Rz. 41a

§ 165 Abs. 1 S. 2 Nr. 2a AO ermöglicht eine vorläufige Steuerfestsetzung, wenn aufgrund einer Entscheidung des EuGH eine gesetzliche Neuregelung notwendig werden kann. Die Vorschrift wurde durch Gesetz v. 18.7.2016[1] mit Wirkung ab 1.1.2017 eingefügt und damit der Fall berücksichtigt, dass sich aus einem Verfahren vor dem EuGH die Notwendigkeit einer Änderung der Gesetze ergeben kann. Die neue Vorschrift tritt nach Art. 23 Abs. 1 des Gesetzes v. 18.7.2016 am 1.1.2017 in Kraft und ist nach Art. 97 § 1 Abs. 11 EGAO auf alle zu diesem Zeitpunkt anhängigen Verfahren anzuwenden. Die Vorschrift korrespondiert mit Nr. 3. Während bei Nr. 3 nur die Anwendbarkeit der Norm in dem Gerichtsverfahren geprüft wird, also ohne Rücksicht auf eine etwa notwendig werdende Gesetzesänderung, setzt Nr. 2a darüber hinaus voraus, dass eine gesetzliche Änderung notwendig werden könnte. Es muss nicht sicher und auch nicht einmal wahrscheinlich sein, dass eine solche Neuregelung erforderlich ist. Es genügt, dass eine solche Möglichkeit besteht. Die Vorschrift schützt damit auch den Ermessensspielraum des Gesetzgebers, ob er eine Neuregelung vornehmen will oder nicht, und welchen Inhalt sie haben soll. Entscheidet der EuGH, dass eine gesetzliche Regelung diskriminierend ist und daher gegen die Grundfreiheiten verstößt, kann der Gesetzgeber entscheiden, die Regelung unverändert zu lassen mit der Folge, dass sie gegenüber EU- und EWR-Staatsangehörigen nicht mehr anwendbar ist, er kann die Regelung ersatzlos aufheben oder er kann sie auch auf inländische Stpfl. ausdehnen und damit die Diskriminierung beseitigen. Bis zu dieser Entscheidung des Gesetzgebers kann die Vorläufigkeit bestehen bleiben, d. h. so lange, bis eine etwaige Neuregelung in Kraft getreten oder entschieden ist, die Anwendung der Norm gegenüber EU- und EWR-Staatsangehörigen auszusetzen.

 

Rz. 41b

Voraussetzung für die Vorläufigkeit ist, dass bereits ein Verfahren vor dem EuGH schwebt. Vor diesem Zeitpunkt kommt nur eine Vorläufigkeit nach Nr. 3 in Betracht, da die Rechtsfrage nur über eine Richtervorlage dem EuGH unterbreitet werden kann. Ist die Vereinbarkeit nur in einem Verfahren vor dem FG streitig, oder wird die Europarechtswidrigkeit einer Vorschrift lediglich in der Literatur behauptet, ist der Tatbestand der Nr. 2a m. E. nicht erfüllt. In diesen Fällen ist offen, ob es überhaupt zu einem Verfahren vor dem EuGH kommen kann, aus dem sich ein Bedarf für eine gesetzliche Neuregelung ergeben könnte. Andererseits ist für die Vorläufigkeit nicht erforderlich, dass das Gerichtsverfahren vor dem EuGH noch schwebt. Die Vorschrift ist auch anwendbar für die Zeit ab Ergehen der Entscheidung bis zum Inkrafttreten der Neuregelung. Nicht mehr anwendbar ist die Vorschrift, wenn sich herausgestellt hat, dass die Entscheidung des EuGH keine gesetzliche Änderung erfordert. Bis dahin vorläufig ergangene Bescheide sind für endgültig zu erklären, wenn nicht zusätzlich die Voraussetzungen der Nr. 3 vorliegen. Das ist der Fall, wenn die EuGH-Entscheidung zwar keine Gesetzesänderung, wohl aber die Änderung bereits ergangener Steuerbescheide notwendig macht. Sofern keine Änderung des Bescheids erforderlich wird, ist die Notwendigkeit, die Steuerfestsetzung für endgültig zu erklären, nach Abs. 2 S. 4 eingeschränkt.[2]

[1] BGBl I 2016, 1679, 1694.
[2] Hierzu Rz. 102.

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