Leitsatz (amtlich)

Gegen einen Dritten gerichtete Ansprüche, die unabhängig vom Insolvenzverfahren in der Person des Insolvenzschuldners entstanden sind und nach Verfahrenseröffnung vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden, begründen in der Regel kein rechtliches Interesse des Dritten i. S. d. § 299 Abs. 2 ZPO an der Einsicht in die Insolvenzakten.

 

Verfahrensgang

AG München (Aktenzeichen 1513 IN 219/19)

 

Tenor

I. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird zurückgewiesen.

II. Der Geschäftswert wird auf 656.818,00 EUR festgesetzt.

III. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die Antragstellerin, eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, führte die Prüfung der Jahresabschlüsse für die Jahre 2015 bis 2017 der B.E. gesellschaft mbH (im Folgenden: Schuldnerin) durch, über deren Vermögen mit Beschluss des Amtsgerichts München vom 16. Oktober 2019 das - noch nicht beendete - Insolvenzverfahren eröffnet wurde.

Der Insolvenzverwalter macht gegen die Antragstellerin i. H. v. 6.568.180,00 EUR Ansprüche wegen der Verletzung von Hinweispflichten im Rahmen der Jahresabschlussprüfungen geltend, die sich daraus ergeben hätten, dass die Schuldnerin bereits seit 2015 dauernd insolvenzreif gewesen sei.

Mit Schriftsatz vom 10. März 2021 hat die Antragstellerin beim Amtsgericht München beantragt, ihr gemäß § 4 InsO i.V.m. § 299 Abs. 1 und 2 ZPO eine Kopie des Berichts des vorläufigen Insolvenzverwalters (Gutachten als Sachverständiger im Eröffnungsverfahren) zu übersenden. Sie sei Beteiligte im Insolvenzverfahren; sie werde vom Insolvenzverwalter derzeit außergerichtlich als frühere Abschlussprüferin in Anspruch genommen. Vom vorläufigen Insolvenzverwalter erstattete Gutachten gehörten nach allgemeiner Ansicht zu dem jedenfalls den Gläubigern zugänglichen Akteninhalt; das im Falle der Anwendung des § 299 Abs. 2 ZPO notwendige rechtliche Interesse ergebe sich daraus, dass sie prüfen wolle, ob sie Forderungen im Insolvenzverfahren geltend machen wolle, und zudem daraus, dass sie in Anspruch genommen werde. Mit Schriftsatz vom 25. März 2021 hat die Antragstellerin ergänzend vorgetragen, dass der Insolvenzverwalter ihr zwischenzeitlich den Entwurf einer Klage zugesandt und angekündigt habe, diese demnächst zu erheben, wenn vorab keine vergleichsweise Einigung gefunden werde; für die Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Rahmenbedingungen sie vergleichsbereit sei, sei die Frage einer Inanspruchnahme der Geschäftsführung der Insolvenzschuldnerin durch den Insolvenzverwalter von wesentlicher Bedeutung. Im Rahmen eines Schadens wegen etwaiger Pflichtverletzungen seien (werthaltige) Ansprüche aufgrund desselben Interesses aus Organhaftung vorteilsausgleichend und im Hinblick auf Ansprüche auf eventuellen Ausgleich nach § 426 Abs. 1 und 2 BGB bzw. nach § 255 BGB zu berücksichtigen. Weiterhin komme eine Anspruchskürzung aufgrund Mitverschuldens der Geschäftsführer nach § 254 Abs. 1, § 31 BGB in Betracht; einen Anhaltspunkt für diese Kürzung biete die vom Insolvenzverwalter dargelegte verspätete Insolvenzantragstellung. Weiterhin streite das Gebot der Waffengleichheit aus Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 GG für sie - die Antragstellerin -, weil der Geschäftsführer der Schuldnerin als Beteiligter stets Akteneinsicht gemäß § 299 Abs. 1 ZPO verlangen könne. Eine Versagung der Einsicht in das Gutachten des vorläufigen Insolvenzverwalters wäre ermessensfehlerhaft, weil in einem Prozess gemäß § 143 ZPO bzw. § 432 Abs. 1 ZPO eine Beiziehung des Gutachtens beantragt werden könnte.

Die Rechtspflegerin beim Amtsgericht München hat das Begehren der Antragstellerin nach Anhörung des Insolvenzverwalters, der sich gegen die Gewährung von Akteneinsicht ausgesprochen hat, mit zwei Entscheidungen vom 30. März 2021 zurückgewiesen:

In einem Beschluss von diesem Tag hat sie dem Antrag auf Akteneinsicht nach § 299 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 4 InsO nicht stattgegeben (Unterstreichungen nur hier), weil es sich bei der Antragstellerin weder um eine Insolvenzgläubigerin noch um eine sonstige Verfahrensbeteiligte handele. Die im Beschluss enthaltene Rechtsbehelfsbelehrung weist auf die beim Amtsgericht München einzulegende sofortige Beschwerde hin.

In einem Bescheid vom selben Tag hat die Rechtspflegerin dem Antrag auf Akteneinsicht nach § 299 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 4 InsO nicht stattgegeben (Unterstreichungen nur hier). Zur Begründung hat sie ausgeführt, die Antragstellerin habe weder eine Forderung zum Verfahren angemeldet noch glaubhaft vorgetragen, Inhaberin einer Forderung zu sein, aus der ihr Teilnahmerechte am Insolvenzverfahren erwachsen könnten. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass sich die Antragstellerin selbst Gegenansprüchen ausgesetzt sehe. Ein besonderes Geheimhaltungsinteresse werde selbst gegenüber Gläubigern anerkannt, wenn aus den Akten ersichtlich sei, dass der Insolvenzverwalter gegen einen Gläubiger einen Anfechtungsprozess vorbereite oder Schriftstücke einen zwischen dem Antragsteller und dem Insolvenzverwalter bereits schwebenden Rech...

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