nicht-rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Herbeiführen des Todes. Vorsatz. Rechtswidrigkeit. Erlaubnistatbestandsirrtum. Anspruchsausschluß

 

Leitsatz (amtlich)

1. Tötet eine Hinterbliebene den Versicherten in der irrigen Annahme, ihr Handeln sei durch Vorliegen einer Notwehrlage gerechtfertigt, steht ihr kein Anspruch auf Hinterbliebenenrente zu, weil ihr Tatbestandsvorsatz davon unberührt bleibt.

2. Der Umstand, daß im Falle eines vermeidbaren Irrtums eine Bestrafung wegen fahrlässiger Tötung erfolgt, macht die Vorsatztat nicht zu einer Fahrlässigkeit.

 

Normenkette

AVG §§ 41, 54 Abs. 1 S. 2; StGB §§ 212, 222, 32, 16

 

Verfahrensgang

SG Trier (Urteil vom 14.03.1984; Aktenzeichen S 2 A 95/82)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 14. März 1984 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die im … 1940 geborene Klägerin ist die Witwe des am … 1981 im Alter von 28 Jahren verstorbenen Versicherten P. F. (F.). Der Tod des Versicherten trat auf Grund einer Schußverletzung ein, die ihm die Klägerin zufügte. Diese wurde deshalb durch rechtskräftiges Urteil des Landgerichts (LG) Trier – Schwurgerichtskammer – vom 9. Juni 1982 wegen fahrlässiger Tötung zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren verurteilt.

Auf Aufforderung der beigeladenen Landesversicherungsanstalt (LVA) Rheinland-Pfalz, die über das Wiederaufleben der Witwenrente aus der Versicherung des 1. Ehemannes zu entscheiden hat, beantragte die Klägerin im April 1982, ihr Witwenrente aus der Versicherung des F. zu gewähren. Diesen Antrag lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 10. November 1982 mit der Begründung ab, der Hinterbliebenenanspruch entfalle, weil die Klägerin den Tod des F. – zumindest bedingt – vorsätzlich herbeigeführt habe; die strafrechtliche Wertung des – sogar vermeidbaren – Irrtums über das Vorliegen einer Notwehrlage stehe dem nicht entgegen.

Mit ihrer Klage zum Sozialgericht (SG) Trier hat die Klägerin geltend gemacht: Das Handeln aus einer irrig angenommenen Notwehrlage heraus führe zum Ausschluß des Vorsatzes, so daß das gesamte Geschehen als fahrlässige Handlung aufzufassen sei. Das müsse einheitlich für alle Rechtsgebiete gelten, weil der in dieser Situation Handelnde sich im Gegensatz zum planend Handelnden an sich rechtstreu verhalten und keineswegs den Versicherungsfall bewußt herbeiführen wolle.

Durch Urteil vom 14. März 1984 hat das SG Trier den Bescheid vom 10. November 1982 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin Witwenrente nach Paul F. ab 5. Juni 1981 zu zahlen. Es hat ausgeführt, das Bemühen der Beklagten, die Tat als vorsätzlich hinzustellen, müsse scheitern; die Klägerin habe auf Grund ihres Irrtums ihren Ehemann eindeutig nicht vorsätzlich, sondern lediglich fahrlässig getötet.

Gegen das ihr am 28. März 1984 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit Eingang beim Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz in Mainz am 27. April 1984 Berufung eingelegt.

Sie vertritt, ihr gesamtes Vorbringen wiederholend, weiterhin die Auffassung, durch die vorsätzliche, objektiv rechtswidrige Tötung des Versicherten sei der Hinterbliebenenanspruch ohne Rücksicht darauf ausgeschlossen, daß die Strafe wegen der vorsätzlichen Tat entfalle oder nur eine Bestrafung wegen fahrlässiger Begehrung der Straftat erfolge.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des SG Trier vom 14. März 1984 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das sozialgerichtliche Urteil für zutreffend und meint, die irrtümliche Annahme einer Notwehrsituation ändere den Charakter des von ihr begangenen Tötungsdelikts von einer vorsätzlichen in eine fahrlässige Tat.

Die Beigeladene schließt sich dem Vortrag der Beklagten an.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und Beklagtenakten sowie der vom Senat beigezogenen Akte der Staatsanwaltschaft Trier Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

 

Entscheidungsgründe

Die gemäß §§ 143 ff Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das erstinstanzliche Urteil kann keinen Bestand haben. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig.

Der Klägerin steht keine Witwenrente nach § 41 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) zu. Hinterbliebene haben gemäß § 54 Abs. 1 Satz 2 AVG keinen Anspruch auf die Rente, wenn sie den Tod das Versicherten vorsätzlich herbeigeführt haben; das Herbeiführen des Versicherungsfalls Alt der Absicht, einen Rentenanspruch zu erlangen, verlangt das Gesetz nicht. Es versteht sich von selbst, daß nur eine rechtswidrige vorsätzliche Tötung des Versicherten den Hinterbliebenenanspruch ausschließt, weil eine objektiv nicht gegen die Rechtsordnung verstoßende Handlung zu keinem Rechtsnachteil führen kann. Da nach der gesetzlichen Regelung der Hinterbliebenenanspruch bei Begehrung eines fahrlässigen Tötung...

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