Beteiligte
Klägerin und Revisionsklägerin |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I.
Streitig ist ein Anspruch auf Hinterbliebenenrente.
Die 1939 geborene Klägerin ist die Witwe des am 9. Juli 1977 verstorbenen, bei der beklagten Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) versichert gewesenen Architekten und Dipl.-Ingenieurs Gerhard R… Sie hat seinen Tod herbeigeführt; im Zuge einer ehelichen Auseinandersetzung hat sie auf ihn mehrere Pistolenschüsse abgegeben; einer der Schüsse war tödlich. Sie ist hierwegen strafgerichtlich wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe rechtskräftig verurteilt.
Den Antrag der Klägerin auf Witwenrente nach ihrem verstorbenen Ehemann vom 19. Juli 1977 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 12. Februar 1979 ab, weil sie i.S. von § 54 Abs. 1 Satz 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) den Tod des Versicherten vorsätzlich herbeigeführt habe.
Klage und Berufung blieben ohne Erfolg. Mit dem angefochtenen Urteil vom 13. April 1981 hat das Landessozialgericht (LSG) das Rechtsmittel gegen das klageabweisende Urteil des Sozialgerichts (SG) zurückgewiesen und ausgeführt: Für die Auslegung des Begriffs "vorsätzlich" fänden die Grundsätze des Strafrechts Anwendung. Danach sei Vorsatz das Wissen und Wollen der zum gesetzlichen Tatbestand gehörenden objektiven Merkmale; es genüge der bedingte oder Eventualvorsatz. Die Klägerin habe den Tod ihres Mannes in Kauf genommen. Rechtfertigungsgründe hätten nicht vorgelegen, insbesondere keine Notwehr. Auch Entschuldigungsgründe fehlten; insbesondere habe die Klägerin die Grenzen der Notwehr nicht nur entschuldbar überschritten. Schließlich sei sie auch schuldfähig gewesen.
Das LSG hat in diesem Urteil die Revision zugelassen.
Die Klägerin hat die Revision eingelegt und ausgeführt: Vorsätzliches Handeln brauche keineswegs rechtswidrig zu sein, z.B. im Falle der Notwehr oder der Nothilfe. In diesen Fällen könne trotz Vorsitzes § 54 Abs. 1 Satz 2 RVO nicht angewendet werden. Das gleiche müsse für eine Notwehrsituation der Witwe gelten, wovon in ihrem Fall die Schwurgerichtskammer ausgegangen sei. Dies gebiete auch der Sinn und Zweck der Witwenrente, der Rollenaufteilung unter den Ehegatten Rechnung zu tragen. Rechtswidrig sei nur "ein Teil ihrer Handlung" gewesen; sie hätte laut Schwurgerichtskammer angesichts der Notwehrsituation auf die Beine des Versicherten, nicht auf dessen Brust schießen dürfen.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 13. April 1981 und das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 10. Oktober 1979 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 12. Februar 1979 zu verurteilen, ihr Witwenrente aus der Versicherung des Gerhard R… vom 1. August 1977 an zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,Die Revision zurückzuweisen.
Ihrer Meinung nach hat das LSG zutreffend auf den Vorsatzbegriff des Strafrechts abgestellt. Die Klägerin habe zumindest mit bedingtem Tötungsvorsatz auf den Versicherten geschossen. An der Beurteilung des Falles ändere sich auch nichts dadurch, daß die Klägerin zwar in Notwehr gehandelt, dabei jedoch das zur Abwehr eines gegenwärtigen rechtswidrigen Angriffs erforderliche Maß überschritten habe, ohne insoweit entschuldigt zu sein. Der Klägerin sei es nicht gelungen, im Strafverfahren Entschuldigungs- oder Schuldausschließungsgründe überzeugend darzutun. Nicht zu beanstanden sei, daß sich das LSG in tatsächlicher Hinsicht auf die Feststellungen der Schwurgerichtskammer gestützt habe. Aufgrund der sehr gründlichen Feststellungen und sorgfältigen Würdigungen der Schwurgerichtskammer habe für das LSG kein Grund bestanden, weitere Ermittlungen zum Tathergang und zur Schuldfrage anzustellen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Klägerin ist zulässig, aber nicht begründet.
Nach § 41 AVG (= § 1264 der Reichsversicherungsordnung - RVO) erhält die Witwe nach dem Tod des versicherten Ehemannes Witwenrente, wenn dieser zur Zeit des Todes u.a. eine Versicherungszeit von 60 Kalendermonaten zurückgelegt hatte (§ 40 Abs. 2 i.V.m. § 23 Abs. 3 AVG = § 1263 Abs. 2 i.V.m. § 1246 Abs. 3 RVO). Das war bei dem verstorbenen Ehemann der Klägerin der Fall. Indessen wird der Anspruch der Klägerin auf Witwenrente nach Gerhard R… durch § 54 Abs. 1 Satz 2 AVG (= § 1277 Abs. 1 Satz 2 RVO) ausgeschlossen: Nach dieser Vorschrift haben Hinterbliebene keinen Anspruch auf Rente, wenn sie den Tod des Versicherten vorsätzlich herbeigeführt haben. Das hat die Klägerin getan.
Ihr ist zuzugeben, daß § 54 Abs. 1 Satz 2 a.a.O. trotz vorsätzlicher Tötung des Versicherten den Anspruch auf Hinterbliebenenrente dann nicht ausschließt, wenn die Tötung objektiv nicht rechtswidrig war. Eine Handlung, die - schon objektiv - nicht gegen die Rechtsordnung verstößt, kann nicht mit einem rechtlichen Nachteil belegt sein; § 54 Abs. 1 Satz 2 AVG brauchte daher nicht ausdrücklich zu bestimmen, daß nur eine rechtswidrige vorsätzliche Tötung des Versicherten den Anspruch auf Hinterbliebenenrente ausschließt.
In diesem Zusammenhang beruft sich die Klägerin jedoch ohne Erfolg darauf, daß sie ihren Mann "in einer Notwehrsituation" getötet habe. Diese rechtfertigte ihre Tat nicht: Das LSG hat dazu unter Würdigung der Strafakten und des Urteils der Schwurgerichtskammer beim Landgericht Essen vom 24. April 1978 in der Strafsache gegen die Klägerin festgestellt, daß deren Schüsse auf Gerhard R… nicht durch Notwehr - Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff abzuwenden - geboten gewesen seien; Warnschüsse oder "Schüsse in Richtung der Beine des Versicherten" wären ein geeignetes und nicht weniger sicheres Verteidigungsmittel gewesen. An diese tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts ist der Senat als Revisionsgericht nach § 163 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) gebunden; die Klägerin hat sie nicht nur nicht in der Form des § 164 Abs. 2 Satz 3 SGG mit Rügen der Verletzung von Verfahrensrecht angegriffen, sondern in der Revisionsbegründung eingeräumt, daß sie mit der Tötung ihres Mannes das zur Abwehr eines von ihm gegen sie gerichteten rechtswidrigen Angriffs erforderliche Maß überschritten habe. Damit war die Tötung nicht nur, wie sie meint, "zum Teil", sondern insgesamt rechtswidrig.
Die Klägerin hat den Tod des Versicherten i.S. von § 54 Abs. 1 Satz 2 AVG auch "vorsätzlich" herbeigeführt. Die Vorschrift erklärt, was in bezug auf die Tötung des Versicherten die subjektive Vorwerfbarkeit - das Verschulden - des Hinterbliebenen betrifft, einerseits die Fahrlässigkeit -Außerachtlassung von Sorgfaltspflichten, vgl. § 276 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) und § 15 des Strafgesetzbuchs (StGB) - nicht für ausreichend, den Anspruch auf Hinterbliebenenrente auszuschließen; sie verlangt andererseits hierzu nicht die Absicht der Tötung (vgl. § 54 Abs. 1 Satz 1 AVG). Notwendig aber auch ausreichend ist hiernach, daß der Hinterbliebene den Tod des Versicherten - mag er ihn auch nicht gewünscht haben - zumindest billigend in Kauf genommen hat (sog. bedingter Vorsatz, vgl. für das Verschulden im Zivilrecht z.B. BGHZ 7, 311; 313; Palandt, BGB, 41. Aufl., § 276 Anm. 3 a); für die Schuld im Strafrecht BGHSt 7, 363; Lackner, StGB, 13. Aufl., § 15 Anm. 3 b/aa m.w.N.).
Daß die Klägerin, als sie auf ihren Ehemann schoß, den Eintritt des Todes zumindest billigend in Kauf genommen hat, steht nach dem angefochtenen Urteil außer Zweifel. Das LSG hat dies nämlich, wiederum unter eingehender Würdigung der Ergebnisse der Beweisaufnahme im Strafverfahren, so festgestellt. An diese - eine sog. innere Tatsache betreffende - Feststellung ist der Senat gebunden (§ 163 SGG), ebenso daran, daß die Klägerin nach den tatsächlichen Gegebenheiten schuldfähig war und sich nicht auf Schuldausschließungsgründe berufen kann. Insbesondere braucht dem nachdrücklichen Argument der Klägerin, sie habe sich laut Strafurteil dem Versicherten gegenüber in einer "Notwehrsituation" befunden und sei berechtigt gewesen, dessen Angriffe abzuwehren, nicht näher getreten zu werden. Ihre Schuld am Tode des Versicherten hat die bloße Fahrlässigkeit bis mindestens zum bedingten Vorsatz überschritten; damit ist § 54 Abs. 1 Satz 2 AVG anwendbar. Unerheblich ist dagegen, daß der Klägerin die "Notwehrsituation" nach § 46 Abs. 2 StGB strafmildernd zugute gehalten werden konnte; § 54 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 AVG belegen den grundsätzlich Rentenberechtigten deswegen mit dem Anspruchsausschluß, weil er allein schon durch das vorsätzliche Herbeiführen des leistungsauslösenden Versicherungsfalles grob gegen die Pflicht zum solidarischen Verhalten verstoßen hat, die sich die Versicherten der gesetzlichen Rentenversicherung gegenseitig schulden (vgl. zur Unerheblichkeit einer "geringeren Schuld" im Falle des Vorsatzes auch die Entscheidung des BSG vom 26. November 1981 - 5 b/5 RJ 138/80 - und den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Mai 1982 - 1 BvR 43/82).
Das LSG hat nach alledem richtig erkannt, daß der Anspruch der Klägerin auf Witwenrente durch § 54 Abs 1 Satz 2 RVO ausgeschlossen ist. Die Revision der Klägerin gegen das zutreffende Urteil des Berufungsgerichts war als unbegründet zurückzuweisen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten (§ 193 SGG).
Fundstellen