1 Allgemeines

 

Rz. 1

§ 89 Abs. 1 AO regelt die allgemeinen Betreuungs- oder Fürsorgepflichten der Finanzbehörde. Die Vorschrift ist Ausfluss des Rechts- und Sozialstaatsprinzips.[1] Sie dient der Verwirklichung des Anspruchs des Steuerbürgers auf ein faires Besteuerungsverfahren. Im finanzgerichtlichen Verfahren ergeben sich entsprechende Pflichten aus § 76 Abs. 2 FGO.

 

Rz. 2

Durch das Föderalismusreform-Begleitgesetz v. 5.9.2006, BGBl I 2006, 2098 wurde in § 89 Abs. 2 AO m. W. v. 12.9.2006 eine Regelung über die Erteilung verbindlicher Auskünfte eingefügt. Durch das Gesetz zur Umsetzung der Amtshilferichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften (Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz – AmtshilfeRLUmsG) v. 26.6.2013, BGBl I 2013, 1809 wurde § 89 Abs. 2 AO um einen S. 5 ergänzt.[2]

 

Rz. 3

Außerdem wurden der Vorschrift mit dem Jahressteuergesetz 2007 (JStG 2007) v. 13.12.2006, BGBl I 2006, 2878 m. W. v. 19.12.2006 die eine Gebührenpflicht vorsehenden Abs. 3 bis 5 hinzugefügt. Durch das Steuervereinfachungsgesetz 2011 v. 1.11.2011, BGBl I 2011, 2131[3], wurden die Regelungen zur Gebührenpflicht klarer gefasst. Außerdem wurde eine Bagatellregelung eingeführt.[4] Mit der Bagatellregelung wurde ein Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag der Regierungsparteien für die 17. Legislaturperiode umgesetzt, welcher unter der Überschrift "Steuervereinfachung" vorsah, die Gebührenpflicht für die Bearbeitung von Anträgen auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft "auf wesentliche und aufwendige Fälle" zu beschränken.[5]

 

Rz. 3a

Durch das Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens[6] wurden praxisrelevante Ergänzungen in § 89 Abs. 2 S. 6 und Abs. 3 S. 2 AO vorgenommen, die Unklarheiten hinsichtlich der Zuständigkeit, der Bindungswirkung und der Gebührenerhebung in Konstellationen beseitigt, in denen mehrere Beteiligte durch die Auskunft betroffen werden. Zudem wurde eine Bearbeitungsfrist von sechs Monaten in § 89 Abs. 2 S. 4 AO festgelegt, um der zügigen Erledigung von verbindlichen Auskünften einen höheren Stellenwert einzuräumen.[7]

[1] Kallerhoff, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 25 VwVfG Rz. 11; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 17. Aufl. 2016, § 25 VwVfG Rz. 2; Söhn, in HHSp, AO/FGO, § 89 AO Rz. 14; Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 89 AO Rz. 1; a. A.Klein/Rätke, AO, 14. Aufl. 2016, § 89 Rz. 5; Wagner, in Kühn/v. Wedelstädt, AO/FGO, 21. Aufl. 2015, § 89 AO Rz. 1; Helsper, in Koch/Scholtz, AO, 5. Aufl. 1996, § 89 Rz. 2, die diese Pflichten aus dem Grundsatz von Treu und Glauben herleiten.
[2] Vgl. Rz. 37.
[3] Vgl. BR-Drs. 360/11 und 568/11, BT-Drs. 17/5125 und 17/7025.
[4] Vgl. § 89 Abs. 3 bis 7 AO.
[5] Zur Gebührenpflicht im Einzelnen vgl. Rz. 79ff.
[6] V. 18.7.2016, BGBl I 2016, 1679.
[7] BT-Drs. 18/8434, 109.

2 Hinweis- und Auskunftspflicht (§ 89 Abs. 1 AO)

 

Rz. 4

Nach der Gesetzesbegründung zu dem wort- und intentionsgleichen § 25 VwVfG ist das moderne, rechts- und sozialstaatlich geprägte Verständnis der Verwaltung das einer bürgernahen Verwaltung. Die Vorschrift ist Ausdruck der Kooperationsmaxime. Die Rechtsverwirklichung des Beteiligten soll nicht an dessen Unkenntnis, Unerfahrenheit oder Unbeholfenheit scheitern.[1] Der Amtsträger darf nicht "sehenden Auges" zulassen, dass der bei ihm vorsprechende Bürger Schaden erleidet, den der Amtsträger durch einen kurzen Hinweis, eine Belehrung mit wenigen Worten oder eine entsprechende Aufklärung zu vermeiden in der Lage ist.[2] Der Amtsträger soll nicht nur "Diener des Staates", sondern auch "Helfer des Staatsbürgers" sein.[3] Der im Verfahrensrecht ungewandte Beteiligte soll die gleiche Möglichkeit zur Durchsetzung seiner Rechte haben, wie der in diesen Fragen Erfahrene.[4] Über die Förderung der Einzelinteressen der Beteiligten wird zugleich ein materiell-richtiges Besteuerungsergebnis angestrebt. Die Fürsorgepflicht aus § 89 Abs. 1 AO dient damit auch der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung und somit der Erfüllung des in § 85 AO formulierten Verwaltungsauftrags (Legalitätsprinzip).

 

Rz. 5

§ 89 Abs. 1 AO kommt in allen steuerlichen Verwaltungsverfahren zur Anwendung. Im Steuerstraf- und Bußgeldverfahren gelten die StPO und das OwiG.[5] Für die aus der Vorschrift hervorgehenden finanzbehördlichen Pflichten werden unterschiedliche Termini verwandt. Während z. B. Söhn[6] zwischen Beratungs- (S. 1) und Auskunftspflichten (S. 2) differenziert, spricht Seer[7] von allgemeinen Betreuungs- (S. 1) und besonderen Verfahrensfürsorgepflichten (S. 2). Hier wird im Folgenden zwischen Hinweis- (S. 1) und Auskunftspflichten (S. 2) unterschieden.

[1] BT-Drs. 7/910, 49; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 17. Aufl. 2016, § 25 VwVfG Rz. 2; Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 89 AO Rz. 1.
[2] BGH v. 5.4.1965, III ZR 11/64, NJW 1965, 1226; BGH v. 5.5.1994, III ZR 78/93, NJW 1994, 2415.
[3] BGH v. 6.4.1960, III ZR 38/59, NJW 1960, 1244; BGH v. 2.10.2003, III ZR 420/02, VersR 2005, 1730.
[4] BFH v. 8.2.1994, VII R 88/92, BStBl II 1994, 552; Söhn, in HHSp, AO/FGO, § 89 AO Rz. 14.
[5] Koenig/Wünsch, AO, 3. Aufl. 2014, § 89 Rz. 3.
[6] In HHSp, AO/FGO, § 89 AO Rz. 9.
[7] In Tipke/Kruse,...

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