Rz. 12

Das Auskunftsverweigerungsrecht für Geistliche trägt der in Art. 4 Abs. 2 GG geschützten Freiheit der ungestörten Religionsausübung Rechnung. Sie schützt den Bereich der Seelsorge gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Durchsetzung von Steueransprüchen.[1] § 102 Abs. 1 Nr. 1 AO dient damit gleichermaßen dem Schutz der Religionsgemeinschaft und ihrer seelsorgerisch tätigen Geistlichen sowie dem Schutz des seelsorgerisch betreuten Beteiligten.[2] Begünstigt sind Geistliche ohne Rücksicht auf den rechtlichen Status der Glaubensgemeinschaft.[3]

Der Geistliche kann sich auch dann auf sein Auskunftsverweigerungsrecht berufen, wenn durch den Beteiligten eine Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht erfolgt. § 102 Abs. 3 AO ist insoweit nicht anwendbar.[4] Allerdings entfällt die Schutzfunktion der Vorschrift, wenn der Geistliche bereits gegenüber Dritten die Tatsache bekannt gegeben hat.

 

Rz. 13

Geistliche i. d. S. sind alle Personen, die im Rahmen einer Religionsgemeinschaft seelsorgerische Aufgaben (s. Rz. 6a) wahrnehmen. Das Aussageverweigerungsrecht besteht nach § 102 Abs. 2 AO auch für Hilfspersonen, die an der Aufgabenerfüllung teilnehmen, allerdings abhängig von der Entscheidung des Geistlichen.[5] Die rechtliche Stellung der Hilfsperson ist unerheblich.

 

Rz. 14

Das Auskunftsverweigerungsrecht besteht nur für solche Tatsachen[6], die dieser Person in ihrer Eigenschaft als Geistlicher bei Ausübung seelsorgerischer Tätigkeit anvertraut oder bekannt geworden sind. Dies ist jede geistliche oder körperliche Betreuung, z. B. die Beichte oder auch Krankenpflege. Karitative, erzieherische oder verwaltende Tätigkeiten sind nicht geschützt.[7] Sind die zu ermittelnden Tatsachen dem Geistlichen daher im privaten Bereich oder aufgrund seiner Tätigkeit im Verwaltungsbereich der Religionsgemeinschaft bekannt geworden, so besteht kein Auskunftsverweigerungsrecht.[8]

[1] Pahlke, in Schwarz/Pahlke, AO/FGO, S. Vor §§ 101106 AO Rz. 1.
[2] Schindler, in Gosch, AO/FGO, § 102 AO Rz. 7.
[3] Schuster, in HHSp, AO/FGO, § 102 AO Rz. 9; Schindler, in Gosch, AO/FGO, § 102 AO Rz. 7; Koenig/Wünsch, AO, 3. Aufl. 2014, § 102 Rz. 5; Gehle, in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 78. Aufl. 2020, § 383 ZPO Rz. 5; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl. 2020, § 53 StPO Rz. 12; a. A. Klein/Rätke, AO, 15. Aufl. 2020, § 102 Rz. 3: nur – aber nicht mit Art. 140 GG/ § 137 Abs. 3 WRV vereinbar – Schutz für christliche Kirchen und staatlich anerkannte Religionsgemeinschaften.
[4] Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 102 AO Rz. 5; Koenig/Wünsch, AO, 3. Aufl. 2014, § 101 Rz. 7.
[7] Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 102 AO Rz. 6.
[8] Dallinger, JZ 1953, 432; Gehle, in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 78. Aufl. 2020, § 383 ZPO Rz. 5; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl. 2020, § 53 StPO Rz. 12; Schindler, in Gosch, AO/FGO, § 102 AO Rz. 7.

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