Leitsatz

1. Die durch das BVerfG (Beschluss vom 13.2.2008, 2 BvL 1/06, BVerfGE 120, 125, unter E.II.2.) mit Wirkung bis zum 31.12.2009 ausgesprochene Anordnung der Weitergeltung der für mit dem GG unvereinbar erklärten Regelungen über die Abziehbarkeit von Beiträgen zur Krankenversicherung ist weder verfassungswidrig noch liegt darin ein Verstoß gegen die EMRK.

2. Es besteht kein verfassungsrechtlicher Anspruch darauf, die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung einkommensteuerlich in voller Höhe oder zumindest im Wege eines negativen Progressionsvorbehalts zu berücksichtigen.

 

Normenkette

Art. 3 Abs. 1 GG, § 10 Abs. 3, § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG 1990/1997, § 31 Abs. 2, § 35 BVerfGG, Art. 5, 6, 8, 14 EMRK

 

Sachverhalt

Die Kläger erzielten in den Jahren 1993–1999 Einkünfte aus nicht selbstständiger Arbeit. Ihre Beiträge zur Krankenversicherung und an die damalige BfA wurden jeweils im Rahmen der jeweils geltenden gesetzlichen Höchstbeträge berücksichtigt. Im Klageverfahren begehrten die Kläger, diese Beiträge in voller Höhe abzuziehen, hilfsweise, die Beiträge an die BfA im Wege des negativen Progressions­vorbehalts zu berücksichtigen. Die Klage hatte keinen Erfolg (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 8.10.2008, 7 K 4351/01 B, Haufe-Index 2125572, EFG 2009, 733). Die Kläger sind der Auffassung, die Weitergeltungsanordnung hinsichtlich der Beiträge zur Krankenversicherung verletze ihrerseits Verfassungsrecht (Art. 1, 2, 3, 6, 14, 19 Abs. 4, 20Abs. 3 GG) sowie Art. 5, 6, 8 und 14 EMRK. Vorrangig begehrten die Kläger das Ruhen oder Aussetzen des Verfahrens bis zum Ergehen verschiedener Entscheidungen des BVerfG oder des EGMR.

 

Entscheidung

Der BFH hat die Revision aus den oben genannten Gründen als unbegründet zurückgewiesen.

 

Hinweis

Die steuerliche Berücksichtigung der Vorsorgeaufwendungen ist seit 10 Jahren erheblich im Fluss. Neben den gesetzlichen Neuregelungen ist auch die Fortgeltung des "alten" Rechts umstritten.

1. In Bezug auf die Krankenversicherungsbeiträge hatte das BVerfG am 13.2.2008 entschieden, dass § 10 Abs. 1 Nr. 2 lit. a i.V.m. § 10 Abs. 3 EStG a.F. verfassungswidrig sei, soweit die Beiträge zu einer privaten Krankheitskostenversicherung, die dem Umfang nach erforderlich sind, um dem Steuerpflichtigen und seiner Familie eine sozialhilfegleiche Krankenversorgung zu gewährleisten, nicht ausreichend erfasst würden. Der Gesetzgeber wurde verpflichtet, mit Wirkung zum 1.1.2010 eine Neuregelung zu schaffen. Die ab 2010 geltende Neuregelung erfolgte durch das Bürgerentlastungsgesetz Krankenversicherung vom 16.7.2009 (BGBl I 2009, 1959).

Bis zu diesem Zeitpunkt kann die Altregelung jedoch weiter angewandt werden. Der BFH hatte und hat keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die pro-futuro Rechtsprechung des BVerfG. In dem vorliegenden BFH-Urteil wird zudem dargelegt und begründet, dass die Weitergeltungsanordnung nicht gegen Vorschriften der EMRK (Art. 5, 6, 8 und 14 EMRK) verstößt.

2. Es besteht außerdem keine verfassungsrechtliche Pflicht, Beiträge an die Bundesanstalt für Arbeit bzw. zu Versicherungen gegen Arbeitslosigkeit als Sonderausgabe in vollem Umfang zum Abzug zuzulassen. Im Anschluss an das Urteil vom 18.11.2009, X R 6/08 (BFH/NV 2010, 320, BStBl II 2010, 282) bestätigt der BFH erneut, dass das Prinzip der Steuerfreiheit des Existenzminimums dem Steuerpflichtigen lediglich den Schutz des Lebensstandards auf Sozialhilfeniveau gewährleistet, nicht aber auf dem Niveau, das durch die Leistungen der gesetzlichen Sozialversicherung erreicht werden kann. Eine Verpflichtung der Sozialhilfeträger zur Übernahme von Beiträgen an die BfA könne weder dem gesetzlichen Leistungskatalog der Sozialhilfe der früheren Jahre noch dem SGB XII entnommen werden. Das Risiko der Arbeitslosigkeit und des damit verbundenen Wegfalls des Erwerbseinkommens werde bereits durch die Sozialhilfe-Regelsätze berücksichtigt.

3. BfA-Beiträge führen auch nicht im Wegedes negativen Progressionsvorbehalts zu einer zusätzlichen einkommensteuerlichen Entlastung. Nach Auffassung des BFH können – neben negativen Einnahmen – nur Aufwendungen im Bereich der Einkunftserzielung einen negativen Progressionsvorbehalt auslösen (ebenso BFH, Urteil vom 3.11.2010, I R 73/09, BFH/NV 2011, 773). Die BfA-Beiträge stellen jedoch keine Werbungskosten dar, da der Gesetzgeber sie mit konstitutiver Wirkung – und Vorrang gegenüber der allgemeinen Regelung des Einleitungssatzes des § 10 Abs. 1 EStG – den Sonderausgaben zugewiesen und ihren Abzug nur in den bestimmten Höchstbeträgen zugelassen hat. Diese verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende gesetzgeberische Zuordnungsentscheidung liefe nach Auffassung des BFH leer, wenn ein Steuerpflichtiger, dem nur ein der Höhe nach begrenzter Sonderausgabenabzug zur Verfügung steht, ersatzweise ein Wahlrecht auf Anwendung des negativen Progressionsvorbehalts hätte. Aus der Systematik des § 32b EStG folge, dass ein negativer Progressionsvorbehalt überhaupt nur dann in Betracht kommen kann, wenn ein Abzug der entsprechende...

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