Rn 8

Die funktionelle Zuständigkeit, also die Verteilung der Zuständigkeit, betrifft im Insolvenzrecht, konkret beim Insolvenzgericht, den Insolvenzrichter, den Insolvenzrechtspfleger und zudem den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle.

 

Rn 9

Gemäß §§ 3 Nr. 2 e) und g), 18, 19a RPflG ist der Insolvenzrichter zuständig unter anderem für das Insolvenzverfahren bis zur Entscheidung über den Eröffnungsantrag unter Einschluss dieser Entscheidung und der Ernennung des Insolvenzverwalters. Der Richtervorbehalt besteht des Weiteren für die Entscheidung über einen Schuldenbereinigungsplan im Rahmen eines Verbraucherinsolvenzverfahrens gemäß §§ 305–3110 sowie für die Entscheidungen über Versagung und Widerruf der Restschuldbefreiung, sofern ein entsprechender Antrag eines Gläubigers vorliegt (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 und 2 RPflG), sowie über die Entscheidungen über die Begründung des Gruppen-Gerichtsstandes nach § 3a, über die Entscheidung über den Antrag auf Verweisung an das Gericht des Gruppen-Gerichtstandes nach § 3d sowie das Koordinationsverfahrens nach §§ 269d bis 269i, zudem über Entscheidungen nach §§ 344 bis 346. Zudem ist der Insolvenzrichter zuständig für diverse, in § 19a RPflG aufgelistete Fallgestaltungen nach dem internationalen Insolvenzrecht.

 

Rn 10

Nach der Entscheidung über die Eröffnung des Verfahrens und die Bestellung des Insolvenzverwalters geht die funktionelle Zuständigkeit über auf den Rechtspfleger. Der Insolvenzrichter ist jedoch befugt, sich das Insolvenzverfahren ganz oder teilweise vorzubehalten, wenn er dies für geboten erachtet (sog. Richtervorbehalt), § 18 Abs. 2 RPflG. Hält er einen solchen Vorbehalt später nicht mehr für erforderlich, kann er das Verfahren dem Rechtspfleger übertragen, wobei er auch nach einer solchen Übertragung das Verfahren abermals an sich ziehen kann (§ 18 Abs. 2 RPflG; sog. Evokationsrecht). Ein vom Rechtspfleger nach Eröffnung des Verfahrens bearbeitetes Verfahren kann der Insolvenzrichter in dessen Verlauf auch erstmalig an sich ziehen.[14] Dies wird vor allen Dingen bei komplizierten rechtlichen oder tatsächlichen Sachverhalten der Fall sein. Diese Handlung des Insolvenzrichters ist unanfechtbar und bedarf keines formellen Beschlusses, wobei es aus Gründen der Rechtssicherheit opportun ist, dieses aktenkundig zu machen.[15] Eine Vollübertragung des gesamten Insolvenzverfahrens auf den Rechtspfleger ist indes aus verfassungsrechtlichen Gründen (Art. 97 GG) abzulehnen.[16] Eine abweichende oder aus Sicht des Richters zu missbilligende Entscheidung des Rechtspflegers kann der Richter nicht durch das Evokationsrecht umgehen.[17] Dies stellt eine unzulässige Verletzung der sachlichen Unabhängigkeit und der Weisungsfreiheit des Rechtspflegers dar. In Summe stellt die Abgrenzung mittels der funktionalen Zuständigkeit eine zeitliche und keine aufgabenbezogene Abgrenzung dar.

 

Rn 10a

Richter auf Probe dürfen gem. § 22 Abs. 6 GVG im ersten Jahr der Ernennung ebenso wenig wie Rechtspfleger nach § 18 Abs. 4 RPflG Geschäfte und Aufgaben in Insolvenz- und Restrukturierungssachen übernehmen. Zudem sollen beide über belegbare Kenntnisse auf den Gebieten des Insolvenzrechts, des Restrukturierungsrechts, des Handels- und Gesellschaftsrechts sowie über Grundkenntnisse der für das Insolvenz- und Restrukturierungsverfahren notwendigen Teile des Arbeits-, Sozial- und Steuerrechts und des Rechnungswesens verfügen. Einem Richter bzw. Rechtspfleger, dessen Kenntnisse auf diesen Gebieten nicht belegt sind, dürfen die Aufgaben eines Insolvenz- oder Restrukturierungsrichters nur zugewiesen werden, wenn der Erwerb der Kenntnisse alsbald zu erwarten ist.

 

Rn 11

Nimmt ein Rechtspfleger ein dem Insolvenzrichter vorbehaltenes Geschäft oder Handlung vor, so führt dies gem. § 8 Abs. 4 RpflG zur Unwirksamkeit der Handlung. Eine Bestätigung durch den Insolvenzrichter führt nicht zu einer Heilung.[18] Umgekehrt beeinträchtigt die Vornahme eines dem Rechtspfleger vorbehaltenen Geschäfts durch den Insolvenzrichter dessen Wirksamkeit gem. § 8 Abs. 1 RPflG nicht.[19] Aufgrund analoger Anwendung des § 8 Abs. 1, Abs. 5 RPflG gilt dies auch im Vergleich zum Urkundsbeamten der Geschäftsstelle.

[14] AG Köln, Beschl. v. 08.02.2000, 72 IK 69/99, NZI 2000, 331; AG Göttingen, Beschl. v. 13.11.2002, 74 IK 38/00, ZInsO 2002, 1150; Fuchs, NZI 2001, 1033/1035; A/G/R-Ahrens, § 2 Rn. 33; a.A. Arnold/Meyer-Stolte, RPflG, § 18 Rn. 56; Rellermeyer, Rpfleger 2002, 68/69.
[15] BGH, Urt. v. 21.06.1968, V ZR 33/65, BGHZ 50, 258/261; A/G/R-Ahrens, § 2 Rn. 34.
[16] Uhlenbruck, ZInsO 2001, 1129; Frind, NZI 2002, 138; Keller, NZI aktuell 2002, Heft 3, S. IV; vgl. zudem die Stellungnahme des AG Hamburg ZInsO 2002, 24.
[17] A/G/R-Ahrens, § 2 Rn. 33.
[19] OLG Köln, Beschl. v. 28.01.2002, 2 W 237/01 sowie 2 W 274/01, ZVI 2002, 16.

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