gestaltungsrecht (Sonderrecht) erlangt hat und unverändert ausüben konnte und wirksam ausgeübt hat (dazu sogleich unter e).

c) Keine Beeinträchtigung des Rentenanwartschaftsrechts auf das Vollrecht

Ab Vollendung des 54. Lebensjahres weist das Gesetz der - bislang nur abstrakt vermögenswerten - Rentenanwartschaft einen konkreten, wenn auch hypothetischen (Mindest-)Vermögenswert als konkrete Grundlage für Vermögensverfügungen von erheblichem wirtschaftlichen Wert zu. Dadurch wird die Rentenanwartschaft zu einem vermögenswerten Recht des einzelnen Versicherten, das zweckmäßigerweise auch terminologisch von der bloßen Rentenanwartschaft zu unterscheiden ist. Hierfür bietet sich der juristisch allgemein für die letzte Vorstufe eines Vollrechts bekannte Ausdruck "Anwartschaftsrecht" an. Wie das Vollrecht unterfällt es als vermögenswertes Recht dem Eigentumsschutz des Art 14 Abs 1 GG.

aa) Zum Bestand des Rentenanwartschaftsrechts

Insoweit wird auf die Ausführungen zur Anwartschaft unter Buchst b, aa Bezug genommen. Sie gelten auch für das Rentenanwartschaftsrecht.

bb) Zum Schutzbereich (Gewährleistungsgehalt) des Rentenanwartschaftsrechts

Auch hier kann zunächst an die Ausführungen zur Anwartschaft unter Buchst b, bb angeknüpft werden. Über die dort aufgezeigten Charakteristika hinaus ist für das Anwartschaftsrecht kennzeichnend, dass es dem Inhaber einer Rentenanwartschaft einen konkreten, wenn auch hypothetischen (Mindest-)Vermögenswert in Höhe einer fiktiven Regelaltersrente zuweist.

Ohne dies spezifisch begrifflich oder an herausgehobener Stelle anzusprechen, gibt das SGB VI der Sache nach rechtsgrundsätzlich die Unterscheidung zwischen "Anwartschaft" und "Anwartschaftsrecht" vor. Dies folgt unmittelbar aus der § 109 SGB VI zu Grunde liegenden Wertung. § 109 Abs 1 Satz 1 SGB VI in der alten Fassung durch das RRG 1992 bestimmte, dass Versicherte, die das 55. Lebensjahr vollendet hatten, von Amts wegen Auskunft über die Höhe der "Anwartschaft" erhalten, die ihnen ohne weitere rentenrechtliche Zeiten als RAR zustehen würde. Mit Wirkung zum 1. August 1996 ist Abs 1 aaO durch das RuStFöG um den Satz 3 ergänzt worden. Danach haben Versicherte, die das 54. Lebensjahr vollendet haben, Anspruch auf Auskunft über die Höhe der Beitragszahlung, die zum Ausgleich einer Rentenminderung bei vorzeitiger Inanspruchnahme einer Rente wegen Alters erforderlich ist, und über die ihr zu Grunde liegende Altersrente, es sei denn, die Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine vorzeitige Rente wegen Alters ist offensichtlich ausgeschlossen. Eine solche mit Vollendung des 54. Lebensjahres zu erteilende "Rentenauskunft(s-berechnung)" bietet die Grundlage für eine auf die Abrundung und Ergänzung der Altersversorgung gerichtete Planung und entsprechende Vermögensverfügungen. Diese können nicht kurzfristig erfolgen. Deshalb gibt das Gesetz dem Versicherten ab 1. August 1996 mit Vollendung des 54. Lebensjahres (vorher nur ab Vollendung des 55. Lebensjahres) durchaus sachgerecht einen Rechtsanspruch auf Erteilung der Auskunft über den hypothetischen Geldwert eines unterstellten Vollrechts auf RAR, damit er für ggf weitere elf (vorher: zehn) Jahre die erforderliche Planung treffen kann.

Hierzu müssen die mitgeteilten Daten eine hinreichend verlässliche Berechnungsgrundlage für Vermögensdispositionen im Hinblick auf die Alterssicherung bieten. Insbesondere muss der hypothetische Mindestwert der künftigen RAR so sicher feststehen, dass das Gesetz verlässliche Auskünfte über die Höhe von Beitragszahlungen vorsehen kann, welche zum Ausgleich einer Rentenminderung bei vorzeitiger Inanspruchnahme einer Rente dienen. Damit ordnet das Gesetz ab diesem Zeitpunkt der subjektiv-rechtlichen Vorstufe des Vollrechts - erstmals - einen konkreten Vermögenswert zu, dessentwegen wirtschaftlich erhebliche Vermögensaufwendungen als zumutbar qualifiziert werden. Nach der § 109 SGB VI zu Grunde liegenden Wertentscheidung ist also der Zeitpunkt, in dem das subjektive Teilhaberecht der Rentenanwartschaft einen konkreten Vermögenswert erhält und sich dadurch in ein Anwartschaftsrecht auf eine (Regel-)Altersrente umwandelt, auf die Vollendung des 54. Lebensjahres zu fixieren (vgl hierzu auch: Vorlagebeschlüsse des Senats vom 16. Dezember 1999, B 4 RA 49/98 R, S 30, 40 f des Umdrucks; B 4 RA 11/99 R, S 17 bis 19 des Umdrucks; B 4 RA 18/99 R, S 39 bis 41 des Umdrucks; B 4 RA 49/99 R, S 39 bis 42 des Umdrucks; Vorlagebeschluss vom 16. November 2000, B 4 RA 3/00 R, S 28 bis 31 des Umdrucks; Vorlagebeschluss vom 30. März 2004, B 4 RA 24/02 R, S 23 bis 25 des Umdrucks).

An dieser gesetzlichen Wertentscheidung ändert sich dadurch nichts, dass § 109 Abs 1 Satz 1 SGB VI in der neuen Fassung durch das Altersvermögensgesetz vom 26. Juni 2001 (BGBl I 1310) mit Wirkung zum 1. Januar 2004 neben der Rentenauskunft zusätzlich eine unverbindliche Renteninformation für diejenigen Versicherten vorsieht, die das 27. Lebensjahr vollendet haben (dazu: Vorlagebeschluss vom 23. August 2005, B 4 RA 28/03 R, S 24 f des Umdrucks).

Der Kläger hatte mit Ablauf des 27. Dezember 1992 das 54. Lebensjahr vollendet und zu diesem Zeitpunkt auch die allgemeine Wartezeit erfüllt. Damit hatte sich die bisherige Anwartschaft in ein Rentenanwartschaftsrecht umgewandelt. Eine Verletzung seines von nun an bestehenden Renteneigentums durch die nachfolgenden Gesetzesänderungen ab 1997 ist aber schon mangels Rechtsbeeinträchtigung nicht gegeben.

cc) Keine Beeinträchtigung des Vermögenswertes eines Anwartschaftsrechts

Das Anwartschaftsrecht des Klägers auf Altersrente ist von keiner der angegriffenen Gesetzesänderungen in seinem Vermögenswert beeinträchtigt worden. Verfassungswidrig ist nur die zum 1. Januar 1997 aus politischen Gründen geschaffene Übergangsregelung, die in sich ungerechtfertigt gleichheitswidrig ausgestaltet ist (Vorlagefrage 1 Buchst a und b) sowie die lebenslange Abschmelzung des Vorleistungswertes (Vorlagefrage 2).

Die Gesetzesänderungen haben nicht in die vom Kläger erbrachte Vorleistung von insgesamt 59,4513 EP (darunter nach seinen Angaben mehr als 204.000 DM an freiwilligen Beiträgen) eingegriffen, sondern sich darauf beschränkt, Abschläge vom Zugangsfaktor 1,0 auszugestalten, falls die Altersrente "vorzeitig" in Anspruch genommen wird. Der hypothetische (Mindest-)Geldwert, der dem Anwartschaftsrecht auf Grund der Wertung des § 109 SGB VI zugewiesen ist, ist jedoch der Geldwert eines "normalen" Stammrechts (Vollrechts) auf RAR, das erst mit Vollendung des 65. Lebensjahres entsteht, also nicht der einer vorzeitigen Rente. Der Geldwert des Stammrechts auf RAR bestimmt sich weiterhin unter Zugrundelegung eines Zugangsfaktors von (mindestens) 1,0. Die Gesetzesänderungen betreffen ausschließlich den Geldwert eines Vollrechts auf Altersrente, wenn der Versicherte freiwillig dessen Entstehung "vorzeitig" herbeigeführt hat. Dies betrifft nicht den durch § 109 SGB VI zugewiesenen (Mindest-)Vermögenswert des Anwartschaftsrechts auf RAR, sondern nur zusätzliche Vermögensvorteile.

d) Keine Beeinträchtigung des Gestaltungsrechts auf Altersrente

Der Versicherungsfall des Alters besteht seit dem Gesetz betreffend die Invaliditäts- und Altersversicherung vom 22. Juni 1889 (RGBl S 97) nicht in einer wegen Alters vermuteten Erwerbsunfähigkeit, sondern in der Unzumutbarkeit des Einsatzes der vorhandenen Erwerbsfähigkeit, die wegen der mit dem Alter üblicherweise verbundenen Erschwernisse von der Gesellschaft (derzeit ab Vollendung des 65. Lebensjahres) angenommen wird. Versicherte, die unter besonderen Beschwernissen ihr Arbeitsleben verbracht haben oder besonders langjährig versichert waren, haben unter den für die verschiedenen Gruppen ausgestalteten besonderen gesetzlichen Voraussetzungen die Rechtsmacht erhalten, selbst den Zeitpunkt festzulegen, zu dem die weitere Erwerbsarbeit für sie unzumutbar wird. Sie legen also durch eigene (Willens-)Erklärung gegenüber dem Rentenversicherungsträger für diesen verbindlich fest, dass der Versicherungsfall des Alters (abweichend vom gesetzlichen Regelfall der Vollendung des 65. Lebensjahres) "frühzeitig" eingetreten ist. Mit dem ("gewillkürten") Eintritt des Versicherungsfalles entsteht - wie stets in der gesetzlichen Rentenversicherung - das Recht (Stammrecht, Vollrecht) auf Altersrente, wenn die Wartezeit erfüllt ist. Die einzige Rechtsfolge der Ausübung des Gestaltungsrechts (hier: auf Altersrente für langjährig Versicherte) ist somit der Eintritt des Versicherungsfalls des Alters und damit die Entstehung des Stammrechts auf Altersrente. Dessen Rechtsfrüchte (§ 99 Bürgerliches Gesetzbuch ≪BGB≫), die monatlichen Einzelansprüche, können sie mittels eines Rentenantrags (§ 99 SGB VI) geltend machen, der rechtlich von der Ausübung des Gestaltungsrechts zu unterscheiden ist, auch wenn dies in der Rechtsausübung häufig nicht deutlich wird; denn die Ausübung des Gestaltungsrechts beinhaltet im Regelfall sinngemäß zugleich die Stellung eines Rentenantrags, die Antragstellung stets zugleich die Ausübung des Gestaltungsrechts.

Der Kläger hat erst mit Ablauf des 27. Dezember 2001 das 63. Lebensjahr vollendet, also die Altersgrenze erreicht, von der ab überhaupt erst die Voraussetzungen für das Gestaltungsrecht auf Altersrente für langjährig Versicherte erfüllt sein können, falls die Wartezeit von 35 Versicherungsjahren gegeben ist. Bei Inkrafttreten der drei hier maßgeblichen Gesetzesänderungen am 1. Januar 1992, 1. Januar 1997 und 1. Januar 2000 hatte er noch kein Gestaltungsrecht, das von den Änderungen hätte betroffen werden können.

e) Keine Beeinträchtigung der Anwartschaft oder des Anwartschaftsrechts auf das Gestaltungsrecht

Ist zwar die Wartezeit erfüllt, aber das 63. Lebensjahr noch nicht vollendet, entsteht frühestens mit Vollendung des 54. Lebensjahres nicht nur ein Anwartschaftsrecht auf das Vollrecht, sondern auch auf das Gestaltungsrecht, ein Recht auf Altersrente schon vor Vollendung des 65. Lebensjahres in Anspruch nehmen zu können. Allerdings setzt das Anwartschaftsrecht auf das Gestaltungsrecht voraus, dass - außer der Vollendung des jeweils geforderten Lebensalters - alle in den jeweiligen Tatbeständen vorgesehenen Zusatzvoraussetzungen erfüllt sind. Anders als in den Tatbeständen einer Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit oder für Frauen erfordert der Tatbestand einer Altersrente für langjährig Versicherte "nur" die Erfüllung einer besonders langen Wartezeit, nämlich von 35 Versicherungsjahren. Für vorhergehende Zeiten kann nur eine Anwartschaft auf ein Gestaltungsrecht bestehen.

Der Kläger hatte diese besondere Wartezeit mit Ablauf des Monats April 1990 erfüllt, das 54. Lebensjahr aber erst mit Ablauf des 27. Dezember 1992 vollendet. Am 1. Januar 1992 hatte er daher noch kein Anwartschaftsrecht auf ein Gestaltungsrecht, sondern allenfalls eine Anwartschaft hierauf. Ein Anwartschaftsrecht auf das Gestaltungsrecht bestand dagegen bei Inkrafttreten der nachfolgenden Gesetzesänderungen am 1. Januar 1997 und 1. Januar 2000. Weder die Anwartschaft noch das Anwartschaftsrecht sind durch die Gesetzesänderungen beeinträchtigt worden. Diese haben bezüglich jener Rechtspositionen die Gesetzeslage nicht verändert. Demzufolge konnte der Kläger sein Gestaltungsrecht auf Altersrente, und zwar auf der Rechtsgrundlage einer solchen für langjährig Versicherte, ohne Einschränkungen ausüben. Hiervon hat er im Rahmen seines Widerspruchs gegen die Entscheidung der Beklagten Gebrauch gemacht, mit der diese es abgelehnt hatte, die Entstehung des Rechts auf Altersrente auf der Rechtsgrundlage einer Altersrente nach Altersteilzeitarbeit festzustellen. Auf Grund der Ausübung des Gestaltungsrechts und der damit sinngemäß zugleich verbundenen Rentenantragstellung hat er mit Vollendung seines 63. Lebensjahres im Dezember 2001 ein Stammrecht auf Altersrente erlangt hat, aus dem ab Beginn des darauf folgenden Monats (Januar 2002) regelmäßig monatlich wiederkehrende Einzelansprüche geflossen sind bzw fließen. Die Änderungen ab 1992 haben nicht die Anwartschaft oder das Anwartschaftsrecht auf das Gestaltungsrecht beeinträchtigt.

f) Keine Beeinträchtigung eines "Anrechts" auf eine Rentenanwartschaft

Das aus der Begründung eines Rentenversicherungsverhältnisses und dem damit verbundenen Erwerb der Mitgliedschaft entstehende Anrecht gewährleistet dem Versicherten lediglich die Möglichkeit, das Versicherungsverhältnis fortzusetzen und nach Erfüllung der allgemeinen Wartezeit eine Anwartschaft auf eine (Regel-)Altersrente zu erwerben. Sie verleiht ihm also lediglich die "Aussicht", eine Anwartschaft zu erwerben. Diese Rechtsposition ist durch die Gesetzesänderungen ab 1992 nicht beeinträchtigt worden. Es ist daher nicht weiter darauf einzugehen, dass ein solches "Anrecht" ohnehin nicht dem Schutzbereich des Art 14 Abs 1 GG unterfällt.

II. Keine Beeinträchtigung der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art 2 Abs 1 GG)

Die allgemeine Handlungsfreiheit des Klägers aus Art 2 Abs 1 GG wird durch die Gesetzesänderungen nicht beeinträchtigt. Dies liegt für die sog natürliche Handlungsfreiheit auf der Hand. Soweit Art 2 Abs 1 GG iVm dem sog Rechtsstaatsprinzip vor verfassungswidrigen Belastungen einfachgesetzlich gewährter subjektiver Rechte schützt, liegt keine Beeinträchtigung subjektiver Rechte des Klägers vor; denn subjektive einfach-gesetzliche Rechte des Klägers, welche durch die angegriffenen Gesetzesänderungen beeinträchtigt und ggf verletzt werden könnten, standen ihm - wie ausgeführt - nicht zu. Ein subjektives Recht des Einzelnen, auf den Fortbestand einer objektiven Gesetzeslage vertrauen zu können, die ihm günstig ist und Aussichten auf den späteren Erwerb von Rechten vermittelt hat, gibt es nicht. Soweit das objektive Recht nicht zugleich dem Einzelnen auch subjektive Rechte vermittelt, berühren Gesetzesänderungen subjektive Rechte nicht und können sie schon deshalb nicht verletzen.

III. Kein Recht auf Unterlassen von Gesetzesänderungen

Ein allgemeines subjektives Recht des Einzelnen gegen den Staat auf Unterlassung als nachteilig empfundener Gesetzesänderungen gibt es nicht. Ein konkretes Unterlassungsrecht gegen die gesetzgebende Gewalt wurde für den Kläger auch nicht dadurch begründet, dass das RRG 1992 ua das seit 1973 bestehende Gestaltungsrecht für langjährig Versicherte wirtschaftlich unattraktiver gemacht hat. Falls das Gestaltungsrecht "vorzeitig" ausgeübt und dadurch ein Stammrecht auf Altersrente begründet wird, wird dessen Geldwert dadurch gekürzt, dass ein Teil der individuellen Vorleistung dauerhaft unberücksichtigt bleibt. Dies geschieht mittels Absenkung des Zugangsfaktors. Das RRG 1992 hat dabei den Beginn der Wirksamkeit dieser Rechtsänderung aufschiebend auf Bezugszeiten ab 1. Januar 2001 befristet. Das Gesetz hat aber durch diese aufschiebende Befristung keine subjektiv-öffentlichen Rechte der einzelnen Versicherten gegen die gesetzgebende Gewalt des Bundes etwa mit dem Inhalt begründet, eine Verkürzung dieser aufschiebenden Frist (Vorverlegung auf den 1. Januar 2000) oder eine Neugestaltung der Übergangsregelung zu unterlassen. Da die neue, aufschiebend befristete Übergangsregelung bei ihrem Inkrafttreten in kein bestehendes Gestaltungsrecht und in kein Anwartschaftsrecht hierauf einwirkte, handelte es sich objektiv um eine Billigkeitsregelung, mit der politisch/sozialpsychologisch zugleich einer schon damals die Gesetzeslage zu gesetzesfremden Zwecken ausnutzende "Frühverrentungspraxis" und einer entsprechenden gesetzesfremden Erwartungshaltung entgegengewirkt werden sollte. Eine objektive Selbstbindung des damaligen Deutschen Bundestages, er selbst und seine Nachfolger dürften die Abschlagsregelung weder vorziehen noch ändern, ist dadurch nicht verlautbart worden. Erst recht fehlt jeder Hinweis darauf, es solle den einzelnen Versicherten ein einklagbares Recht auf Unterlassung solcher Änderungen zugestanden werden.

4. Abschnitt: Keine gleichheitswidrige gesetzliche Ausgestaltung des Geldwertes des Vollrechts (Stammrechts), abgesehen von den Vorlagefragen

Die vom Kläger angegriffenen Abschlagsregelungen seit dem RRG 1992, die das Revisionsgericht in der neuen, für Altersrenten jedoch inhaltlich unveränderten Fassung des § 77 SGB VI durch das EM-ReformG als Prüfungsmaßstab zu Grunde zu legen hat, haben kein subjektiv-öffentliches Recht des Klägers beeinträchtigt, das vor Entstehung des Vollrechts auf Altersrente im Dezember 2001 mit einem zum 1. Januar 2002 gegebenen Wert bestanden hat; ein solches Recht können sie daher erst recht nicht verletzt haben.

Falls die Vorlagefragen zu bejahen sind, liegt auch keine verfassungswidrige Ausgestaltung des zum 1. Januar 2002 gegebenen Geldwerts des Vollrechts (Stammrechts) auf Altersrente vor. Sein Grundrecht auf Gleichheit vor dem Gesetz ist nicht durch gleichheitswidrige Zuordnung von Vollrechten verletzt worden.

I. Zur Möglichkeit einer Gleichheitsverletzung

Das Fehlen einer Substanzbeeinträchtigung schließt nicht aus, dass der Vermögenswert des eigentumsgeschützten Vollrechts zum Nachteil des Rechtsinhabers unter Verstoß gegen sein Grundrecht auf Gleichheit vor dem Gesetz (Art 3 Abs 1 GG) ausgestaltet ist. Eine gleichheitswidrige Zuweisung von subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt das Recht eines jeden Versicherten auf Gleichheit vor dem Gesetz.

§§ 236 Abs 1, 77 Abs 2 Satz 1 Nr 1 und Nr 2 Buchst a SGB VI unterscheiden zwischen der ("normalen") Inanspruchnahme einer RAR, einer frühzeitigen und "vorzeitigen" Inanspruchnahme und einer frühzeitigen, aber "nicht vorzeitigen" Inanspruchnahme der Altersrente, bei der die Absenkung des Zugangsfaktors unterbleibt, obwohl die Rente vor Vollendung des 65. Lebensjahres in Anspruch genommen wird. Ferner wird mittels § 77 Abs 2 Satz 1 Nr 2 Buchst b SGB VI noch die Nichtinanspruchnahme einer RAR begünstigt, indem der Zugangsfaktor erhöht wird. Der Senat hat sich bei der hier allein zu prüfenden Abschlagsregelung nach Ausübung des Gestaltungsrechts für langjährig Versicherte im Ergebnis nicht iS von Art 100 Abs 1 GG davon überzeugen können, dass die Zuweisung unterschiedlicher Vermögenswerte trotz gleicher Vorleistung an RAR-Rentner, frühzeitige Rentner ohne Abschlag und an "vorzeitige" Rentner (der Fall des hinausgeschobenen Bezugs kann hier außer Betracht bleiben) und die daran anknüpfenden weiteren Ungleichbehandlungen innerhalb der Gruppe der "vorzeitigen" Rentner (mit Ausnahme der in den Vorlagefragen angesprochenen Ungleichbehandlungen) für die Übergangszeit bis Ende 2003, dh bis zum Wirksamwerden der Neuregelung ab 1. Januar 2004 für Geburtsjahrgänge ab 1950, mit Art 3 Abs 1 GG nicht vereinbar sind.

II. Keine Verfassungswidrigkeit der Einführung von Abschlägen mit Wirkung zum 1. Januar 2000 für eine Übergangszeit und der Neugestaltung der Altersrente für langjährig Versicherte ab 2004

1. Zur Systemwidrigkeit einer abschlagsfreien Altersrente vor Vollendung des 65. Lebensjahres

Seit 1973 führte ua die Ausübung des Gestaltungsrechts "Altersrente für langjährig Versicherte„ zum Entstehen eines Stammrechts auf Altersrente, dessen Geldwert (Monatsbetrag der Rente) unvermindert war, obwohl der Berechtigte mindestens einen Monat und höchstens 24 Monate zusätzliche Rentenbeträge erhielt. Auf die Einführung von Abschlägen wegen des vorzeitigen Rentenbezugs ist im RRG 1972 verzichtet worden, weil man diese sozialpolitisch nicht für vertretbar angesehen hatte (siehe oben 1. Teil 1. Abschnitt Ziff II 2). Die Berechtigten hatten also einen zusätzlichen Vermögensvorteil im Vergleich mit einem Versicherten, der mit gleicher Vorleistung RAR bezog. Ihr Vorteil gegenüber dem RAR-Rentner bestand erstens in dem - systemgemäßen - Recht, Altersrente überhaupt schon vor Eintritt des gesetzlich bestimmten (Regel-)Versicherungsfalls der Vollendung des 65. Lebensjahres beziehen zu dürfen; zweitens wurde ihnen darüber hinaus auch der Vermögensvorteil zuerkannt, bis zu 24 Kalendermonate an zusätzlichen Rentenbeträgen über die RAR hinaus ohne besondere Vorleistung hierfür zu erhalten. Dies galt auch dann, wenn sie dieselbe Vorleistung wie ein Versicherter erbracht hatten, der erstmals kraft Gesetzes mit Vollendung des 65. Lebensjahres ein Stammrecht auf Altersrente erlangte. Das Gesetz behandelte also alle "vorzeitigen Altersrentner" bei der Altersrente für langjährig Versicherte untereinander gleich und bevorzugte sie jedoch nicht nur zeitlich durch eine längere Rentenlaufzeit, sondern ohne Rechts- oder Sachgrund und zu Lasten der Beitragszahler auch im Vermögenswert (bis zu 24 zusätzliche Rentenbeträge) gegenüber RAR-Rentnern mit gleicher Vorleistung für die gesetzliche Rentenversicherung. Eine Finanzierung aus Staatsmitteln (Steuern) dieser "aus sozialpolitischer Rücksichtnahme" eingeführten zusätzlichen Vermögensvorteile aus frühzeitigen Renten war - und ist - nicht vorgesehen.

Es bedarf heute keiner Prüfung mehr, ob diese krass systemwidrige Ungleichbehandlung im Beitrags- und Vermögenswert trotz gleicher Vorleistung verfassungsgemäß war. Für die - in der rechtlichen Problematik vergleichbare - Altersrente für Frauen wurde das in der Entscheidung des BVerfG vom 28. Januar 1987 (1 BvR 455/82, BVerfGE 74, 163; DAngVers 1987 S 189) nicht beanstandet, aber auch nicht einmal andeutungsweise geprüft.

2. Zum Gebot der Einführung von Abschlägen und zur Neugestaltung der Altersrente für langjährig Versicherte

Mit der ursprünglich ab 1. Januar 2001 vorgesehenen Einführung von Abschlägen schaffte das SGB VI idF des RRG 1992 diese Systemwidrigkeit ab (jedenfalls vom Grundsatz her, auch wenn der Abschlag möglicherweise immer noch zu niedrig ist, um die Vermögensvorteile auszugleichen; dazu unten 4. Teil 2. Abschnitt Ziff 3 Buchst c). Das Vorziehen der Regelung auf den 1. Januar 2000 durch das WFG stößt schon deshalb auf keine verfassungsrechtlichen Bedenken, weil die Verfassung keinen Schutz für die Aufrechterhaltung einer systemwidrigen Ungleichbehandlung gibt, es vielmehr verfassungsrechtlich geboten war, diese Ungleichheit abzuschaffen. Dieses Gebot hätte es auch gerechtfertigt, von der Schaffung einer Übergangsregelung - hier für den Zeitraum bis Ende 2003 - abzusehen. Die Neugestaltung der Altersrente für langjährig Versicherte in § 36 SGB VI idF des RRG 1999 trägt dem Gebot, eine vorzeitige Inanspruchnahme der Rente vor Vollendung des 65. Lebensjahres systemgemäß mit Abschlägen zu verbinden, im Grundsatz Rechnung. Die Absenkung der Altersgrenze vom vollendeten 63. auf das 62. Lebensjahr begründet insoweit keine neue systemwidrige Ungleichbehandlung mit den RAR-Rentnern, weil hierfür ggf auch entsprechende Abschläge für drei Jahre (= 36 Kalendermonate) vorgesehen sind.

3. Die Altersrente für langjährig Versicherte weist keine rechtlichen Besonderheiten auf, die ein Festhalten an der "abschlagsfreien Rente" geboten hätten

Die Einführung dieser Rechtsgrundlage für ein Gestaltungsrecht auf Begründung eines Rechts auf Altersrente zum 1. Januar 1973 durch das RRG 1972 war verfassungsrechtlich nicht geboten; sie beruhte ausschließlich auf sozialpolitischen Erwägungen.

Hierbei hatte der vom Abgeordneten Bredl in der 160. Sitzung des Deutschen Bundestages am 16. Dezember 1971 (6. Wahlperiode, S 9294 D) angegebene Grund, die flexible Altersgrenze habe auch einen sehr beachtlichen sozialen gesundheitspolitischen Hintergrund, nämlich den Charakter einer Wiedergutmachung für ältere Arbeitnehmer, die die volle Last des Krieges und vor allen Dingen die Last des Wiederaufbaus der deutschen Wirtschaft getragen hätten (vgl oben 1. Teil 1. Abschnitt Ziff II 2), im Zeitpunkt des Inkrafttretens des § 41 Abs 2 SGB VI alter Fassung am 1. Januar 1992 und der damit verbundenen Ankündigung einer Anhebung der Altersgrenzen und Einführung von Abschlägen ab (damals noch) 1. Januar 2001 sicherlich seine Bedeutung verloren. Dagegen waren einige andere sozialpolitische Erwägungen, wie sie insbesondere in der Begründung des Regierungsentwurfs (BT-Drucks VI/2916, S 37 f) und des Ausschussberichts (zu BT-Drucks VI/3767, S 5 f) ihren Niederschlag gefunden hatten, auch bei Inkrafttreten des SGB VI am 1. Januar 1992 sowie bei den nachfolgenden Gesetzesänderungen am 1. Januar 1997 durch das WFG und am 1. Januar 2000 durch das RRG 1999 nicht aufgegeben worden. Grund für die Einführung eines flexiblen ARG für langjährig Versicherte war nach den Erklärungen in den sogenannten Gesetzesmaterialien, dass die Altersgrenze von 65 Jahren der unterschiedlichen Leistungsfähigkeit der älteren Versicherten nur unzulänglich Rechnung trage; die Leistungskurve des Menschen hänge nicht nur von seinem Alter ab, sondern verlaufe je nach körperlich-geistig-seelischer Konstitution und den an ihn gestellten Berufsanforderungen sehr unterschiedlich. Deshalb sollten alle Versicherten, die eine Vorversicherungszeit von 35 anrechnungsfähigen Versicherungsjahren zurückgelegt hätten, von der Vollendung des 63. Lebensjahres an entsprechend ihrem Leistungsvermögen und ihren persönlichen Verhältnissen frei entscheiden können, ob sie ARG beziehen oder weiterarbeiten wollen. Eine Rechtfertigung dafür, das frühere Ausscheiden mit einer gleichheitswidrigen Belastung der Beitragszahler und mit individuell durch Vorleistungen nicht erworbenen Vermögensvorteilen zu verbinden, ergab sich aus diesen Erwägungen nicht. Auch hat der Staat die Kosten dieser Wohltaten Dritten aufgebürdet und nicht selbst finanziert.

Der Gesetzentwurf berücksichtigte neben den Ergebnissen einer Meinungsumfrage die arbeitsmarktpolitischen, volkswirtschaftlichen und finanziellen Notwendigkeiten und Möglichkeiten zu einer flexibleren Gestaltung der Altersgrenze. Verfassungsrechtliche Erwägungen finden sich dort nicht. Es gab und gibt aber kein verfassungsrechtliches Gebot, frühzeitige Altersrenten einzuführen. Demzufolge stehen auch einer Abschaffung verfassungsrechtliche Verbote grundsätzlich nicht entgegen. Das liegt im Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers zumal dann, wenn die maßgeblichen arbeitsmarktpolitischen, volkswirtschaftlichen und finanziellen Voraussetzungen sich seit der Einführung geändert haben (die Ergebnisse einer Meinungsumfrage sind jedenfalls rechtlich ohne jede Relevanz). Nur verfassungsrechtlich gewährleistete subjektive Rechte können insoweit die gesetzgebende Gewalt begrenzen. Dies ist im vorliegenden Fall nicht weiter zu vertiefen. Denn die frühere sozialpolitische Entscheidung, langjährig Versicherten die Möglichkeit eines vorzeitigen Rentenbezugs zu eröffnen, ist nicht rückgängig gemacht. Diese Form der Altersrente kann weiterhin von langjährig Versicherten beansprucht werden, ab 2004 sogar ab Vollendung des 62. Lebensjahres.

Geändert wurde ausschließlich, dass nach dem 31. Dezember 1936 geborene Versicherte durch die Ausübung ihres Gestaltungsrechts seit dem 1. Januar 2000 ein Recht auf Altersrente begründen können, ohne dass die Vermögensvorteile aus dem frühzeitigen Rentenbezug durch einen niedrigeren Höchstwerts des Rechts auf Rente (teilweise) ausgeglichen werden. Schon bei Einführung des flexiblen ARG war diskutiert worden, ob dessen Inanspruchnahme nicht mit Abschlägen zu verbinden sei (vgl oben 1. Teil 1. Abschnitt Ziff II 2). Ohne die verfassungsrechtliche Problematik der systemwidrigen Ungleichbehandlung der Regel-ARG-Rentner zu erörtern, wurde in den Gesetzesmaterialien - wie die Einführung des flexiblen ARG - auch der Verzicht ausschließlich mit sozialpolitischen Erwägungen begründet (vgl zu BT-Drucks VI/3767, S 6). Wie die Ausführungen des damaligen Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung Arendt in der 160. Sitzung des Deutschen Bundestages am 16. Dezember 1971 (6. Wahlperiode, S 9234 D, 9235 A) belegen, ging man davon aus, dass die damit verbundenen Rentenkürzungen den Versicherten nicht zumutbar seien, ohne die verfassungsrechtliche Problematik der rechtsgrundlosen Vermögensvorteile gegenüber den Regel-ARG-Rentnern und die der ungerechtfertigten und gleichheitswidrigen Zusatzbelastungen der Arbeitgeber und anderer Beitragsschuldner anzusprechen. Gesehen wurde lediglich die finanzielle Dimension, nämlich die Belastbarkeit des Systems. Dies zeigt die Bemerkung des damaligen Ministers Arendt, soziale Gerechtigkeit erfordere auch die Berücksichtigung der Finanzlage, und die für die Reform der Rentenversicherung notwendigen finanziellen Mittel müssten erst noch erarbeitet werden, und zwar von den Beitragszahlern.

Bei Verabschiedung des RRG 1972 ging man offenkundig davon aus, dass diese Belastungen für die Beitragsschuldner, also vor allem für die Arbeitgeber und die als Selbstständige Versicherten, tragbar sein würden. Diese Einschätzung ist ua auch auf Grund der geänderten arbeitsmarktpolitischen, volkswirtschaftlichen und finanziellen Bedingungen revidiert worden. Weil die hier umstrittene Abschaffung der Abschlagsfreiheit eines Teils der frühzeitigen Renten in den Schutzgehalt subjektiver Rechte der Begünstigten nicht eingreift, ist hierauf nicht weiter einzugehen. Die Einführung von Abschlägen - auch - bei der Altersrente für langjährig Versicherte ist daher nicht zu beanstanden.

4. Zur verfassungsrechtlich nicht erforderlichen, aber vertretbaren Billigkeitsregelung für die Übergangszeit vom 1. Januar 2000 bis 31. Dezember 2003

Auf dieser Grundlage war der Senat nicht davon überzeugt, dass die Differenzierungen in den Übergangsregelungen bis zur Neugestaltung dieses Gestaltungsrechts ab 2004 gleichheitswidrig waren (mit Ausnahme der Vorlagethemen), obwohl in mehrfacher Hinsicht Differenzierungen zwischen Personen vorgenommen werden, deren Vereinbarkeit mit dem Gleichheitssatz bei einer auf Dauer angelegten Gesetzgebung fraglich ist. Allerdings folgt hieraus bzw aus dem Umstand, dass die Altersrente für langjährig Versicherte möglicherweise auch ganz hätte abgeschafft werden können, nicht, eine Übergangsregelung dürfe in sich verfassungswidrig ausgestaltet sein. Entscheidet sich der Gesetzgeber aus Billigkeit und aus Gründen des politischen (nicht rechtlichen) "Vertrauensschutzes", der die allgemeine Akzeptanz einer künftig wirksam werdenden Änderung fördern soll, dazu, ein Rechtsinstitut - ohne Eingriff in subjektive Rechte - nicht sofort, sondern erst nach einer Übergangszeit mittels einer Übergangsregelung zu ändern, muss diese - verfassungsrechtlich nicht gebotene - Übergangsregelung gleichwohl selbst den Anforderungen der Verfassung genügen; sie ergeht nicht in einem "verfassungsfreien" Raum. Dabei muss andererseits stets berücksichtigt werden, dass es gerade Aufgabe einer Übergangsregelung ist, die Betroffenen nach ihrer sachlichen und zeitlichen Nähe zum Erwerb eines im neu gestalteten Institut vorgesehenen Rechts sachangemessen ungleich zu behandeln.

Der Senat, der - nur - die Übergangsregelungen für die "Altersrente für langjährig Versicherte" und dabei nur die Verschiebungen der Grenze zwischen ungekürztem und gekürztem Geldwert des Stammrechts, also die gleitenden Verschiebungen der "Vorzeitigkeit" im Vergleich zu den Gruppen von Altersrentnern ohne Abschläge zu prüfen hat, hält die Differenzierungen nach Ausmaß und Intensität für noch nicht gleichheitswidrig.

III. Zur vermögensrechtlichen Besserstellung der "frühzeitigen", aber "nicht vorzeitigen" Rentner

Seit dem 1. Januar 2000 unterscheidet das Gesetz innerhalb der Gruppe derjenigen, welche die Inanspruchnahme der Altersrente für langjährig Versicherte vorziehen können. Diejenigen, welche die Rente nach den Tabellenwerten "vorzeitig" beziehen, müssen dauerhaft, dh für die gesamte Dauer des Altersrentenbezuges (und einer Hinterbliebenenrente), einen Abschlag vom Zugangsfaktor 1,0 in Höhe von 0,003 für jeden Monat des "vorzeitigen" Rentenbezugs hinnehmen. Dies gilt auch dann, wenn ihr Vorteil aus dem vorzeitigen Bezug durch den ab Rentenbeginn laufenden Abschlag längst abgeschmolzen ist (Vorlagefrage 2). Das Gesetz verbindet den Ausdruck der "vorzeitigen" Inanspruchnahme immer mit der Rechtsfolge einer Absenkung des Zugangsfaktors.

Demgegenüber bleibt eine Gruppe von Versicherten mit gleicher Vorleistung (Summe der EP), die die Rente ebenfalls vor Vollendung des 65. Lebensjahres in Anspruch nehmen, auf Lebenszeit in ungeschmälertem Genuss ihrer zusätzlichen Vermögenswerte; hierbei handelt es sich um die Geburtsjahrgänge bis Dezember 1936. Diese frühzeitigen, aber nicht "vorzeitigen" Rentner werden sowohl im Vergleich mit den "vorzeitigen" Rentnern als auch mit den RAR-Rentnern trotz gleicher Vorleistung vermögensrechtlich auf Kosten Dritter besser gestellt.

IV. Zu den Differenzierungen unter den "vorzeitigen" Rentnern und gegenüber den sonstigen frühzeitigen Rentnern

1. Zur Rechtfertigung der abgestuften Ungleichbehandlung

Grundsätzlich differenziert das Gesetz zwischen drei Gruppen, nämlich

(1) den von § 236 Abs 1 Satz 2 bis 4 iVm Anlage 21 SGB VI erfassten Versicherten, die nach dem 31. Dezember 1936 geboren sind, wobei für die Jahrgänge 1948 und 1949 eine Sonderregelung besteht; diese Gruppe muss die in der Anlage 21 ausgestaltete Anhebung der Altersgrenze und die damit verbundene Minderung des Zugangsfaktors grundsätzlich uneingeschränkt hinnehmen (1. Stufe = Grundregelung);

(2) den Versicherten, denen aus den in § 236 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB VI genannten Gründen und in den dort genannten Grenzen im Wesentlichen die Übergangsregelung des RRG 1992 erhalten geblieben ist; danach müssen die nach dem 31. Dezember 1936, aber vor dem 1. Januar 1938 geborenen Versicherten (also der Geburtsjahrgang 1937) keinen Abschlag hinnehmen, während bei den übrigen vor dem 1. Januar 1942 geborenen Versicherten - wie nach dem durch das RRG 1992 geschaffenen Recht - eine Anhebung der Altersgrenzen in Drei-Monats-Schritten erfolgt (2. Stufe); die hier nicht relevante Nr 2 aaO orientiert sich an den Billigkeitsregelungen bei der Altersrente für Arbeitslose (§ 237 Abs 4 Nr 1 Buchst a SGB VI) und für Frauen (§ 237a Abs 3 Nr 1 Buchst a SGB VI), weil die Betroffenen ohne den Bezug von Vorruhestandsgeld oder Überbrückungsgeld arbeitslos gewesen wären;

(3) den vor dem 1. Januar 1937 geborenen Versicherten, auf welche keine Abschlagsregelung Anwendung findet, unabhängig davon, wann das Gestaltungsrecht oder ein Anwartschaftsrecht hierauf entstanden war (3. Stufe).

Die Ungleichbehandlung dieser Gruppen von Versicherten sogar bei gleicher Vorleistung für die gesetzliche Rentenversicherung rechtfertigt sich allein aus dem Programm der gleitenden Abschaffung des systemwidrigen Vermögensvorteils bei vorgezogener Inanspruchnahme der Altersrente. Dass Personen in dieses Programm nicht einbezogen wurden, bei denen typischerweise davon auszugehen war, dass sie im Zeitpunkt seiner Einleitung bereits ein Gestaltungsrecht oder eine Anwartschaft hierauf erworben hatten, also den systemwidrigen Vorteil im Regelfall auch schon erlangt hatten, ist beim Übergang vom systemwidrigen zum systemgemäßen Zustand ua schon deshalb hinnehmbar, weil anderenfalls typischerweise ein auch verfassungsrechtlich problematischer Eingriff in ein zuerkanntes Recht erforderlich geworden wäre.

2. Anlage 21 zum SGB VI ist in sich nicht gleichheitswidrig ausgestaltet

Schließlich sind Anhaltspunkte weder dargetan noch ersichtlich, die Ausgestaltung der Anlage 21 zum SGB VI sei in sich gleichheitswidrig. Sie führt für Geburtsjahrgänge ab Januar 1937 in (24) Monatsschritten zur Abschmelzung des "vorzeitigen Vermögensvorteils", bis mit dem Geburtsmonat Dezember 1938 alle Bezugszeiten vor der Vollendung des 65. Lebensjahres in die Abschmelzung einbezogen werden. Da der Kläger im Dezember 1938 geboren ist, waren bei ihm zunächst bei Rentenbeginn 24 Kalendermonate an zusätzlichem Rentenbezug abzuschmelzen, wie auch durch die Rentenhöchstwertfestsetzung vom 12. Februar 2002 entschieden worden ist, die auf der Rechtsgrundlage einer Altersrente für langjährig Versicherte erfolgte. Nur der Wechsel der Rechtsgrundlage führt ab 1. Juli 2003 dazu, dass der Zugangsfaktor für sechs Monate zu erhöhen ist, also "nur" eine Abschmelzung für 18 Kalendermonate verblieb.

3. Grundsätzlich gleichheitsgemäße Ausgestaltung des § 236 Abs 2 SGB VI (vorbehaltlich der in den Vorlagefragen angesprochenen Themen)

Die zweite Stufe der durch § 236 Abs 2 Satz 1 SGB VI Geschützten ist in sich (mit Ausnahme der in den Vorlagefragen angesprochenen Themen) noch gleichheitsgemäß ausgestaltet worden. Die zwei Gründe für eine Sonderbehandlung des dort erfassten Personenkreises beruhen auf dem Rechtsgedanken, dass bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die Entscheidung der Bundesregierung zu einer Gesetzesinitiative zwecks Neugestaltung der Abschlagsregelung auch für langjährig Versicherte in der Öffentlichkeit allgemein bekannt war (1996), auf Grund von grundsätzlich nicht mehr rückgängig zu machenden Dispositionen nach dem Stichtag eintreten würden. Hierbei wurde aus Billigkeitsgründen berücksichtigt, dass das bisherige Gestaltungsrecht mit seinen systemwidrigen Vermögensvorteilen im privatrechtlichen Rechtsverkehr, vor allem im Arbeitsrecht, Kalkulationsgrundlage für privatrechtliche Entscheidungen über die Beendigung von Arbeitsverhältnissen gewesen war.

3. Abschnitt: Resümee

Falls die Vorlagefragen zu bejahen sind, ist das von der Beklagten gesetzmäßig angewandte Gesetz verfassungsgemäß, sodass das SG die Klagen zu Recht abgewiesen und das LSG die Berufung zu Recht zurückgewiesen hat, soweit nicht beide Entscheidungen durch den vor dem BSG geschlossenen Teilvergleich gegenstandslos geworden sind; die Revision des Klägers muss ggf zurückgewiesen werden.

4. Teil: Zur Vorlagepflicht nach Art 100 Abs 1 GG

1. Abschnitt: Zu den Vorlagefragen 1

Der Senat ist iS des Art 100 Abs 1 GG davon überzeugt, dass der zum 1. Januar 2002 gegebene Geldwert des mit Ablauf des 27. Dezember 2001 entstandenen Stammrechts (Vollrechts) des Klägers auf Altersrente, das grundrechtliches Eigentum iS von Art 14 Abs 1 GG ist, durch die "45-Jahre-Klausel" des § 236 Abs 2 Satz 1 Nr 1 iVm § 77 Abs 2 Satz 1 Nr 2 Buchst a SGB VI gleichheitswidrig ausgestaltet worden ist, ohne dass eine verfassungskonforme Auslegung der gesetzlichen Regelungen möglich ist; ferner kommt es für die Entscheidung des Revisionsgerichts darauf an, ob und mit welchem Inhalt die gesetzgebende Gewalt die gleichheitswidrigen gesetzlichen Regelungen ersetzen muss.

Diese Sonderregelung gehört zur Stufe 2 der Differenzierungen unter den "vorzeitigen" Rentnern und begünstigt diese gegenüber denjenigen der Grundregelung der Stufe 1 (Anlage 21 zum SGB VI). Sie wurde durch das RRG 1999 mit Wirkung zum 1. Januar 2000 als § 236 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB VI eingefügt. Sie enthält eine gleichheitswidrige Inhaltsbestimmung des Renteneigentums iS von Art 14 Abs 1 Satz 2 GG iVm Art 3 Abs 1 GG und eine gleichheitswidrige Benachteiligung von Versicherten, die Kinder erzogen haben (Art 3 Abs 1 GG iVm Art 6 Abs 1 GG). Die durch Sachgründe nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung liegt darin, dass vor dem 1. Januar 1942 geborene Versicherte in die Begünstigungsstufe 2 nicht mit einbezogen worden sind, die eine (wenigstens) gleich hohe Vorleistung für die gesetzliche Rentenversicherung erbracht haben wie die Begünstigten. Es wurde nur der Zeit-, nicht aber der Wertaspekt der Vorleistung berücksichtigt. Ebenso verletzt die Nichtberücksichtigung von freiwilligen Beiträgen das Gleichbehandlungsgebot.

Die Vorlagefrage 1 untergliedert sich in zwei „Unterfragen„, die nachfolgend getrennt behandelt werden.

I. Zur Vorlagefrage 1 Buchst a

1. Zur Ausgestaltung der "45-Jahre-Klausel", "Gesetzesmaterialien" und zu ihren empirischen Grundlagen

a) Rechtliche Vorgaben

Nach § 236 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB VI wird die Altersgrenze von 63 Jahren für langjährig Versicherte, die vor dem 1. Januar 1942 geboren sind und 45 Jahre (540 Kalendermonate) mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben, in der Weise angehoben, wie sie bereits in der Übergangsregelung des RRG 1992 vorgesehen war (dazu näher oben 1. Teil 2. Abschnitt Ziff I). Dabei ist § 55 Abs 2 SGB VI nicht für Zeiten anzuwenden, in denen Versicherte wegen des Bezuges von Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe versicherungspflichtig waren (Abs 2 Satz 2 aaO, ab 1. Januar 2005 auch wegen des Bezuges von Alg II). Wie bereits ausgeführt, hat der am 28. Dezember 1938 geborene Kläger zwar insgesamt 548 Beitragsmonate im Wert von 59,4513 EP erbracht, jedoch nur 126 für eine versicherungspflichtige Beschäftigung. Er hat also keine "45 Jahre mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit". Die Regelung behandelt rückschauend Versicherte, die eine gleich hohe (oder höhere) Vorleistung, jedoch in kürzerer Zeit, für die Rentenversicherung erbracht haben, im Nachhinein ungleich, indem sie insoweit nur auf den Zeitaspekt abstellt; ferner werden Versicherte, die unter Umständen auf Grund von freiwilligen Beiträgen (evtl iVm Pflichtbeiträgen) eine gleiche oder höhere Vorleistung im Vergleich zu Versicherten mit (45 Jahren an) Pflichtbeiträgen erbracht haben, nachträglich schlechter behandelt als diese.

b) "Schweigen" der Gesetzesmaterialien

Die sog Gesetzesmaterialien (oben 1. Teil 2. Abschnitt Ziff II 2) geben keinen Aufschluss darüber, aus welchem Grund und zu welchem Zweck die Begünstigungsgrenze "45 Jahre mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit" (unter Ausschluss der Beitragszeiten wegen des Bezuges von Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe) zum einen gerade an dieser Stelle gezogen worden ist und warum zum anderen freiwillige Beiträge dabei unberücksichtigt bleiben.

In den Materialien (BT-Drucks 13/8011, S 50) wird hierzu ausgeführt, dass die mit dem RuStFöG im Zusammenhang mit der Anhebung der Altersgrenzen für die Altersrenten an Arbeitslose, Frauen und "langjährig Versicherte" geschaffenen Vertrauensschutzregelungen erweitert werden sollten, und zwar auf alle Versicherten der Geburtsjahrgänge vor 1942, die mindestens 45 Jahre mit Pflichtbeiträgen haben. Diese Versicherten sollten weiterhin die bis 1996 geltenden Altersgrenzen für die Altersrente ohne Abschläge erhalten. Um hierdurch allerdings "keine neuen Gestaltungsmöglichkeiten in Richtung von Frühverrentungen zu Lasten der Sozialversicherung zu eröffnen", sollten die Pflichtbeitragszeiten wegen Bezuges von Lohnersatzleistungen der Bundesanstalt für Arbeit nicht angerechnet werden.

Soweit der Wortlaut dieser Erläuterungen andeuten könnte, "Vertrauensschutzregelungen" für langjährig Versicherte seien bereits durch das RuStFöG eingeführt worden, ist dieser Eindruck zu korrigieren. Das RuStFöG wie auch das nachfolgende WFG haben derartigen Regelungen für die Altersrente an langjährig Versicherte nicht vorgesehen. Das RuStFöG hat bestimmte Vertrauensschutzregelungen nur im Rahmen der Vorziehung der Anhebung der Altersgrenzen für die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit und nach Altersteilzeitarbeit eingeführt (§ 237 Abs 2 SGB VI aF; ab 1. Januar 2000 Teil des § 237 Abs 4 SGB VI); das WFG hat dann im Zusammenhang mit dem Vorziehen der Altersgrenzen auch für Frauen hieran anknüpfende Vertrauensschutzregelungen für diese Form der Altersrente übernommen (§ 237a Satz 1 SGB VI aF; ab 1. Januar 2000 Teil des § 237a Abs 3 SGB VI). Die für Arbeitslose und Frauen durch das RuStFöG bzw WFG eingeführten Vertrauensschutzregelungen enthielten noch nicht den Tatbestand der "45-Jahre-Klausel". Dieser ist sowohl für diese beiden Formen der Altersrente als auch für langjährig Versicherte erstmalig durch Art 1 Nr 76 des RRG 1999 mit Wirkung zum 1. Januar 2000 eingeführt worden. Durch diese Billigkeitsregelung sind somit allein die Vertrauensschutzregelungen für die Altersrenten an Arbeitslose und Frauen, nicht aber an langjährig Versicherte "erweitert" worden; für diese ist sie eingeführt worden.

Im Übrigen geben die Gesetzesmaterialien noch zu erkennen, dass von der Billigkeitsregelung alle Versicherten der Geburtsjahrgänge vor 1942 begünstigt werden sollten, also diejenigen, die 1996 das 55. Lebensjahr vollendet hatten. Schließlich wird noch erläutert, warum Beitragszeiten wegen des Bezugs von Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe nicht angerechnet werden sollen. Einen Sachgrund dafür, warum zum einen die Grenzziehung bei 45 Jahren und zum anderen nur für Pflichtbeitragszeiten für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit erfolgte, warum also Vorleistungen zur gesetzlichen Rentenversicherung auf Grund von freiwilligen Beiträgen unberücksichtigt bleiben, geben die Gesetzesmaterialien nicht an (vgl BT-Drucks 13/8011, S 50).

c) Zu den empirischen und versicherungsmathematischen Grundlagen

Nach den statistischen Unterlagen (veröffentlicht in: "Rentenversicherung in Zeitreihen", herausgegeben vom Verband Deutscher Rentenversicherungsträger, VDR e.V., Juli 2004, DRV-Schriften Bd 22 S 105) hatten bei Ausübung des Gestaltungsrechts "Altersrente für langjährig Versicherte" Männer im alten Bundesgebiet durchschnittlich im Jahre 1992 (Inkrafttreten des RRG 1992) 46,1 Versicherungsjahre, im Jahre 1997 (Inkrafttreten des WFG) 45,8 Versicherungsjahre, im Jahre 2000 (Inkrafttreten des RRG 1999) 45,9 Versicherungsjahre und im Jahr 2003 46,3 Versicherungsjahre durchschnittlich zurückgelegt. In den neuen Bundesländern waren es im Jahre 1993 (eine Angabe für 1992 fehlt) 47,7 Versicherungsjahre, im Jahre 1997 47,1 Versicherungsjahre und in den Jahren 2000 und 2003 jeweils 46,4 Versicherungsjahre.

Bei den angegebenen Versicherungsjahren handelt es sich aber nicht ausschließlich um "Jahre mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit", sondern jeweils um die Summe aus allen Beitrags- und beitragsfreien Zeiten; daher liegen die in § 236 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB VI vorausgesetzten "45 Jahre mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit" erheblich über den Werten, die typischerweise von Versicherten erlangt werden. Zugleich liegt es auf der Hand, dass Frauen auf Grund ihrer typischen Versicherungsbiographie die Begünstigungsgrenze erheblich seltener erreichen können als Männer. Bei den "Renten wegen Arbeitslosigkeit (oder Altersteilzeitarbeit)" hatten männliche Versicherte im alten Bundesgebiet 1997 durchschnittlich 43 Versicherungsjahre und im Jahr 2003 durchschnittlich 44,5 Versicherungsjahre zurückgelegt; in den neuen Bundesländern waren es 1997 durchschnittlich 44,4 bzw 2003 45,7 Jahre). Aus den oa statistischen Unterlagen ergibt sich ferner, dass die männlichen Versicherten, die im alten Bundesgebiet bei Vollendung des 65. Lebensjahres die RAR in Anspruch nehmen, durchschnittlich eine wesentlich geringere Anzahl von Versicherungsjahren zurückgelegt haben als diejenigen, die das Gestaltungsrecht auf eine Altersrente für langjährig Versicherte ausgeübt haben (1992: 26,5 Versicherungsjahre, 1997: 25,6 Versicherungsjahre, 2000: 25 Versicherungsjahre und 2003: 26,2 Versicherungsjahre). Demgegenüber weisen die Versicherungsbiographien von Männern in den neuen Bundesländern, die eine RAR in Anspruch genommen haben, gegenüber den Beziehern einer Altersrente für langjährig Versicherte keine und nur wesentlich geringere Differenzen auf (1993: 48,9 Versicherungsjahre, 1997: 45,9 Versicherungsjahre, 2000: 46,4 Versicherungsjahre und 2003: 43,7 Versicherungsjahre). Frauen, die eine RAR in Anspruch nehmen, haben sowohl in den alten als auch neuen Bundesländern erheblich weniger Versicherungsjahre zurückgelegt als die Bezieherinnen einer Altersrente für langjährig Versicherte (im alten Bundesgebiet: 1992: 15,2 Versicherungsjahre, 1997: 14,3 Versicherungsjahre, 2000: 13,4 Versicherungsjahre und 2003: 13,3 Versicherungsjahre; in den neuen Bundesländern: 1993: 10,2 Versicherungsjahre, 1997: 23,9 Versicherungsjahre, 2000: 27,1 Versicherungsjahre und 2003: 26,6 Versicherungsjahre).

Die veröffentlichten versicherungsmathematischen Untersuchungen zum vorzeitigen Rentenbezug bieten keine gesicherten bzw repräsentativen empirischen Belege dafür, dass eine typische Sondergruppe der allein wegen versicherter Beschäftigung oder Tätigkeit langjährig Versicherten existiert, die mit 63 Jahren oder kurz darauf 45 Jahre mit derart qualifizierten Pflichtbeiträgen hat.

Dies ergibt sich ua daraus, dass alle Untersuchungen unter der Prämisse erfolgten, der vorzeitige Rentenbeginn müsse innerhalb einer Zeitspanne von etwa 30 bis 40 Jahren für die Rentenversicherung mathematisch als kostenneutral dargestellt werden können. Daher kam es auf Art und Umfang der individuellen Vorleistung der Versicherten nicht an (Müller, DRV 1983 S 89 ≪102≫; ders in Blätter der Deutschen Gesellschaft für Versicherungsmathematik 1983 S 69 ≪70≫; Ohsmann/Stolz/Thiede, DAngVers 2003 S 171 ≪174≫). Demzufolge waren für diese versicherungsmathematischen Berechnungen empirische Untersuchungen zu typischen Versicherungsbiografien nicht erforderlich. Datenerhebungen zu Versicherungsbiografien erfolgten, wenn überhaupt, nur durch Stichproben (1996, 2000, 2001) für Versicherte, die innerhalb eines bestimmten Jahres eine Altersrente auch tatsächlich vorzeitig in Anspruch genommen hatten (Ohsmann/Stolz/Thiede, DAngVers 2003 S 171 ≪174≫; vgl neuerdings Kaldybajewa/Thiede, DAngVers 2004 S 497 ≪498≫). Allerdings ist nicht ersichtlich, dass dabei nach der Art des ausgeübten Gestaltungsrechts bei vorzeitigem Rentenbeginn differenziert wurde, sodass typische Versicherungsbiografien in Bezug auf ein bestimmtes Gestaltungsrecht und das Lebensalter bei seiner Ausübung nicht Gegenstand der Untersuchungen waren. Nicht erfasst und nicht in die Modellrechnungen einbezogen wurden außerdem diejenigen Versicherten, die zwar innerhalb des jeweiligen Jahres sämtliche Voraussetzungen für die vorzeitige Altersrente erfüllt, also ein besonderes Gestaltungsrecht hatten, jedoch davon keinen Gebrauch gemacht haben. Schließlich ist die Aussagefähigkeit der in den versicherungsmathematischen Untersuchungen verwendeten Daten auch insoweit begrenzt, als unterschiedliche rechtliche Begriffe (Versicherungsjahre, Beitragsjahre, Pflichtbeiträge, Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit) trotz unterschiedlicher gesetzlicher Definition synonym verwendet oder teils nicht entsprechend der gesetzlichen Definition zu Grunde gelegt wurden (Ohsmann/Stolz/Thiede, DAngVers 2003 S 171; vgl neuerdings Kaldybajewa/Thiede, DAngVers 2004 S 497 ≪499≫). Das BSG hat noch folgende weitere Quellen gesichtet: Müller , Ein Modell zur Berechnung versicherungsmathematischer Abschläge in der gesetzlichen Rentenversicherung, Blätter der Deutschen Gesellschaft für Versicherungsmathematik 1983 S 2 bis 29; Müller , Zur Herabsetzung der Altersgrenze, DRV 1983 S 89 bis 117; Winter , Weniger Rentenabschläge durch Altersteilzeitarbeit?, Nachrichten der LVA Baden 2000 S 59 bis 65; Salthammer , Berechnung von versicherungsmathematischen Abschlägen bei vorzeitigem Rentenbezug im Umlageverfahren, DRV 2003 S 613 bis 619; Ohsmann/Stolz/Thiede , Rentenabschläge bei vorgezogenem Rentenbeginn: Welche Abschlagssätze sind "richtig"?, DAngVers 2003 S 171 bis 179; Raulf/Gunia , Zwang zur geschlechtsneutralen Kalkulation in der betrieblichen Altersversorgung?, NZA 2003 S 534 bis 540; Kroker/Pimpertz , Frühverrentung. Zu billig weggekommen, Anlage zu: Direkt - Presseinformationen aus dem Institut der Deutschen Wirtschaft Köln, Jg 30, Nr 2 vom 6. Januar 2004; dieselben , Belastungsneutrale Abschläge bei Frühverrentung, iw-trends 4/2003 S 1 bis 10; Kaldybajewa/Thiede , Abschlagsfreier vorzeitiger Rentenbeginn für langjährig Versicherte?, DAngVers 2004 S 497 bis 505.

2. Zur rechtlichen Bedeutung der "45-Jahre-Klausel"

a) Keine Wartezeit, sondern Begünstigungsgrenze

Bei der "45-Jahre-Klausel" des § 236 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB VI geht es nicht darum, ein zeitliches Mindestmaß an Vorleistungen für die Entstehung des Gestaltungsrechts "Altersrente für langjährig Versicherte" festzusetzen. Vielmehr handelt es sich um die Unterscheidung zwischen Personengruppen, denen gemeinsam ist, dass sie das Gestaltungsrecht erworben und ausgeübt und ein Stammrecht auf Altersrente erlangt haben. Hierbei geht es um die Grenzziehung zwischen der ersten und zweiten Stufe der Differenzierung zwischen den Rentnern, die ihr Gestaltungsrecht ausgeübt haben (dazu oben 3. Teil 4. Abschnitt Ziff V), bei dem Kläger also darum, ob statt der allgemeinen Grenzziehung in Anlage 21 SGB VI die für ihn günstigere Grenzziehung in § 236 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB VI anwendbar ist. Dies hätte ggf zur Folge, dass er zum 1. Januar 2002 die Altersrente nur um drei Monate "vorzeitig" in Anspruch genommen hätte, nicht aber - wie nach Maßgabe der Anlage 21 SGB VI - um 24 Monate. Im 3. Teil (aaO) wurde bereits ausgeführt, dass die "Vorzeitigkeit" Bedeutung nur für den Geldwert des entstandenen Stammrechts auf Altersrente hat, dass also nur das Tatbestandsmerkmal "vorzeitig in Anspruch genommen" in § 77 Abs 2 Satz 1 Nr 2 Buchst a SGB VI ausgefüllt wird; diese Vorschrift ist selbst nur ein Faktor der Rentenformel des § 64 SGB VI, die den Geldwert eines Stammrechts auf Rente regelt.

b) Die "Vorzeitigkeitsgrenze" bestimmt die Unbeachtlichkeit erbrachter Vorleistungen

Der sog Abschlag vom Zugangsfaktor um 0,003 je Kalendermonat, um den die Rente vorzeitig in Anspruch genommen wird, bedeutet rechtlich die Entscheidung, dass die in der Summe der EP bemessene Vorleistung des Versicherten in entsprechendem Umfang für die Höhe seiner Rente (und ggf einer davon abgeleiteten Hinterbliebenenrente) endgültig unberücksichtigt bleibt. Im Falle des Klägers sind dies ab 1. Januar 2002 7,2 vH seiner gesamten Vorleistung und ab 1. Juli 2003 5,4 vH. Bei der Begünstigungsgrenze des § 236 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB VI von "45 Jahren mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit" handelt es sich also inhaltlich um die Festlegung des Ausmaßes, in dem die nach dem SGB VI zuvor erbrachte und abschließend bewertete Vorleistung dauerhaft für unbeachtlich erklärt wird.

3. Zur Gleichheitswidrigkeit der "45-Jahre-Klausel"

Die gesetzliche Grenzziehung ist - vor allem - unter den drei nachfolgend anzusprechenden Aspekten ungerechtfertigt gleichheitswidrig.

a) Ungerechtfertigte Benachteiligung von Versicherten mit höherer Vorleistung

Versicherte mit Pflichtbeitragszeiten wegen einer versicherten Beschäftigung oder Tätigkeit haben in der Regel höchst unterschiedliche Vorleistungen erbracht. Dies berücksichtigt § 236 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB VI nicht, sondern behandelt alle Versicherten allein auf Grund der Anzahl solcher Pflichtbeitragsmonate gleich. Dies führt ggf dazu, dass Versicherte mit höherer Vorleistung ohne sachlich rechtfertigenden Grund schlechter behandelt werden als Versicherte mit einer deutlich niedrigeren Vorleistung.

Die erste Vergleichsgruppe bilden die Versicherten, die in den 45 Jahren mit solchen Pflichtbeiträgen (= 540 Beitragsmonate) nur "geringes Arbeitsentgelt" erzielt und deshalb über lange Zeit Vorleistungen für die gesetzliche Rentenversicherung nur mit geringem Wert erbracht haben. Der relative Wert ihrer Vorleistung wird allerdings für langjährig Versicherte für Beitragszeiten vor 1992 gemäß § 262 SGB VI im Wege des sozialen Ausgleichs auf Mindest-EP von höchstens 0,75 je Kalenderjahr angehoben, da sie auf jeden Fall 35 Jahre rentenrechtliche Zeiten haben (sonst könnten sie das Gestaltungsrecht nicht ausüben). Legt man insgesamt einen durchschnittlichen Vorleistungswert von jährlich 0,75 EP (also ggf auch für Zeiten ab 1992) zu Grunde, hätten sie in 45 Jahren 33,75 EP erreicht; je nach den Vorleistungswerten ab 1992 wäre in diesen Fällen der Gesamtvorleistungswert niedriger oder höher als 33,75 EP. Demgegenüber wird die Vergleichsgruppe, die zwar in kürzerer Zeit, aber mit Beitragszeiten mehr als jedenfalls 33,75 EP vorgeleistet und evtl auch mehr als die 45 EP eines sogenannten Eckrentners erworben hat, schlechter behandelt.

Unabhängig davon, ob es gerechtfertigt werden kann, Beitragszeiten und daraus erworbene Vorleistungswerte außer Betracht zu lassen, die nicht auf pflichtversicherter Beschäftigung oder Tätigkeit, sondern auf anderen gesetzlichen Voraussetzungen beruhen (dazu sogleich unter Ziff II), ist das alleinige Abstellen auf den Zeitfaktor sachlich nicht zu rechtfertigen. Aus den "Gesetzesmaterialien" ergibt sich hierzu - wie dargelegt - nichts. Ein Sachbezug zwischen der Frage, in welchem Umfang die Höhe der erbrachten Vorleistung eines Versicherten für unbeachtlich erklärt werden soll, und der Dauer seiner Pflichtbeitragszeiten für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit ist nicht gegeben, die Verknüpfung dieser Umstände vielmehr sachfremd. In der Summe der EP ist ein Zeitbezug nur insoweit enthalten, als sie eine Summe aus je Kalenderjahr erworbenen EP aus allen Beitrags- und beitragsfreien Zeiten ist. Nur unter diesem Gesichtspunkt ist der Zeitfaktor "45 Jahre" (ohne Begrenzung auf Pflichtbeitragszeiten wegen versicherter Beschäftigung oder Tätigkeit) von Bedeutung für den Vorleistungswert. Die "45-Jahre-Klausel" stellt auch nicht auf die sog Eckrente ab, also auf eine Versicherungszeit von 45 Jahren mit durchschnittlicher Vorleistung von 45 EP; sie benennt auch keinen anderen Vorleistungswert. Nur indirekt ergibt sich aus dem Zeitrahmen als Anhaltspunkt ein Vorleistungswert für Beitragszeiten vor 1992 in Höhe der Mindest-EP des § 262 SGB VI von höchstens 33,75 EP. Dadurch aber werden außerdem auch Versicherte von der günstigeren Übergangsregelung ausgeschlossen, die allein auf Grund von Pflichtbeitragszeiten wegen versicherter Beschäftigung oder Tätigkeit eine höhere Vorleistung als jedenfalls 33,75 EP in kürzerer Zeit erbracht haben.

Allerdings ist der Senat der Auffassung, dass diese sachwidrige und nicht begründbare Ungleichbehandlung gleicher Sachverhalte auf verschiedene Art und Weise beseitigt werden kann. Dem Gesetzgeber kommt dabei ein weiter Gestaltungsspielraum zu, der insoweit nur dadurch begrenzt ist, dass gleiche Vorleistungswerte zu gleichen Rechtsfolgen führen.

b) Ungerechtfertigte Benachteiligung der 63-jährigen "vorzeitigen" Altersrentner

Die "45-Jahre-Klausel" (mit "Pflichtbeiträgen für eine Beschäftigung oder Tätigkeit") ist auch deswegen gleichheitswidrig, weil sie die günstigere Zuordnung nur nach dem Zufallsprinzip vorsieht und nur für die ganz überwiegende Zahl von Fällen greift, in denen die Begünstigten außerdem noch in bei Inanspruchnahme der vorzeitigen Altersrente älter als 63 Jahre sein müssen, um überhaupt die Voraussetzung erfüllen zu können. Der Gesetzestext erweckt den Schein, das Gesetz bilde eine Sondergruppe der langjährig wegen versicherter Beschäftigung oder Tätigkeit Pflichtversicherten. Es schließt davon aber faktisch die 63-jährigen "vorzeitigen" Rentner aus, weil die Anwendungsvoraussetzung mit 63 Jahren im Regelfall nicht erfüllbar ist, und beruht auf keiner erkennbaren empirischen Grundlage.

aa) Im Gesetzgebungsverfahren zum RRG 1999 (dazu oben 1. Teil, 2. Abschnitt, IV) hat der vom Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung gehörte Sachverständige Prof. Dr. Ruland (VDR e.V.) auf die Frage, wie viele Personen von dieser Übergangsregelung betroffen sein dürften, mitgeteilt, er müsse leider passen; was den genauen Umfang des Personenkreises anbetreffe, sei man immer auf Schätzungen angewiesen (Sitzungsprotokoll über die 107. Sitzung des Ausschusses am 16. Juli 1997, S 43). Der Sachverständige, der keinen Schätzwert angab, sagte zwar zu, sich nachträglich um eine schriftliche Auskunft zu der Frage bemühen zu wollen; jedoch findet sich im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens kein Hinweis, dass er eine solche Auskunft gegeben hätte. Der Sachverständige Michaelis (damals Mitglied der Geschäftsführung der Beklagten) hat auf neuere Untersuchungen zum Rentenzugang 1995 hingewiesen (Sitzungsprotokoll, aaO, S 22); dazu liegen inzwischen die oben (Rentenversicherung in Zeitreihen, ua S 103 ff) genannten Daten vor. Da diese Untersuchungen - wie schon vom Sachverständigen Michaelis angekündigt - sich auf die Frage beziehen, wie viele Versicherte mehr als 45 Versicherungsjahre bzw Jahre mit allen Beitrags- und beitragsfreien Zeiten haben, lassen sie jedoch nur den Schluss zu, dass seit 1992 - wenn überhaupt - nur äußerst wenige Personen im Alter von 63 Jahren bei Ausübung des Gestaltungsrechts für langjährig Versicherte die 45 Jahre ausschließlich an Pflichtbeitragszeiten wegen versicherter Beschäftigung oder Tätigkeit zurückgelegt haben können. Dieser äußerst kleine Personenkreis wird ohne Sachgrund besser gestellt als Rentner, die zum selben Zeitpunkt eine höhere Vorleistung auf Grund anderer gesetzlicher Pflichtbeitragszeiten erbracht hatten.

bb) Die Willkürlichkeit der Begünstigung dieser wenigen Personen folgt augenfällig schon aus der Gestaltung des Gesetzestextes selbst. Wer bei Inkrafttreten der Regelung am 1. Januar 2000 bereits 63 Jahre alt oder älter war (bis Ende 1936 geborene Versicherte), wurde von vornherein nicht durch Anlage 21 SGB VI von einem Abschlag betroffen; § 236 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB VI war für sie bedeutungslos.

Wer erst ab 1. Januar 2000 das 63. Lebensjahr vollendet und gemäß § 236 Abs 1 Satz 1 SGB VI ein Gestaltungsrecht auf Altersrente für langjährig Versicherte erlangt hat, kann bis zu diesem Zeitpunkt 45 Jahre mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit nur zurückgelegt haben, wenn er vom Tag der Vollendung des 14. Lebensjahres, dem früher erstmöglichen Eintrittsdatum, bis zur Vollendung des 63. Lebensjahres mit allenfalls vierjähriger Unterbrechung (zB durch Arbeitsunfähigkeit, Arbeitslosigkeit, Schwangerschaft oder Kindererziehung, soweit sie nicht Beitragszeit war) in einer pflichtversicherten Beschäftigung oder Tätigkeit gestanden hat. Es liegt auf der Hand, dass eine solche Versicherungsbiografie äußerst untypisch ist. 63-jährige "vorzeitige" Rentner werden also faktisch stets und auch bei höherer Vorleistung ausgeschlossen.

cc) Gleiches gilt, wenn das Gestaltungsrecht "Altersrente für langjährig Versicherte" erst nach Vollendung des 63. Lebensjahres ausgeübt wird. Spätestens muss dies im elften Monat des 65. Lebensjahres (= 64 Jahre und elf Monate) erfolgen. Nur dann kann überhaupt noch eine "vorzeitige" Inanspruchnahme der Altersrente, wenn auch nur noch für den zwölften Monat des 65. Lebensjahres in Betracht kommen, also nur ein Monat an Rente "vorzeitig" bezogen werden. Damit ergibt sich kraft Gesetzes sogar für solche Versicherte, die das Gestaltungsrecht erst mit 64 Jahren und elf Monaten erwerben, es ausüben und deshalb nur für einen Monat vor Vollendung des 65. Lebensjahres Altersrente beziehen können, ein zusätzliches Zeitfenster von einem Jahr und elf Monaten. In der gesamten Versicherungsbiografie ab Vollendung des 14. Lebensjahres dürfen dann höchstens fünf Jahre und elf Monate nicht mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit (ohne solche bei Arbeitslosigkeit) belegt sein.

Es liegt auf der Hand, dass die Begünstigungsgrenze keine empirisch nach typisierenden Merkmalen abgegrenzte einheitliche Gruppe von Versicherten erfasst. Auch die Versicherten, die vor Vollendung des 65. Lebensjahres und nach Beginn des 63. Lebensjahres Altersrente in Anspruch nehmen, werden trotz gruppentypisch sehr unterschiedlicher Versicherungsverläufe der "45-Jahre-Klausel" unterworfen. Gleich hohe Vorleistungen werden außerdem ohne Sachgrund äußerst ungleich behandelt.

4. Zur objektiven besonderen Benachteiligung von Rentnern, die Kinder erzogen haben

Auch wenn dies im Fall des Klägers nicht entscheidungserheblich ist, hat das BSG im Rahmen seiner objektiven Prüfung auch eine zusätzliche objektive Gleichheitswidrigkeit zu berücksichtigen. Diese liegt darin, dass Versicherte, die "45 Jahre mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit" (ohne Arbeitslosigkeit) nur deswegen nicht haben, weil sie ein Kind bis zu dessen vollendetem zehnten Lebensjahr unter den tatbestandlichen Voraussetzungen einer Kindererziehungszeit erzogen haben (§ 57 SGB VI iVm § 56 SGB VI), gegenüber Versicherten, die keine Kinder erzogen haben, benachteiligt werden. Dabei geht der Senat davon aus, dass der Ausdruck "Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit" in § 236 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB VI auch Pflichtbeitragszeiten wegen Kindererziehung (§§ 3 Satz 1 Nr 1, 55 Abs 1 und Abs 2 Nr 2, 177, 249 SGB VI) umfasst. Kinderberücksichtigungszeiten iS von § 57 SGB VI, die - seit 1992 - bis zu sieben Jahren den Erwerb von Pflichtbeitragszeiten wegen versicherter Beschäftigung oder Tätigkeit unterbrechen können, werden durch die vom RRG 1999 gestaltete gesetzliche Regelung jedoch nicht berücksichtigt.

aa) Ein langjährig Versicherter, der sieben Jahre den Tatbestand von Kinderberücksichtigungszeiten erfüllt hat, kann die "45-Jahre-Klausel" unter keinen Umständen erfüllen. Denn der äußerste Zeitrahmen für Unterbrechungen beträgt - wie ausgeführt - fünf Jahre und elf Monate. Auch insoweit wird eine gleichwertige Vorleistung ohne sachliche Rechtfertigung ungleich behandelt. Dies wirkt sich für die Frauen, die durch die "45-Jahre-Klausel" ohnehin benachteiligt werden, zusätzlich beschwerend aus.

bb) Zugleich hat der Gesetzgeber des RRG 1999 mit dieser Regelung seine Verpflichtung nicht beachtet, eine Benachteiligung beitragsrelevant Versicherter, die Kinder erziehen oder erzogen haben, gegenüber kinderlosen Versicherten zu vermeiden (Art 3 Abs 1 GG iVm Art 6 Abs 1 GG). Das BVerfG hat seit dem Beschluss des Ersten Senats vom 29. Mai 1990 (BVerfGE 82, 60 ff) in nunmehr ständiger Rechtsprechung (zuletzt Urteil des Ersten Senats vom 3. April 2001, 1 BvR 1629/94, BVerfGE 103, 242 ff; Beschluss des Zweiten Senats vom 8. Juni 2004, 2 BvL 5/00, BVerfGE 110, 412, 431 ff) die Pflicht der gesetzgebenden Gewalt des Bundes geklärt, nicht nur im steuerfinanzierten Sozialrecht, sondern auch jeweils in den einzelnen Systemen der Sozialversicherung darauf zu achten, dass der sog generative Beitrag der Kindererziehenden in einer seiner Bedeutung für das jeweilige System angemessenen Weise berücksichtigt wird. Hierauf ist nicht weiter einzugehen, weil die Begünstigungsgrenze des § 237a Abs 3 Satz 1 Nr 3 SGB VI keinen Ausgleich einer Benachteiligung infolge einer Kindererziehung unterlässt, sondern Kindererziehung, die den Tatbestand von Kinderberücksichtigungszeiten (§ 57 SGB VI) erfüllt, erstmals als für die Versicherten nachteilig bewertet. Damit steht die Vorschrift in offenem Widerspruch zum Gleichbehandlungsgebot; dieses verbietet im Sachbereich gesetzlicher Regelungen über Ehe und Familie, die gemäß Art 6 Abs 1 GG unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stehen, versicherungsrechtliche Benachteiligungen daran zu knüpfen, dass ein Versicherter die als rentenversicherungsrechtliche Vorleistung anerkannte Kindererziehung - auch vor Einführung von Kinderberücksichtigungszeiten (1992) - erbracht hat. Die 1999 beschlossene Regelung macht die begünstigende Stufe 2 von der Dauer der Vorleistungen ab Vollendung des 14. Lebensjahres abhängig; sie musste daher die Vorleistung der Kindererziehung auch für frühere Zeiten und in dem Maß berücksichtigen, das 1999 gesetzlich als Vorleistung anerkannt war.

cc) Der Senat sieht sich außer Stande, diese Vorschrift insoweit verfassungskonform dahingehend zu ergänzen, dass auch Tatbestände von Kinderberücksichtigungszeiten zur Erfüllung der geforderten Zeitdauer beitragen. Denn Art 1 Nr 44 Buchst a RVNG hat § 237 Abs 1 Nr 4 SGB VI dadurch geändert, dass nach dem Wort "Anrechnungszeiten" das Wort "Berücksichtigungszeiten" eingefügt wurde. Somit wurde - im Zusammenhang der Voraussetzungen für die Entstehung des Gestaltungsrechts wegen Arbeitslosigkeit - die Berücksichtigungszeit wegen Kindererziehung für die Rahmenzeit der letzten zehn Jahre vor Beginn der Altersrente als Verlängerungstatbestand anerkannt. Die gesetzgebende Gewalt hat also in einem Gesetzeswerk zur Thematik des § 236 SGB VI die Frage der Relevanz von Kinderberücksichtigungszeiten geprüft und sie nur im genannten Zusammenhang der Entstehung jenes Gestaltungsrechts für erheblich erachtet, nicht aber bei § 236 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB VI. Daher vermag der Senat nicht zu erkennen, dass er zu einer verfassungskonformen Ergänzung des § 236 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB VI um Tatbestände von Kinderberücksichtigungszeiten befugt wäre.

5. Zur Unmöglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung

Eine verfassungskonforme Auslegung des § 236 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB VI, welche die genannten Gleichheitsverstöße ausräumen könnte, ist nicht möglich. Es ist - soweit ersichtlich - keine Rechtsprechung oder Literatur vorhanden, die eine solche Möglichkeit aufzeigte.

II. Zur Vorlagefrage 1 Buchst b

Das BSG hält an seiner Rechtsprechung und an den Vorgaben der einschlägigen Entscheidungen des BVerfG fest, dass die Unterschiede zwischen Pflichtbeiträgen und freiwilligen Beiträgen zur Rentenversicherung es (grundsätzlich) rechtfertigen, daran unterschiedliche Rechtsfolgen zu knüpfen. Die bislang vom BSG und vom BVerfG beurteilten Fallgestaltungen betrafen aber stets neue Inhalts- und Schrankenbestimmungen, welche den Sachbereich einer Sparte des Versicherungszweiges "gesetzliche Rentenversicherung", den künftigen Erwerb von Rechten hieraus oder die künftigen Vorleistungen und deren Wert jeweils iS einer zukunftsorientierten Differenzierung betrafen. Dies gilt nicht für die Billigkeitsregelung (politische "Vertrauensschutzregelung") des § 236 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB VI, die ausschließlich rückschauend an ein (im Regelfall) mit der Inanspruchnahme der Altersrente abgeschlossenes Versicherungsleben anknüpft und nachträglich rückschauend zwischen Pflichtbeitragszeiten und Zeiten freiwilliger Beitragszahlung differenziert.

1. Zur zulässigen zukunftsorientierten Differenzierung zwischen freiwilligen Beiträgen und Pflichtbeiträgen

a) Differenzierung beim Rechtserwerb

In der Versicherungssparte "Altersversicherung" wurde schon vor Inkrafttreten des SGB VI 1992 die Ungleichbehandlung von freiwilligen Beiträgen und Pflichtbeiträgen im AVG und in der RVO insbesondere beim Zugang zum Recht auf ARG für Arbeitslose (§§ 25 Abs 2 AVG, 1248 Abs 2 RVO) und für Frauen (§§ 25 Abs 3 AVG, 1248 Abs 3 RVO) aktuell. Die hierzu ergangene Rechtsprechung des BVerfG und des BSG hat - wegen der inhaltsgleichen Gesetzestexte - gleiche Bedeutung für die Auslegung und Anwendung der Regelungen zu den entsprechenden Altersrenten nach dem SGB VI (seit 1. Januar 2000: §§ 237 Abs 1 und 237a Abs 1 SGB VI, davor §§ 38, 39 SGB VI).

Zur Altersrente wegen Arbeitslosigkeit nach § 25 Abs 2 AVG hat das BSG mit Urteil vom 13. Oktober 1992 (SozR 3-2200 § 1248 Nr 7) entschieden, Satz 2 aaO in seiner ab 1. Januar 1982 geltenden Fassung durch das AFKG (Einfügung des Erfordernisses der Ausübung einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit von mindestens acht Jahren in den letzten zehn Jahren vor Rentenbeginn) stelle mit seiner Beschränkung auf bestimmte Pflichtversicherte eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums dar. Sinn und Zweck der Neuregelung sei es mit Blick auf die angespannte finanzielle Lage der gesetzlichen Rentenversicherung gewesen, den persönlichen Anwendungsbereich auf den Kreis der aktuell und regelmäßig versicherungspflichtig Beschäftigten oder Erwerbstätigen zu begrenzen, also auf jene Versicherten, die bis in die Nähe der Altersgrenze durch stetige und für die Versichertengemeinschaft verlässliche Pflichtbeiträge zu den Lasten auch der Alterssicherung zeitnah beigetragen hätten. Die zur "Missbrauchsabwehr" erforderliche Begrenzung auf im Wesentlichen "schicksalhafte" Arbeitslosigkeit könne nicht dadurch erreicht werden, dass freiwillige Beiträge wie Pflichtbeiträge behandelt würden; denn mit der Natur freiwilliger Beiträge sei es unvereinbar, dass sie mit einer nach Dichte und Höhe gleichwertigen Verlässlichkeit wie Pflichtbeiträge geleistet würden. Nach der ausdrücklichen Regelung des Art 2 § 7a Abs 4 Satz 1 AnVNG seien den Pflichtversicherten nur solche freiwillig Versicherten gleichgestellt, die bis Ende 1967 nur wegen Überschreitens der JAV-Grenze versicherungsfrei gewesen seien, nicht jedoch (neben den ohnehin schon versicherungsfreien Selbstständigen) diejenigen, die seit 1968 auf Antrag von der Versicherungspflicht befreit worden seien.

Das BVerfG (Kammerbeschluss vom 24. Januar 1994, 1 BvR 10/93, NZS 1994, 226) hat die gegen das Urteil des BSG eingelegte Verfassungsbeschwerde nicht zu Entscheidung angenommen und ua ausgeführt, dass die Begünstigung der Pflichtversicherten schon deshalb gerechtfertigt sei, weil diese in der Regel nach Beitragszeit, Beitragsdichte und Beitragshöhe in wesentlich stärkerem Maße zur Versichertengemeinschaft beigetragen und dabei ihren Verpflichtungen im Gegensatz zu den freiwillig Versicherten nicht hätten ausweichen können.

Zur Altersrente für Frauen nach § 25 Abs 3 AVG hat das BSG mit Urteil vom 22. Juni 1988 (SozR 2400 § 25 Nr 1) entschieden, das Fehlen einer Regelung, die hinsichtlich der Zugangsvoraussetzungen die seit 1. Januar 1968 zurückgelegten freiwillig versicherten Beschäftigungszeiten einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung iS von § 25 Abs 3 AVG gleichstelle, stelle keine planwidrige Gesetzeslücke dar und verstoße nicht gegen höherrangiges Recht. Der Gesetzgeber sei nicht verpflichtet gewesen, die Regelung des Art 2 § 54a AnVNG, der eine Sonderregelung für die Anrechenbarkeit von Ausfallzeiten getroffen hatte, die nicht nur solche freiwillig Versicherten mit Pflichtversicherten gleichstellte, die wegen Überschreitens der JAV-Grenze vor 1968 von der Versicherungspflicht befreit waren, sondern auch diejenigen, die sich ab 1968 von der nunmehr geltenden uneingeschränkten Versicherungspflicht haben befreien lassen, in den für den Rechtserwerb geltenden Art 2 § 7a AnVNG zu übernehmen (die inhaltlichen Unterschiede und Anwendungsbereiche der beiden Normen wurden vom BVerfG im Beschluss vom 17. Oktober 1973, BVerfGE 36, 102 = SozR Nr 97 zu Art 3 GG, nicht hinreichend deutlich auseinander gehalten, soweit neben der Anrechenbarkeit von Ausfallzeiten auch der Zugang zum Frauen-ARG nach § 25 Abs 3 AVG idF des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes 1965 geprüft wurde). Die Benachteiligung der seit 1968 (auf Antrag) befreiten Frauen sei nicht gleichheitswidrig, weil sie sich dafür entschieden hätten, ihr Altersvorsorge eigenständig zu gestalten und in der Angestelltenversicherung nur noch eine gewisse Vorsorge zu treffen.

Auch in diesem Fall hat das BVerfG die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen (Kammerbeschluss vom 6. Juli 1989, 1 BvR 1171/88, SozR 5755 Art 2 § 7a Nr 2). Zur Begründung ist ua darauf verwiesen worden, dass das maßgebende Tatbestandsmerkmal "rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit" nicht sachfremd erscheine und die darin liegende Ungleichbehandlung zwischen pflichtversicherten und freiwillig versicherten Angestellten verfassungsrechtlich unbedenklich sei.

Die Versicherungssparte "Erwerbsminderungsversicherung" ist durch das HBegleitG 1984 auf den Teil der Versicherten begrenzt worden, der zum Kreis der aktuell Pflichtversicherten gehört. Nur dieser Teil der Pflichtversicherten hat überhaupt noch Zugang zu den Renten wegen Berufsunfähigkeit und Erwerbsunfähigkeit, wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung. Diese Begrenzung des persönlichen Anwendungsbereichs dieser Versicherungssparte ergibt sich technisch daraus, dass der Versicherte im Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls nunmehr neben der allgemeinen Wartezeit noch die Voraussetzung erfüllt haben muss, dass er von den letzten 60 Kalendermonaten vor Eintritt des jeweiligen Versicherungsfalls mindestens 36 Monate mit Beiträgen für eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit belegt hat. Daher kann der Versicherungsträger täglich erkennen, welcher Teil der Versicherten von der Erwerbsminderungsversicherung abstrakt erfasst ist und potentiell hieraus Rechte haben kann. Die Beschränkung des persönlichen Anwendungsbereichs nur auf den Teil der entgeltlich Beschäftigten (Pflichtversicherten), die zum Kreis der aktuell pflichtversicherten Personen gehören, durch die sog "Drei-Fünftel-Belegung" bedeutet, dass nicht nur ein erheblicher Teil der Pflichtversicherten, sondern alle bloß freiwillig Versicherten von dieser Versicherungssparte ausgeschlossen sind.

Diese Regelung hat das BVerfG (Beschluss vom 8. April 1987, BVerfGE 75, 78 = SozR 2200 § 1246 Nr 142) nicht für verfassungswidrig angesehen und ua ausgeführt, dass es nicht zu beanstanden sei, wenn der Gesetzgeber das Ziel verfolge, die Solidarität der abhängig Beschäftigten zu stärken, auf deren Schutz die Sozialversicherung in erster Linie angelegt sei. Die in der Neuregelung liegende Begünstigung der Pflichtversicherten lasse sich schon deswegen rechtfertigen, weil diese in der Regel nach Beitragszeit, Beitragsdichte und Beitragshöhe in wesentlich stärkerem Maße zur Versichertengemeinschaft beigetragen hätten und dabei ihren Verpflichtungen im Gegensatz zu den freiwillig Versicherten nicht hätten ausweichen können (Hinweis auf BVerfGE 36, 102, 113).

Ferner hat das BSG (Urteil vom 28. Juli 1992, BSGE 71, 82 = SozR 3-2200 § 1230 Nr 1) zu § 1246 RVO (= § 23 AVG) entschieden, dass die auf Grund der Neuregelung durch das HBegleitG 1984 ab 1. Januar 1984 entrichteten freiwilligen Beiträge - anders als für die vorhergehende Zeit - keine Bedeutung für den Erwerb des Berufsschutzes hätten; sie dienten nur der Erhaltung einer bereits begründeten Anwartschaft, hätten also keinen "anspruchsbegründenden", sondern nur "anspruchserhaltenden" Charakter.

b) Differenzierung bei der Bewertung von Vorleistungen

Eine Ungleichbehandlung zwischen Pflichtversicherten und freiwillig Versicherten sahen die früheren Vorschriften zur Anrechenbarkeit von Ausfallzeiten vor. Nach § 36 Abs 3 Satz 1 AVG (= § 1259 Abs 3 Satz 1 RVO) wurden Ausfallzeiten nur angerechnet, wenn die Zeit vom Kalendermonat des Eintritts in die Versicherung bis zum Kalendermonat, in dem der Versicherungsfall eingetreten war, mindestens zur Hälfte, jedoch nicht unter 60 Monaten, mit Beiträgen für eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit belegt war (Erfordernis der sogenannten Halbbelegung). Allerdings sah Art 2 § 54a AnVNG eine Gleichstellung derjenigen freiwilligen Beiträge mit Pflichtbeiträgen vor, die vor 1968 von abhängig Beschäftigten während der Zeiten des Überschreitens der JAV-Grenze oder danach von den auf Antrag befreiten Versicherten entrichtet worden waren (zu der vorhergehenden verfassungswidrigen Fassung des Art 2 § 54a AnVNG: BVerfG, Beschluss, vom 27. Oktober 1970, BVerfGE 29, 283 = SozR Nr 87 zu Art 3 GG; vgl im Übrigen zur Erweiterung gegenüber dem für den Rechtserwerb geltenden Art 2 § 7a AnVNG oben Buchst a, aa). Die Halbbelegung konnte somit nicht von selbstständig Erwerbstätigen erfüllt werden, die freiwillige Beiträge entrichteten. Das BVerfG (Beschuss vom 17. Oktober 1973, BVerfGE 36, 102 = SozR Nr 97 zu Art 3 GG) hat die Ungleichbehandlung mit der schon wiederholt angesprochenen Begründung für gerechtfertigt angesehen, dass die Pflichtversicherten nach Beitragszeit, Beitragsdichte und Beitragshöhe in wesentlich stärkerem Maße zur Versichertengemeinschaft beitragen und sie ihren Verpflichtungen nicht ausweichen können.

Des Weiteren hat das BVerfG (Kammerbeschluss vom 18. April 2002, 1 BvR 1361/93, SozR 3-2200 § 1255a Nr 6) die Nichtberücksichtigung freiwilliger Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung bei der Bewertung der Zurechnungszeit (§ 1255a Abs 4 Satz 1 RVO) nicht beanstandet. Es hat hierzu ausgeführt, es sei dem Gesetzgeber grundsätzlich nicht verwehrt, Pflichtversicherte und freiwillig Versicherte unterschiedlich zu behandeln, um die Solidarität der abhängig Beschäftigten zu stärken, auf deren Schutz die Sozialversicherung in erster Linie ausgerichtet sei. Wie schon in den zitierten Entscheidungen wurde wiederum betont, dass pflichtversicherte Beschäftigte in aller Regel nach Beitragszeit, Beitragsdichte und Beitragshöhe in erheblich stärkerem Maße zu Versichertengemeinschaft beitrügen als freiwillig Versicherte und sich ihrer Verpflichtung nicht entziehen könnten. Freiwillig Versicherten sei es dagegen möglich, jederzeit die Beitragszahlung zu mindern, zu erhöhen oder - zeitweilig oder auf Dauer - ganz einzustellen. Es sei daher nicht zu beanstanden, wenn die Zurechnungszeit allein nach Pflichtbeitragszeiten bewertet werde.

Schließlich hat es das BVerfG (Beschluss vom 27. Januar 1982, BVerfGE 59, 287 = SozR 2200 § 1255 Nr 14) nicht für verfassungswidrig angesehen, dass sich in besonderen Fällen, jedenfalls unter Geltung des AVG und der RVO, freiwillige Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung rentenmindernd auswirken konnten.

c) Resümee

Die vorstehend unter den Buchst a und b behandelten Fälle betrafen die zukunftsorientierte Differenzierung zwischen Pflichtversicherten und freiwillig Versicherten. Wie sich aus der zitierten Rechtsprechung ergibt, ist sie grundsätzlich gerechtfertigt, weil im System der gesetzlichen Rentenversicherung wesentliche Unterschiede zwischen beiden versicherten Gruppen sowohl hinsichtlich der Möglichkeiten der einzelnen Versicherten als auch im Blick auf ihre Bedeutung für das System bestehen. So können zB freiwillig Versicherte selbst bestimmen, ob sie Beiträge zahlen, ggf, wann und (innerhalb des weiten Rahmens zwischen Mindest- und Höchstbeitrag) in welcher Höhe sie zahlen. Sie können auch noch bis zu einem Quartal nach Ablauf des Haushaltsjahres des Versicherungsträgers rückwirkend wirksam Beiträge entrichten. Dadurch sind freiwillig Versicherte und ihre Beiträge für die Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung im jeweiligen Haushaltsjahr in höchstem Maße unzuverlässig und nur schwer berechenbar. Die Rentenversicherungsträger haben keine Beitragsansprüche gegen die freiwillig Versicherten, während sie bei den entgeltlich Beschäftigten Beitragsansprüche (ausschließlich) gegen deren Arbeitgeber haben. Diese Beitragsansprüche müssen rechtzeitig geltend gemacht und durchgesetzt sowie in den Haushaltsplan eingestellt werden. Diese - und andere - Unterschiede können hinreichende Gründe dafür sein, Rechtsinstitutionen, Rechtserwerb und Rechtswert im System unterschiedlich zu gestalten.

2. Gleichheitswidrige Differenzierung zwischen freiwilligen Beiträgen und Pflichtbeiträgen bei der rückschauenden Bewertung eines abgeschlossenen Versicherungslebens in § 236 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB VI

Die Billigkeitsregelung (politische "Vertrauensschutzregelung") des § 236 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB VI knüpft ausschließlich rückschauend an ein (im Regelfall) mit der Inanspruchnahme der Altersrente abgeschlossenes Versicherungsleben an und differenziert nachträglich zwischen Pflichtbeitragszeiten und Zeiten freiwilliger Beitragszahlung. Die verfassungsrechtliche Unzulässigkeit einer solchen rückschauenden Differenzierung indiziert bereits die zur gesetzlichen Krankenversicherung der Rentner ergangene Entscheidung des BVerfG vom 15. März 2000 (BVerfGE 102, 68 = SozR 3-2500 § 5 Nr 42); danach dürfen Arbeitnehmer, die während ihres gesamten Arbeitslebens der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung angehört haben, als Rentner in der Krankenversicherung grundsätzlich nicht unterschiedlich behandelt werden, je nachdem, ob die Zugehörigkeit zur gesetzlichen Krankenversicherung in der zweiten Hälfte des Erwerbslebens zu mehr als der Hälfte auf ihrer freiwilligen Entscheidung beruhte oder nicht. Auch in der gesetzlichen Rentenversicherung verbietet sich eine solche rückschauende Differenzierung.

Bei Beginn der Altersrente sind alle freiwilligen Beiträge des Versicherten rechtswirksam entrichtet, als bewertete Vorleistungen ausgewiesen und demgemäß vom Rentenversicherungsträger nicht beanstandet und nicht zurückgezahlt worden. Vielmehr ist der Geldwert der freiwilligen Beitragszahlungen ebenso wie derjenige der Pflichtbeitragszahlungen der Arbeitgeber vom Rentenversicherungsträger längst im jeweiligen Haushaltsjahr zur Finanzierung der Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung ausgegeben worden. Zu diesem Zeitpunkt besteht weder in rechtlicher noch in wirtschaftlicher Hinsicht ein Unterschied zwischen rechtswirksam entrichteten freiwilligen und rechtswirksam entrichteten Pflichtbeiträgen. 1.000 € an wirksam entrichteten freiwilligen Beiträgen hatten denselben rechtlichen und wirtschaftlichen Wert für den Rentenversicherungsträger wie 1.000 € an Pflichtbeiträgen. Es ist kein Sachgrund erkennbar, der es rechtfertigen könnte, rechtswirksam entrichtete Beiträge nachträglich unterschiedlich zu behandeln. Auch der Wert der Arbeitsleistung der Pflichtversicherten, die ihre Vorleistung gerade nicht durch Beitragszahlung erbringen, sondern durch ihren "Beitrag" zur Produktion, aus deren Rohertrag der Arbeitgeber (allein) Beiträge zahlen muss, ist bei Beginn der Altersrente längst verbraucht.

Das BSG hat schon in den früheren Vorlagebeschlüssen darauf hingewiesen, dass die Billigkeitsklausel ("45 Jahre mit Pflichtbeiträgen ...") nicht die Voraussetzungen eines Rechtsinstituts, die des Erwerbs eines Rechts oder die Bewertung der Vorleistungen betrifft, sondern vielmehr die Entstehung des Rechts auf Altersrente ebenso voraussetzt wie die abschließende gesetzliche Bewertung der Vorleistungen des Versicherten (technisch: Summe der EP). Insbesondere geht es nicht um die zeitliche (Mindest-)Dauer von Vorleistungen (Wartezeiten). Sowohl beim Rechtserwerb als auch bei der Bewertung der Vorleistungen behandelt das Gesetz darüber hinaus im Rahmen der Altersrente für langjährig Versicherte freiwillige Beiträge und Pflichtbeiträge grundsätzlich gleich. Die Abschläge werden unabhängig davon vorgenommen, ob die Vorleistungen auf freiwilligen Beiträgen oder Pflichtbeiträgen beruhen.

§ 236 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB VI regelt ausschließlich, dass bei Entstehung des Rechts und Inanspruchnahme der Altersrente für einen begrenzten Personenkreis statt der allgemeinen Übergangsregelung (§ 236 Abs 1 Satz 2 bis 4 SGB VI iVm Anlage 21 zum SGB VI) eine günstigere Billigkeitsregelung eingreift, welche die mit der vorzeitigen Inanspruchnahme der Rente verbundenen Vermögensvorteile in geringerem Ausmaß begrenzt. Obwohl - wie das BSG mehrfach geklärt hat - es dieser Billigkeitsregel nicht bedurft hätte, muss sie gleichwohl in sich selbst verfassungsgemäß ausgestaltet sein. Für die nachträglich rückschauende Differenzierung zwischen rechtswirksam entrichteten und vom Rentenversicherungsträger verbrauchten Geldzahlungen gibt es aber keinen rechtfertigenden Sachgrund.

3. Zur Unmöglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung

Der Gesetzestext: "... Versicherte, die 45 Jahre mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben ..." kann schlechthin nicht so ausgelegt werden, dass auch Zeiten mit freiwilligen Beiträgen erfasst werden.

III. Zur Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen 1 Buchst a und b

Die Antwort auf die Vorlagefragen 1 Buchst a und b ist entscheidungserheblich (dazu oben 3. Teil). Zwar geht der Senat davon aus, dass der Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum hat, die vorstehend im 4. Teil genannten Gleichheitsverstöße auszuräumen. Auf Grund einer Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Vorschrift durch das BVerfG ist jedoch gewährleistet, dass eine den Verstoß beseitigende neue gesetzliche Regelung ergeht, sodass die Gleichheitswidrigkeiten der Ausgestaltung des Vermögenswerts des Stammrechts auf Altersrente für langjährig Versicherte beseitigt würden. Dann wird der Kläger in seinem Grundrecht auf Gleichheit vor dem Gesetz nicht mehr verletzt sein. Insoweit hängt die Entscheidung des Revisionsgerichts in der Hauptsache davon ab, wie das BVerfG die Vorlagefragen 1 Buchst a und b beantwortet. Entweder müsste die Revision des Klägers zurückgewiesen werden (dazu oben 3. Teil) oder aber eine Sachentscheidung erst auf der Grundlage der zur Beseitigung der Gleichheitsverstöße erforderlichen gesetzlichen Neuregelung ergehen. Für den Kläger kann derzeit auf Grund von Dauer und Wert seiner Vorleistung nicht ausgeschlossen werden, dass sie auch zu einem höheren Geldwert führen wird, wenn die "45-Jahre-Klausel" verfassungsgemäß ersetzt wird. Gemäß Art 100 Abs 1 GG musste danach die Frage, ob die nachkonstitutionelle Vorschrift des § 236 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB VI in der genannten Fassung verfassungsgemäß ist, dem BVerfG vorgelegt werden.

2. Abschnitt: Zur Vorlagefrage 2

Mit der Vorlagefrage 2 wird zur Prüfung gestellt, ob die dort genannten Normen gleichheitswidrige Inhaltsbestimmungen des Renteneigentums des Klägers an seinem Stammrecht (Vollrecht) insoweit sind, als sie (heute) verbindlich anordnen, den monatlichen Geldwert des Stammrechts auch dann noch dauerhaft durch den Abschlag vom Zugangsfaktor um 0,003 je "vorzeitigem" Bezugsmonat zu mindern, wenn der Vermögensvorteil aus der "vorzeitigen" Inanspruchnahme der Altersrente in voller Höhe ausgeglichen worden sein wird.

I. Zum Prinzip der Anrechnung des vollen Wertes der Vorleistung

1. Der Vorleistungswert bestimmt die individuelle Rentenhöhe

a) Gemäß § 64 SGB VI ergibt sich der "Monatsbetrag der Rente", dh der Geldwert des Stammrechts (Vollrechts) auf Rente, wenn die unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten EP, der Rentenartfaktor, der das Sicherungsziel der jeweiligen Rentenart im Verhältnis zu einer Altersrente bestimmt und bei dieser 1,0 beträgt (§ 63 Abs 4 SGB VI), und der aktuelle Rentenwert, der erstmals der Summe der EP (als deren "Kurswert") einen konkreten Geldwert zuordnet (§§ 68, 255a bis 255f SGB VI), mit ihrem Wert bei Rentenbeginn vervielfältigt werden. Rentenartfaktor und aktueller Rentenwert sind hier nicht im Streit; die Beklagte hat insoweit - auch nach Auffassung des Klägers - zutreffende Werte zu Grunde gelegt. Die "persönlichen EP" (§ 66 SGB VI) ergeben sich aus dem Produkt der Summe der EP (§§ 70 bis 76c SGB VI) und dem Zugangsfaktor (§§ 77 und - hier nicht einschlägig - 78 und 78a SGB VI). Die Summe der EP bezeichnet den relativen Wert der kalenderjährlich erbrachten Vorleistungen des Versicherten während des Versicherungslebens. Grundsätzlich richtet sich die individuelle Höhe des Geldwerts eines Stammrechts auf Rente nach der Summe der EP (§ 63 Abs 1 bis 3 SGB VI). Das bedeutet, dass die Summe der EP (der Rangwert) grundsätzlich zugleich die Summe der persönlichen EP ist und den individuellen Faktor für die Höhe der Altersrente bestimmt. Der Wert der Vorleistung bestimmt prinzipiell den jeweiligen Geldwert eines Stammrechts (Vollrechts) auf Altersrente. Deshalb ist der Zugangsfaktor prinzipiell 1,0.

Ohne Bedeutung für die Wertfeststellung des Rentenrechts eines Arbeitnehmers sind seit 1957 die Beiträge. Vorher war "die Rente" zum Teil ("Steigerungsbetrag") nach Grund und Höhe von Beiträgen abhängig, die grundsätzlich hälftig aus dem Vermögen des Arbeitgebers, hälftig aus dem des Arbeitnehmers zu zahlen waren. Die dadurch nur mögliche "Rente auf Fürsorgeniveau" wurde 1957 abgeschafft und eine sogenannte "Produktivitätsrente" eingeführt. Das Leistungsrecht wurde vom Beitragsrecht getrennt. Die Beitragsfinanzierung erfolgt seither durch direkten Zugriff auf die Produktivität (den Rohertrag) der Unternehmen, die Arbeitnehmer beschäftigen. Die Unternehmer (auf betrieblicher Ebene: die Arbeitgeber) finanzieren die Rentenversicherungsträger und damit direkt und ausschließlich die jeweils laufenden Renten im eigenen Namen und für eigene Rechnung; sie dürfen sich hälftig bei ihren Beschäftigten refinanzieren, müssen dies aber nicht. Die einzelnen Beschäftigten haben persönlich durch die Beitragszahlungen der Arbeitgeber keinen rechtlichen oder wirtschaftlichen Vorteil. In diesem System gibt es zwischen "den Beiträgen" und "der Rente" keinen rechtlichen, wirtschaftlichen oder zeitlichen Zusammenhang. Für das Recht des Arbeitnehmers ist es unerheblich, ob der Arbeitgeber tatsächlich Beiträge gezahlt oder - rechtswidrig - nicht oder nicht in der geschuldeten Höhe gezahlt hat. Ebenso ist rechtlich irrelevant, ob er von seinem Recht zum irreführend sogenannten "Beitragsabzug" Gebrauch gemacht hat. Die "rentenrelevante" Vorleistung besteht allein in dem anteiligen "Beitrag" an Arbeit und Leistung, den der Versicherte "produktivitätssteigernd" erbracht hat, vor allem durch "entgeltliche Beschäftigung". Der Wert der Vorleistung wird - wie dargelegt - in einem eigens geschaffenen Bewertungssystem festgestellt und in einer besonderen "Buchwährung" (früher Werteinheiten, heute EP genannt) gemessen (vgl hierzu: BSG, Urteil vom 29. Januar 2004, BSGE 92, 113, 133 ff = SozR 4-2600, § 46 Nr 1, mwN). Wenn dennoch immer wieder von der "Beitragsbezogenheit der Rente" gesprochen wird (vgl zB BT-Drucks 13/8011, S 47), wird der 1957 vollzogene Systemwechsel völlig außer Acht gelassen; die Aussage ist rechtlich schlicht falsch. Auch die Geldbeiträge nicht entgeltlich Beschäftigter müssen erst in fiktive Arbeitsverdienste umgerechnet werden und können erst dann nach den Regeln des Gesetzes bewertet werden.

b) Seit dem RRG 1992 (zur Textentwicklung siehe oben 2. Teil 2. Abschnitt) werden gemäß § 63 Abs 5 SGB VI bei Inanspruchnahme einer Altersrente (oder bei Verzicht auf eine Altersrente nach dem 65. Lebensjahr) Vorteile (oder Nachteile) einer unterschiedlichen Rentenbezugsdauer durch einen Zugangsfaktor vermieden; im hier anzuwendenden Gesetzestext ist derselbe Rechtsinhalt mit der Formulierung erfasst, Vorteile (und Nachteile) einer unterschiedlichen Rentenbezugsdauer werden durch einen Zugangsfaktor vermieden. Prinzipiell ist daher der Zugangsfaktor 1,0 und somit die Summe der EP identisch mit der Summe der "persönlichen EP". Entgegen der irreführenden Bezeichnung bedeutet die Multiplikation des Zugangsfaktors mit der Summe der EP also nicht die persönliche (individuelle) Zuordnung von EP, sondern eine Entscheidung darüber, in welchem Umfang sich die Höhe der individuellen Rente nach der während des Versicherungslebens erworbenen Summe der EP richtet. Prinzipiell gilt die Maßgeblichkeit der Vorleistung.

c) In der Altersrentenversicherung gilt der Grundsatz der vollen Anrechnung der während des Versicherungslebens erbrachten Vorleistung, sodass der Zugangsfaktor 1,0 beträgt und damit die Höhe der "persönlichen EP" mit der Summe der EP identifiziert. Anderenfalls wäre das System der vorleistungsbezogenen Rente aufgegeben. Ein anderer Zugangsfaktor als 1,0 darf daher dem Geldwert des Stammrechts eines Rentners nur und nur insoweit zu Grunde gelegt werden, als dadurch dessen individuelle (Vermögens-)Vorteile (und - hier nicht einschlägig - Nachteile) aus einer (gegenüber dem gesetzlichen Regelfall) unterschiedlichen Rentenbezugsdauer vermieden werden. Jede Veränderung des Zugangsfaktors bestimmt somit "in welchem Umfang EP bei der Ermittlung des Monatsbetrags der Rente als persönliche EP zu berücksichtigen sind" (so § 77 Abs 1 SGB VI). Das bedeutet: Ein niedrigerer Zugangsfaktor legt fest, dass die während des Versicherungslebens vom Versicherten durch seine Vorleistungen erworbene Summe der EP nur teilweise die Rentenhöhe bestimmt, teilweise aber endgültig für unbeachtlich erklärt wird. Demgemäß legt § 77 SGB VI für die Altersrentenversicherung des SGB VI fest, dass bei Inanspruchnahme einer RAR der Zugangsfaktor (mindestens) 1,0 beträgt.

d) Dasselbe gilt allerdings - systemwidrig - auch, wenn der Versicherte schon vor dem 65. Lebensjahr, mit dessen Vollendung das Recht auf RAR entsteht, Altersrente frühzeitig in Anspruch nimmt, dies jedoch nach der für das jeweilige Gestaltungsrecht maßgeblichen Regelung nicht "vorzeitig" geschieht. Damit werden Versicherte mit gleicher Vorleistung weiterhin entgegen § 63 Abs 5 SGB VI ungleich behandelt, weil diejenigen, die ein Gestaltungsrecht nicht "vorzeitig", aber vor Vollendung des 65. Lebensjahres frühzeitig ausüben, zusätzliche Rentenbezugsdauern und entsprechende Vermögensvorteile haben, ohne dass sie hierfür höhere Vorleistungen erbracht hätten (dazu bereits oben 4. Abschnitt Ziff IV und V). Wie bereits ausgeführt, ist dies beim Gestaltungsrecht "Altersrente für langjährig Versicherte" deswegen noch hinnehmbar, weil die Nichtabschmelzung der Vorteile aus längeren Rentenbezugszeiten Teil einer Übergangsregelung ist, die diesen systemwidrigen Zustand abbaut.

Jedoch werden nach § 77 Abs 2 Satz 1 Nr 2 Buchst a SGB VI die Vermögensvorteile aus Rentenbezugszeiten, die "vorzeitig" in Anspruch genommen wurden, gemäß § 63 Abs 5 SGB VI vollständig abgebaut, falls der Versicherte (oder sein Hinterbliebener) entsprechend lange lebt. Für jeden Kalendermonat "vorzeitig" in Anspruch genommener Rente wird der Vorleistungswert (die Summe der EP) um 0,003 ihres Werts (und dadurch in demselben Maße der Geldwert des Stammrechts) gesenkt, der Zugangsfaktor also entsprechend niedriger als 1,0 festgesetzt.

2. Der Vermögensvorteil des "vorzeitigen Rentners" und die Abschmelzung

Das Gesetz legt fest, dass für die gesamte Rentenbezugsdauer (und für die einer Hinterbliebenenrente) für jeden "vorzeitigen Rentenbezugsmonat" der Zugangsfaktor von 1,0 um 0,003 gemindert wird. Der abzuschmelzende Vorteil, den jeder "vorzeitige" Rentner hat, ist daher die Summe der Rentenzahlbeträge für die Kalendermonate, in denen er die Rente "vorzeitig" bezieht.

a) Der langjährig Versicherte kann höchstens 24 Monatsbeträge, mindestens aber einen Monatsbetrag an Rente "vorzeitig" und damit zusätzlich zu der allen Versicherten gleichermaßen versprochenen RAR auf Lebenszeit in Anspruch nehmen. Bereits damit steht fest, dass der konkrete zusätzliche Geldwert, der dem einzelnen Versicherten auf Grund seiner individuellen Ausübung seines Rechts auf "vorzeitige" Inanspruchnahme der Altersrente zugeflossen ist, zu einem bestimmten Zeitpunkt in vollem Umfang abgeschmolzen sein wird. Denn für jeden tatsächlichen Rentenbezugsmonat wird dem "vorzeitigen" Rentner von der Rentenhöhe, die er durch seine Vorleistung verdient hat, ein Teil in Höhe von 0,003 je "vorzeitigem" Bezugsmonat nicht ausgezahlt. Der jeden Monat einbehaltene Abschlag von der durch seine Vorleistung erworbenen Rentenhöhe beträgt ab Rentenbeginn mindestens 0,003 dieses Betrags, also höchstens (für 24 Monate) 7,2 vH.

b) Wurde zB nur für einen Monat die Rente "vorzeitig" in Anspruch genommen und beträgt der durch die volle Vorleistung (Zugangsfaktor 1,0) erworbene Geldwert des Stammrechts auf Altersrente 1.000 €, beträgt der zusätzliche Vermögensvorteil 1.000 €. Dieser Wert wird abgeschmolzen, indem der Monatsbetrag der Altersrente über die gesamte Rentenlaufzeit für jeden Monat um 3 € auf 997 € gekürzt wird. Die monatlichen Einzelansprüche belaufen sich damit auf 997 €. Dadurch werden ab Rentenbeginn in jedem tatsächlichen Rentenbezugsmonat 3 € zu Gunsten der Beitragszahler eingespart. Nach 333,3 Periode an tatsächlichen Bezugsmonaten (= 27,778 Jahre; entspricht etwa 27 Jahren und zehn Bezugsmonaten) ist der gesamte individuelle Zusatzvorteil von 1.000 €, den der Versicherte aus der "vorzeitigen" Inanspruchnahme der Altersrente hatte, aufgezehrt.

Hat er 24 "vorzeitige Bezugsmonate" und eine durch Vorleistung erworbene Rente in Höhe von 1.000 € monatlich, beträgt sein Vermögensvorteil 24.000 €. Der Monatsbetrag von 1.000 € wird ab Rentenbeginn für jeden tatsächlichen Bezugsmonat um 7,2 vH gekürzt, also um 72 € je Monat auf 928 € (also auf einen Zugangsfaktor von 0,928). Ab Rentenbeginn spart die Versichertengemeinschaft je tatsächlichem Bezugsmonat von vornherein jeweils 72 € ein. Nach rd 333,3 Periode an tatsächlichen Bezugsmonaten ist damit der zusätzliche Vermögensvorteil durch "vorzeitige" Inanspruchnahme der Altersrente in Höhe von 24.000 € ausgeglichen, also nach rd 27 Jahren und zehn Monaten tatsächlicher Bezugszeit. In diesem Zeitraum sind bei jedem "vorzeitigen" Rentner seine individuellen Vermögensvorteile aus seiner längeren Rentenbezugszeit auf Grund des vom Gesetz gewählten statischen Abschlagswertes von 0,003 für jeden einzelnen "vorzeitigen" Bezugsmonat vollständig ausgeglichen.

II. Zum Entzug von Renteneigentum nach Ausgleich des individuell erlangten Vermögensvorteils

1. Zur lebenslangen Rentenabschmelzung

Das Gesetz (§ 77 Abs 2 Satz 1 Nr 2 Buchst a und Nr 4 SGB VI) bestimmt, dass die Rentenkürzung auch nach dem Ende des Vorteilsausgleichs weitergeführt wird, solange aus dem Versicherungsverhältnis noch Altersrente oder eine Hinterbliebenenrente in Anspruch genommen wird. Dementsprechend hat die Beklagte in der Rentenhöchstwertfestsetzung vom 12. Februar 2002 den gekürzten Rentenhöchstwert festgesetzt und damit gesetzmäßig angeordnet, dass der vom Kläger in 548 Beitragsmonaten erzielte Vorleistungswert von 59,4513 EP auf 55,1708 EP und damit in Höhe von 4,2805 EP, also um den Wert von mehr als vier Arbeitsjahren mit durchschnittlich entlohnter versicherter Beschäftigung auf Lebenszeit und ggf für Hinterbliebenenrenten unberücksichtigt bleibt. Auf Grund der Neufeststellung im Bescheid vom 27. April 2004 wird der Vorleistungswert für immer noch 18 Monate und damit um 5,4 vH gekürzt, sodass an Stelle des Vorleistungswertes von 59,4513 EP nunmehr 56,2409 EP eingestellt werden; diese Minderung um 3,2104 EP bedeutet, dass weiterhin mehr als drei Arbeitsjahre mit durchschnittlich entlohnter versicherter Beschäftigung unberücksichtigt bleiben. Die "Versichertengemeinschaft" spart dadurch weiterhin auf Kosten des Klägers durch seine Vorleistung erworbene Rentenbeträge auch dann noch ein, wenn der die Kürzung rechtfertigende Vorteil aus "vorzeitiger" Inanspruchnahme der Rente entfallen sein wird. Durch diese "Einsparungen" werden über 40 Jahre hinweg durchschnittlich - in versicherungsmathematischer Beschreibung - die Vermögensvorteile ausgeglichen, welche "vorzeitige" Altersrentner (und deren Hinterbliebene), die früher als 27,778 Jahre nach Rentenbeginn gestorben sind, "mit in ihr Grab genommen haben".

2. Unmittelbare und gegenwärtige Betroffenheit des "vorzeitigen" Rentners durch Anordnung der "lebenslangen" Rentenkürzung

Auch im Falle des Klägers geht es hierbei nicht um eine erst künftig möglicherweise eintretende, sondern um eine bereits in einem Verwaltungsakt auf Dauer getroffene Verfügung, die gesetzmäßig ist und eine zwingende gesetzliche Anordnung konkretisiert, die sein Grundrecht auf Gleichheit vor dem Gesetz aus Art 3 Abs 1 GG und zugleich sein als Renteneigentum durch Art 14 Abs 1 GG geschütztes Stammrecht auf Altersrente verletzt. Wird der Verwaltungsakt vom 12. Februar 2002 - und für Bezugszeiten ab 1. Juli 2003 der Verwaltungsakt vom 27. April 2004 - entgegen dem Begehren des Klägers nicht aufgehoben, steht damit heute schon endgültig fest, dass die Beklagte ihm seine in 548 Beitragsmonaten erworbene Altersrente (und ggf nachfolgende Hinterbliebenenrenten) um den Vorleistungswert von mehr als vier bzw drei Arbeitsjahren mit durchschnittlichen Beitragszeiten auch dann noch kürzen muss, wenn sein gesamter Vermögensvorteil aus dem "vorzeitigen" Bezug ausgeglichen sein wird.

III. Zur Gleichheitswidrigkeit der Rentenkürzung nach dem Ende des Vorteilsausgleichs

Die Verletzungen von Art 3 Abs 1 iVm Art 14 Abs 1 GG ergeben sich zur Überzeugung des Senats vor allem aus zwei Ungleichheiten.

1. Zur Ungleichbehandlung mit RAR-Rentnern und nicht "vorzeitigen" Rentnern nach Rückzahlung des Vermögensvorteils

Eine gleichheitswidrige Inhaltsbestimmung liegt vor, soweit die Vorzeitigkeitsregelung des § 236 Abs 1 Satz 2 bis 4 iVm Anlage 21 SGB VI und § 77 Abs 2 Satz 1 Nr 2 Buchst a SGB VI, aber auch der Billigkeitsregelung des Abs 2 Satz 1 Nr 1 aaO, den Kläger jedenfalls vom Zeitpunkt des Ausgleichs des Vermögensvorteils aus "vorzeitiger" Inanspruchnahme der Altersrente gegenüber Altersrentnern mit gleicher Vorleistung ohne rechtfertigenden Grund benachteiligt, weil ihm die volle Anrechnung seiner Vorleistung (Zugangsfaktor 1,0) versagt bleibt. Der einzige Grund, der eine Nichtberücksichtigung der erbrachten und abschließend in der Summe der EP bewerteten Vorleistung des Versicherten (hier ausschließlich durch Beitragszeiten) rechtfertigen kann, ist die durch § 63 Abs 5 SGB VI verfassungs- und systemgemäß für alle Rentner zwingend angeordnete Vermeidung von Vorteilen, die der einzelne Versicherte zu Lasten der Beitragszahler und der Steuerzahler daraus zieht, dass er eine längere Rentenbezugsdauer hat, als allen Versicherten für den Regelfall versprochen ist. Einen Sachgrund, jemandem die durch Vorleistung erworbene Rentenhöhe auch dann noch zu versagen, wenn er seinen zusätzlichen Vermögensvorteil aus "vorzeitiger" Inanspruchnahme seiner Altersrente mittels Rentenkürzung zurückgezahlt hat, gibt es nicht.

2. Keine Rechtfertigung des weiteren individuellen Rentenentzugs aus einer Kollektivhaftung der "vorzeitigen" Rentner

Diese Ungleichbehandlung kann nicht mit dem Hinweis gerechtfertigt werden, dass andere Versicherte, die ihre Rente "vorzeitig" in Anspruch genommen haben, sterben, bevor sie (oder ihre Hinterbliebenen) ihre Vermögensvorteile ausgeglichen haben. Denn nach dem SGB VI stehen die Inhaber der Gestaltungsrechte, die "vorzeitig" Rente beanspruchen, untereinander in keinem Gesamtschuldverhältnis und in keinem Haftungsverbund. Eine gesetzliche Norm, die eine Gesamtschuldnerschaft oder Gesamthaftung der "vorzeitigen" Rentner auf Ausgleich der "Zusatzkosten" anordnet, ist - unabhängig von ihrer problematischen Gültigkeit - im SGB VI nicht enthalten. Kein Renteneigentümer haftet mit dem von ihm durch seine Vorleistung Erworbenen für den Ausgleich von rechtmäßig, aber systemwidrig erlangten Vorteilen eines anderen Renteneigentümers. Kein Renteneigentümer muss mit seiner Rente dafür einstehen, dass in versicherungsmathematischen Berechnungen der Schein erweckt werden kann, die Ausübung von Gestaltungsrechten vor Vollendung des 65. Lebensjahres sei über 40 Jahre hinweg betrachtet im Wesentlichen kostenneutral. In der Wirklichkeit steigt hingegen tatsächlich die Ausgabenlast und damit die Beitragslast (nicht notwendig der Beitragssatz) in den Jahren der vorzeitigen Inanspruchnahme an. Erst bei einer durchschnittlichen Betrachtung über vier Jahrzehnte anhand der Unterstellung, dass die letzten Rentenbezieher, bei denen man im genannten Sinne "einsparen" kann, im Alter von 100 bzw hier 103 Jahren gestorben sein werden, entsteht der bloße Schein einer Kostenneutralität. Dies ändert aber nichts an der Wirklichkeit der mehr als 27 Jahre andauernden Erhöhung der Lasten für die Beitrags- und Steuerzahler (und indirekt auch für den Teil der beitragstragenden Arbeitnehmer) und daran, dass die länger Lebenden "die Schulden" der früher Gestorbenen bezahlen sollen, ohne dass ein entsprechender Schuldner- oder Haftungsverbund zwischen ihnen bestanden hat.

3. Zur Ungleichbehandlung mit "vorzeitigen" Rentnern, die vor Ablauf von 27 Jahren und zehn Monaten nach Rentenbeginn sterben

Objektiv gleichheitswidrig ist auch der relative Abschlagswert von 0,003 für jeden "vorzeitigen" Rentenmonat, der zu einer Dauer des Vorteilsausgleichs von 27 Jahren und zehn Monaten führt. Er bewirkt eine benachteiligende Ungleichbehandlung der länger lebenden gegenüber den früher sterbenden "vorzeitigen" Rentnern und Rentnerinnen, die das Gestaltungsrecht "Altersrente für langjährig Versicherte" vorzeitig ausgeübt haben. Nach 27,778 Jahren ab Rentenbeginn sind die meisten davon (und ihre Hinterbliebenen) ohne vollen Ausgleich des Vermögensvorteils gestorben. Für Rentner ist diese Grenze ambivalent. Die niedrige Ausgleichsrate geht über eine lange Laufzeit und die meisten Rentner sterben vorher, ohne den Vorteil ausgeglichen zu haben; (allerdings hinterlassen etwa 75 vH rentenberechtigte Hinterbliebene, die aber ebenfalls zumeist vor der "Rückzahlung„ sterben oder aus dem Leistungsbezug ausscheiden). Andererseits steht ihnen nicht ihre volle Rente, sondern nur ein gekürzter Rentenbetrag zur Verfügung. Bei einer primär am verlässlichen Geldzuwachs orientierten ökonomischen Betrachtungsweise ist es für jeden Versicherten günstiger, "vorzeitig" Rente in Anspruch zu nehmen.

a) Nach den oben genannten Gesetzesmaterialien wurde bei den Beratungen zum RRG 1992 und zum RuStFöG, an welche sich auch das WFG anlehnt, über die Höhe der Abschlagsrate, nicht aber über die davon abhängige Laufzeit des Vorteilsausgleichs gesprochen. Die Verknüpfung der Ausübung der jeweiligen Gestaltungsrechte auf vorzeitige Altersrenten mit einer Minderung der Rentenhöhe für Monate der "vorzeitigen" Inanspruchnahme wurde im Zusammenhang der Zurückdrängung der "Frühverrentungspraxis" und der Verbesserung der zahlenmäßigen Relation zwischen Beitragszahlern und Rentnern gesehen. Die durch das Vorziehen bedingte längere Rentenlaufzeit solle durch einen Zugangsfaktor ausgeglichen werden, sodass aus einem vorzeitigen Rentenbezug im Vergleich zu anderen kein Vorteil mehr entstehe. "Wegen der sonst entstehenden Vorfinanzierungskosten" solle ein Rentenbezug vor den maßgeblichen Altersgrenzen grundsätzlich nicht möglich sein.

b) Welche "Vorfinanzierungskosten" in einem Leistungssystem anfallen können, das gemäß § 153 SGB VI auf dem Vorrang der gesetzlichen Leistungsversprechen vor den gesetzlich festzulegenden Einnahmen und auf einer kalenderjährlichen (heute: faktisch monatlichen) Umlagefinanzierung beruht, ist damals weder näher erläutert worden noch erkennbar, sondern augenfällig "rentenversicherungsfremd". In der gesetzlichen Rentenversicherung hat das Gesetz vorab die Leistungsausgaben durch gesetzliche Leistungsversprechen vorgegeben, sodann hat es kalenderjährlich durch gesetzliche Regelungen über die Einnahmen für deren Deckung zu sorgen. "Vorfinanzierungskosten" eines Rentenversicherungsträgers können daher allenfalls vorübergehend und nur insoweit entstehen, als die gesetzgebende Gewalt ihrer gesetzlichen Verpflichtung, die Deckung ihrer Leistungsversprechen gesetzlich zu regeln, nicht erfüllt hat.

c) Zutreffend wurde damals in der Begründung des Gesetzentwurfs (RRG 1992) hervorgehoben, dass der Zugangsfaktor grundsätzlich 1,0 ist. In den oben genannten Anhörungen im Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung hat der Sachverständige Prof. Dr. Ruland (damals noch VDR e.V.) sich zur Höhe des Abschlags bei vorzeitigem Rentenbeginn im Wesentlichen dahingehend geäußert, er müsse die Frage, ob die vorgesehene Abschlagsrate ausreiche, die Mehrkosten eines früheren Rentenbeginns in etwa auszugleichen, an den Mathematiker weitergeben, der das berechne. Dabei müsse seines Wissens eine Reihe von Annahmen gemacht werden und das könne sich so oder so gestalten. Jedenfalls sei die "Grenze" von 0,3 vH je Monat für die Versicherten eine relativ günstige Regelung; versicherungsmathematisch hätte der Abschlag auch etwas höher angesetzt werden können. In der Anhörung vom 22. Mai 1996 (zum RuStFöG hat er bekundet, er sei hier auch auf das Glauben angewiesen und glaube den Mathematikern des VDR e.V. Ferner hat die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände mitgeteilt, sie halte den Abschlag von 0,3 vH pro Monat versicherungsmathematisch für zu niedrig angesetzt, um die längere Rentenlaufzeit finanziell auszugleichen. Nach bisherigen Berechnungen müsse der Abschlag höher sein und bei 0,5 bis 0,6 vH pro Monat liegen. Anderenfalls komme es zu dauerhaften Belastungen der gesetzlichen Rentenversicherung. Versicherte, die sich für einen früheren Bezug der Altersrente entscheiden, täten dies - nur etwas gemildert gegenüber dem geltenden Recht - auf Kosten der übrigen Versicherten. Der Sachverständige Prof. Dr. Schmähl bekundete, es gebe etwas Streit, ob die Abschläge versicherungsmathematisch korrekt kalkuliert seien; im internationalen Vergleich seien die Abschläge im Ausland deutlich höher. Weitere Äußerungen zu diesem Thema finden sich nicht. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass die Rechtmäßigkeit der Vorgaben, die den "Versicherungsmathematikern" gemacht oder von diesen selbst aufgestellt wurden, und die ihrer normativen Wertungen (zB "fair") jemals juristisch geprüft wurde.

d) Allein in der Erwähnung von nicht näher benannten "Vorfinanzierungskosten" und in den genannten Stellungnahmen klingt der Aspekt an, dass eine Neubestimmung der Bedeutung des Zugangsfaktors im Sinne einer "Kollektivhaftung" der länger Lebenden mit erwogen worden sein könnte, dass er also nicht nur den vom Versicherten durch "vorzeitige" Inanspruchnahme der Rente individuell erlangten Vermögensvorteil ausgleichen soll. Dann müsste der Zugangsfaktor - insofern grundsätzlich anders als das bisherige Recht (§§ 63 Abs 5 iVm 77 Abs 1 SGB VI) - als Mittel dafür dienen, die Zusatzbelastung der gesetzlichen Rentenversicherung durch "vorzeitige" Rentenzahlungen für die Rentenversicherung insgesamt in einem - allerdings nur mathematischen Sinn - "kostenneutral" auszugestalten. Ein solcher Denkansatz, der die gesetzliche Konstituierung eines "Zwangshaftungsverbundes" der Versicherten, die Altersrente "vorzeitig" in Anspruch nehmen, vorausgesetzt hätte, hat jedoch weder in den "Gesetzesmaterialien" noch in §§ 63 Abs 5 iVm 77 Abs 1 und Abs 2 Satz 1 Nr 1 und 2 Buchst a SGB VI und auch an keiner anderen Stelle in diesem Gesetz auch nur ansatzweise Ausdruck gefunden. Schon deshalb ist nicht darauf einzugehen, ob ein solches Vorhaben verfassungsgemäß gewesen wäre.

e) Bereits die in einem Parallelverfahren (Vorlagebeschluss vom 28. Oktober 2004, B 4 RA 3/03 R) mit Unterstützung der Beklagten durch den Senat vorgenommenen Überprüfungen der Berechnung des Abschlags, die ohne die Annahme eines besonderen Zwangshaftungsverbundes anhand statistischer Vorgaben über die fernere Lebenserwartung und unter Berücksichtigung fortgeschriebener Sterbetafeln erfolgten, haben hierzu ergeben, dass zur Vermeidung von Ungleichbehandlungen um einige Jahre kürzere Vorteilsausgleichszeiten mit höheren Abschlägen sowohl für Männer als auch für Frauen zu Grunde zu legen wären. Diese Ergebnisse wurden nun unter Anwendung des statistischen Medians bestätigt. Da die Sterbetafeln nur Aussagen über die Sterbewahrscheinlichkeit einzelner Altersjahrgänge treffen, kann aus ihnen weder die tatsächliche Lebenserwartung einer einzelnen Person noch auf statistischer Grundlage eine empirisch typisierende Aussage über die tatsächliche typische Lebenserwartung von Personen entnommen werden.

Es ist aber erkennbar, wann nach Ablauf von wie vielen Jahren der größte Teil eines Jahrgangs voraussichtlich gestorben sein wird. Für die Berechnung kommen verschiedene statistische Modelle in Betracht, vor allem Modus, Mittelwert und Median. Während der Modus auf das Lebensjahr mit der höchsten Sterbehäufigkeit abstellt und auf Grund der hohen Streuung sehr ungenau ist, wird bei der Mittelwert-Methode der Durchschnittswert aller Sterbefälle eines Jahrgangs gebildet. Auch diese Methode ist sehr ungenau, da "Ausreißer", also besonders früh oder besonders spät versterbende Personen zu einer erheblichen Verfälschung des Gesamtergebnisses führen. Zwar kann mit keiner statistischen Methode die individuelle Lebenserwartung eines Versicherten berechnet werden, und auch die Bestimmung der ferneren Lebenserwartung anhand des Medians (dazu sogleich) enthält auf Grund des gegenüber dem Durchschnittswert höheren Standardfehlers einige Ungenauigkeiten. Jedoch bildet für die hier entscheidende Frage der Ermittlung eines Zeitpunktes, ab wann möglichst wenige Rentenbezieher bereits vorher verstorben sind und möglichst wenige Rentner erst hinterher versterben werden, der sog Median, also die 50-zu-50-"Wahrscheinlichkeit" des Überlebens der "vorzeitigen" Rentner, - im Hinblick auf die ab Altersrentenbeginn laufende sog fernere Lebenserwartung - die genaueste Methode.

Mittels dieser wird anhand der (ggf sog "fortgeschriebener") Sterbetafeln der Zeitpunkt abgelesen, zu dem (bisher) die Hälfte der Vertreter eines Rentnerjahrgangs verstorben ist und die andere Hälfte noch lebt. Die Wahrscheinlichkeit, dass sowohl die Ausgleichsrentner als auch die Rentner ohne Abschlag eines Jahrgangs zu diesem Median-Zeitpunkt versterben, ist zu diesem Zeitpunkt am höchsten. Erhöht man die Ausgleichszeit, wächst zugleich die Wahrscheinlichkeit, dass mehr als 50 vH der Rentner vor ihrem Ablauf verstorben sind und somit die Gruppe derjenigen, die ihren Vorteil "mit ins Grab nehmen", im Vergleich zu der noch den Ausgleich zahlenden Gruppe größer ist. Verringert man die Ausgleichszeit, würde die Gefahr dieser Ungleichbehandlung minimiert, zugleich müsste wegen der geringeren Zeitspanne der Abschlag erhöht werden. Die Median-Methode entspricht daher am ehesten dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Unter Zugrundelegung der Sterbetafeln des Statistischen Bundesamtes und der Formel B = z : (a + z) x 100 ( B = längere Bezugsdauer in %; a = voraussichtliche Bezugsdauer eines bei Rentenbeginn 62-, 63- bzw. 64-Jährigen ab dem 65. Lebensjahr; z = Anzahl der Monate, um die die Rente vorzeitig in Anspruch genommen wird) ergibt sich für männliche Versicherte differenziert nach Zugrundelegung des Durchschnittsalters bzw des Medians folgender Abschlag:

- Männliche Rentner -

Methode

Fernere Lebenserwartung eines bei Rentenbeginn 62-Jährigen in Jahren

Fernere Lebenserwartung eines bei Rentenbeginn 62-Jährigen in Monaten

Verlängerte Bezugsdauer -B- (36 Monate) im Verhältnis zur voraussichtlichen Lebenserwartung eines bei Rentenbeginn 62-Jährigen in %

Monatlicher Rentenabschlag bei verlängerter Bezugsdauer von 36 Monaten

Durchschnittliche Lebenserwartung

18,29

219,48

16,4024

0,004556

Median

18,72421

224,69

16,02207

0,0044505

Methode

Fernere Lebenserwartung eines bei Rentenbeginn 63-Jährigen in Jahren

Fernere

Lebenserwartung eines bei Rentenbeginn 63-Jährigen in Monaten

Verlängerte Bezugsdauer -B- (24 Monate) im Verhältnis zur voraussichtlichen Lebenserwartung eines bei Rentenbeginn 63-Jährigen in %

Monatlicher Rentenabschlag bei verlängerter Bezugsdauer von 24 Monaten

Durchschnittliche Lebenserwartung

17,54

210,48

11,4025

0,004751

Median

17,8928

214,7136

11,1776

0,004657

Methode

Fernere

Lebenserwartung eines bei Rentenbeginn 64-Jährigen in Jahren

Fernere

Lebenserwartung eines bei Rentenbeginn 64-Jährigen in Monaten

Verlängerte Bezugsdauer -B- (12 Monate) im Verhältnis zur voraussichtlichen Lebenserwartung eines bei Rentenbeginn 64-Jährigen in %

Monatlicher Rentenabschlag bei verlängerter Bezugsdauer von 12 Monaten

Durchschnittliche Lebenserwartung

16,80

201,60

5,9523

0,0049603

Median

17,07

204,84

5,8582

0,004881

Würde man die Ausgleichszeit für die Rückzahlung des Vorteils mittels eines Abschlags an diesem Median orientieren, fiele dieser zwar mit ca 0,0045 für Männer höher aus, zugleich würde es aber heißen, dass die Höhe des Abschlags sich an dem Zeitpunkt orientiert, an dem der auf Grund der Frühverrentung gewährte Vorteil ausgeglichen und gleichzeitig mit 50%iger Wahrscheinlichkeit sowohl der vorzeitige Rentenbezieher selbst als auch alle anderen Rentner dieses Jahrgangs verstorben sein werden. Daher wäre es für den Einzelnen - anders als nach geltendem Recht - bei wirtschaftlicher Betrachtung nicht mehr voraussichtlich vorteilhaft, Rente "vorzeitig" in Anspruch zu nehmen. Die wirtschaftliche Förderung der Frühverrentung zu Lasten der länger Lebenden entfiele.

f) Das Gesetz hat hingegen einen für alle gleichen sowie zudem statischen Ausgleichszeitpunkt festgesetzt. Er führt dazu, dass zB ein 63-jähriger Zugangsrentner im Alter von 90 Jahren und zehn Monaten seinen Vermögensvorteil ausgeglichen hat. Danach muss er auf Lebenszeit (ggf durch seine Hinterbliebenen) für den Ausgleich der Vermögensvorteile der vor dem Ausgleichszeitpunkt Gestorbenen sorgen. Solche Versicherten werden - wie gesagt - nicht nur gegenüber den "abschlagsfreien" Rentnern mit gleicher Vorleistung, die älter als 90 Jahre und zehn Monate sind, benachteiligt (bei den vorgezogenen Altersrenten, die ab vollendetem 60. Lebensjahr beansprucht werden können, ist auf solche abzustellen, die älter als 87 Jahre und zehn Monate sind), sondern auch gegenüber den vor dem Ausgleichszeitpunkt verstorbenen Versicherten, die ihren Rentenvorteil nach gesetzlicher Planung "mit ins Grab" nehmen dürfen.

Wie viele Rentner mit einem Lebensalter von 90 Jahren und zehn Monaten betroffen sein könnten, ergibt sich nicht aus den statistischen Unterlagen, wie sie in "Rentenversicherung in Zeitreihen", herausgegeben vom Verband Deutscher Rentenversicherungsträger, VDR e.V., Juli 2004, DRV-Schriften Bd 22, veröffentlicht worden sind. Danach lassen sich zwar ua bei den Versichertenrenten das durchschnittliche Rentenwegfallsalter (in der Arbeiterrenten- und Angestelltenversicherung liegt es in Deutschland ≪= alte und neue Bundesländer≫ bei Männern bei 73,0 Jahren, bei den Frauen bei 79,1 Jahren, bezogen auf das Jahr 2003, S 128 aaO) und die durchschnittliche Rentenbezugsdauer feststellen (in der Arbeiterrenten- und Angestelltenversicherung liegt sie in Deutschland bei Männern bei 14,3 Jahren und bei Frauen bei 19,3 Jahren, bezogen auf das Jahr 2003, S 133 aaO). Solche durchschnittlichen Daten besagen jedoch nichts darüber, wie viele Versicherte noch in einem wesentlich höheren Lebensalter eine Versichertenrente bezogen haben bzw beziehen. Nach den Daten zur "ferneren Lebenserwartung von Versichertenrentnern" (S 134 aaO) hatten in Deutschland in den Jahren 2001/2003 die damals 90-jährigen Männer eine weitere Lebenserwartung von 3,45 Jahren und die entsprechende Vergleichsgruppe der Frauen von 4,06 Jahren. Damit lässt sich zwar nicht konkret angeben, wie viele Versicherte in diesem Lebensabschnitt eine "Altersrente für langjährig Versicherte" bezogen haben, jedoch sind die Daten ein Indiz für eine nicht zu vernachlässigende Größenordnung.

Die vermeidbare, jedenfalls deutlich verringerbare Ungleichbehandlung bei gleicher Vorleistung ist durch Sachgründe nicht gerechtfertigt. Nach den Sterbetafeln des Statistischen Bundesamtes steigt mit zunehmendem Alter die Lebenserwartung, da bestimmte Sterblichkeitsrisiken mit zunehmendem Alter überwunden werden. Dennoch handelt es sich um eine Momentaufnahme, die nur die derzeitigen Verhältnisse ohne Rücksicht auf zu erwartende Entwicklungen (zB Fortschritt in der Medizin) wiedergibt. Es ist nicht ausgeschlossen (in der gesetzlichen Rentenversicherung wie bei privaten Versicherungsträgern) den Sterblichkeitstrend auch unter Berücksichtigung solcher zukünftigen Entwicklungen einzuschätzen. Die Gesetzgebung könnte auch einen dynamischen statt statischen Abschlag regeln.

g) Ferner wird - wie bereits gesagt - auch auf die bislang vom Gesetz geregelte Art und Weise eine Kostenneutralität für die Beitrags- und Steuerzahler und ggf Beitragstragenden nicht in Wirklichkeit, sondern nur in versicherungsmathematischer Darstellung eines Durchschnittswerts über einen Zeitraum von 40 Jahren erreicht. Demgegenüber steigen in der Wirklichkeit die Lasten zunächst an. Später werden sie dann mit einer Zeitverschiebung um Jahrzehnte auch von den älteren Rentnern und ihren Hinterbliebenen durch unzulässige Sonderopfer ausgeglichen.

h) In der Wirklichkeit werden außerdem in den Jahren vor dem Vorteilsausgleichszeitpunkt den Selbstzahlern, die dem nicht ausweichen können, und den Arbeitgebern, die nicht in entsprechendem Umfang ihre pflichtversicherte Belegschaft reduzieren können, zusätzliche Beitragslasten aufgebürdet, ebenso den Steuerzahlern und, falls der Arbeitgeber sich durch den sog Beitragsabzug refinanziert, den dadurch beitragstragenden Arbeitnehmern. Diese Regelung führt zugleich kraft Gesetzes zu gleichheitswidrigen Beitragslastverschiebungen unter den Finanzierern der gesetzlichen Rentenversicherung. Denn Arbeitgeber, die pflichtversicherte Beschäftigte "frühverrenten", senken insoweit ihre Beitragsschuld gegen den Rentenversicherungsträger, erhöhen zugleich dessen Leistungspflichten und damit (wegen der oben genannten Vorrangigkeit des gesetzlichen Leistungsversprechens vor der gesetzlichen Einnahmensicherung) im kalenderjährlichen Umlageverfahren die Beitragsschulden sowohl der anderen Arbeitgeber, die nicht in gleichem Maße Arbeitnehmer "frühverrenten" oder sonst entlassen können, als auch die der Selbstzahler, die in aller Regel dem zusätzlichen Beitragsdruck überhaupt nicht ausweichen können (näher dazu: prognosAG , Bestandsaufnahme und Bewertung praktizierter Modelle zu vorgezogenen Ruhestandsregelungen, Forschungsvorhaben im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Forschungsbericht 152 ≪1987≫; Rosenow/Naschold , Die Regulierung von Altersgrenzen - Strategien von Unternehmen und die Politik des Staates, herausgegeben vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, 1994, insbesondere S 238 bis 247; Gatter/Hartmann , Betriebliche Verrentungspraktiken zwischen arbeitsmarkt- und rentenpolitischen Interessen, MittAB 1995 S 412 bis 424; Bäcker/Naegele , Ältere Arbeitnehmer zwischen Langzeitarbeitslosigkeit und Frühverrentung, WSI Mitteilungen 1995 S 777 bis 784).

4. Zur Ungleichbehandlung von Frauen gegenüber Männern

Die Problematik der Abschlagsberechnung im Sinne eines Ausgleichs von erlangten Vorteilen durch vorzeitigen Rentenbezug stellt sich verschärft, wenn man auf die unterschiedliche fernere Lebenserwartung von Männern und Frauen abstellt, die sich signifikant unterscheidet. Seit der Einführung von Sterbetafeln im 17. Jahrhundert ist bekannt, dass Frauen eine deutlich höhere Lebenserwartung als Männer aufweisen. Unter Zugrundelegung der Formel B = z : (a + z) x 100 (siehe oben Ziff 3 Buchst e) würden sich, wie bereits oben für Männer errechnet, für Frauen folgende veränderte Rentenabschläge ergeben:

- Rentnerinnen -

Methode

Fernere

Lebenserwartung einer bei Rentenbeginn 62-Jährigen in Jahren

Fernere

Lebenserwartung einer bei Rentenbeginn 62-Jährigen in Monaten

Verlängerte Bezugsdauer -B- (36 Monate) im Verhältnis zur voraussichtlichen Lebenserwartung einer bei Rentenbeginn 62-Jährigen in %

Monatlicher Rentenabschlag bei verlängerter Bezugsdauer von 36 Monaten

Durchschnittliche Lebenserwartung

22,18

266,16

13,5256

0,003757

Median

23,1471

277,7652

12,9605

0,0036

Methode

Fernere

Lebenserwartung einer bei Rentenbeginn 63-Jährigen in Jahren

Fernere

Lebenserwartung einer bei Rentenbeginn 63-Jährigen in Monaten

Verlängerte Bezugsdauer -B- (24 Monate) im Verhältnis zur voraussichtlichen Lebenserwartung einer bei Rentenbeginn 63-Jährigen in %

Monatlicher Rentenabschlag bei verlängerter Bezugsdauer von 24 Monaten

Durchschnittliche Lebenserwartung

21,32

255,84

9,3808

0,003908

Median

22,2166

266,5992

9,0023

0,00375

Methode

Fernere

Lebenserwartung einer bei Rentenbeginn 64-Jährigen in Jahren

Fernere

Lebenserwartung einer bei Rentenbeginn 64-Jährigen in Monaten

Verlängerte Bezugsdauer -B- (12 Monate) im Verhältnis zur voraussichtlichen Lebenserwartung einer bei Rentenbeginn 64-Jährigen in %

Monatlicher Rentenabschlag bei verlängerter Bezugsdauer von 12 Monaten

Durchschnittliche Lebenserwartung

20,46

245,52

4,8876

0,004073

Median

21,2925

255,51

4,6964

0,003914

Daher stellt sich darüber hinaus die Frage, ob in dem nach derzeitiger Gesetzeslage gleich hohen Abschlag nicht zugleich ein Verstoß gegen Art 3 Abs 2 GG, jedenfalls gegen Art 3 Abs 1 GG zu sehen ist, da Frauen auf Grund ihrer statistisch höheren Lebenserwartung mit einer größeren Wahrscheinlichkeit den Nachteil eines statischen Abschlags bei frühzeitiger Verrentung auch nach Ablauf von 27,778 Jahren länger tragen müssten als Männer. Zugleich ist die Wahrscheinlichkeit, dass mehr Männer als Frauen den erlangten Vorteil "mit ins Grab nehmen„, auf Grund der geringeren Lebenserwartung von Männern ebenfalls entsprechend höher. Diese Wahrscheinlichkeit einer Ungleichbehandlung gegenüber Männern ist durch keinen sachlichen Grund gerechtfertigt. Insbesondere ist diese (statistisch wahrscheinliche) Ungleichbehandlung nicht zur Lösung von Problemen, die ihrer Natur nach nur entweder bei Männern oder bei Frauen auftreten können, zwingend erforderlich. Im Sinne einer typisierenden Betrachtungsweise könnte diese Ungleichbehandlung durch einen prozentualen Abschlag bei der Festlegung der Minderung (Zugangsfaktor) gegenüber Frauen kompensiert werden. Durch einen unterschiedlichen Abschlag für Frauen und Männer, der sich am Median orientiert, würde diese sachwidrige Gleichbehandlung jedenfalls grundsätzlich vermieden. Auch hier hätte zudem ein dynamischer Abschlag in Vergleich zum statischen Abschlag den Vorteil, dass Veränderungen in der Lebenserwartung entsprechend berücksichtigt werden könnten.

Hierdurch würde nicht gegen europäisches Recht verstoßen, sondern eine ungerechtfertigte inhaltliche Benachteiligung von Frauen beseitigt. Eine Norm des Europarechts, die solche Regelungen verbieten würde, gibt es nicht. So betrifft Art 141 EG-Vertrag ausschließlich die Gleichbehandlung von Männern und Frauen durch den Arbeitgeber bei der Gewährung von Entgelt, hingegen nicht die Gleichbehandlung innerhalb der staatlichen Systeme der sozialen Sicherheit. Die Richtlinie 2002/73/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 zur Änderung der Richtlinie 76/207/EWG des Rates zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen bezieht sich ebenso ausschließlich auf das nationale Arbeitsrecht. Die Einführung von geschlechtsunabhängigen "Unisex-Tarifen" in privaten oder öffentlich-rechtlichen Versicherungen wurde bisher nirgendwo vorgeschrieben. Art 7 der Richtlinie 79/7/EWG, mit welcher das Verbot der Diskriminierung auf Grund des Geschlechts auch für den Bereich der staatlichen Systeme der sozialen Sicherheit im Recht der Gemeinschaft verankert wurde, enthält eine Ausnahmevorschrift, die es den Mitgliedsstaaten gestattet, ua die Festsetzung des Rentenalters sowie bestimmte Vergünstigungen für Personen, die Kinder großgezogen haben, sowie die Gewährung von Zuschlägen zu langfristigen Leistungen wegen Alters oder Invalidität usw vom Anwendungsbereich der Richtlinie auszunehmen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) kann ein Mitgliedsstaat unter Berufung auf Art 7 unterschiedliche Altersgrenzen für Männer und Frauen einführen, wenn dies notwendig ist und objektiv mit unterschiedlichen Lebenserwartungen verbunden ist (Urteil vom 4. März 2004 Peter Haackert/PVAng C-303/02). Eine solche Verbindung besteht, wenn die Ungleichbehandlung erforderlich wird, um zu verhindern, dass das finanzielle Gleichgewicht des Systems der sozialen Sicherheit gefährdet wird oder um die Kohärenz zwischen dem System der Altersrenten und dem der anderen Leistungen zu gewährleisten (Entscheidung in der Rechtssache C-104/98 ≪Johann Buchner ua gegen Sozialversicherungsanstalt der Bauern≫, Slg. 2000, I-03625).

5. Zum Gestaltungsspielraum der Gesetzgebung und dessen Grenzen

Der Gesetzgeber hat einen weiten Gestaltungsspielraum, die Ungleichbehandlungen zu beheben. Er ist jedoch in der Frage gebunden, dass er dem Versicherten nach Abschmelzung seines individuellen Vermögensvorteils durch "vorzeitige" Inanspruchnahme der Altersrente wegen Arbeitslosigkeit wieder den Geldwert des Stammrechts auf Rente zuerkennen muss, den der Versicherte durch seine volle Vorleistung (Summe der EP) erworben hatte. Dann ist die ab dem Ausgleichszeitpunkt bislang bestehende Ungleichbehandlung gegenüber anderen Altersrentnern mit gleicher Vorleistung behoben. Die Benachteiligung gegenüber vor dem Ausgleichszeitpunkt sterbenden "vorzeitigen" Altersrentnern, die durch das weite Hinausschieben des Zeitpunkts des Vorteilsausgleichs verstärkt wird, kann der Gesetzgeber auf verschiedene Art und Weise beheben. Er kann sich zB am Median orientieren und dadurch der Frühverrentung den wirtschaftlichen Anreiz nehmen, da dann die Wahrscheinlichkeit, einen wirtschaftlichen Vorteil gegenüber einem Rentenbezug ab 65 zu erlangen, nur 50:50 beträgt. Zugleich kann der Gesetzgeber die Gleichbehandlung der Geschlechter, die eine deutlich unterschiedliche fernere Lebenserwartung haben, durch eine ebenfalls am Median orientierte getrennt berechnete fernere Lebenserwartung von Frauen und Männern und daran ausgerichtete Berechnung des Abschlags bei Frühverrentung gewährleisten. Es ist aber auch nicht ausgeschlossen, dass er sich an den Sterbetafeln, die zum Teil fortgeschrieben sind, orientiert oder sogar das Konzept des statischen und dauerhaften Abschlags vom Zugangsfaktor zu Gunsten eines dynamischen Abschlags aufgibt, um auch den Sterbetrend in die Kalkulation mit einzubeziehen.

IV. Keine verfassungskonforme Auslegung möglich

Eine verfassungskonforme Auslegung des nach § 236 Abs 1 iVm Anlage 21 SGB VI und § 77 Abs 2 Satz 1 Nr 2 Buchst a SGB VI maßgeblichen Textes, der Zugangsfaktor sei für EP, die noch nicht Grundlage von persönlichen EP einer Rente waren, bei Renten wegen Alters, die vorzeitig in Anspruch genommen werden, für jeden Kalendermonat um 0,003 niedriger als 1,0, ist - soweit ersichtlich - bislang in Rechtsprechung und Schrifttum noch nicht erwogen worden und nach Auffassung des Senats auch nicht möglich.

V. Zur Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage 2

Die Antwort auf die Vorlagefrage 2 ist entscheidungserheblich. Ist die Vorlagefrage 1 zu bejahen und das nachkonstitutionelle Gesetz auch im Übrigen verfassungsgemäß, muss das Revisionsgericht die Revision des Klägers gegen das Urteil des LSG zurückweisen, falls auch die Vorlagefrage 2 zu bejahen ist. Verstößt die Abschlagsregelung iS der Vorlagefrage 2 jedoch gegen das Grundgesetz, müsste zwar eine gesetzliche Neuregelung die gleichheitswidrigen Regelungen beseitigen. Jedoch würde bereits die Feststellung der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes durch das BVerfG gewährleisten, dass eine solche Neuregelung ergeht. Es ist kein Umstand derzeit ersichtlich, der ausschließen könnte, dass die Neuregelung für den Kläger günstiger sein wird.

Ist die Vorlagefrage 1 zu verneinen, muss der Gesetzgeber bei der Neuregelung des § 236 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB VI auch die Gleichheitswidrigkeit iS der Vorlagefrage 2 beseitigen, falls auch diese zu verneinen ist.

 

Fundstellen

AUR 2006, 255

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