Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Unanwendbarkeit des Sparerfreibetrags auf den Ertrag des Rentenrechts i.S. des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG (Ertragsanteil)

 

Leitsatz (NV)

Die unterschiedliche Behandlung von Zinsen, die aus wirtschaftlich im Wesentlichen gleichartigen Altersvorsorgeprodukten herrühren, wirft gleichheitsrechtliche Fragen auf. Insbesondere ist zweifelhaft, ob es unter dem Gesichtspunkt des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes) gerechtfertigt ist, den Ertragsanteil von Leibrenten ungeachtet seiner Rechtsnatur als pauschalierter Zinsanteil von der Begünstigung durch den Sparerfreibetrag (§ 20 Abs. 4 EStG) auszunehmen.

 

Normenkette

EStG § 20 Abs. 3-4, § 22 Nr. 1 S. 3 Buchst. a; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1

 

Gründe

Die Beschwerde ist begründet.

Das Finanzgericht (FG) ist davon ausgegangen, die aus der Leibrentenversicherung verpflichtete Versicherungsgesellschaft zahle die streitigen Beträge "nicht als Gegenleistung für eine Kapitalüberlassung des Klägers". Demgegenüber handelt es sich nach ständiger Rechtsprechung des Senats (z.B. Urteil vom 25. November 1992 X R 91/89, BFHE 170, 82, BStBl II 1996, 666, unter 6. b, m.w.N.) bei dem "Ertrag des Rentenrechts (Ertragsanteil)" i.S. des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a des Einkommensteuergesetzes (EStG) ―auf der Seite des Beziehers― in materiell-rechtlicher Hinsicht um Einkünfte, die erzielt werden durch die zeitlich gestreckte Auszahlung eines verzinslichen Kapitals. Der Ertragsanteil ist materiell-rechtlich ein pauschalierter Zinsanteil, der unter Zugrundelegung eines gesetzlichen Rechnungszinsfußes ermittelt und gleichmäßig auf die nach biometrischen Durchschnittswerten bemessene Laufzeit der Rente gleichmäßig verteilt ist (Senatsurteil vom 8. März 1989 X R 16/85, BFHE 156, 432, 434, BStBl II 1989, 551, unter 2. a). Nach Auffassung des Großen Senats des Bundesfinanzhofs ―BFH― (Beschluss vom 15. Juli 1991 GrS 1/90, BFHE 165, 225, BStBl II 1992, 78, unter C. II. 2.) bezweckt das Gesetz mit der Berücksichtigung (nur) des Ertragswertes die Sonderung des steuerbaren Ertragsanteils (= Zinsanteil) von der nichtsteuerbaren Vermögensumschichtung. Die vom Einkommensteuerrecht verlangte Trennung der Vermögensumschichtung vom Rentenertrag ist in allen Fällen zu beachten, in denen gleichmäßige Leistungen von der Lebensdauer abhängen und dadurch ein vom Zinsfuß und von der Lebensdauer beeinflusster Ertrag bzw. Zinsaufwand zu erfassen ist (Großer Senat in BFHE 165, 225, BStBl II 1992, 78, unter C. II. 2.).

Auf dieser Grundlage wirft die unterschiedliche Behandlung von Zinsen, die aus wirtschaftlich im Wesentlichen gleichwertigen Altersvorsorgeprodukten herrühren, gleichheitsrechtliche Fragen auf (vgl. Antrag an den Vermittlungsausschuss BRDrucks 636/99 = BTDrucks 14/2328). Auch stellt sich die Frage, ob es unter dem Gesichtspunkt des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes) gerechtfertigt ist, den Ertragsanteil von Leibrenten ungeachtet seiner Rechtsnatur als pauschalierter Zinsanteil von der Begünstigung durch den Sparerfreibetrag (§ 20 Abs. 4 EStG) in Höhe von (ab 1993) 6 000/12 000 DM auszunehmen; diese Rechtsfrage wird in beim erkennenden Senat bereits anhängigen Revisionsverfahren erörtert und ist offenkundig von grundsätzlicher Bedeutung (zu Letzterem vgl. BFH-Beschluss vom 9. Mai 1988 IV B 35/87, BFHE 153, 378, BStBl II 1988, 725).

Im Übrigen ergeht der Beschluss nach § 116 Abs. 5 Satz 2 letzte Alternative der Finanzgerichtsordnung ohne Begründung.

 

Fundstellen

Haufe-Index 673046

BFH/NV 2002, 343

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