Leitsatz (amtlich)

Hat die Behörde die Bestellung eines Steuerbevollmächtigten mit der Begründung widerrufen, er sei auf Grund seines Gesundheitszustandes nicht mehr in der Lage, seinen Beruf ordnungsgemäß auszuüben, so steht in dem hiergegen von dem Steuerbevollmächtigten eingeleiteten Klageverfahren der vom Gericht erteilten Anordnung, einen Bevollmächtigten zu bestellen, nicht entgegen, daß Steuerbevollmächtigte als Bevollmächtigte vom Gericht auch bei mangelnder Fähigkeit zum geeigneten Vortrag nicht zurückgewiesen werden können.

 

Normenkette

FGO § 62 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 1

 

Tatbestand

Mit Verfügung vom 11. Juli 1978 widerrief die Oberfinanzdirektion (OFD) die Bestellung des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) als Steuerbevollmächtigter. Nach Abweisung seiner dagegen eingelegten Beschwerde durch das Staatsministerium der Finanzen erhob der Kläger Klage und beantragte festzustellen, daß er die Beschwerdeentscheidung der OFD vom 11. Juli 1978 mit Schriftsatz vom 12. August 1978 und nicht vom 13. Juli 1978 angegriffen habe und daß wegen nicht formgerechter Zustellung eine Rechtsbehelfsfrist nicht in Lauf gesetzt sei. Ungeachtet dieser Mängel erhebe er Leistungsklage und beantrage die ersatzlose Aufhebung der OFD-Entscheidung.

Die OFD beantragte Klagabweisung. Sie hält den Kläger aufgrund seines Gesundheitszustandes für nicht in der Lage, den Beruf eines Steuerbevollmächtigten ordnungsgemäß auszuüben.

Mit Beschluß vom 21. März 1979 ordnete das Finanzgericht (FG) an, daß der Kläger bis zum 30. April 1979 einen Bevollmächtigten bestellt, der die Fähigkeit zum geeigneten schriftlichen und mündlichen Vortrag vor Gericht besitzt (§ 62 Abs. 1 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Es stützte sich dabei auf ein Gutachten des Staatlichen Gesundheitsamtes M. vom 3. März 1977 und auf ein Gutachten von Dr. H. vom 6. März 1978. Im Gutachten vom 3. März 1977 ist ausgeführt:

"Wie bereits am 29. November 1976 mitgeteilt wurde, ist Obengenannter verhandlungsunfähig. Dieser Zustand hat sich nicht verändert. Die EM beträgt 100 %.

Es ist weiterhin eine fortschreitende hirnorganische Wesensveränderung festzustellen, die sich in Uneinsichtigkeit, Kritiklosigkeit und unsachlicher Weitschweifigkeit äußert. Außerdem zeigen sich bereits Störungen im Sinne von Beeinträchtigungsvorstellungen und unkorrigierbaren wahnhaften Denkinhalten. Er ist der Überzeugung, nur weil er etwas weiß, werde er von einem bestimmten höheren Beamten und der Mafia verfolgt, die ihn beruflich kaputt machen wollten; man wolle ihm die Berufsausübung unmöglich machen ..."

Im Gutachten vom 6. März 1978 ist u. a. ausgeführt

"Zusammengefaßt finden sich bei Herrn X. an körperlichen Störungen eine Altersdiabetes mit Polyneuropathie Resterscheinungen eines linksseitigen Schlaganfalles arthrotische Veränderungen der Hüfte und eine Cerebralsklerose.

Das letztere Leiden hat auch psychische Störungen im Gefolge: das starre, rechthaberische und argwöhnischwahnhafte Denken, die vorschnelle Ermüdbarkeit, die Neigung zu umständlicher Arbeitsweise sowie der mangelnde Überblick.

Diese Eigenheiten und Störungen stellen sicher eine erhebliche Behinderung in der Ausübung des Berufes eines Steuerberaters dar....

Nach nervenärztlicher Erfahrung und Ansicht ermöglichen die vorgehenden körperlichen und geistigen Störungen Herrn X. nicht mehr die ordnungsgemäße Ausübung seines Berufes als Steuerberater."

Das FG kam aufgrund dieser Gutachten zu der Überzeugung, daß der Kläger voraussichtlich die Streitsache selbst nicht so vertreten kann, daß eine einwandfreie und sachgerechte Abwicklung des Prozeßverfahrens gewährleistet ist.

Mit seiner durch seinen Prozeßbevollmächtigten eingelegten Beschwerde macht der Kläger geltend, daß § 62 Abs. 1 Satz 2 FGO, wie sich aus § 62 Abs. 2 FGO ergebe, auf Steuerbevollmächtigte nicht anwendbar sei. Er bestreite auch, daß er postulationsunfähig sei. In der Rechtssache Y. sei er am 6. Dezember 1978 in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesfinanzhof (BFH) als Prozeßbevollmächtigter autgetreten. Das FG habe seine Entscheidung allein auf die von der OFD beigeschafften Gutachten gestützt. Sein bisheriges Vorbringen sei nicht berücksichtigt worden. Eine Erwerbsminderung könne nicht Anlaß zu einem Widerruf sein. Die OFD habe sich nicht davon überzeugt, ob die in dem Gutachten vom 3. März 1977 aufgestellten Behauptungen tatsächlich vorlägen. Auch das FG habe seinen Beschluß ohne eigene Erkenntnis und Erfahrung erlassen, was im Widerspruch zu § 157 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) stehe. Die zwangsweise Anordnung der Bestellung eines Bevollmächtigten gleiche einer Entmündigung und verstoße gegen Art. 1 und 2 des Grundgesetzes (GG).

Der Kläger beantragt, den angefochtenen Beschluß ersatzlos aufzuheben.

Die OFD beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist unbegründet.

Nach § 62 Abs. 1 Satz 2 FGO kann das Gericht anordnen, daß ein Bevollmächtigter bestellt oder ein Beistand hinzugezogen werden muß. Ob eine solche Anordnung ergeht, liegt im Ermessen des Gerichts. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH kann sie jedenfalls ergehen, wenn der Beteiligte nicht zum sachdienlichen Vortrag und zur Stellung sachdienlicher Anträge in der Lage ist (vgl. Beschlüsse vom 27. Januar 1967 VI B 39/66, BFHE 88, 72, BStBl III 1967, 289; vom 9. August 1974 V B 23/74, BFHE 113, 267, BStBl II 1975, 17). Das FG ist aufgrund der ärztlichen Gutachten zu dem Ergebnis gekommen, daß der Kläger voraussichtlich die Streitsache selbst nicht so vertreten kann, daß eine einwandfreie und sachgerechte Abwicklung des Prozeßverfahrens gewährleistet ist. Das ist nicht zu beanstanden. Wie den vorgelegten Akten der OFD zu entnehmen ist, hat auch die Kammer für Steuerberater- und Steuerbevollmächtigtensachen des Landgerichts ein gegen den Kläger anhängiges Verfahren wegen dauernder Verhandlungsunfähigkeit (fortschreitende hirnorganische Wesensveränderung) gemäß § 206 a der Strafprozeßordnung (StPO), § 153 des Steuerberatungsgesetzes (StBerG) eingestellt.

Der vom Kläger herangezogene § 62 Abs. 2 Satz 1 FGO steht der erteilten Anordnung nicht entgegen. Nach dem ersten Halbsatz dieser Vorschrift können Bevollmächtigte, denen die Fähigkeit zum geeigneten schriftlichen oder mündlichen Vortrag fehlt, zurückgewiesen werden. Dies gilt nach dem zweiten Halbsatz aber nicht für die in § 3 und § 4 Nr. 1 und 2 StBerG bezeichneten natürlichen Personen, zu denen auch Steuerbevollmächtigte gehören. Aus diesem Grunde kann auch der Tatsache, daß der Kläger am 8. Dezember 1978 in einer anderen Sache vor dem BFH als Prozeßbevollmächtigter aufgetreten ist, keine rechtliche Bedeutung beigemessen werden. Der Senat läßt es dahingestellt, ob der vom Kläger aus dieser Regelung abgeleiteten Rechtsauffassung zugestimmt werden kann, daß Steuerbevollmächtigten, weil sie als Prozeßbevollmächtigte nicht zurückgewiesen werden können, auch in ihrer Eigenschaft als Beteiligte grundsätzlich keine Anordnung erteilt werden kann, einen Bevollmächtigten zu bestellen. Für diese Auffassung könnte sprechen, daß es wenig sinnvoll erscheint, bei einem Steuerbevollmächtigten, dem die Fähigkeit zum geeigneten schriftlichen oder mündlichen Vortrag fehlt, im Hinblick auf die vom Gesetz für diesen Fall getroffenen Regelungen - Anordnung, einen Bevollmächtigten zu bestellen (§ 62 Abs. 1 Satz 2 FGO) und Ausschluß der Zurückweisung (§ 62 Abs. 2 Satz 1 FGO) - danach zu unterscheiden, ob er im Verfahren als Beteiligter in eigener Sache oder als Bevollmächtigter eines anderen Beteiligten auftritt. Da die einem Steuerbevollmächtigten erteilte Anordnung, einen Bevollmächtigten zu bestellen, in ihrer Wirkung einer Zurückweisung gleichkommt, diese aber für Steuerbevollmächtigte in ihrer Eigenschaft als Bevollmächtigte kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, ließe sich die Auffassung vertreten, daß Steuerbevollmächtigten auch in ihrer prozessualen Eigenschaft als Beteiligte eine solche Anordnung nicht erteilt werden kann. Für die gegenteilige Auffassung ließe sich einwenden, daß von der in § 62 Abs. 1 Satz 2 FGO vorgesehenen Anordnung, wie dem Satz 1 dieser Vorschrift zu entnehmen ist, die Beteiligten schlechthin, also auch solche, die Steuerbevollmächtigte sind, betroffen werden können, und daß nach dem Wortlaut des § 62 Abs. 2 Satz 1 zweiter Halbsatz FGO Steuerbevollmächtigte nur in ihrer prozessualen Eigenschaft als Bevollmächtigte nicht zurückgewiesen werden können.

Im Streitfalle kommt der Senat jedenfalls zu dem Ergebnis, daß die auf § 62 Abs. 1 Satz 2 FGO gestützte Anordnung deshalb nicht rechtsfehlerhaft ist, weil Gegenstand des beim FG anhängigen Verfahrens der Widerruf der Bestellung des Klägers als Steuerbevollmächtigter ist und weil dieser Widerruf damit begründet ist, daß der Kläger wegen der aus Krankheitsgründen festgestellten Verhandlungsunfähigkeit nicht mehr in der Lage ist, den Beruf eines Steuerbevollmächtigten ordnungsgemäß auszuüben, d. h. u. a. , vor Gericht sachdienliche Anträge zu stellen und sachgemäßen Vortrag zu halten. Die Gründe also, die für den Widerruf der Bestellung maßgeblich waren, sind die gleichen, die das FG zur Anordnung, einen Bevollmächtigten zu bestellen, veranlaßt haben. Zumindest in einem solchen Falle hält es der Senat, im übrigen auch im Interesse des Klägers, nicht für rechtsfehlerhaft, daß eine Anordnung gemäß § 62 Abs. 1 Satz 2 FGO ergeht.

Bei dieser Sach- und Rechtslage vermag der Senat nicht zu erkennen, warum die Anordnung gegen Art. 1 und 2 GG verstoßen solle. Der Kläger hat dazu auch nichts Näheres vorgetragen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 72933

BStBl II 1979, 778

BFHE 1979, 489

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