Rz. 162

Liegt eine ordnungsgemäße Selbstanzeigeerklärung nach § 371 Abs. 1 AO vor, so wird hierdurch die Anwartschaft auf Straffreiheit begründet, allerdings nur, wenn vor dem rechtzeitigen Eingang der Selbstanzeigeerklärung bei der Finanzbehörde kein Ausschlussgrund nach § 371 Abs. 2 AO eingetreten ist.[1]

Fehlt es demgegenüber bereits an einer ordnungsgemäßen Selbstanzeige, so findet § 371 Abs. 2 AO keine Anwendung.

§ 371 Abs. 2 AO in der seit dem 1.1.2015 geltenden Form zählt acht Ausschlussgründe auf, die voneinander unabhängig sind, sodass jeder für sich geprüft werden muss. Es können möglicherweise auch mehrere Ausschlussgründe nebeneinander gegeben sein, aber schon das Vorliegen eines Ausschlussgrunds hindert die strafbefreiende Wirkung.

 

Rz. 163

Der sachliche Grund für die Schaffung der Ausschlusstatbestände nach § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1a bis Nr. 2 AO liegt darin, dass aufgrund der genannten Ermittlungshandlungen die Entdeckungswahrscheinlichkeit sich schon so sehr verdichtet hat, dass die Rückkehr zur Steuerehrlichkeit nicht mehr in vollem Umfang belohnenswert erscheint und demgemäß für die Gewährung der Straffreiheit auch kein steuerpolitischer und fiskalischer Bedarf (mehr) besteht.[2] Bedarf der Fiskus zur Erschließung der bislang unbekannten Steuerquelle nicht mehr der Mitwirkung des Stpfl., da sie bereits entdeckt ist oder ihre Entdeckung unmittelbar bevorsteht, so ist ein Anreiz für den Stpfl. zur Abgabe einer Selbstanzeige nicht mehr erforderlich. Dieses Vorgehen ist auch unter strafrechtlichen Gesichtspunkten zutreffend, denn die mit § 370 Abs. 1 AO angestrebte generalpräventive Wirkung würde von vornherein leerlaufen, wenn eine strafbefreiende Selbstanzeige auch dann noch möglich wäre, wenn die Strafverfolgung bereits aufgenommen wurde oder sich das Verfolgungsrisiko deutlich konkretisiert hat.[3]

 

Rz. 164

Die Ausschlussgründe des § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 und 4 AO werden hingegen von einer anderen (kriminal-)politischen Motivation getragen. Der Gesetzgeber will besonders schwerwiegende und damit besonders strafwürdige Fälle der Steuerhinterziehung aus dem Anwendungsbereich der Selbstanzeige herausnehmen.[4] Als besonders schwerwiegende Fälle sieht der Gesetzgeber Fälle mit einem Hinterziehungsvolumen ab 25.000 EUR und die in § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 bis 5 AO geregelten besonders schweren Fälle der Steuerhinterziehung an. In diesen Fällen wird der Täter nicht straffrei, sondern er kann gem. § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 und Nr. 4 i. V. m. § 398a AO lediglich durch die Zahlung eines neben die Nachzahlung der hinterzogenen Steuern tretenden Zuschlags das Absehen von der weiteren Strafverfolgung erreichen.

 

Rz. 165

Die Aufzählung der Ausschlussgründe in § 371 Abs. 2 AO ist abschließend. Weitere Ausschlussgründe, über die gesetzlich genannten hinaus, gibt es nicht. Insbesondere ist die Motivation für die Selbstanzeige ohne Bedeutung.[5] Ein zusätzliches ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der Freiwilligkeit oder der Reue als Grund für die Selbstanzeige ist nicht vorgesehen und darf auch nicht im Weg der Auslegung in die Vorschrift hineininterpretiert werden (Rz. 12). Die Selbstanzeige, die aus Angst vor einer eventuellen Entdeckung oder nach Anwendung von Zwangsmitteln[6] erstattet wird, verliert hierdurch nicht ihre strafbefreiende Wirkung.

 

Rz. 166

Die Auslegung der Ausschlussgründe folgt nicht aus fiskalpolitischen Gesichtspunkten, die für eine restriktive Auslegung und somit für einen engen Anwendungsbereich der Ausschlussgründe sprechen würden, um möglichst wenigen Selbstanzeigen die Wirksamkeit zu versagen.[7] Nach allgemeinen Regeln der Gesetzesauslegung ist vielmehr zu berücksichtigen, dass es sich bei § 371 AO um eine Ausnahmevorschrift handelt, die dementsprechend unter systematischen Gesichtspunkten nicht weit, sondern restriktiv auszulegen ist.[8] Für die Ausschlussgründe des § 371 Abs. 2 AO folgt daraus, dass diese wiederum nicht eng, sondern weit auszulegen sind.

 

Rz. 167

Bei der Auslegung der Ausschlussgründe des § 371 Abs. 2 AO ist das aus Art. 103 Abs. 2 GG resultierende Analogieverbot[9] zu beachten.[10] Da die Ausschlussgründe darüber hinaus auch unmittelbar die Strafbarkeit betreffen, unterliegen sie auch dem Bestimmtheitsgrundsatz und der Grundsatz in-dubio-pro-reo ist bei der Anwendung zu berücksichtigen.[11]

 

Rz. 168

Im Hinblick auf den Umfang der Sperrwirkung ist ausschließlich auf die strafbefangenen Taten abzustellen. Folglich ist es ohne Bedeutung, wenn ein Sperrgrund i. S. d. § 371 Abs. 2 AO ausschließlich für eine Tat eingreift, die zwar zum erweiterten Berichtigungsverbund – "mindestens aber zu allen Steuerstraftaten einer Steuerart innerhalb der letzten zehn Kalenderjahre" (vgl. dazu Rz. 109ff.) – gehört, jedoch bereits verfolgungsverjährt ist. Dies ergibt sich im Hinblick auf § 31 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO ausdrücklich aus dem Gesetzeswortlaut und im Hinblick auf die weiteren Ausschlussgründe ergibt sich aus der Gesetzesbegründung kein Argument dafür, dass sich diese Sperrgründe auf den gesamt...

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