Entscheidungsstichwort (Thema)

Beginn einer Offenen Handelsgesellschaft; Haftung einer Bank aus § 154 Abs. 2 AO 1977

 

Leitsatz (amtlich)

Eine offene Handelsgesellschaft wird gem. § 123 Abs. 2 HGB bereits vor der Eintragung in das Handelsregister dann wirksam, wenn die Gesellschafter einem Dritten ggü. eine den vereinbarten Geschäftsbetrieb vorbereitende Handlung vornehmen, sofern der Gesellschaftszweck auf den Betrieb eines Handelsgewerbes gerichtet ist und ausreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass das Unternehmen eine entsprechende Ausgestaltung und Einrichtung in Kürze erfahren wird.

 

Normenkette

AO 1977 § 154 Abs. 2; HGB §§ 105, 123 Abs. 2 a.F.

 

Verfahrensgang

OLG Stuttgart (Urteil vom 27.02.2002; Aktenzeichen 9 U 205/01)

LG Heilbronn (Urteil vom 29.06.2001; Aktenzeichen 6 O 507/01)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 9. Zivilsenats des OLG Stuttgart v. 27.2.2002 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Beklagte beabsichtigte, zusammen mit W. T. und D. S. die G. GmbH zu gründen. Gegenstand des Unternehmens sollte der Handel mit Naturwerksteinen sein. Als Geschäftsführer waren T. und S. in Aussicht genommen. Diese schlossen - zugleich als vollmachtlose Vertreter der Beklagten - am 6.5.1997 einen notariellen Gesellschaftsvertrag. Am 15.5.1997 eröffneten sie bei der Klägerin für die "GmbH in Gründung" ein Kontokorrentkonto. In der Folgezeit geriet dieses Konto ins Soll. Am 23.11.2000 betrug der Sollsaldo 303.350 DM. Nachdem als Folge eines Zerwürfnisses unter den Gesellschaftern eine Eintragung der GmbH nicht zu Stande kam, kündigte die Klägerin das Konto und verlangt von der Beklagten Rückzahlung eines Teilbetrages i. H. v. 100.000 DM.

Die Parteien haben darüber gestritten, ob die Beklagte durch die Handlungen von T. und S. verpflichtet worden ist. Die Beklagte behauptet, von der Kontoeröffnung und insb. von den Kontoüberziehungen nichts gewusst zu haben und dazu auch keine Vollmacht erteilt zu haben. Hilfsweise hat sie die Aufrechnung erklärt mit einem Schadensersatzanspruch wegen Pflichtverletzungen der Klägerin.

Das LG hat der Klage stattgegeben, das Berufungsgericht hat sie abgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet und führt zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Klageabweisung ausgeführt: Die Beklagte sei bei dem Abschluss des Kreditvertrages durch die Mitgesellschafter T. und S. nicht wirksam vertreten worden. Zwar habe zwischen den Gesellschaftern eine Vorgründungsgesellschaft bestanden. Die Mitgesellschafter T. und S. hätten im Rahmen dieser Vorgründungsgesellschaft aber keine Vertretungsmacht gehabt. Aus § 125 Abs. 1 HGB habe sich eine (Einzel-) Vertretungsmacht nicht ergeben, weil die Vorgründungsgesellschaft gem. § 123 HGB nicht die Voraussetzungen einer offenen Handelsgesellschaft erfüllt habe. Weder habe die Beklagte zum Zeitpunkt der Kontoeröffnung dem Geschäftsbeginn zugestimmt gehabt, noch habe zu jenem Zeitpunkt die Gewähr dafür bestanden, dass die Gesellschaft ein vollkaufmännisches Handelsgewerbe betreiben werde. Die Mitgesellschafter T. und S. seien auch nicht von der Beklagten bevollmächtigt worden. Zwar könne als wahr unterstellt werden, dass die Beklagte mit der Kontoeröffnung einverstanden gewesen sei. Daraus ergebe sich aber noch keine Vollmacht auch zur Kreditaufnahme. Die Voraussetzungen des § 177 BGB seien ebenfalls nicht erfüllt. Zwar habe die Beklagte die Kontoeröffnung genehmigt, nicht aber auch die Kontoüberziehung. Angesichts der geplanten Geschäftstätigkeit in dem Vorgründungsstadium habe sie allenfalls mit geringfügigen und kurzfristigen Unterdeckungen des Kontos rechnen müssen.

II. Diese Ausführungen sind nicht frei von Rechtsfehlern. Nach dem festgestellten Sachverhalt hat die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf Rückzahlung des Darlehens in Höhe des geltend gemachten Teilbetrages von 100.000 DM aus § 607 BGB in der bis zum 31.12.2001 geltenden Fassung i. V. m. § 128 HGB.

1. Zutreffend ist allerdings der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, dass zwischen der Beklagten und ihren Mitgesellschaftern T. und S. mangels Genehmigung des auf die Gründung einer GmbH gerichteten Vertragsschlusses lediglich eine Vorgründungsgesellschaft zustande gekommen ist. Zutreffend ist weiter die Annahme, eine bloße Bevollmächtigung von T. und S. durch die Beklagte zur Eröffnung eines Bankkontos begründe noch nicht die Befugnis, auch einen Kredit in Anspruch zu nehmen. Das entspricht ständiger Rechtsprechung. Danach kann aus einer Kontovollmacht nicht ohne weiteres auch das Recht hergeleitet werden, das Konto zu überziehen. Solche Überziehungen sind allenfalls im banküblichen Rahmen wirksam, nicht aber - wie hier - in einer darüber hinausgehenden Höhe (BGH, Urt. v. 10.3.1953 - I ZR 76/52, MDR 1953, 345 [346]; Urt. v. 22.1.1991 - XI ZR 111/90, MDR 1991, 754 = ZIP 1991, 224 [225]; OLG Hamm v. 12.3.1991 - 7 U 165/90, MDR 1991, 753 = NJW 1992, 378; OLG Köln v. 11.7.2001 - 13 U 252/00, OLGReport Köln 2001, 425 = ZIP 2001, 1709 [1710]). Damit ist zwar noch nicht ausgeschlossen, im Wege der Auslegung eine umfassendere Vollmacht anzunehmen, wenn von vornherein mit einem erheblichen Kreditbedarf zu rechnen ist. Dafür spricht hier aber nichts.

2. Zutreffend ist schließlich noch die Annahme des Berufungsgerichts, eine Vorgründungsgesellschaft sei gem. §§ 105, 123 Abs. 2 HGB in der bis zum 31.7.1998 geltenden Fassung als offene Handelsgesellschaft zu qualifizieren, wenn sie mit ihren Geschäften beginnt und dabei der Betrieb auf den Umfang eines vollkaufmännischen Handelsgewerbes i. S. d. § 1 HGB a. F. angelegt ist (BGH BGHZ 10, 91 [96]; BGHZ 32, 307 [311]). Das Berufungsgericht hat jedoch nicht ausreichend berücksichtigt, dass nach § 123 Abs. 2 HGB a. F. eine Gesellschaft nicht erst dann nach außen hin als offene Handelsgesellschaft wirksam wird, wenn das den Gesellschaftszweck bildende Unternehmen in vollem Umfang in Betrieb gesetzt wird. Vielmehr macht schon die Erste dem Gesellschaftszweck dienende, einem Dritten ggü. vorgenommene Rechtshandlung, auch wenn es lediglich eine Vorbereitungshandlung ist, die Gesellschaft zur Handelsgesellschaft, wenn nur der Gesellschaftszweck auf den Betrieb eines vollkaufmännischen Handelsgewerbes gerichtet ist und ausreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass das Unternehmen eine entsprechende Ausgestaltung und Einrichtung in Kürze erfahren wird (BGH BGHZ 10, 91 [96]; Urt. v. 19.2.1990 - II ZR 42/89, MDR 1990, 801 = ZIP 1990, 505 [507]). Bereits die Eröffnung eines Bankkontos kann dafür ausreichen. Ebenso können Verhandlungen über den Kauf eines Betriebsgrundstücks oder die Vorbereitung des notariellen Abschlusses des Grundstückskaufvertrages genügen (Baumbach/Hopt, HGB, 31. Aufl., § 123 Rz. 10; Ebenroth/Boujong/Joost/Hillmann, HGB, § 123 Rz. 20).

Bei Zugrundelegung des von dem Berufungsgericht festgestellten Sachverhalts sind danach die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 123 Abs. 2 HGB erfüllt. Die spätere GmbH sollte nach dem Willen der Gesellschafter einen überregionalen Handel mit Naturwerksteinen betreiben. Der Gesamtfinanzierungsbedarf war auf 2,64 Mio. DM veranschlagt worden. Im Mai/Juni 1997 fand ein Messeauftritt statt, bei dem eine Lieferbereitschaft für August 1997 angekündigt wurde. Am 18.6.1997 lag der Entwurf eines notariellen Grundstückskaufvertrages mit der Stadt B. R. vor mit einer Preisvorstellung von 550.000 DM. Die Anschaffungskosten für das Gebäude und die Ausstattung sollten 1.542.500 DM betragen. Für das erste Geschäftsjahr wurde ein Umsatz i. H. v. netto 3 Mio. DM erwartet, der sich bis zum fünften Geschäftsjahr auf 8 Mio. DM steigern sollte.

Entgegen der Auffassung der Beklagten kommt es nicht darauf an, ob schon zum Zeitpunkt der Kontoeröffnung am 15.5.1997 die Voraussetzungen des § 123 Abs. 2 HGB erfüllt waren. Denn diese Kontoeröffnung ist - wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat - von der Beklagten jedenfalls durch ihr nachfolgendes Verhalten in schlüssiger Weise genehmigt worden. Entscheidend ist damit der Zeitpunkt der Kreditinanspruchnahme durch die beiden Mitgesellschafter T. und S. Die Kontoüberziehungen begannen aber erst Ende Mai, zu einem Zeitpunkt also, zu dem jedenfalls auf Grund der Messeteilnahme der Geschäftsbetrieb begonnen hatte.

Aus demselben Grund ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ohne Bedeutung, ob die Beklagte bereits zum Zeitpunkt der Kontoeröffnung mit dem Geschäftsbeginn einverstanden war. Dabei kann offen bleiben, ob die Rechtsfolge des § 123 Abs. 2 HGB nur dann eintritt, wenn alle Gesellschafter dem Geschäftsbetrieb zustimmen (so ROHG, Urt. v. 13.2.1874 - 147/74, ROHGE 12, 406 [409 ff.]; Baumbach/Hopt, HGB, 31. Aufl., § 123 Rz. 12; Ebenroth/Boujong/Joost/Hillmann, HGB, § 123 Rz. 23; a. A. K. Schmidt in MünchKomm/HGB, § 123 Rz. 10). Denn jedenfalls kommt es dafür hier allein auf den Zeitpunkt der Kreditinanspruchnahme an. Und zu diesem Zeitpunkt war die Beklagte, die von dem gemeinsamen Messeauftritt wusste, mit dem Geschäftsbeginn einverstanden.

III. Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden, weil das Berufungsgericht - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen zu einem etwaigen Gegenanspruch der Beklagten oder der Gesellschaft, auf den sich die Beklagte berufen könnte, getroffen hat, was wegen der von der Beklagten hilfsweise erklärten Aufrechnung erforderlich ist.

1. Allerdings hat die Beklagte entgegen ihrer Auffassung keinen Schadensersatzanspruch gegen die Klägerin wegen Verletzung des § 154 Abs. 2 AO. Nach dieser Vorschrift hat sich derjenige, der ein Konto führt, zuvor Gewissheit über die Person und die Anschrift des Verfügungsberechtigten zu verschaffen. Das hat die Klägerin getan. Sie hat die richtigen Namen der drei Gesellschafter in ihren Kontounterlagen vermerkt. Ob zum Zeitpunkt der Kontoeröffnung die Voraussetzungen einer Vertretungsmacht von T. und S. erfüllt waren, brauchte sie dagegen nicht zu überprüfen. Denn § 154 AO schützt allein die formelle Kontenwahrheit. Ihr ist bereits Genüge getan, wenn diejenigen, die ggü. der Bank auftreten, dies unter ihrem richtigen Namen und ihrer richtigen Anschrift tun (BGH v. 18.10.1994 - XI ZR 237/93, BGHZ 127, 229 [233 f.] = MDR 1995, 490). Damit kann offen bleiben, ob sich aus einer Verletzung des § 154 AO überhaupt eine Schadensersatzpflicht der Bank ggü. dem Kontoinhaber ergeben kann.

2. In Betracht kommt aber ein Schadensersatzanspruch gegen die Klägerin wegen schuldhafter Verletzung der aus dem Bankvertrag folgenden allgemeinen Schutzpflicht der Bank, die Interessen ihres Kunden zu wahren. Danach ist eine Bank zwar nicht ohne besonderen Anlass verpflichtet zu prüfen, ob sich einzelne Maßnahmen des Vertreters einer Handelsgesellschaft - wie etwa Überziehungen des Geschäftskontos - noch im Rahmen einer pflichtgemäßen Geschäftsführung halten. Drängt sich aber der Verdacht auf, dass der Vertreter seine Befugnisse in einer Weise missbraucht, die sich leicht zum Nachteil der Gesellschaft auswirken könnte, ist die Bank verpflichtet, durch geeignete, sich in zumutbarem Rahmen haltende Maßnahmen die Interessen ihres Kunden wahrzunehmen (BGH, Urt. v. 17.11.1975 - II ZR 70/74, WM 1976, 474; v. 28.4.1992 - XI ZR 164/91, MDR 1992, 1145 = WM 1992, 1362 [1363]; v. 25.10.1994 - XI ZR 239/93, BGHZ 127, 239 [241] = MDR 1995, 389). Ein solcher Verdacht könnte sich der Klägerin aufgedrängt haben, als sie ohne Sicherheiten erhebliche Kontoüberziehungen zuließ, obwohl sie wusste, dass die GmbH noch nicht im Handelsregister eingetragen war und eine Genehmigung der GmbH-Gründung durch die Beklagte nicht mitgeteilt worden war. Die Zurückverweisung gibt dem Berufungsgericht Gelegenheit, die dazu erforderlichen Feststellungen zu treffen und dabei auch ein etwaiges Mitverschulden der Beklagten zu berücksichtigen.

 

Fundstellen

BFH/NV Beilage 2004, 396

BB 2004, 1357

DB 2004, 1359

DStR 2004, 1094

DStZ 2004, 503

NWB 2004, 2484

BGHR 2004, 1230

NZG 2004, 663

StuB 2004, 1127

WM 2004, 1237

WuB 2004, 681

ZIP 2004, 1208

JA 2004, 780

JuS 2004, 727

MDR 2004, 1009

NJW-Spezial 2004, 175

RÜ 2004, 361

ZBB 2004, 317

BFH/NV-Beilage 2004, 396

Kreditwesen 2004, 889

LL 2004, 588

SJ 2004, 37

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