Entscheidungsstichwort (Thema)

Zum eingeschränkten Anwendungsbereich von Stundungsmaßnahmen

 

Leitsatz (NV)

Die Stundung einer Steuer setzt voraus, daß die Einziehung bei Fälligkeit für den Schuldner eine erhebliche Härte bedeutet. Es muß sich um eine momentane Härte handeln.

 

Normenkette

AO 1977 § 222

 

Verfahrensgang

FG Hamburg

 

Tatbestand

Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) hielt im Jahre 1988 alle Anteile an der X-GmbH & Co. KG (im folgenden: KG). Ende 1988 veräußerte er seine Gesellschaftsanteile an der KG und die Geschäftsanteile an der GmbH an die als Auffang gesellschaft gegründete X-Holding GmbH, an welcher er direkt und indirekt zusammen mit seiner Ehefrau zu 60 v. H. beteiligt war. Der Veräußerungsgewinn betrug ... Mio DM. Hierzu trug der Kläger vor: Um sein Unternehmen auf den EG-Markt 1992 vorzubereiten, seien mehrere Gestaltungs varianten denkbar gewesen. Er habe sich an ein europaweit agierendes Unternehmen unter Einräumung einer Beteiligung angelehnt, weil diese Gestaltung sich mit seiner Absicht habe verbinden lassen, einer durch das am 1. Januar 1989 in Kraft getretene Steuerreformgesetz (StRG) 1990 vom 25. Juli 1988 (BGBl I 1988, 1093) drohenden Steuerverschärfung zu entgehen. Nach dieser Gesetzesänderung sollten Veräußerungsgewinne von über 5 Mio DM der Einkommensteuer mit dem vollen Steuersatz unterliegen. Dieses Gesetz habe -- so auch in seinem Fall -- zu zahlreichen Veräußerungen von Unternehmen geführt. Diesem ungewollten Effekt habe der Gesetzgeber durch das am 1. Juli 1989 in Kraft getretene Änderungs gesetz vom 30. Juni 1989 (BGBl I 1989, 1267) entgegensteuern wollen. Nach der Neufassung sei der volle Steuersatz nur noch für Veräußerungsgewinne ab 30 Mio DM vorgesehen.

Da seinerzeit bei der KG eine Außenprüfung stattfand, erfuhr der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) bereits Anfang August 1989 von der Veräußerung. Mit Bescheid vom 4. September 1989 setzte das FA für das 2. und 4. Quartal 1989 Vorauszahlungen auf die Einkommensteuer in Höhe von je ... DM und auf die Kirchensteuer in Höhe von je ... DM fest. Diese Festsetzung ist bestandskräftig.

Der Kläger und seine Ehefrau beantragten, die nach ihrer Berechnung auf den Veräußerungsgewinn entfallende Einkommensteuer ( ... Mio DM) zinslos mit der Maßgabe zu stunden, daß die erste Rate mit der Abschlußzahlung für 1988 fällig werde und die vier folgenden Raten jeweils ein Jahr nach Fälligkeit der vorhergehenden Rate fällig werden. Zur Begründung trug der Kläger vor, er sei zur Einbringung der KG durch die seitens der Bundesregierung offiziell bekannt gegebenen Steuerreformpläne betreffend die Änderung des § 34 des Einkommensteuergesetzes (EStG) veranlaßt worden. In Anbetracht des ihm hierdurch entstandenen Schadens, nämlich 60 v. H. von ... Mio DM Einkommensteuer, habe er Anspruch darauf, daß ihm der Steueranspruch wenigstens nach Maßgabe seines Antrages gestundet werde. § 21 Abs. 2 Satz 3 des Umwandlungs-Steuergesetzes (UmwStG) regele einen wirtschaftlich vergleichbaren Sachverhalt.

Das FA hat einen Teilbetrag bis zum 10. September 1989 gestundet. Einen weitergehenden Antrag vom 5. September 1989 lehnte das FA ab. Die hiergegen eingelegte Beschwerde hat die Oberfinanzdirektion (OFD) Hamburg als unbegründet zurückgewiesen. Persönliche Gründe für eine Stundung seien nicht vorgetragen. Sach liche Gründe kämen nicht in Betracht. Im Stundungsverfahren könnten keine Einwände gegen die Steuerfestsetzung als solche erhoben werden. Einen Schutz des Vertrauens auf den Fortbestand von Gesetzen, wie ihn der Kläger beanspruche, gebe es nicht. Der Kläger habe durch Aufdeckung stiller Reserven zu Lasten des tarifbegünstigten Veräußerungsgewinns ein AfA-Volumen aufgebaut. § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 4 UmwStG sei hier nicht einschlägig, weil ein Veräußerungsentgelt zugeflossen sei.

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen. Die -- hinsichtlich des Hauptantrags zulässige -- Klage sei nicht begründet. Ermessensfehler seien nicht erkennbar. Der vom Kläger geltend gemachte Schadensersatzanspruch sei kein alsbald realisierbarer Gegenanspruch, der billigerweise zu "verrechnen" wäre. Bei der Frage, ob ein Steueranspruch zu stunden sei, gehe es darum, ob die Einziehung der Forderung gerade im Fälligkeitszeitpunkt für den Schuldner eine erhebliche Härte darstelle, nicht darum, ob möglicherweise ein Gegenanspruch begründet sein könnte. Der auf den Erlaß von Säumniszuschlägen gerichtete Hilfsantrag sei wegen Bestandskraft der ablehnenden Bescheide unzulässig.

Mit der Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend (§ 115 Abs. 2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Er begehre "wegen eines Schadens", der sich in einem Zinsverlust in Höhe von ca. ... Mio DM niederschlage, Stundung der aus der Aufdeckung der stillen Reserven entstandenen Steuer (Beschwerdeschrift vom 20. Dezember 1993, S. 2 unter 2.). Dem Gesetzgeber sei die -- später entwertete -- "Vorwegziehung der Besteuerung zuzurechnen". Von grundsätzlicher Bedeutung sei die Frage, ob die Verwaltung im Rahmen des ihr eingeräumten Ermessens über die bisher bekannten Fallgruppen der Stundung hinaus den Eintritt solcher Vertrauensschäden berücksichtigen dürfe und im Hinblick auf das Rechtsstaatsprinzip berücksichtigen müsse. Der Gesetzgeber habe Steuerpflichtige durch Ankündigung einer künftigen Verschärfung der Besteuerung zu einer unnötigen Versteuerung stiller Reserven veranlaßt. Er hätte aus Gründen des Vertrauensschutzes eine abmildernde Übergangsregelung schaffen müssen. Der Gesetzgeber dürfe ihm selbst zuzurechnende Handlungsanweisungen nicht nachträglich entwerten (vgl. Beschluß des Bundesgerichtshofs -- BGH -- vom 31. Januar 1966 III ZR 127/64, BGHZ 45, 83; Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts -- BVerfG -- vom 23. März 1971 2 BvR 17/69, BVerfGE 30, 392). Auch im Schrifttum werde vielfach gefordert, daß dem Vertrauensschutz mit einem differenzierten Instrumentarium Rechnung getragen werden müsse; hierbei hätten im Steuerrecht vor allem die Vorschriften über die Billigkeit besondere Bedeutung.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist unbegründet. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).

1. Das vom Kläger zitierte Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 29. April 1965 IV 346/64 U (BFHE 82, 609, BStBl III 1965, 466) betrifft die Stundung von Vorauszahlungen auf die Einkommensteuer, die im Hinblick auf -- noch nicht rechtskräftig titulierte -- Ansprüche aus Enteignung ausgesprochen wurde. Um eine solche "Verrechnungsstundung" geht es dem Kläger indes nach seinem ausdrücklichen Vorbringen nicht. Er beansprucht, daß bei der Anwendung des § 222 der Abgabenordnung (AO 1977) aus Gründen der Übergangsgerechtigkeit ein systematisch selbständiger Rechtsgrund für eine Billigkeitsmaßnahme anzuerkennen ist.

2. Materiell-rechtliche Rechtsverhältnisse unterstehen in bezug auf Wirkung und Inhalt im allgemeinen dem Recht, das zu der Zeit galt, als sich ihr Entstehungstat bestand verwirklichte (vgl. BFH-Urteil vom 18. Mai 1988 X R 63/82, BFHE 154, 241, 243 f., BStBl II 1988, 967, m. w. N. der Rechtsprechung). Der Grundsatz, daß durch früheres Recht bewirkte Rechtslagen bzw. Rechtsfolgen nicht rückwirkend angetastet werden sollen, findet seine Rechtfertigung darin, daß die Normadressaten ihr Verhalten am alten Recht orientiert und dieses altes Recht zur Grundlage ihrer Dispositionen gemacht haben. Das Vertrauen des Bürgers in die Gültigkeit und Maßgeblichkeit der Gesetze ist schützenswert. Belange der Rechtssicherheit werden auch dann beeinträchtigt, wenn neues Recht Auswirkungen hat, auf die sich der Bürger nach altem Recht nicht hatte einrichten können (Urteil in BFHE 154, 241, 244 f., BStBl II 1988, 967). Aus diesem Grunde muß der Gesetzgeber stets auch den Gesichtspunkt der Übergangsgerechtigkeit beachten (vgl. auch BVerfG-Beschluß vom 30. September 1987 2 BvR 933/82, BVerfGE 76, 256, 359 f.; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts -- BVerwG -- vom 8. Dezember 1988 3 C 6.87, BVerwGE 81, 49, 55 ff.; BGH-Beschluß vom 13. Juli 1992 NotZ 16/91, Neue Juristische Wochenschrift 1993, 131). Dabei kann das Vertrauen auf den Fortbestand einer Gesetzeslage nicht weniger Schutz verdienen, als dem Bürger gegen den Erlaß rückwirkender Gesetze gewährt wird (vgl. BVerfG-Beschluß vom 23. März 1971 2 BvL 17/69, BVerfGE 30, 392, 404; vgl. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 4. Aufl. 1991, S. 319 ff.; zum Schutz von Investitionen auch Stettner, Bayerische Verwaltungsblätter, 1991, 550).

Bei der Ausgestaltung einer hiernach erforderlichen Übergangsregelung steht dem Gesetzgeber ein weiterer Gestaltungsspielraum zur Verfügung (BVerfGE 76, 256, 359 f.). Zu Recht weist der Kläger darauf hin, daß gewichtige Stimmen in der Literatur befürworten, die Dogmatik des Vertrauensschutzes nicht auf die Alternative eines zulässigen oder unzulässigen Eingriffs in schützenswerte Vertrauenspositionen zu beschränken, sondern -- auch bei zu Dispositionen veranlassenden Gesetzen (Mukel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 1989, S. 84 f.) -- differenzierte Überleitungstechniken zu entwickeln, z. B. durch die Anwendung von Härteklauseln (so z. B. Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, 1961, S. 274; Ossenbühl, a.a.O., S. 330 f.; Aschke, Übergangsregelungen als verfassungsrechtliches Problem, 1986, S. 287 ff.; Muckel, a.a.O., S. 124 ff.).

Auch mag dem Kläger darin zu folgen sein, daß die durch das Rechtsstaatsprinzip geschützte Planungssicherheit berührt ist, wenn der Gesetzgeber einem Unternehmer, der eine Veräußerung bzw. Umstrukturierung seines Betriebs in Betracht zieht, durch Belassung einer Übergangsfrist zwar eine baldige Aufdeckung stiller Reserven als sinnvoll nahelegt, gleichwohl aber wenig später eine Rechtslage schafft, derzufolge der Unternehmer die hiermit zusammenhängenden steuerlichen Nachteile letztlich vergeblich in Kauf genommen hat. Gleichwohl können die sich hieraus ergebenden Rechtsfragen jedenfalls nicht mittels Stundung von Steuer bewältigt werden.

Die Stundung setzt voraus, daß die Einziehung bei Fälligkeit für den Schuldner eine erhebliche Härte bedeutet. Es muß sich um eine momentane Härte handeln, wobei es auf die konkrete Situation im Zeitpunkt der Einziehung ankommt. Kruse (in Tipke/Kruse, Abgabenordnung -- Finanzgerichtsordnung, § 222 AO 1977 Tz. 5) formuliert den Regelungsbereich der Vorschrift zutreffend und prägnant wie folgt: "Im Augenblick der Einziehung muß die Besteuerung als solche gerecht, die Einziehung aber ungerecht sein." Die Vorschrift zielt somit erkennbar auf den Fall, daß eine Steuer zur Vermeidung einer unbilligen Härte nur zeitweilig nicht eingezogen werden soll.

Um einen solchen Fall geht es hier nicht. Auch der Kläger hat keinen rechtlichen Weg aufgezeigt, der auf der Rechtsgrundlage des § 222 AO 1977 zu der von ihm beantragten Billigkeitsmaßnahme führen könnte. Es fehlt an der Klärungsbedürftigkeit, weil die aufgezeigte Rechtsfrage offensichtlich so zu beantworten ist, wie es das FG getan hat (vgl. BFH-Beschluß vom 15. Dezember 1989 VI B 78/88, BFHE 159, 196, 198, BStBl II 1990, 344).

 

Fundstellen

Haufe-Index 420303

BFH/NV 1995, 472

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