Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Führt ein Arbeitnehmer aus nicht zwingenden Gründen einen doppelten Haushalt, so können die dadurch entstehenden Mehrkosten bis zu der Höhe berücksichtigt werden, wie sie bei täglicher Heimfahrt als Fahrkosten steuerlich anerkannt würden.
Normenkette
EStG § 9 Ziff. 4; LStDV § 20 Abs. 2 Ziff. 2; EStG § 9/1/4; EStG § 9/1/5
Tatbestand
Der Beschwerdeführer (Bf.) ist seit 1945 Behördenangestellter in N. Die Familienwohnung befindet sich etwa 50 km entfernt in H. in einem Haus, das der Schwiegermutter gehört. Der Bf. ist verheiratet und hat drei Kinder im Alter von 17, 15 und 14 Jahren, die in H. die höhere Schule besuchen. Er hat in N. ein möbliertes Zimmer und fährt nur zum Wochenende nach Hause. In erster Linie verlangt er die Miete für das möblierte Zimmer, die Kosten der wöchentlichen Heimfahrt, sowie die Mehrkosten der Führung eines doppelten Haushalts als Werbungskosten zu berücksichtigen. Hilfsweise beantragt er, wenigstens die Kosten anzuerkennen, die bei täglicher Heimfahrt als Werbungskosten entstehen würden.
Die Vorinstanzen lehnten die Anträge ab, das Finanzgericht im wesentlichen mit folgender Begründung: Der Bf. behalte aus persönlichen Gründen die Wohnung in H. bei. Es sei nicht dargetan, daß er seit 1945 in N. noch keine angemessene Wohnung habe finden können. Bis 1949 habe er von seiner Behörde Trennungsentschädigung erhalten; dann habe er bis 30. Mai 1952 einen Zuschuß für die Mehraufwendungen erhalten; seither gewähre ihm seine Behörde keine Entschädigung mehr. Das Finanzamt habe bis einschließlich 1954 wegen der doppelten Haushaltsführung einen Werbungskostenbetrag anerkannt. Ein Umzug sei dem Bf. zumutbar. Der Hilfsantrag sei nicht begründet, weil dem Bf. Fahrkosten nicht entstünden.
Entscheidungsgründe
Die Rechtsbeschwerde (Rb.) führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Kosten, die einem Arbeitnehmer durch die Trennung von seiner Familie entstehen, insbesondere doppelte Wohnungsmiete, Mehraufwand für Verpflegung sowie die Kosten von Familienheimfahrten, sind Werbungskosten, wenn und soweit sie zwangsläufig durch das Arbeitsverhältnis veranlaßt sind. Zwangsläufig ist die Trennung, wenn der Arbeitnehmer am Dienstort oder in diesen Umgebung keine angemessene Wohnung findet oder wenn ihm ein Umzug nicht zuzumuten ist, z. B. weil die Tätigkeit am Dienstort nur vorübergehend ist. Sind dagegen für die Trennung persönliche Gründe mitbestimmend oder allein maßgebend, so gehören die Kosten zu den Kosten der Lebenshaltung, die gemäß § 12 Ziff. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) steuerlich das Einkommen nicht mindern dürfen. Das ist insbesondere der Fall, wenn ein Arbeitnehmer die Trennung aufrechterhält, obgleich er eine angemessene Wohnung am Dienstort haben könnte und ihm ein Umzug zugemutet werden kann. Die Verwaltungsanweisungen in Abschnitt 26, Abschnitt 22 Abs. 6 der Lohnsteuerrichtlinien (LStR), die mit diesen Grundsätzen übereinstimmen, entsprechen dem Gesetz und der Rechtsprechung.
Das Finanzgericht konnte mindestens für die Zeit ab 1955 ohne Rechtsverstoß verneinen, daß der Bf. zwangsläufig einen doppelten Haushalt führe. Der Bf. bestreitet nicht, daß er in den Jahren seit 1945 eine Wohnung in N. hätte haben können. Seine Behörde ist offenbar auch davon ausgegangen und hat ihm deshalb die Trennungsentschädigung und den Zuschuß nicht weitergezahlt. Der Umzug kann dem Bf. auch zugemutet werden. Bei der Frage der Zumutbarkeit sind die Verhältnisse des einzelnen Falles zu berücksichtigen. Auch Familienverhältnisse können einen Umzug als unzumutbar erscheinen lassen. Der Bf. beruft sich darauf, daß die Umschulung ohne Benachteiligung der Kinder und ohne Mehrkosten nicht möglich sei. Bei der Umschulung von Kindern, die höhere Schulen besuchen, treten, wie das Finanzgericht anerkannt hat, unter Umständen tatsächlich erhebliche Schwierigkeiten für die Eltern auf, besonders wenn die Kinder in den oberen Klassen sind und die Schulsysteme nicht übereinstimmen. Diese Schwierigkeiten werden aber bei Versetzung oder bei Antritt neuer Stellen von den Eltern im allgemeinen als unvermeidbares übel in Kauf genommen. Gewöhnlich leben deshalb Arbeitnehmer nicht auf unabsehbar lange Zeit dauernd von der Familie getrennt. Der Bf. hat in N. eine Lebensstellung. In solchen Fällen pflegen Arbeitnehmer ihre Wohnung an den Dienstort zu verlegen, auch wenn damit zunächst gewisse familiäre Nachteile verbunden sind. Im Streitfall hat das Finanzgericht ohne Verstoß gegen die Lebenserfahrung angenommen, daß der Bf. vor allem deshalb in H. wohnen geblieben sei., weil die Wohnung im Hause der Schwiegermutter besonders vorteilhaft war und ihm zusagte. Dann können aber die streitigen Mehrkosten nicht als Werbungskosten anerkannt werden. Die Umschulungsschwierigkeiten, auf die der Bf. sich beruft, sind letzten Endes auch dadurch entstanden, daß der Bf. die rechtzeitige Verlegung der Wohnung unterlassen hat. Hätte er, sobald er eine Wohnung bekommen konnte, den Wohnsitz nach N. verlegt, so wären die Umschulungsschwierigkeiten nicht aufgetreten oder zumindest wesentlich geringer gewesen. Der Bf. hat mit diesen Schwierigkeiten rechnen müssen, hat sie aber wegen anderer Vorteile offenbar in Kauf genommen.
Die Gründe, mit denen das Finanzgericht den Hilfsantrag des Bf. abgelehnt hat, sind rechtlich nicht einwandfrei. Dem Bf. sind zwar außer den Kosten der wöchentlichen Heimfahrt keine Fahrkosten entstanden. Richtig ist, daß Werbungskosten nur vorliegen, wenn ein Steuerpflichtiger Ausgaben macht. Der Bf. hat indessen tatsächlich Auslagen gehabt. Fahrkosten sind ihm in der üblichen Höhe nur deshalb nicht entstanden, weil er die Kosten eines doppelten Haushalts auf sich nahm. Es wäre unbillig, die entstandenen Kosten nicht wenigstens bis zu der Höhe der Werbungskosten anzuerkennen, wie der Bf. sie bei täglicher Heimfahrt als Werbungskosten hätte geltend machen können. Im gleichen Sinn ist im Urteil des Reichsfinanzhofs IV 69/41 vom 31. Juli 1941 (Reichssteuerblatt - RStBl - 1941 S. 699) entschieden worden, daß ein Arbeitnehmer, der ungewöhnlich weit von der Arbeitsstätte entfernt wohnte, und deshalb höhere Fahrkosten als die Mehrzahl der anderen Arbeitnehmer hatte, die üblichen Fahrkosten als Werbungskosten geltend machen könnte. Nach § 20 Abs. 2 Ziff. 2 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung (LStDV) 1955 werden, nachdem § 9 Ziff. 4 EStG mit Wirkung ab 1. Januar 1955 neu gefaßt worden ist, Fahrkosten, die Arbeitnehmern für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte bis zur Entfernung von 40 km entstehen, ohne weiteres als Werbungskosten anerkannt. Bei größerer Entfernung ist zu prüfen, ob zwingende persönliche Gründe für die Wahl und Beibehaltung der Wohnung vorliegen. Zwingende persönliche Gründe für die Beibehaltung der Familienwohnung in H. liegen beim Bf., wie ausgeführt, nicht vor. Er kann deshalb nur die Kosten geltend machen, die ihm entstehen würden, wenn er höchstens 40 km vom Dienstort entfernt wohnte (vgl. Hartz-Over, Lohnsteuer, Stichwort "Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte"). Da der Bf. Fahrkosten für die tägliche Heimfahrt nicht gehabt hat, scheint es angemessen, im Wege der Schätzung den Betrag anzusetzen, der üblicherweise entstanden wäre, das heißt die Kosten der Monatskarte eines öffentlichen Verkehrsmittels unter Zugrundelegung der Wagenklasse, die der Bf. nach den Reisekostenbestimmungen seiner Behörde auf Dienstreisen benutzen kann.
Die Vorentscheidung und die Einspruchsentscheidung des Finanzamts werden wegen unrichtiger Anwendung von § 9 EStG 1955 (ß 20 LStDV 1955) aufgehoben. Die nicht spruchreife Sache wird an das Finanzamt zur erneuten Entscheidung nach den vorstehenden Rechtsgrundsätzen zurückverwiesen.
Fundstellen
Haufe-Index 408853 |
BStBl III 1957, 361 |
BFHE 1958, 339 |
BFHE 65, 339 |